Eine Kontaktaufnahme mit Arbeitnehmern in ihrer Freizeit ist für Arbeitgeber in vielen Fällen für einen möglichst flexiblen betrieblichen Ablauf unerlässlich. Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem Urteil vom 23. August 2023 (5 AZR 349/22) damit auseinandergesetzt, ob Arbeitnehmer verpflichtet sind, sich in ihrer Freizeit über Dienstplanänderungen zu informieren oder Weisungen des Arbeitgebers zur Konkretisierung der Arbeitszeit entgegenzunehmen. Es hat sich dabei erfreulicherweise für eine praxisnahe Lösung entschieden und ein Recht von Arbeitnehmern auf Unerreichbarkeit in ihrer Freizeit abgelehnt. Auch wenn eine Begründung der Entscheidung noch aussteht, ergeben sich aus den Entscheidungen der ersten und zweiten Instanz bereits wichtige Anhaltspunkte für die arbeitsrechtliche Praxis.
Sachverhalt
Der Kläger ist als Notfallsanitäter bei der Beklagten tätig, die in fünf Kreisen in Schleswig-Holstein den Rettungsdienst durchführt.
Bei der Beklagten gilt eine Betriebsvereinbarung mit Regelungen zu verschiedenen Aspekten der Arbeitszeitplanung (im Folgenden „BVA“). In § 4 Abs. 6 BVA ist die Zuteilung einzelner Springerdienst geregelt. Diese werden spätestens vier Tage vorher durch eine konkrete Schichtzuteilung verbindlich. Ist zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Schichtzuteilung möglich, erfolgt die Zuteilung von unkonkreten Tag-, Spät- und Nachtdiensten. Weiter sieht § 4 Abs. 8 BVA vor, dass eine Konkretisierung von unkonkret zugeteilten Springerdiensten für Tag- und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan erfolgen kann. Zur Einsicht des Dienstplans steht den Arbeitnehmern die Möglichkeit zur Verfügung, den Dienstplan jederzeit über das Internet im von der von der Beklagten eingerichtete sog. „SelfService“ aufzurufen.
Der Kläger leistete an einem Dienstag im April 2021 ordnungsgemäß seinen Dienst. Zum Ende des Arbeitstages um 19 Uhr war der Kläger noch für den folgenden Donnerstag, den 8. April 2021, im unkonkreten Springerdienst eingeteilt. Am Mittwoch, an dem der Kläger aufgrund einer Erkrankung seines Kindes (entschuldigt) nicht zum Dienst kam, änderte die Beklagte um 13.28 Uhr im Dienstplan den Dienst des Klägers. Anstatt am Donnerstag in seiner Stammwache um 7.30 Uhr den Dienst anzutreten, war der Kläger nun für einen Dienst in einer anderen Rettungswache mit Dienstbeginn 6.00 Uhr eingeteilt worden.
Die Beklagte versuchte noch am Mittwoch, den Kläger telefonisch über die Konkretisierung des Dienstes zu informieren, erreichte den Kläger aber nicht und schickte dem Kläger daraufhin eine SMS. Der Kläger informierte sich nicht, auch nicht über das Internettool, über mögliche Konkretisierungen seines unkonkreten Springerdienstes und meldete sich am Donnerstag daher erst um 7.30 Uhr zum Dienst in seiner Stammwache. Die Beklagte ermahnte den Kläger und vermerkte im Arbeitszeitkonto einen Freizeitausgleichstag.
Für den 15. September 2021 war für den Kläger im Dienstplan ein Dienst „Springer kurzfristig“ eingetragen und am 10. September 2021 auf einen Tagdienst konkretisiert worden. Am 14. September 2021 um 9.15 Uhr nahm die Beklagte eine weitere Konkretisierung vor und legte den Dienstbeginn auf 6.30 Uhr in P. fest. Der Kläger meldete sich erst um 7.30 Uhr bei seinem zuständigen Arbeitszeitgestalter telefonisch. Seinen Dienst in P. trat er erst um 8.26 Uhr an. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Abmahnung und berücksichtigte die Zeit von 6.30 Uhr bis 8.26 Uhr nicht im Arbeitszeitkonto des Klägers.
Der Kläger klagte sodann auf die Berücksichtigung der nicht geleisteten Arbeitsstunden in seinem Arbeitszeitkonto sowie auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Der Kläger meint, dass er Änderungen des Dienstplanes, die die Beklagten während der Freizeit des Klägers vorgenommen hatte, nicht eingesehen habe und ihn die Anrufe und SMS der Beklagten auf seinem privaten Mobiltelefon nicht erreicht hätten. Er ist der Ansicht, er sei weder verpflichtet, während seiner Freizeit zu überprüfen, ob sich nach Dienstschluss noch Änderungen im Dienstplan ergeben haben noch in seiner Freizeit Weisungen der Beklagten hinsichtlich der Arbeitszeit entgegenzunehmen.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Elmshorn
Das Arbeitsgericht (Urteil vom 27.1.2022 – 5 Ca 1023 a/21) wies die Klage des Klägers ab. Der Kläger habe keinen weiteren Vergütungsanspruch, den die Beklagte im Arbeitszeitkonto berücksichtigen müsse. Ebenso wenig könne der Kläger die Entfernung der Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens aus der Personalakte verlangen.
Das Arbeitsgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass die Beklagte auf Grundlage der Regelungen der BVA die unkonkreten Dienste für den Kläger verbindlich konkretisiert hat. Darüber hinaus kam das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass für den Kläger eine auf die Hauptleistungspflicht bezogene Nebenleistungspflicht, die der Vorbereitung, der ordnungsgemäßen Durchführung und der Sicherung der Hauptleistung diene und diese ergänze, bestehe, sich rechtzeitig aktuelle Kenntnisse über die von ihm zu verrichtenden Dienste zu verschaffen.
Das Arbeitsgericht vergleicht die vorliegende Streitfrage mit arbeitsplatzbezogenen Pflichten des Arbeitnehmers, die ihm während seiner Freizeit obliegen. Auch an anderen Stellen treffen den Arbeitnehmer unzweifelhaft Pflichten, in seiner Freizeit Vorkehrungen zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner Arbeitsleistung zu treffen. So nennt das Arbeitsgericht zunächst die Pflichten, die eine Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit erbringen muss, um sicherzustellen, rechtzeitig zum Arbeitsbeginn am Betriebssitz zu erscheinen. Der Arbeitnehmer müsse auch in seiner Freizeit überprüfen, ob bspw. Streikmaßnahmen oder bestimmte Witterungsverhältnisse eine Anreise mit dem öffentlichen Personennahverkehr ausschließen und sich um eine alternative Anreise zur Arbeit bemühen. Ebenso müsse der Arbeitnehmer den Arbeitgeber im Falle einer Arbeitsunfähigkeit auch ohne eine bestehende Arbeitspflicht unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer informieren. Schließlich spricht nach Auffassung des Arbeitsgerichts auch die Zugangsregelung des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB (und dem Zugang bspw. einer Kündigung beim Arbeitnehmer zu Hause in seiner Freizeit) dafür, dass Arbeitnehmer unabhängig von einer in dieser Zeit bestehenden Arbeitsverpflichtung für Mitteilungen des Arbeitgebers zur Verfügung stehen.
Im Ergebnis geht das Arbeitsgericht folgerichtig davon aus, dass dem Kläger eine Erkundigungspflicht oblegen habe. Dazu habe ihm auch das von der Beklagten implementierte Internettool zur Verfügung gestanden und eine zeitsparende und unkomplizierte Möglichkeit eröffnet, sich über geänderte Dienste zu informieren.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein
Das Landesarbeitsgericht (Urteil vom 27.9.2022 – 1 Sa 39 öD/22) beurteilte die Rechtslage gänzlich anders und verurteilte die Beklagte auf die Berufung des Klägers, die Arbeitszeiten des Klägers am 8. April 2021 und 15. September 2021 auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben und die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Das Landesarbeitsgericht lehnte eine Pflicht des Klägers ab, während seiner Freizeit dienstliche SMS aufzurufen und zu lesen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren. Dem Kläger stehe ein Recht auf Unerreichbarkeit zu; seine Freizeit müsse er zur Entgegennahme von Anweisungen der Beklagten nicht unterbrechen. Beim Lesen der SMS hätte es sich unabhängig von der Dauer um Arbeitszeit gehandelt. Er sei aber während seiner Freizeit nicht verpflichtet, Arbeitsleistungen zu erbringen. Daher habe die Beklagte mit einer Kenntnisnahme der SMS erst mit Beginn der dem Kläger bekannten Arbeitszeit rechnen können. Der Kläger habe sich auch nicht treuwidrig verhalten, indem er die SMS der Beklagten nicht gelesen habe und sich nicht aktiv im Internet über Änderungen im Dienstplan informiert habe.
Die Frage, ob der Kläger der Weisung habe nachkommen müssen, wenn er sie nachweislich zur Kenntnis genommen hätte, hat das Landesarbeitsgericht dabei offengelassen.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 23.8.2023 – 5 AZR 349/22) hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf und wies die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurück. Die Entscheidung ist durchweg zu begrüßen. Das Bundesarbeitsgericht hat damit einem Recht auf Unerreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit eine Absage erteilt und ermöglicht damit auch weiterhin eine flexible Organisation der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber.
Da vom Bundesarbeitsgericht keine Pressemitteilung veröffentlicht wurde und die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, bleibt abzuwarten, ob sich das Bundesarbeitsgericht auch noch weitergehend mit den interessanten streitigen Fragen – Erkundigungspflicht und/oder eine Pflicht des Arbeitnehmers, in der Freizeit Weisungen des Arbeitgebers entgegen zu nehmen – weiter auseinandersetzen wird.