Kann der Betreiber eines Offshore-Windparks („OWP“) die ihm zugewiesene Netzanbindung aufgrund einer Störung, Verzögerung oder Wartung nicht zur Einspeisung von Strom nutzen, steht diesem im Hinblick auf die nicht einspeisbare Strommenge ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch gemäß § 17e EnWG zu.
Je nach Anschlusskonzept des Übertragungsnetzbetreibers („ÜNB“) kann der OWP-Betreiber jedoch über eine Verbindung zu einem anderen Netzanschlusssystem (sog. Brückenverbindung) zumindest einen Teil des erzeugbaren Stroms einspeisen. Diese alternative Einspeisemöglichkeit weist jedoch in der Regel eine geringere Kapazität auf, als dem OWP-Betreiber zugewiesen wurde. Vor diesem Hintergrund ist die Erzeugung und Einspeisung des Stroms durch den ÜNB physikalisch limitiert („limitierte Einspeisung“). Vor diesem Hintergrund wird seit längerer Zeit diskutiert, ob und in welchem Umfang der OWP-Betreiber für die weiterhin nicht einspeisbare Strommenge (Ausfallarbeit) gemäß § 17e EnWG zu entschädigen ist.
Entscheidung des OLG Nürnberg
Das OLG Nürnberg hat mit Urteil vom 14. Januar 2025 (3 U 183/24 Kart) entschieden, dass dem OWP-Betreiber im Fall der limitierten Einspeisung ein Entschädigungsanspruch gemäß § 17e EnWG im Hinblick auf die weiterhin nicht einspeisbare Strommenge nur dann zusteht, wenn die Netzkapazität der Leistung nicht ausreicht, um den tatsächlich erzeugten Strom vollständig einzuspeisen („sog. konkrete Beurteilung“).
Berechnung des zeitlichen Selbstbehalts
§ 17e Abs. 1 EnWG sei zunächst dahin auszulegen, dass in Bezug auf die Bestimmung des zeitlichen Selbstbehalts nur volle Tage maßgeblich seien, d.h. die Unmöglichkeit der Einspeisung müsse störungsbedingt durchgehend von 0:00 bis 24:00 Uhr des Tages bestehen. Tage, an denen Störungen nur für einige Zeit aufgetreten seien, seien nicht zu berücksichtigen.
Nach § 17e Abs. 1 Satz 1 EnWG müsse die (störungsbedingte) Unmöglichkeit der Einspeisung „länger als zehn aufeinander folgende Tage“ bestehen. Diese Formulierung spreche dafür, Tage, an denen zumindest teilweise eine Einspeisung möglich sei, bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen, weil in diesem Fall die Unmöglichkeit nicht den gesamten Tag angedauert habe.
Bestätigt werde dies durch den Wortlaut von § 17e Abs. 1 Satz 3 EnWG. Danach sei maßgeblich, dass an den 18 Tagen „die Einspeisung auf Grund der Störung der Netzanbindung nicht möglich“ gewesen sei, was gegen eine Berücksichtigung von Störungen spreche, die kürzer als ein Tag andauerten.
Dafür sprächen auch die Gesetzesmaterialen. In der amtlichen Gesetzesbegründung heiße es: „Die Verpflichtung des Übertragungsnetzbetreibers zur Entschädigung besteht ab dem elften Tag der ununterbrochen gestörten Einspeisung; Tage, an denen zumindest teilweise eine Einspeisung möglich ist, sind bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen“ (BT-Drs. 17/10754, S. 27).
Dies ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung zu § 17e Abs. 1 Satz 3 EnWG: „Soweit jedoch an insgesamt mehr als 18 ganzen Tagen Störungen an der betreffenden Anbindungsleitung aufgetreten sind […]“ (BT-Drs. 17/1075, S. 27).
Der systematische Vergleich mit der § 17e Abs. 3 Satz 2 EnWG (in der seit dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung) ergebe, dass dort eine stundenscharfe Berechnung der Ausfallzeit vorgenommen werde. Aus dem Umkehrschluss folge, dass dies für die Berechnung des Selbstbehalts nach § 17e Abs. 1 Satz 1 EnWG gerade nicht gelte, da eine entsprechende Stunden-Regelung fehle.
Auch der Telos der Norm spreche gegen die Berücksichtigung von untertägigen Störungen bei Berechnung des zeitlichen Selbstbehalts.
Ziel der Entschädigung nach § 17e EnWG sei es, eine angemessene und ausgewogene Risikoverteilung zwischen OWP-Betreibern, ÜNB und Netznutzern herzustellen. Durch den Selbstbehalt solle der OWP-Betreiber am unternehmerischen Risiko des Netzbetriebs beteiligt werden. Bei Offshore-Anbindungsleitungen habe der Gesetzgeber zur Reduzierung der Ausbaukosten bewusst auf die n-1-Sicherheit verzichtet, weshalb eine verschuldensunabhängige Entschädigung sachgerecht sei.
Kernanliegen der Entschädigung des § 17e EnWG sei nicht der vollständige interessengerechte Ausgleich von Schäden, der aufgrund der in der Norm angelegten Selbstbehalte und Pauschalisierungen zwangsläufig weniger exakt ausfalle als bei Anwendung des allgemeinen Zivilrechts und der dort vorgesehenen umfassenden Naturalrestitution. Vielmehr gehe es darum, durch Vereinfachung der Haftungsverhältnisse ökonomische Anreize für den Ausbau des Offshore-Netzes und mithin für die Energiewende auf See zu setzen.
Normziel des § 17e Abs. 1 EnWG sei, Risiken der OWP-Betreiber und ÜNB bei erheblichen Störungen wirtschaftlich abzusichern. Die zeitlichen Selbstbehalte u.a. in § 17e Abs. 1 EnWG und deren Berechnung auf Ganztagesbasis seien Ausdruck dieser beidseitigen Risikoverteilung.
Sofern einem OWP-Betreiber an einem Tag für mindestens eine Viertelstunde eine vollständige Einspeisung des produzierten Stroms möglich sei, sei ihm insgesamt die Einspeisung möglich, so dass solche Tage bei der Berechnung der Karenzzeit nicht zu berücksichtigen seien.
Unmöglichkeit der Einspeisung
Nach Auffassung des OLG Nürnberg ist für den Entschädigungsanspruch unerheblich, über welches Netzanschlusssystem der OWP-Betreiber Strom einspeise. Eine Einspeisung sei nach dem Wortsinn nur dann nicht möglich, wenn keine elektrische Energie eingespeist werden könne. Werde der von einer WEA erzeugte Strom in das Übertragungsnetz des ÜNB eingespeist, sei dieser WEA damit eine Einspeisung möglich. Das zugewiesene Netzanbindungssystem sei lediglich der maßgebliche Bezugspunkt für die vom Tatbestand ebenfalls vorgesehene Störung, nicht aber für die Einspeisung.
Der Normzweck von § 17e EnWG sei bereits dann erreicht, wenn dem OWP-Betreiber eine weitere Möglichkeit zur Verfügung stehe, den von ihm erzeugten Strom in das Übertragungsnetz des Netzbetreibers einzuspeisen. In diesem Fall komme der ÜNB seiner Verpflichtung zum Abtransport des erzeugten Stroms auf anderem Weg nach, wobei der OWP-Betreiber der WEA kein schützenswertes Interesse habe, gerade über das ihm zugewiesene Anbindungssystem einzuspeisen. Bestehe eine Alternativleitung, insbesondere eine Brückenverbindung, über die eine Einspeisung bei Ausfall einer Anbindungsleitung des zugewiesenen Netzanschlusssystems möglich bleibe, entfalle der maßgebliche Grund für einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch.
Dies gelte jedenfalls dann, wenn ein vollständiger Abtransport über die Alternativleitung möglich sei, weil dann der OWP-Betreiber durch die Einspeisung über die Brücke so gestellt sei, wie er ohne die Störung oder Wartung der Netzanbindung stünde. Denn wenn die Interimsanbindung die Netzanbindung adäquat ersetze, kommt ein Entschädigungsanspruch nicht in Betracht, weil dem Anlagenbetreiber kein Nachteil entstehe.
Vollständigkeit der Einspeisung
Maßgeblich ist nach Auffassung des OLG Nürnberg im Hinblick auf die weiterhin nicht einspeisbare Energiemenge allerdings nicht, ob die zur Verfügung gestellte Alternativleitung die Kapazität des Netzanbindungssystems erreicht, die dem OWP-Betreiber mit der Netzanbindungszusage mitgeteilt wurde (sog. “abstrakte Beurteilung“), sondern ob die Alternativleitung ausreiche, um den tatsächlich erzeugten Strom vollständig einzuspeisen (sog. “konkrete Beurteilung“).
Das OLG Nürnberg erkennt an, dass diese Auslegung zu erheblichen Verlusten für den OWP-Betreiber führen könne, wenn es trotz langanhaltender Störungen über einen längeren Zeitraum zu einer Einspeisung zumindest für eine Viertelstunde komme. Insbesondere bei Schwachwind könne in dieser Viertelstunde die gesamte erzeugte Energiemenge eingespeist werden. Bei schwachem Wind mit einer minimalen Stromerzeugung würden damit diese Tage bei der Berechnung entfallen, obwohl tatsächlich keine oder nur eine sehr geringfügige Einspeisung erfolge.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist besonders praxisrelevant. Obwohl die ÜNB im Offshore-Bereich nicht zum redundanten Netzausbau verpflichtet sind, sind mittlerweile zahlreiche OWP über Brückenverbindungen an andere Netzanbindungssysteme angeschlossen.
Solche Schadensminderungsmaßnahmen des ÜNB nach § 17f Abs. 3 Satz 1 EnWG dürfen aber im Ergebnis nicht dazu führen, dass der OWP-Betreiber wirtschaftlich schlechter gestellt wird, als er ohne Schadensminderungsmaßnahme des ÜNB stünde.
Auch die Ausführungen zum zeitlichen Selbstbehalt des OWP-Betreibers in § 17e Abs. 1 Satz 1 EnWG überzeugen im Ergebnis nicht. Es trifft zwar zu, dass der OWP-Betreiber über diese am unternehmerischen Risiko des ÜNB beteiligt werden soll. Darüber hinaus soll er über diese aber auch einen Anreiz erhalten, mögliche Schadensminderungsmaßnahmen zu ergreifen (BT-Drs. 17/10754, 27). Dies wird ad absurdum geführt, wenn der zeitliche Selbstbehalt nicht abläuft, gerade weil der OWP-Betreiber Schadensminderungsmaßnahmen ergreift bzw. an solchen des ÜNB teilnimmt.
Ungeachtet dessen zeigt auch diese Entscheidung einmal mehr, dass die Selbstbehalte des § 17e EnWG nicht mehr zeitgemäß sind. Diese lassen sich nur aus der Entstehungsgeschichte der Norm und der Sondersituation des damaligen Netzausbaus erklären und werden der heutigen Bedeutung der Offshore-Windenergie für die Versorgungssicherheit und die Dekarbonisierung der Sektoren nicht mehr gerecht.