Grundlegende Reform des deutschen Insolvenzrechts in 2012 durch das ESUG

02.02.2012

[] Der Bundestag hat Ende Oktober 2011 das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen ("ESUG") beschlossen. Das Gesetz tritt am 1. März 2012 in Kraft. Es enthält umfangreiche Änderungen mit Auswirkungen für die Restrukturierung und Insolvenz von Unternehmen.

1. Übersicht

Mit dem ESUG wird die deutsche Insolvenzordnung in folgenden Punkten wesentlich geändert:

Neues Schutzschirmverfahren Einführung eines vorläufigen Gläubigerausschusses im Insolvenzeröffnungsverfahren Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters Eigenverwaltung künftig als Regelfall - Erleichterung von Insolvenzplänen

Damit sind wesentliche Reformbestrebungen umgesetzt. Künftig können Insolvenzverfahren in Deutschland mit deutlich mehr Rechtssicherheit für die Gläubiger geplant und abgewickelt werden. Auch sind Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Auswahl des Insolvenzverwalters beseitigt.

Das neue Recht ist die Antwort des deutschen Gesetzgebers auf Bestrebungen, Insolvenzverfahren in das Ausland, insbesondere nach England, zu verlegen, um dort vermeintliche Verfahrensvorteile zu nutzen.

Wir haben im Folgenden die wesentlichen Punkte der Änderungen zusammengefasst, ohne ins Detail zu gehen. Über die Einzelheiten informieren wir Sie gerne in einem persönlichen Gespräch.

2. Schutzschirmverfahren

Das Schutzschirmverfahren soll dem Schuldner die Gelegenheit verschaffen, ohne vorläufigen Insolvenzverwalter selbst einen Insolvenzplan mit seinen Gläubigern auszuarbeiten. Es steht jedem Schuldner offen, der nur drohend zahlungsunfähig und/oder überschuldet, nicht jedoch schon zahlungsunfähig ist.

Bei dem Schutzschirmverfahren handelt es sich im Wesentlichen um ein vorläufiges Insolvenzverfahren, das als (vorläufige) Eigenverwaltung ausgestaltet ist. Eigenverwaltung bedeutet, dass der Schuldner berechtigt ist, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse selbst zu verwalten und über sie zu verfügen. Es existiert damit die Möglichkeit, dass das bisherige Management - und nicht ein (vorläufiger) Insolvenzverwalter - weiterhin die wesentlichen Entscheidungen trifft.

Das Gericht hat bei einem Schutzschirm-Antrag grundsätzlich die (vorläufige) Eigenverwaltung anzuordnen und die vom Schuldner vorgeschlagene Person als Sachwalter zu bestellen. Es kann von der Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung lediglich absehen, wenn die angestrebte Sanierung „offensichtlich aussichtslos" ist bzw. den Sachwalter nicht einsetzen, wenn er „offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist". Das Gesetz stellt insofern also hohe Hürden auf.

Bei der Anordnung des Schutzschirmverfahrens hat das Gericht dem Antragsteller eine Frist von längstens drei Monaten zur Vorlage eines Insolvenzplans zu setzen.

Das Schutzschirmverfahren wird wieder aufgehoben, wenn die angestrebte Sanierung während des Verfahrens aussichtslos wird, ein vorläufiger Gläubigerausschuss die Aufhebung beantragt oder, wenn kein solcher bestellt ist, ein gesicherter Gläubiger einen entsprechenden, begründeten Antrag stellt. Das Gericht wird dann regelmäßig ein vorläufiges Insolvenzverfahren anordnen. Die Sanierung dürfte regelmäßig als „aussichtslos" anzusehen sein, wenn die an dem Insolvenzplan Beteiligten die Verhandlungen über den Plan abgebrochen haben und seine Annahme durch die Gläubiger unwahrscheinlich ist.

Durch die Kombination von (vorläufiger) Eigenverwaltung und Auswahl des Sachwalters im Rahmen des Schutzschirmverfahrens haben Unternehmen künftig bei der Antragstellung einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf des Verfahrens, solange sie noch nicht zahlungsunfähig sind.

Wir erwarten daher, dass das Schutzschirmverfahren in größeren Insolvenzfällen regelmäßig Anwendung finden wird.

3. Vorläufiger Gläubigerausschuss, Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters

Das Insolvenzgericht hat künftig nach einem Insolvenzantrag zunächst einen vorläufigen Gläubigerausschuss zu bestellen, wenn das den Insolvenzantrag stellende Unternehmen bestimmte wirtschaftliche Grenzwerte überschreitet (Bilanzsumme EUR 4,84 Mio., Umsatz EUR 9,68 Mio., 50 Beschäftigte; zwei von drei Kriterien erforderlich). In dem Ausschuss sollen nach dem Gesetz die gesicherten Gläubiger, die größten ungesicherten Gläubiger, die Kleingläubiger sowie die Arbeitnehmer repräsentiert sein. Die gesetzliche Aufzählung ist aber nicht abschließend. Gläubiger, die Mitglied im vorläufigen Gläubigerausschuss werden wollen, sollten bereits bei Antragstellung bei Gericht ihre Ernennung anregen. Insofern sollten sie sich zuvor mit dem Schuldner abstimmen.

Das Gericht hat vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters den vorläufigen Gläubigerausschuss anzuhören. Der Ausschuss kann einen Vorschlag zur Bestellung des Insolvenzverwalters unterbreiten. Ist der Vorschlag einstimmig, ist er für das Gericht bindend (es sei denn, der Vorgeschlagene ist offensichtlich ungeeignet).

Daneben können künftig auch jeder Gläubiger und der Schuldner für das Gericht unverbindliche Vorschläge machen. Ein solcher Vorschlag führt nicht dazu, dass der Vorgeschlagene – wie heute teilweise üblich – von vornherein als für das Amt ungeeignet angesehen wird.

Im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens kann der vorläufige Gläubigerausschuss keinen Einfluss auf die Benennung des Sachwalters nehmen. Er kann nur einen Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens stellen. Im Anschluss entscheidet das Gericht über die Bestellung des vorläufigen Verwalters; in diesem Zusammenhang ist nach unserer Auffassung der vorläufige Gläubigerausschuss wieder, wie im Regelverfahren, eingebunden.

4. Künftig häufigere Anordnung der Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung hat in der Praxis der letzten Jahre nur in Großverfahren eine wesentliche Rolle gespielt. Sie wurde nur angeordnet, wenn der Antragsteller glaubhaft machte, dass sie zu einer höheren Befriedigungsquote für die Gläubiger führte. Dabei stellten die Gerichte häufig hohe Anforderungen.

Der Gesetzgeber hat dieses Prinzip nunmehr umgekehrt. Dem Antrag auf Eigenverwaltung ist heute grundsätzlich stattzugeben. Das Gericht kann den Antrag nur abweisen, wenn ersichtlich ist, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt. In diesem Fall hat das Gericht die Entscheidung zu begründen.

Wir erwarten daher in Zukunft deutlich mehr Eigenverwaltungen in Insolvenzverfahren.

5. Erleichterung von Insolvenzplänen

Der Gesetzgeber hat ferner wesentliche Änderungen im Insolvenzplanverfahren eingeführt.

So kann in einem Insolvenzplan beispielsweise künftig in die Anteilsrechte von Gesellschaftern eingegriffen werden. Der Insolvenzplan kann jedwede gesellschaftsrechtliche Regelung treffen. Dies erlaubt unter anderem Debt-to-Equity-Swaps - also die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital - und Kapitalschnitte.

Die Gesellschafter bilden im Insolvenzplan eine eigene Abstimmungsgruppe. Zur Annahme des Insolvenzplanes müssen die Gesellschafter sowohl mit der Kopfmehrheit als auch der Mehrheit der Kapitalanteile in ihrer Gruppe zustimmen. Etwaige abweichende Stimmrechtsverhältnisse gemäß der Satzung bleiben unbeachtet. Stimmen die Gesellschafter dem Insolvenzplan nicht zu, dürfte ihre Zustimmung allerdings leichter als bei den anderen Gruppen des Insolvenzplans ersetzt werden können.

Darüber hinaus werden zahlreiche weitere, verfahrensrechtliche Erleichterungen für Insolvenzpläne eingeführt. Insbesondere werden die Rechtsmittel gegen den Insolvenzplan erschwert. Dadurch werden Unsicherheiten in der Praxis beseitigt und die Attraktivität von Insolvenzplänen erheblich gesteigert.

6. Überschuldungsbegriff

Der Gesetzgeber hat sich im ESUG nicht mit der Verlängerung oder Aufhebung der Befristung des derzeitigen Überschuldungsbegriffs beschäftigt. Danach ist derzeit davon auszugehen, dass ab dem 01. 01. 2014 wieder der alte Überschuldungsbegriff gilt. Dann schließt eine positive Fortführungsprognose nicht länger die Überschuldung aus. Sie führt nur dazu, dass der Überschuldungsstatus auf der Basis von Fortführungswerten zu ermitteln ist.

Wir gehen davon aus, dass der Gesetzgeber im Laufe des nächsten Jahres bekannt gibt, welcher Überschuldungsbegriff ab dem 01. 01. 2014 gilt. Abhängig von dem Geschäftsjahr des jeweiligen Unternehmens kann dies bereits ab Januar 2012 relevant werden, weil der für die Fortführungsprognose beachtliche Zeitraum dann den 01. 01. 2014 und das dann geltende Recht umfassen kann.

7. Ausblick

Der Gesetzgeber hat den Gläubigern deutlich mehr Einfluss auf das Insolvenzverfahren gegeben. Gleichzeitig hat er den Schuldnern durch das Schutzschirmverfahren die Möglichkeit geboten, selbst mehr Kontrolle über das Insolvenzverfahren zu erlangen. Dies soll zu frühzeitigeren Insolvenzanträgen führen.

Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit in Kleinverfahren die neue Freiheit für Rechtsmissbräuche genutzt wird. Nachdem der Gesetzgeber den Gerichten aber ausreichend Ermessensspielräume belassen hat, sollte dies durch Richterrecht verhindert werden können. Wir erwarten, dass das Insolvenzverfahren noch mehr als heute vorbereitet wird. Nach Abstimmung mit den wesentlichen Gläubigern und Beteiligten wird ein Antrag auf das Schutzschirmverfahren verbunden mit einem Antrag auf Eigenverwaltung gestellt werden. Häufig wird dann der Restrukturierungsberater die in Eigenverwaltung handelnde Geschäftsführung als Chief Restructuring Officer (CRO) ergänzen. Dies war bereits im Verfahren Arcandor/Karstadt angestrebt gewesen. Gleichzeitig wird der Schuldner einen Vorschlag für einen neutralen, von den Gläubigern akzeptierten Sachwalter stellen. Alternativ kann der Restrukturierungsberater auch Sachwalter oder Insolvenzverwalter werden, jedenfalls solange er nicht konkret den Insolvenzplan im Vorfeld ausgearbeitet hat. Der Gesetzgeber hat dazu das Vorbefassungsverbot für die beiden Ämter gelockert.

Das Zusammenspiel zwischen einem erfahrenen Restrukturierungsberater, der Geschäftsführung in Eigenverwaltung und einem neutralen Sachwalter erlaubt es, das Insolvenzverfahren optimal zu gestalten. Verbunden mit den neuen, weit reichenden Einflussrechten der Gläubiger wird die Insolvenz so zu einem effektiven Restrukturierungsverfahren.

Dr. Michael Nienerza, Dr. Wolfram Desch

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