Kommunale Grundstücksgeschäfte werfen immer wieder vergaberechtliche Fragen auf und sind deshalb zahlreich Gegenstand von Entscheidungen der vergaberechtlichen Rechtsprechung. Das Kartellvergaberecht regelt dabei längst nicht sämtliche Fallkonstellationen abschließend.
Der EuGH äußert sich in einer aktuellen Entscheidung (EuGH, Urteil vom 22. April 2021 – Rs. C-537/19, „Wiener Gate 2“) zur Qualifizierung eines auf unbestimmte Dauer geschlossenen und als „Mietvertrag“ deklarierten Vertrags, der die Errichtung eines Bürokomplexes zum Inhalt hatte. Gegenstand des Mietverhältnisses waren das Erdgeschoss bis zum fünften Obergeschoss, wobei der öffentlichen Hand darüber hinaus das einseitige Recht („Call-
Option“) eingeräumt wurde, zusätzliche Stockwerke anzumieten, deren Bau jedoch schon in einer Bebauungsstudie aus dem Jahr 2012 vorgesehen wurde.
Grundsätzliches zur rechtlichen Einordnung kommunaler Grundstücksgeschäfte
Wann findet das Vergaberecht Anwendung?
Wenn Grundstücke lediglich veräußert werden, es sich also um reine Fiskalgeschäfte handelt, müssen vergaberechtliche Vorgaben nicht beachtet werden. In diesen Konstellationen muss der Verkauf jedoch mit beihilferechtlichen Vorgaben in Einklang stehen.
Regelmäßig handelt es sich allerdings gerade nicht um reine Fiskalgeschäfte, weil im Zusammenhang mit dem Grundstücksgeschäft etwa städtebauliche oder wirtschaftliche Vorgaben gemacht werden, die mit sozialen, kulturellen oder strukturellen Zielsetzungen der öffentlichen Hand einhergehen, wie bspw. dem Bau von Verwaltungs- und Bürogebäuden oder sonstigen Gebäuden, die etwa der Schaffung sozialen Wohnraums oder der Unternehmensansiedlung dienen. In diesem Zusammenhang werden unterschiedlichste Verpflichtungen sowohl für die öffentliche Hand als auch die Kommunen festgelegt (zum Beispiel Vornahme der Erschließung, Instandhaltungs-/ Nutzungsfragen, Erbbaurecht).
Diese Art von kommunalen Grundstücksgeschäften wirft zahlreiche vergabe- und beihilferechtliche Fragen auf. Ausgangspunkt der vergaberechtlichen Diskussion in diesem Bereich war die sogenannte „Ahlhorn“-Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2007 – VII – Verg 2/07, NZBau 2007, 530), welche in der Folge durch die „Helmut Müller“-Entscheidung (EuGH, Urteil vom 25. März 2010 – Rs. C-451/08, NJW 2010, 2189) korrigiert wurde.
Heute existieren gesetzliche Regelungen in § 103 Abs. 3 Satz 2 GWB, wonach der sogenannte „Bestellbau“ dem Vergaberecht unterfällt, sowie in § 107 Abs. 1 Nr. 2 GWB, der den Erwerb, die Miete und Pacht von Grundstücken aus dem vergaberechtlichen Anwendungsbereich ausnimmt.
Entscheidung des EuGH vom 22. April 2021 („Wiener Gate 2“)
Sachverhalt
Der EuGH befasste sich nun mit einem Fall, in dem die Stadt Wien einen Vertrag im Wege der Direktvergabe vergeben hat, das heißt ohne die Durchführung eines Vergabeverfahrens. Ihre Berechtigung hierzu leitete die Stadt Wien aus Art. 16 Buchst. a Halbsatz 1 der Richtlinie 2004/18 (unverändert umgesetzt in § 107 Abs. 1 Nr. 2 GWB) ab, unter den sie den Vertrag subsumierte.
Inhalt des als „Mietvertrag“ beschriebenen Vertrags war ein Bürokomplex samt Tiefgarage, den die Vermieterin und Grundstückseigentümerin, die Vectigal Immobilien GmbH & Co. KG, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu errichten beabsichtigte. Der Mietvertrag wurde auf unbestimmte Dauer geschlossen und eine ordentliche Kündigung sollte erst im Jahr 2040 möglich sein. Der Stadt Wien als öffentliche Auftraggeberin und Mieterin des Objekts wurde die einseitige Option eingeräumt, zusätzliche Obergeschosse anzumieten, welche sie auch wahrgenommen hat.
Die Kommission reichte Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 258 AEUV ein und rügte einen Verstoß gegen Unionsrecht (Art. 2, 28, 35 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge [ABl. 2004, L 134, S. 114]) mit der Begründung, es handle sich um die unmittelbare Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags im Hinblick auf die Errichtung und Miete eines Bürogebäudes. Die öffentliche Auftraggeberin habe Einfluss auf die Planung der Arbeiten ausgeübt, der über die üblichen Vorgaben eines Mieters für eine neue Immobilie hinausginge.
Kernaussagen der Entscheidung
Der EuGH lehnte eine Umdeutung des vergaberechtsfreien Mietvertrags in einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Bauauftrag ab.
Zunächst stellte der EuGH unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung fest, dass nicht die Bezeichnung eines Vertrags für die Bestimmung seiner Art maßgeblich sei, sondern sein Hauptgegenstand (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 „Impresa Pizzarotti“ – Rs. C-213/13 mwN).
Dementsprechend könne ein öffentlicher Bauauftrag auch bei einem als Mietvertrag bezeichneten Vertrag über ein noch zu errichtendes Gebäude vorliegen, wenn die vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Anforderungen bei der Errichtung realisiert würden. Der Auftraggeber müsse insoweit Merkmale der Bauleistung bestimmt oder zumindest entscheidenden Einfluss auf die Planung der Bauleistung genommen haben.
Für die Bejahung eines entscheidenden Einflusses sei der Nachweis einer Einwirkung auf die architektonische Struktur des Gebäudes, das heißt die Größe, Außenwände und tragenden Wände, erforderlich. Handle es sich bei den Anforderungen um solche für die Gebäudeaufteilung, läge ein entscheidender Einfluss nur vor, wenn diese sich aufgrund ihrer Eigenart oder ihres Umfangs von den typischen Vorgaben eines gewerblichen Mieters abheben.
Wird dem Auftraggeber eine Option eingeräumt, die dieser auch ausübt – vorliegend also die Anmietung weiterer Obergeschosse, deren Errichtung schon vor der Vergabe geplant war –, sei dies alleine nicht ausreichend für den Nachweis eines entscheidenden Einflusses. In diesem Fall sei die Option nicht geplant worden, um einem von der öffentlichen Auftraggeberin aufgestellten Erfordernis zu entsprechen.
In diesem Zusammenhang sah der EuGH die Anforderung, dass das Gebäude geltende technische Normen erfüllen solle, dem marktüblichen „Stand der Technik“ zu entsprechen habe und eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen müsse, nicht als etwas an, was ein Mieter eines solchen Gebäudes nicht üblicherweise verlangen dürfe.
Der EuGH stellte klar, dass der öffentliche Auftraggeber bei einem öffentlichen Bauauftrag eine gewünschte Bauleistung erhält, an der er ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse habe. Dieses Interesse sei nicht nur dann zu bejahen, wenn die öffentliche Hand auch Eigentümerin der Bauleistung werde, sondern auch dann, wenn sie einen Rechtstitel erhalten soll, die ihr die Verfügbarkeit des betreffenden Bauwerks im Hinblick auf die öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt (vgl. EuGH, Urteil vom 25. März 2010 „Helmut Müller“ – Rs. C-451/08).
Im Übrigen bestätigte der EuGH die Auslegung der öffentlichen Auftraggeberin, dass auch die Miete von noch nicht existierenden Gebäuden von der Ausnahme des Art. 16 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 erfasst sei.
Auswirkungen auf die Praxis
Die vorliegende EuGH-Entscheidung ist auch für vergaberechtliche Sachverhalte in Deutschland relevant. Sie
behandelt eine weitere relevante Fallkonstellation im Bereich der Abgrenzung zwischen einem vergabepflichtigen öffentlichen Bauauftrag und einem nicht vergaberechtsrelevanten Mietverhältnis. Der EuGH formuliert dabei durchaus praxistaugliche Abgrenzungsparameter für die insoweit vergaberechtlich entscheidende Frage, ob ein vergaberechtsrelevanter öffentlicher Bauauftrag/eine Baukonzession vorliegt. Dies ist auf diesem Gebiet immer dann der Fall, wenn die Vorgaben der öffentlichen Hand an das zu mietende Objekt über das hinausgehen, was ein normaler gewerblicher Mieter verlangen würde.
Newsletter: Neues aus dem Immobilienwirtschaftsrecht 02/2021
Dieser Beitrag ist Teil der Ausgabe 02/2021 unseres Newsletters Immobilienwirtschaftsrecht, mit dem wir Sie regelmäßig mit aktuellen Informationen und Erläuterungen zu interessanten Entwicklungen versorgen.
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