BSG: Neues zur Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern bei Auftragsverhältnissen mit Ein-Personen-Kapitalgesellschaften

Berlin, 02.01.2024

Böse Überraschung bei der Betriebsprüfung: Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellt das als selbstständige Beschäftigung geglaubte Vertragsverhältnis als abhängige Beschäftigung fest. Das passiert, wenn der „Selbstständige“ in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und letztlich ohne eigenes unternehmerisches Risiko tätig ist. Ein Fall der sog. Scheinselbstständigkeit. Bisweilen wurde durch den Einsatz einer Ein-Person-Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH oder UG) Abhilfe gesucht, indem ein Auftrag nicht mehr unmittelbar an eine natürliche Person, den „Selbstständigen“, sondern an eine Kapitalgesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der „Selbstständige“ ist, vergeben wurde. Eine abhängige Beschäftigung wurde damit in der Vergangenheit durchaus vermieden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2021 – L 26 BA 6/20). Formal betrachtet fehlte es dann nämlich an einer unmittelbaren vertraglichen Beziehung zwischen dem Auftraggeber und dem „Selbstständigen“, weil das Auftragsverhältnis eben nur zwischen dem Auftraggeber und der Kapitalgesellschaft existierte. Bei dieser formalen Betrachtung ist der „Selbstständige“ beim Auftraggeber auch nicht „gegen Arbeitsentgelt“ beschäftigt, wie es bspw. für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI) Voraussetzung ist.

BSG Urteile vom 20. Juli 2023 – B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R, B 12 BA 4/22 R

Damit hat sich jüngst das Bundessozialgericht in drei Entscheidungen vom 20. Juli 2023 wie folgt befasst:

Das Bundessozialgericht musste darüber entscheiden, ob die Tätigkeit einer natürlichen Person, die Gesellschafter-Geschäftsführer einer Ein-Person-Kapitalgesellschaft ist, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung darstellt, also eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung auslöst. Mit diesen Ein-Person-Kapitalgesellschaften, in einem Fall eine GmbH und in den anderen beiden Fällen eine UG, schlossen Dritte, die Auftraggeber, Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen. In zwei Verfahren ging es um Pflegedienstleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses, im dritten Fall um eine beratende Tätigkeit. Beim Auftraggeber wurden die versprochenen Dienste tatsächlich ausschließlich von den natürlichen Personen, d.h. den Gesellschafter-Geschäftsführern, erbracht. Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellte nach einer Statusprüfung in allen drei Fällen eine Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung fest. Hiergegen richteten sich die Klagen der Gesellschafter-Geschäftsführer. Erfolglos.

Das Bundessozialgericht bestätigte die Einschätzung der Deutschen Rentenversicherung Bund: Ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis einer natürlichen Person wird nicht zwingend dadurch ausgeschlossen, weil eine Vertragsbeziehung nur zwischen dem Auftraggeber und einer Ein-Person-Kapitalgesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer die natürliche Person ist, besteht. Maßgeblich ist, ob sich die Tätigkeit der natürlichen Person nach ihrem Gesamtbild als abhängige Beschäftigung darstellt. Die auch im Sozialrecht zu beachtende grundsätzliche Trennung zwischen juristischen Personen und ihren Organen als natürliche Personen stünde dem nicht entgegen. (BSG, Urteile vom 20. Juli 2023 – B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R, B 12 BA 4/22 R).

Bedeutung der tatsächlichen Gegebenheiten

Das Bundessozialgericht hat sich bereits mehrfach mit der Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit befasst. Die hierfür maßgeblichen Grundsätze sind bekannt. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht-selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Tätigkeit prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.

Abhängige Beschäftigung trotz zwischengeschalteter Ein-Personen-Kapitalgesellschaft

Brisanz erlangten die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 20. Juli 2023 dadurch, dass das Bundessozialgericht die aufgezeigten Grundsätze zur Einordnung einer Tätigkeit als abhängige oder selbstständige Beschäftigung nunmehr auch in Statusfällen anwendet, in denen die vertragliche Beziehung zwar zwischen zwei juristischen Personen (z.B. GmbH und UG) besteht, die vertraglich geschuldete Tätigkeit anschließend aber – wie beabsichtigt – von der natürlichen Person, die zugleich Gesellschafter-Geschäftsführer der einen juristischen Person ist, erbracht wird.

Auch in diesen Konstellationen seien für die Abgrenzung einer abhängigen von einer selbstständigen Tätigkeit die jeweiligen konkreten tatsächlichen Umstände der Tätigkeit nach einer Gesamtabwägung maßgeblich. Dem stünde der Umstand nicht entgegen, dass die zugrundeliegenden Verträge nur zwischen zwei juristischen Personen, z.B. zwischen der GmbH des Auftraggebers und der UG des „Selbstständigen“, geschlossen wurden. Die Abgrenzung richte sich vielmehr nach dem Geschäftsinhalt, der sich aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien und der praktischen Durchführung des Vertrages ergäbe, nicht aber nach der von den Parteien gewählten Bezeichnung oder gewünschten Rechtsfolge. Sozialversicherungsrechtlich hat für das Bundessozialgericht die fehlende vertragliche Beziehung zwischen dem Auftraggeber und dem Gesellschafter-Geschäftsführer zur Einordnung der Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers beim Auftraggeber als abhängige Beschäftigung letztlich keine entscheidende Rolle gespielt. Bei mehreren Beteiligten eines Auftragsverhältnisses sei es sozialversicherungsrechtlich vielmehr geboten, anhand der Gesamtumstände zu beurteilen, zwischen welchen Rechtssubjekten gegebenenfalls ein Beschäftigungsverhältnis besteht.

Das Ergebnis überrascht wenig. Das Bundessozialgericht hat bereits in vergangenen Entscheidungen für die Beurteilung, ob eine abhängige oder selbstständige Tätigkeit vorliegt, den tatsächlichen Verhältnissen, namentlich die Ausgestaltung und Durchführung des zugrundeliegenden Vertragsverhältnisses, eine entscheidende Bedeutung beigemessen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 – B 12 R 10/20 R).

Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen einer so festgestellten abhängigen Beschäftigung sind, insbesondere für den Auftraggeber, regelmäßig unangenehm. Denn das Risiko der Haftung für nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge trägt der Auftraggeber. Die nachzuzahlenden Beiträge erreichen, jedenfalls wenn das Beschäftigungsverhältnis einige Zeit bestand, regelmäßig nicht ganz unerhebliche Summen. Zusätzlich drohen empfindliche steuer-, arbeits- und womöglich sogar strafrechtliche Konsequenzen.

Praxisrelevanz und Fazit

Die zwingenden Regeln des Sozialversicherungsrechts sind zu beachten. Allein das Gründen und Zwischenschalten einer Ein-Person-Kapitalgesellschaft vermeidet die Scheinselbstständigkeit bzw. Sozialversicherungspflicht nicht zwingend. Der Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft kann trotzdem zum Auftraggeber in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Davon ist jedenfalls auszugehen, wenn in der Kapitalgesellschaft ansonsten weitere Mitarbeiter nicht beschäftigt sind und der Gesellschafter-Geschäftsführer beim Auftraggeber die vertraglich vereinbarten Leistungen persönlich erbringt. Im Vorfeld der Beauftragung bzw. des Personaleinsatzes ist es deswegen wichtig, anhand der jeweiligen konkreten tatsächlichen Umstände der Tätigkeit genau zu untersuchen, ob die Tätigkeit als abhängige oder selbstständige Tätigkeit einzuordnen ist. Der sozialversicherungsrechtliche Status kann durch ein Statusfeststellungsverfahren geklärt werden. In Zweifel machen bereits Compliance-Aspekte ein Statusfeststellungsverfahren alternativlos. Daneben lohnt es sich, auch andere Formen des Personaleinsatzes im Blick zu behalten, z.B. eine Beschäftigung auf Grundlage eines befristeten Anstellungsverhältnisses oder im Rahmen einer (erlaubten) Arbeitnehmerüberlassung.

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