Die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform gemäß §§ 578 Abs. 2, 550 BGB ist insbesondere für Gewerberaummietverträge, die für eine Festlaufzeit von über einem Jahr geschlossen werden, von wesentlicher Bedeutung. Wird die erforderliche Schriftform nicht gewahrt, gilt ein Mietvertrag als für unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen gekündigt werden, auch wenn die Parteien eigentlich eine längere Laufzeit vereinbart haben. Ein Gewerbemietvertrag entspricht nur dann der Schriftform, wenn sich die wesentlichen Vertragsbedingungen den Mitvertragsurkunden entnehmen lassen. Zu diesen essentialia negotii eines Mietvertrags gehören unter anderem die Vertragsparteien, die Miethöhe, die Vertragslaufzeit und der Mietgegenstand. Insbesondere auch für Erwerber von Immobilien ist das Einhalten der Schriftform wichtig, da diese aufgrund der Vertragsdokumente die wesentlichen Vertragsbedingungen ohne weitere Nachforschungen kennen müssen und ein Erwerber in aller Regel auch den Kaufpreis der Immobilie auf Grundlage der schriftlich vorliegenden Mietverträge ermittelt.
Nicht selten versuchen Mietvertragsparteien jedoch unter Berufung auf einen Schriftformmangel einen Mietvertrag ordentlich zu kündigen, wenn sie sich später vor Ablauf der Festlaufzeit von einem Mietverhältnis lösen möchten. Daher befassen sich Gerichte regelmäßig mit Kündigungen von Mietverträgen wegen vermeintlicher Schriftformmängel.
Es ist inzwischen anerkannt, dass für die Frage der Bestimmbarkeit des Mietgegenstands grundsätzlich auch auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände – wie den Umfang der tatsächlichen Nutzung durch den Mieter – zurückgegriffen werden kann. Einem Erwerber, dessen Schutz die Schriftform in erster Linie bezweckt, muss es möglich sein, den Mietgegenstand unschwer an Ort und Stelle zu identifizieren und seinen Umfang zu identifizieren (vgl. unter anderem BGH, Urteil vom 30. April 2014, Az.: XII ZR 146/12; BGH, Urteil vom 29. September 1999, Az.: XII ZR 313/98).
Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr in seinem Urteil vom 4. November 2020 (Az.: XII ZR 4/20) erneut zu dieser Frage positioniert und entschieden, dass der Grundsatz, dass auf äußere Umstände für die Bestimmbarkeit des Mietgegenstands (wie die tatsächliche Nutzung) zurückgegriffen werden kann, nicht für den Fall gilt, wenn der Mieter den Mietgegenstand selbst nicht nutzt und diesen an einen unbekannten Dritten weitervermietet.
Was war passiert?
Die Beklagte mietete von der Rechtsvorgängerin der Klägerin Räume zum Betrieb eines Ladengeschäfts, dessen genaue Lage sich aus dem dem Mietvertrag als Anlage beigefügten und farblich markierten Grundriss ergeben sollte. Diese Anlage war dem Mietvertrag jedoch nicht beigefügt. Die Mieterin nutzte die Ladenfläche jedoch nicht selbst, sondern vermietete diese – ohne den Vermieter darüber zu informieren – an einen Dritten weiter. Nach der Überlassung des Mietgegenstands an den Untermieter schlossen der Vermieter und die Mieterin einen Nachtrag zum Hauptmietvertrag, mit dem dessen Laufzeit verlängert wurde.
Die neue Eigentümerin, die das Grundstück später erwarb, kündigte das Mietverhältnis wegen Schriftformmangels ordentlich und forderte von der beklagten Mieterin die Räumung und Herausgabe des Ladengeschäfts. Während das Landgericht München die Klage zunächst abwies, hatte die Berufung vor dem Oberlandesgericht München Erfolg. Danach sei das Mietverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung wegen eines Schriftformmangels wirksam beendet.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof schloss sich der Auffassung des Oberlandesgerichts München an. Weder der Mietvertrag noch der Nachtrag entspreche hinsichtlich des Mietgegenstands der erforderlichen Schriftform, sodass der Vertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelte und daher ordentlich gekündigt werden durfte. Ein Schriftformmangel liege vor, weil das Mietobjekt nicht hinreichend bestimmbar beschrieben ist, da der zur Bestimmung erforderliche Grundrissplan dem Vertrag nicht beigefügt wurde und in dem Objekt mit der gleichen Adresse mehrere Ladengeschäfte vorhanden waren.
Der Mietgegenstand sei auch nicht aufgrund der Adress-angabe oder anderweitig bestimmbar. Auch dass ein Nachtrag zwischen Vermieter und der beklagten Mieterin zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als der Mietgegenstand bereits tatsächlich vom Untermieter der Mieterin genutzt wurde, ändere nichts an der fehlenden Bestimmbarkeit des Mietgegenstands. Zwar könne ein Mietgegenstand in der Regel trotz einer ungenauen Bezeichnung im Mietvertrag hinreichend identifizierbar sein, wenn der Mieter ihn bei Vertragsschluss oder bei Abschluss eines Nachtrags bereits nutze, da dann der Umfang der bisherigen Nutzung zur Auslegung herangezogen werden könne. Diese Erwägungen könnten aber vorliegend, aufgrund fehlender Nutzung des Mietgegenstands, nicht übertragen werden. Da der Mieter den Mietgegenstand selbst nicht nutze, sondern an einen Dritten untervermietet hat, ohne die Unvermietung der Vermieterin anzuzeigen und die hierfür vertraglich vorgesehene schriftliche Zustimmung einzuholen, sei eine Feststellung des Umfangs der tatsächlichen Nutzung des Mieters an Ort und Stelle nicht möglich.
Aufgrund fehlender Erkennbarkeit der Untervermietung und der Identität des Dritten aus dem Mietvertrag oder aus dem Nachtrag, sei es zum Zeitpunkt des Abschlusses der Nachtragsvereinbarung unmöglich gewesen, allein auf Grundlage des Mietvertrags beziehungsweise des Nachtrags den Mietgegenstand vor Ort zu identifizieren.
Die Kündigung unter Berufung auf Vorliegen eines Schriftformmangels sei zudem nicht treuwidrig, da der Mieter durch die vertragswidrige Untervermietung selbst die fehlende Bestimmbarkeit des Mietgegenstands verursacht habe.
Relevanz für die Praxis
Um das wechselseitige Risiko einer vorzeitigen Kündigung eines Gewerbemietvertrags zu vermeiden, sollte bei Vertragsschluss stets darauf geachtet werden, dass die erforderlichen Anforderungen an die Einhaltung der Schriftform gewahrt werden. Die Möglichkeit, die sich aus etwaigen Schriftformmängeln resultierende Unsicherheit mittels Sogenannter Schriftformheilungsklauseln zu beseitigen, besteht schon länger nicht mehr (BGH, Urteil vom 27. September 2017, Az.: XII ZR 114/16).
Mit dem aktuellen Urteil hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zur Wahrung der Schriftform bei Bestimmbarkeit des Mietgegenstands konsequent weitergeführt. Ein Erwerber muss ohne weitere eigene Nachforschungen in der Lage sein, die wesentlichen Vertrags¬bedingun¬gen zu kennen. Dabei ist anerkannt, dass es grundsätzlich auch ausreicht, wenn die wesentichen Vertragsbedingungen dem Mietvertrag und seinen Nachträgen selbst zu entnehmen sind, aber zur genaueren Bestimmung zusätzlich auf weitere Dokumente zurückgegriffen werden kann, sodass eine Bestimmbarkeit gegeben ist. Beispielsweise ist für die Bestimmung des Mietbeginns, der gemäß Mietvertrag bei „Übergabe“ sein soll, der Rückgriff auf ein Übergabeprotokoll möglich (BGH, Urteil vom 2. November 2005, Az.: XII ZR 212/03); bei Vereinbarung von Optionsrechten ist ein Rückgriff auf Optionsausübungsschreiben möglich, um die aktuelle Festlaufzeit zu bestimmen.
Insbesondere hat der Bundesgerichtshof bestätigt, dass ein Erwerber nicht selbst weitere Nachforschungen betreiben muss, etwa ob der Mietgegenstand vielleicht von dem Mieter untervermietet wurde, ohne dass eine nach dem Mietvertrag erforderliche Anzeige/Einholung einer Zustimmung zur Untervermietung vorliegt. Liegt eine solche nicht vor und ist der Mietgegenstand aus den Mietvertragsdokumenten selbst nicht konkret zu entnehmen, ist er auch mangels Nutzung des Mietgegenstands vor Ort durch den Mieter selbst nicht ohne weitere Nachforschungen erkennbar.
Die aktuelle Rechtsprechung führt vor Augen, dass es wichtig ist, nach dem Mietvertrag etwa erforderliche Zustimmungen zu Untervermietungen, baulichen Änderungen des Mietgegenstands etc. nicht nur deswegen einzuholen, weil hierzu eine vertragliche Verpflichtung besteht, sondern auch, um Kündigungen des Vermieters wegen etwaiger vom Mieter verursachten Schriftformrisiken zu reduzieren.
Lilian-Carolin Koch