Das neue deutsche Kartellgesetz Änderungen durch die 8. GWB Novelle

05.07.2013

[Köln, ] Nach einer langen politischen Hängepartie ist nun am 30. Juni 2013 die 8. GWB-Novelle in Kraft getreten. Sie wird das deutsche Kartellrecht in zentralen Punkten ändern, ohne es grundlegend zu reformieren. Mit der Novelle wird eine Angleichung der deutschen an die europäische Fusionskontrollverordnung verfolgt (siehe hierzu unter I.). Die Regelungen zur Missbrauchsaufsicht sollen systematischer und übersichtlicher werden (siehe hierzu unter II.). Durch punktuelle Änderungen von Verfahrens- und Sanktionsregelungen soll die Durchsetzung des Kartellrechts gestärkt werden (siehe hierzu unter III.). Politisch umstritten waren die Sonderregeln für die Presse (siehe hierzu unter IV.) sowie bis zum Schluss die erweiterte Anwendung des Kartellrechts auf gesetzliche Krankenkassen (siehe hierzu unter V.). Die wichtigsten Änderungen sollen im Zusammenhang kurz dargestellt werden:

I. Fusionskontrolle

Mit der Novelle wird die deutsche Fusionskontrolle in zentralen Punkten wie dem materiellen Verbotstatbestand der europäischen Fusionskontrolle angepasst. Es bleiben jedoch für die Praxis wichtige Besonderheiten der deutschen Fusionskontrolle bestehen:

Aufgreifkriterien

Im Gegensatz zur europäischen Fusionskontrolle greift die deutsche Fusionskontrolle auch zukünftig bei Erwerbsvorgängen ein, die unter der Schwelle zum Kontrollerwerb liegen.

 

„Auch Minderheitsbeteiligungen können anmeldepflichtig sein“

Neben dem Kontrollerwerb stellt auch der Erwerb einer Beteiligung von 25% des Kapitals oder der Stimmrechte, oder eines wettbewerblich erheblichen Einflusses einen Zusammenschlusstatbestand dar, der bei Eingreifen der Umsatzschwellen der deutschen Fusionskontrolle unterliegt (§ 37 GWB). Die Umsatzschwellen des § 35 Abs. 1 GWB bleiben unverändert. Danach unterfällt ein Zusammenschluss der deutschen Fusionskontrolle, wenn im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr die beteiligten Unternehmen zusammen weltweite Umsätze von mehr als EUR 500 Mio., ein beteiligtes Unternehmen Umsätze in Deutschland von mehr als EUR 25 Mio. und ein anderes beteiligtes Unternehmen von mehr als EUR 5 Mio. in Deutschland erzielten. Mit der Novelle wird die Bagatellmarktklausel in die materielle Fusionskontrolle überführt. Zusammenschlüsse auf Märkten von geringer volkswirtschaftlicher Bedeutung (Marktvolumen max. EUR 15 Mio. p.a.) sind nun anmeldepflichtig, sie können jedoch weiterhin nicht untersagt werden. Die Bagatellanschlussklausel bleibt dagegen unverändert bestehen. Nach dieser ist ein Zusammenschluss mit einem Unternehmen, das zusammen mit den mit ihm verbundenen Unternehmen im letzten Jahr unter EUR 10 Mio. Umsatzerlöse erzielte, nicht anmeldepflichtig. In die deutsche Fusionskontrolle wurde nach dem Vorbild des Art. 5 II (2) FKVO eine Regelung übernommen, nach der zwei oder mehrere Erwerbsvorgänge innerhalb von zwei Jahren zwischen denselben Unternehmen als ein Zusammenschluss zu behandeln sind. Hierdurch soll vermieden werden, dass Unternehmen durch eine künstliche Aufspaltung eines Erwerbsvorgangs die deutsche Fusionskontrolle umgehen (sog. Salami-Taktik).

Das neue Untersagungskriterium

Kernstück der Novelle ist die Einführung des SIEC-Test (Significant Impediment to Effective Competition) in die deutsche Fusionskontrolle. Das alte Untersagungskriterium der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung wird zum Regelbeispiel. Ziel dieser Änderung ist die Anpassung an das europäische Recht und die bessere Handhabung von unilateralen Effekten in einem engen Oligopol.

 

„Kernstück der Novelle ist die Einführung des SIEC-Test, es bleiben jedoch deutsche Besonderheiten“

Nach wie vor ist ein Zusammenschluss dann nicht zu untersagen, wenn die beteiligten Unternehmen nachweisen, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und diese Verbesserungen die Behinderung des Wettbewerbs überwiegen (sog. Abwägungsklausel). Im Fall einer Untersagung besteht weiterhin die Möglichkeit einer Ministererlaubnis. Die Marktanteilsschwelle, ab der das Vorliegen einer Einzelmarktbeherrschung vermutet wird, wird von einem Drittel auf 40% angehoben (siehe näher unten unter II.).

Fusionskontrollverfahren

Im Vergleich zum Verfahren vor der Europäischen Kommission ist das Verfahren vor dem Bundeskartellamt flexibler. Für eine Anmeldung sind grundsätzlich deutlich weniger Informationen erforderlich. Auch kann im Einzelfall eine Freigabe innerhalb weniger Tage erfolgen. Diese Unterschiede werden auch nach der Novelle weiterbestehen. Es kommt jedoch zu punktuellen Anpassungen an die europäische Praxis: Das Bundeskartellamt hat nach Erhalt einer vollständigen Anmeldung einen Monat Zeit, den Zusammenschluss zu prüfen. Leitet es innerhalb dieses Monats ein Hauptprüfverfahren ein, so hat es insgesamt vier Monate ab Erhalt einer vollständigen Anmeldung Zeit. Neu eingeführt wurde eine automatische Verlängerung der Prüfungsfrist um einen Monat, wenn die Unternehmen im Hauptprüfverfahren erstmalig Zusagen unterbreiten, um eine drohende Untersagung durch das Bundeskartellamt abzuwenden. Die Entscheidungsfrist des Bundeskartellamtes wird zukünftig gehemmt, wenn die Beteiligten die vom Bundeskartellamt abgefragten Auskünfte nicht rechtzeitig erteilen.

„Einführung einer stop the clock Vorschrift bei nicht fristgerechter Auskunftserteilung sowie automatische Verlängerung der Prüfungsfrist um einen Monat beim Anbieten Zusagen“

Zusammenschlüsse im Wege eines öffentlichen Übernahmeangebots und durch Erwerbsvorgänge über die Börse sind nun wie nach dem europäischen Vorbild vom Vollzugsverbot ausgenommen, sofern der Zusammenschluss unverzüglich beim Bundeskartellamt angemeldet wird und die Stimmrechte nicht ausgeübt werden. Rechtssicherheit schafft die neue Regelung, dass nicht angemeldete Zusammenschlüsse bei nachträglicher Anzeige und Durchführung eines Entflechtungsverfahrens zivilrechtlich rückwirkend geheilt werden, wenn der Zusammenschluss nicht zu einer erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs führt.

II. Missbrauchsaufsicht

Allgemeine Missbrauchsaufsicht

Durch die Novelle werden die Regelungen über die Missbrauchsaufsicht systematischer und verständlicher formuliert. Wesentliche materielle Neuerungen enthält die Novelle nicht:

„Die Marktanteilsschwelle für die Einzelmarktbeherrschungsvermutung wird von einem Drittel auf 40% angehoben“

In § 18 GWB werden nunmehr zentral die bisher in § 19 GWB enthaltene Definition einer marktbeherrschenden Stellung und die Vermutungsregeln zusammengefasst. Die Einzelmarktbeherrschungsvermutung greift nun nicht mehr bereits bei einem Marktanteil von einem Drittel, sondern erst bei einem Marktanteil von 40% ein. Die Marktanteilsschwellen für die Vermutung einer gemeinsamen Marktbeherrschung bleiben dagegen unverändert. Danach gelten drei oder weniger Unternehmen als marktbeherrschend, wenn sie einen Marktanteil von 50 % erreichen und fünf oder weniger Unternehmen, wenn sie einen Marktanteil von mindestens zwei Drittel erreichen. § 19 GWB enthält das Missbrauchsverbot für marktbeherrschende Unternehmen.

„Auch nicht markbeherrschende Unternehmen, die über eine überlegene Marktmacht verfügen, unterliegen einem kartellrechtlichen Diskriminierungs- und Behinderungsverbot“

§ 20 GWB enthält ein Diskriminierungs- und Behinderungsverbot für Unternehmen mit überlegener Marktmacht. Damit sieht Deutschland im Vergleich zum europäischen Recht weiterhin eine strengere Missbrauchsaufsicht vor. Die verschärfte Preismissbrauchsaufsicht im Energiebereich wird um weitere fünf Jahre verlängert. Die vom Bundeskartellamt geforderte Ausdehnung der besonderen Preismissbrauchsaufsicht auf Fernwärmeversorger wurde nicht übernommen. Nach wie vor greift aber die allgemeine Missbrauchsaufsicht ein. Die verstreuten Regelungen zur besonderen Missbrauchsaufsicht über die Wasserwirtschaft werden durch die Novelle übersichtlicher gestaltet. Öffentliche Unternehmen, die öffentlich-rechtliche Gebühren erheben, unterliegen nach dem neu eingeführten § 130 Abs. 1 s. 2 GWB nicht der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht.

III. Verfahrens- und Sanktionsrecht

Die Novelle führt zu einzelnen Änderungen im Verfahrens- und Sanktionsrecht.

Verwaltungsverfahren

Die Novelle stellt klar, dass das Bundeskartellamt bei einem Verstoß gegen Kartellrecht auch Abhilfemaßnahmen erlassen kann, die in die Substanz des Unternehmens eingreifen (sog. strukturelle Maßnahmen). Darüber hinaus wird gesetzlich verankert, dass die Kartellbehörde im Rahmen einer Abstellungsverfügung auch eine Rückerstattung der infolge kartellrechtswidrigen Verhaltens erzielten Vorteile anordnen kann. Diese Praxis hatte der BGH bereits in einem umstrittenen obiter dictum bestätigt.

„Keine gesetzliche Regelung des Akteneinsichtsrechts in Bonusanträge“

Die ursprünglich vorgesehene Beschränkung des Akteneinsichtsrechts in Bonusanträge und andere freiwillige Aufklärungsbeiträge ist nicht Gesetz geworden. Diese Frage werden daher die deutschen bzw. europäischen Gerichte zu klären haben. Die Praxis der deutschen Gerichte zur Gewährung von Akteneinsicht in Bonusanträge ist bisher äußerst restriktiv.

Bußgeldrecht

Die Ahndung von Kartellrechtsverstößen erfolgt nach dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht. Bei Kartellrechtsverstößen kann das Bundeskartellamt eine Geldbuße von bis zu 10% des gesamten Konzernumsatzes verhängen. Nach dem BGH Urteil v. 26. Februar 2013 (Grauzement) handelt es sich im Gegensatz zum europäischen Recht hier nicht um eine Kappungsgrenze, sondern nach verfassungskonformer Auslegung um einen Bußgeldrahmen. Das Bundeskartellamt hat als Reaktion auf das BGH Urteil am 25. Juni 2013 neue Eckpunkte für die Bußgeldbemessung veröffentlicht. Mit der Novelle wird eine neue Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer Geldbuße im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge und einer teilweisen Gesamtrechtsnachfolge im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten geschaffen. Dies war dringend geboten, da nach der Rechtsprechung des BGH auch bei einer Gesamtrechtnachfolge eine Geldbuße nur dann gegen den Rechtsnachfolger festgesetzt werden konnte, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu Identität zwischen dem Täterunternehmen und dem Rechtsnachfolger besteht. Entgegen dem Vorschlag des Bundesrates ist in das Gesetz keine Regelung zur kartellrechtlichen Aufsichtspflicht der Muttergesellschaft über ihre Tochter aufgenommen worden. Die Bundesregierung hat im Gesetzgebungsverfahren erklärt, dass die bestehenden Regelungen ausreichen. Das Bundeskartellamt wird sich daher in seiner von der Literatur kritisierten Auffassung bestärkt sehen, dass die Muttergesellschaft eine kartellrechtliche Aufsichtspflicht trifft und bei einem Verstoß auch gegen die Muttergesellschaft ein Bußgeld von bis zu 10% der Konzernumsatzes verhängt werden kann.

IV. Sonderregeln für Presse

Bei der Fusionskontrolle waren Umsatzerlöse mit Presseerzeugnissen bisher mit einem Faktor von 20 zu multiplizieren, dieser Faktor wird auf 8 heruntergesetzt. Sowohl die Bagatellmarktklausel als auch die Bagatellanschlussklausel sind nun auch auf Zusammenschlüsse im Pressebereich anwendbar. Der Einwand der Sanierungsfusion soll im Pressebereich durch eine gesetzlich kodifizierte Ausnahme vom Verbotstatbestand erleichtert werden. Danach ist ein Zusammenschluss freizugeben, der die marktbeherrschende Stellung eines Zeitungs- oder Zeitschriftenverlages verstärkt, der einen kleineren oder mittleren Verlag übernimmt; sofern die Unternehmen nachweisen, dass der übernommene Verlag in den letzten drei Jahren erhebliche Verluste erzielte und ohne den Zusammenschluss in seiner Existenz bedroht wäre, wenn kein anderer Erwerber gefunden wurde, der eine wettbewerbskonformere Lösung sichergestellt hätte. Branchenvereinbarungen zwischen Verlagen und Presse-Grossisten werden vom allgemeinen Kartellverbot freigestellt, soweit in diesen Branchenvereinbarungen der flächendeckende und diskriminierungsfreie Vertrieb von Zeitungs- und Zeitschriftensortimenten durch die Presse-Grossisten, insbesondere dessen Voraussetzungen und dessen Vergütungen sowie die dadurch abgegoltenen Leistungen geregelt sind.

V. Gesetzliche Krankenkassen

Die Anwendbarkeit des Kartellrechts wird nun nicht wie ursprünglich vorgesehen auf das wettbewerbliche Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen zueinander angeordnet. Allerdings sollen als Kompromiss Zusammenschlüsse zwischen Krankenkassen zukünftig (wieder) der deutschen Fusionskontrolle unterfallen.

 

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