Einleitung
Der Bundesgerichtshof stellte mit Urteil vom 9. November 2023 – VII ZR 190/22, fest, dass ein Architekt, der für seinen Auftraggeber eine Skontoklausel für die Ausschreibung von Bauleistungen entwirft, gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstößt. Wird eine solche Klausel in einem Bauvertrag verwendet und stellt sich heraus, dass diese unwirksam ist, kann sich der Architekt schadenersatzpflichtig machen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen für die Praxis haben.
Was war passiert?
Ein Architekt wurde vom Auftraggeber mit der Objektplanung, Leistungsphasen 1 bis 8 gemäß § 33 HOAI, für den Neubau eines Fabrikations- und Verwaltungsgebäudes beauftragt.
Für die Vergabe von Bauleistungen stellte der Architekt dem Auftraggeber vereinbarungsgemäß einen Bauvertragsentwurf zur Verfügung. Dieser Bauvertrag, der schließlich auch Grundlage für die Beauftragung von vier bauausführenden Unternehmen wurde, enthielt eine vom Architekten formulierte, jedoch unwirksame Skontoklausel. Gestützt auf diese Skontoklausel behielt der Auftraggeber von den geprüften Schlussrechnungssummen der bauausführenden Unternehmen jeweils 3 Prozent ein.
In einem folgenden Rechtsstreit mit einem der bauausführenden Unternehmen, der in einem Vergleich endete, verzichtete der Auftraggeber aufgrund der Unwirksamkeit der Skontoklausel auf den Einbehalt.
Daraufhin verklagte der Auftraggeber den Architekten, gestützt auf die unwirksame Klausel, auf Schadensersatz in Höhe des Skontobetrags.
Nachdem erstinstanzlich das Landgericht der Klage stattgegeben hatte, hat auf die Berufung des Architekten das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Vor dem BGH verfolgte der Auftraggeber sein Klagebegehren weiter.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH gab dem Auftraggeber recht.
Das Berufungsgericht habe übersehen, dass sich der Architekt wegen Verstoßes gegen das RDG schadensersatzpflichtig machen kann.
Unerlaubte Rechtsdienstleistung
Nach Auffassung des BGH hat der Architekt durch die Zurverfügungstellung der formulierten Skontoklausel eine Rechtsdienstleistung im Sinne des § 3 RDG erbracht. Diese Rechtsdienstleistung war jedoch nicht nach § 5 Abs. 1 RDG erlaubt.
Danach sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ziel dieser Regelung ist es einerseits diejenigen, die in einem nicht spezifisch rechtsdienstleistenden Beruf tätig sind, in ihrer Berufsausübung nicht zu behindern, und andererseits den erforderlichen Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rechtsrat zu gewährleisten.
Der BGH stellte hierbei klar, dass der Architekt als sachkundiger Berater und Betreuer des Bauherrn über nicht unerhebliche Kenntnisse des öffentlichen und privaten Baurechts und damit insbesondere des Werkvertragsrechts des BGB und der entsprechenden Vorschriften der VOB/B verfügen muss.
Dies gehe jedoch nicht so weit, dass man ihn mit dem Rechtsberater des Bauherrn gleichsetzen könne.
Die Zurverfügungstellung einer der Interessenlage des Auftraggebers entsprechenden Skontoklausel im Rahmen der Grundleistung „Mitwirken bei der Auftragserteilung“ in der Leistungsphase 7 ging über die typischerweise mit der Verwirklichung von Planungs- und Überwachungszielen verbundenen Aufgaben hinaus. Die Erstellung derartiger Klauseln erfordere nämlich qualifizierte Rechtskenntnisse, wie sie grundsätzlich nur in der Anwaltschaft vorhanden seien.
Der Architekt werde damit auch nicht in seiner Berufsausübungsfreiheit behindert, da er die vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele auch erreichen könne, ohne eine Skontoklausel zur Verfügung zu stellen. Er habe den Auftraggeber nur darauf hinzuweisen, dass dieser sich zur Erstellung einer derartigen Klausel an einen Rechtsanwalt wenden müsse.
Schadensersatzpflicht
Zuletzt stellte der BGH fest, dass eine Vereinbarung, wonach der Architekt sich vertraglich gegenüber dem Auftraggeber verpflichtet hat, eine unzulässige Rechtsdienstleistung auszuüben, wegen § 134 BGB (Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot) nichtig ist. Hierdurch könne der Auftraggeber zwar keine vertraglichen Schadensersatzansprüche herleiten, allerdings könne sich der Architekt dennoch, gestützt auf andere Rechtsnormen, schadensersatzpflichtig machen – wie dem quasivertraglichen Anspruch nach § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB (culpa in contrahendo) oder dem deliktischen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 3 RDG. Diese Rechtsnormen wurden von der Vorinstanz nicht geprüft.
Folgen für die Praxis
Mit dieser Entscheidung hat der BGH der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der baurechtlichen Literatur weitverbreiteten Auffassung, wonach der Architekt auch die Erarbeitung von umfangreichen Bauverträgen schulde, eine Absage erteilt.
In der Vergangenheit wurde meist ein Erlaubnistatbestand im Sinne des § 5 Abs. 1 RDG bereits aus den Grundleistungskatalogen der HOAI hergeleitet. So wurde auch im Zusammenhang mit der Grundleistung „Zusammenstellen der Vergabeunterlagen“ in der Leistungsphase 6 oder der Grundleistung „Zusammenstellen der Vertragsunterlagen“ in der Leistungsphase 7 vertreten, dass der Architekt verpflichtet sei, alle Verträge zu entwerfen und Vertragsunterlagen zusammenzustellen, die im Interesse des Bauherrn sind.
Dem steht jedoch in systematischer Hinsicht entgegen, dass die HOAI als Rechtsverordnung im Rahmen der Normenhierarchie unter dem RDG als formellem Gesetz steht, sodass das RDG Vorrangwirkung entfaltet. In der Ermächtigungsgrundlage für die HOAI (Art. 10 § 1 MRVG) ist auch keine Regelung enthalten, die den Verordnungsgeber berechtigt, Erlaubnistatbestände für die selbstständige Erbringung von Rechtsdienstleistungen im Sinne von § 3 RDG zu regeln. Der BGH stellt mit der vorliegenden Entscheidung klar, dass die HOAI zwingend verfassungskonform so auszulegen ist, dass die Grenzen und Inhalte des RDG beachtet werden.
Den Architekten ist daher zu raten, den Bauherrn darauf hinzuweisen, dass sie keine Rechtsberatung erbringen dürfen, wenn dieser eine umfassende Mitwirkung bei der Vertragsgestaltung unter Berufung auf die HOAI verlangt. In diesem Fall sollten die Architekten dem Bauherrn die Einschaltung eines Rechtsanwalts empfehlen. Unzulässige rechtsberatende Tätigkeiten im Sinne des RDG kommen dabei auch bei weiteren Grundleistungen wie zum Beispiel bei Rechnungs- beziehungsweise Nachtragsprüfungen in Betracht.
Für den Architekten ist die unerlaubte Erbringung von Rechtsdienstleistungen auch deshalb riskant, weil diese Tätigkeiten nicht von der Berufshaftpflichtversicherung des Architekten erfasst sind.