Aus aktuellem Anlass möchten wir Sie darüber informieren, dass das mit der Verordnung (EU) 2022/576 das 5. Sanktionspaket gegen Russland zum 09.04.2022 in Kraft getreten ist. Der Ukraine Krieg ist nunmehr auch im Vergaberecht angekommen. Die Verordnung (EU) 2022/576 modifiziert die bereits bestehende Sanktions-Verordnung (EU) 2014/833 und enthält nun erstmals auch Regelungen, die sich auf die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen auswirken.
Inhalt und Geltungsbereich des Sanktionspakets
Die Verordnung regelt in Art. 5k den Umgang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge, die einen sog. „Bezug zu Russland“ aufweisen.
Einen „Bezug zu Russland“ im Sinne der Verordnung haben
a) russische Staatsangehörige oder in Russland niedergelassene natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen,
b) juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar von einer der unter Buchstabe a genannten Organisationen gehalten werden, oder
c) natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung einer der unter Buchstabe a oder b genannten Organisationen handeln.
Von dem Geltungsbereich der Verordnung sind grundsätzlich alle öffentlichen Aufträge und Konzessionen erfasst, die die einschlägigen EU-Schwellenwerte überschreiten. Das gilt zunächst ungeachtet des Zeitpunkts des Vertragsschlusses bzw. der Zuschlagserteilung.
Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses bzw. der Zuschlagserteilung erlangt allerdings bei der konkreten Rechtsfolge (Vertragserfüllungs- oder Zuschlagsverbot), die sich aus der Verordnung ergibt, Bedeutung.
Insoweit wurde eine Stichtagslösung gewählt.
Anknüpfungspunkt der Stichtagsregelung ist der 09.04.2022; dies ist der Tag des In-Kraft-Tretens der Verordnung (EU) 2022/576.
In zeitlicher Hinsicht bedeutet dies:
Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Verordnung noch laufende Vergabeverfahren dürfen nicht mit einem Auftrag an ein Unternehmen abgeschlossen werden, das einen Bezug zu Russland im Sinne des Artikel 5k der Verordnung (EU) 2022/576 aufweist (Zuschlagsverbot).
Da die Verordnung aber die Zuschlagserteilung bei bereits abgeschlossenen Vergabeverfahren nicht rückwirkend verbieten bzw. rückgängig machen kann, gilt für bestehende Verträge, die einen Bezug zu Russland im Sinne des Artikel 5k der Verordnung (EU) 2022/576 haben, ein Vertragserfüllungsverbot.
Demnach sind Aufträge, die vor dem 09.04.2022 geschlossen worden sind, grundsätzlich von dem Vertragserfüllungsverbot erfasst; dies ist gerade der vorgesehene Anwendungsfall des Vertragserfüllungsverbots.
Es gilt hierbei allerdings, dass die Erfüllung erst ab dem 11.10.2022 nicht mehr gestattet ist.
Art. 5k der Verordnung (EU) 2022/576 lautet insoweit (auszugsweise):
„Es ist verboten, öffentliche Aufträge oder Konzessionen, die in den Anwendungsbereich der [Vergaberichtlinien] fallen, an folgende Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu vergeben bzw. Verträge mit solchen Personen, Organisationen oder Einrichtungen weiterhin zu erfüllen […] Die Verbote […] gelten nicht für die Erfüllung — bis zum 10. Oktober 2022 — von Verträgen, die vor dem 9. April 2022 geschlossen wurden.“
Hierbei ist wiederum wie folgt zu differenzieren:
Weist der Auftragnehmer selbst einen Bezug zu Russland im Sinne der Verordnung auf, soll dem Auftraggeber die Chance gegeben werden, den Vertrag mit dem Auftragnehmer bis zum 10.10.2022 zu beenden. Dabei gilt das Erfüllungsverbot – da es sich um eine Verordnung handelt – unmittelbar.
Weist nicht der Auftragnehmer selbst, sondern dessen Lieferanten, Subunternehmer oder Unternehmen, deren Kapazitäten im Wege der Eignungsleihe in Anspruch genommen werden, den „Bezug zu Russland“ im Sinne der Verordnung (EU) 2022/576 auf, dann muss der Auftraggeber seinen Auftragnehmer dazu verpflichten, die Zusammenarbeit mit den betroffenen Unternehmen zur Erfüllung des öffentlichen Auftrags (bzw. der Konzession) zum 10.10.2022 zu beenden.
Er muss den Vertrag mit seinem Auftragnehmer nur und erst dann beenden (kündigen), wenn dieser der Verpflichtung nicht nachgekommen ist, das heißt, die Geschäftsbeziehung zu dem in einem Bezug zu Russland stehenden Unternehmen am 11.10.2022 nicht beendet ist.
Dies gilt jedoch auch nur dann, wenn auf diese Lieferanten, Subunternehmer oder im Wege der Eignungsleihe eingesetzten Unternehmen mehr als 10 % des Auftragswerts entfallen.
Ein Ermessen steht dem Auftraggeber bei der Entscheidung, den Vertrag zu kündigen bzw. seinen Auftragnehmer entsprechend zu verpflichten, nicht zu.
Der Auftraggeber hat für künftige und für laufende Vergabeverfahren das Bestehen eines Russland-Bezugs im Sinne des Art. 5k der Verordnung (EU) 2022/576 bei den Bewerbern / Bietern abzufragen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat hierfür eine Mustereigenerklärung zur Verfügung gestellt, die entsprechend im Vergabeverfahren verwendet werden sollte.¹
Ausnahmen
Art. 5k der Verordnung (EU) 2022 sieht auch Ausnahmen von dem Zuschlags- bzw. Vertragserfüllungsverbot vor. Diese unterliegen allerdings einem behördlichen Genehmigungsvorbehalt. Eine Ausnahmegenehmigung kann beantragt werden für die Vergabe oder die Fortsetzung der Erfüllung von Verträgen, die bestimmt sind für:
a) den Betrieb ziviler nuklearer Kapazitäten, ihre Instandhaltung, ihre Stilllegung, die Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle, ihre Versorgung mit und die Wiederaufbereitung von Brennelementen und die Weiterführung der Planung, des Baus und die Abnahmetests für die Indienststellung ziviler Atomanlagen und ihre Sicherheit sowie die Lieferung von Ausgangsstoffen zur Herstellung medizinischer Radioisotope und ähnlicher medizinischer Anwendungen, kritischer Technologien zur radiologischen Umweltüberwachung sowie für die zivile nukleare Zusammenarbeit, insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung,
b) die zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei Raumfahrtprogrammen,
c) die Bereitstellung unbedingt notwendiger Güter oder Dienstleistungen, wenn sie ausschließlich oder nur in ausreichender Menge von den in Absatz 1 genannten Personen bereitgestellt werden können,
d) die Tätigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Union und der Mitgliedstaaten in Russland, einschließlich Delegationen, Botschaften und Missionen, oder internationaler Organisationen in Russland, die nach dem Völkerrecht Immunität genießen.
e) den Kauf, die Einfuhr oder die Beförderung von Erdgas und Erdöl, einschließlich raffinierter Erdölerzeugnisse, sowie von Titan, Aluminium, Kupfer, Nickel, Palladium und Eisenerz aus oder durch Russland in die Union, oder
f) den Kauf, die Einfuhr oder die Beförderung von Kohle und anderen festen fossile Brennstoffen, die in Anhang XXII aufgeführt sind, bis 10. August 2022.
Wer „zuständige Behörde“ im Sinne der Verordnung ist, konnte in dem Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz noch nicht genannt werden; das Rundschreiben soll aber entsprechend vervollständigt werden.² Es ist zu erwarten, dass sich hierbei um das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) handeln wird, das bisher für die Umsetzung der Russland-Sanktionen zuständig ist, wenn sich Verbote oder Genehmigungspflichten auf die Lieferung von Gütern oder auf die Erbringung von nicht-finanzbezogenen Dienstleistungen im Zusammenhang mit Gütern beziehen (Beispiel sind u.a. dual-use Güter) oder es um die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen hinsichtlich eingefrorener wirtschaftlicher Ressourcen geht.³
Schadensersatzansprüche
Wichtig ist ferner: Schadensersatzansprüche der Unternehmen, die einen Bezug zu Russland aufweisen und mit denen die Vertragsbeziehung beendet worden ist, sind nach der durch die Verordnung (EU) 2022/576 geänderten Fassung des Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EU) 833/2014 regelmäßig ausgeschlossen.
[1] Die Muster-Eigenerklärung kann auf der Seite des BMWK abgerufen werden, vgl. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/oeffentliche-auftraege-und-vergabe.html.
[2] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/P-R/rundschreiben-anwendung-russland-sanktionen-bereich-vergabe-offentlicher-auftrage-und-konzessionen.pdf?__blob=publicationFile&v=4.
[3] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/U/umsetzung-der-russland-sanktionen-kurzuberblick.pdf?__blob=publicationFile&v=14