Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat lange Zeit keine Veränderungen erfahren. Erst im Jahre 2020 gab es wieder Bewegung. Zunächst in Form der befristeten Einführung des § 129 BetrVG. Hier hat der Gesetzgeber – aus Anlass der Covid19-Pandemie – Video-Konferenzen in der Betriebsratsarbeit für zulässig erklärt. Nunmehr sind durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz weitere Änderungen vorgenommen worden, primär aufgrund der Digitalisierung der Arbeitswelt.
Mit der Gesetzesnovellierung hat erstmals eine Mehrzahl an Formvorschriften Einzug ins BetrVG gehalten. Bislang war ausdrücklich nur die Schriftform normiert. Die Anpassung des BetrVG an die digitale Arbeitswelt führt – ironischerweise (!) – dazu, dass ein beträchtlicher Teil der Betriebsratsarbeit wieder in das 20. Jahrhundert zurückkatapultiert wird. Denn die Novellierung hat die „kuriose“ Nebenwirkung, dass der Betriebsrat für rechtswirksame Erklärungen wieder zu Stift und Papier greifen muss. Dies verkompliziert die Kommunikation mit dem Betriebsrat erheblich. Die Nutzung von E-Mails ist für den praktisch sehr relevanten Bereich der personellen Mitbestimmung nicht mehr formwirksam möglich. Dieser „redaktionelle Kollateralschaden“ ist dem Gesetzgeber sicherlich nicht bewusst.
Bisherige Rechtslage / Gesetzesänderung
Das Zivilrecht enthält eine Vielzahl von Formvorschriften. Neben der klassischen Schriftform (§ 126 BGB, d.h. handschriftliche Originalunterschrift) kennt das BGB die elektronische Form und die Textform. Letztere von hoher praktischer Relevanz, denn E-Mails fallen hierunter. Das BetrVG kannte bislang aber nur die Schriftform. Die Textform war dem BetrVG – jedenfalls „offiziell“ dem Wortlaut nach – fremd. Die gesetzlich angeordnete Schriftform spielt insbesondere bei der Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten eine bedeutende Rolle. Nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 99 Abs. 3 BetrVG) hat der Betriebsrat eine Zustimmungsverweigerung bei Einstellungen/Versetzungen dem Arbeitgeber schriftlich mitzuteilen. Dasselbe gilt gemäß § 102 Abs. 2 BetrVG bei Bedenken gegen eine Kündigung.
Mit der Gesetzesnovelle haben – endlich – moderne Kommunikationsformen auch „offiziell“ Einzug ins Gesetz gehalten. In § 34 BetrVG n.F. findet sich nun ausdrücklich die Textform wieder, in § 76 Abs. 3 BetrVG n.F. die elektronische Form. Sogar Betriebsvereinbarungen können künftig elektronisch signiert werden. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich auf die Formvorschriften aus dem BGB Bezug genommen. Mit den Änderungen an den o.g. Punkten will der Gesetzgeber der Digitalisierung und der Nutzung moderner Kommunikationstechnik Rechnung tragen.
Aber: Sowohl in § 99 Abs. 3 als auch in § 102 Abs. 2 BetrVG bleibt es unverändert bei der Schriftform.
Auswirkungen auf die Praxis
Das BetrVG enthält nunmehr eine Mehrzahl von Vorgaben zur Form:
- Schriftform
- Textform
- elektronische Form
Faktisch gehört seit über 20 Jahren die Nutzung von E-Mails zur Praxis der Betriebsratsarbeit. Es entspricht der betrieblichen Realität, dass Betriebsräte ihre Einwände auf Einstellungen/Versetzungen oder Kündigungen dem Arbeitgeber per E-Mail mitteilen. Das BAG hat das bislang auch akzeptiert. Obwohl im Gesetz „schriftlich“ steht, hat es schon vor Jahren ausgeführt, dass der Begriff untechnisch zu verstehen sei, mithin auch wirksam per E-Mail kommuniziert werden könne (BAG 9.12.2008,1 ABR 79/07). Die Grundlage für diese – praxisnahe – Gesetzesauslegung ist nun aber entfallen. Denn wenn das Gesetz nun ausdrücklich den Begriff „Textform“ (d.h. E-Mail!) an der einen Stelle verwendet, kann der Begriff der „Schriftform“ an anderer Stelle nicht dahingehend interpretiert werden, dass auch eine E-Mail als schriftlich gilt. Denn sie ist nur ein Text, aber eben nicht original handschriftlich signiert (§ 126 BGB). Die eigentlich wohlmeinend auf Praxisnähe angelegte Gesetzesänderung hat – sicherlich ungewollt – die Auswirkung, dass die Schriftform nun streng im Sinne des Wortlautes interpretiert werden muss (d.h. buchstäblich „Stift und Papier“). Arbeitsgerichte würden gegen die Gesetzesbindung verstoßen, wenn sie die klare Differenzierung im Gesetz einfach übergehen.
Die Auswirkungen dieses redaktionellen Kollateralschadens sind erheblich:
Die Formnichtigkeit einer Erklärung hat durchaus beträchtliche Auswirkungen. Erklärt ein Betriebsrat nicht (form-)wirksam den Widerspruch gegen eine personelle Einzelmaßnahme, kann sich der Arbeitgeber ein zeit- und kostenträchtiges Zustimmungsersetzungsverfahren im Sinne des § 99 Abs. 4 BetrVG ersparen. Umgekehrt muss der Betriebsrat die personelle Einzelmaßnahme dulden. Aus Arbeitnehmersicht wirkt sich insbesondere ein (form-)unwirksamer Widerspruch des Betriebsrats gegen eine Kündigung aus. Erfolgt ein Widerspruch nämlich nicht ordnungsgemäß, nimmt der Betriebsrat dem Arbeitnehmer ein scharfes Schwert aus der Hand. Denn im Falle eines nicht formgemäßen Widerspruchs kann der Arbeitnehmer nicht den Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG gegen den Arbeitgeber durchsetzen.
Für Arbeitgeber scheint das zunächst einmal vorteilhaft. Äußert ein Betriebsrat seine Bedenken - wie bisher üblich - weiterhin per E-Mail, kann ein Arbeitgeber nach der hier vertretenen Auffassung die Einwände wegen Formnichtigkeit übergehen. Letztlich ist dies aber nur ein kurzfristiger Erfolg. Ein solcher Einwand wird sicherlich nur einmal greifen. Letztlich sind Betriebsräte gezwungen, künftig wieder umständlich zu Stift und Papier zu greifen. Nur dann kann er rechtssicher agieren. Diese Umständlichkeit kann auch nicht im Sinne der Arbeitgeber sein.
Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber diesen „Lapsus“ erkennt und künftig im Bereich der personellen Mitbestimmung ebenfalls die Textform ausdrücklich als zulässig anerkennt.
Hinweis: Dieser Beitrag ist eine gekürzte und geänderte Fassung des Aufsatzes von RA Jens Völksen in der Fachzeitschrift jM, Ausgabe 6/2021, S. 233