Notwegerecht trotz Blockierung durch selbst herbeigeführte Bebauung eines Nachbargrundstücks

Berlin, 05.10.2021

NotwegerechtNicht jedes bewusste Handeln des Grundstückseigentümers, durch das die Verbindung eines Teils seines Grundstücks zu einem öffentlichen Weg aufgehoben wird, ist als willkürlich anzusehen.

So beginnt der Orientierungssatz der Entscheidung des OLG Rostock vom 11. Juni 2020 – 3 U 24/19. In der Entscheidung hatte sich das OLG Rostock mit der Frage zu befassen, ob einem Eigentümer ein Notwegerecht zu gewähren ist, der mehrere seiner Grundstücke in einer Weise bebaut, dass eines der Grundstücke „gefangen“ wird und in der Folge weiterhin auf ein Notwegerecht über ein fremdes Nachbargrundstück angewiesen bleibt.

Anspruch auf Notwegerecht gemäß § 917 BGB 

Bezüglich der Gewährung eines Notwegerechts kommt es zunächst ausschließlich auf die Bedürfnisse des gefangenen Grundstücks an. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es erforderlich, dass Kraftfahrzeuge unmittelbar an das Wohngrundstück heranfahren können und von dieser Stelle aus der Eingangsbereich in zumutbarer Weise, das heißt auch für Anlieferungen, Müllentsorgung etc., erreicht werden kann (BGH, Urteil vom 24. April 2015 – V ZR 138/14, WM 2015, 1781).

Ein Eigentümer hat keinen Anspruch auf Einräumung des kürzesten Weges zu seinem Grundstück. Stattdessen ist bei mehreren Möglichkeiten eine Abwägung der Interessen an der geringsten Belastung durch den Notweg einerseits und denjenigen an der größten Effektivität des Notwegs andererseits durchzuführen. 

Im vorliegenden Fall hielt das OLG Rostock die Nutzung eines bereits ausgebauten Privatwegs, der über ein Nachbargrundstück verläuft, für erforderlich, um das Wohngrundstück des Klägers wirtschaftlich vernünftig nutzen zu können. Ein bestehender, über Schotterwege verlaufender, alternativer Zuweg genügte diesen Ansprüchen nicht, da über diesen das streitbefangene Grundstück nicht unmittelbar erreicht werden konnte.

Kein Ausschluss aufgrund willkürlichen Verhaltens gemäß § 918 BGB

Im Kern der Entscheidung steht jedoch die Feststellung, dass der Kläger einen Anspruch auf ein Notwegerecht nicht durch willkürliches Handeln ausgeschlossen hat, indem er andere in seinem Eigentum stehende Grundstücke in einer Weise bebaut hatte, dass über diese Grundstücke kein Zuweg zu dem streitbefangenen Grundstück mehr möglich war.

Willkürlich im Sinne des § 918 BGB ist eine auf freier Entscheidung beruhende Maßnahme, die der ordnungsgemäßen Grundstücksbenutzung widerspricht und die gebotene Rücksichtnahme auf nachbarliche Interessen außer Acht lässt (BGH, Urteil vom 7. Juli 2006 – V ZR 159/05, NJW 2006, 3426).

Nur weil ihm mehrere zusammenhängende Grundstücke gehören, dürfe der Kläger nach der Entscheidung des OLG Rostock im Rahmen der wirtschaftlichen Nutzung seiner Grundstücke insoweit nicht schlechter gestellt werden als ein Eigentümer, dem nur das gefangene Grundstück gehört. Der Kläger war demzufolge nicht verpflichtet, seine weiteren Grundstücke so einschränkend zu bebauen, dass über diese ein Weg geschaffen werden konnte. Die örtlichen Begebenheiten sprachen stattdessen für ein Notwegerecht, da bereits ein Privatweg vorhanden war, der von Dritten rechtmäßig genutzt wurde.

Nach der Auffassung des Gerichts hatte der Kläger im vorliegenden Fall auch nicht die mögliche Variante willkürlichen Handelns verwirklicht, bei der Bebauung seines Grundstücks die Verbindung eines Grundstücks (/-teils) zu dem öffentlichen Weg zu unterbrechen. Das streitbefangene Grundstück war stattdessen nie mit einem öffentlichen Weg verbunden.

Kein Wegerecht aus entsprechender Festlegung im Bebauungsplan

Nur mittelbar im Wege der Abwägung kam dem Kläger in der Entscheidung zugute, dass der Bebauungsplan für das Nachbargrundstück eine Fahrwegfläche ausdrücklich vorsah. Aus § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB lässt sich nämlich kein direkter zivilrechtlicher Anspruch des Klägers herleiten, da danach lediglich eine Fläche für Geh-, Fahr- und Leistungsrechte festgesetzt wird; nicht das Geh-, Fahr- und Leistungsrecht selbst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1987 – 4 NB 2/87, NVwZ 1988, 822). 

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist dem Kläger im vorliegenden Fall im Rahmen der Abwägung die ungehinderte Ausnutzung seiner wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten durch uneingeschränkte Bebauung zugebilligt worden, indem ihm daraus kein rechtlicher Nachteil in Bezug auf sein Notwegerecht angelastet wurde. Grundsätzlich bleibt dennoch zu beachten, dass Willkür im Sinne der Auswahl einer Möglichkeit der ordnungsgemäßen Grundstücksnutzung, die einen Notweg erforderlich macht, den Duldungsanspruch des Nachbarn nach § 917 BGB ausschließen kann; ebenso wie die versehentliche Abtrennung eines öffentlichen Wegs bei der Bebauung eines Grundstücks. Ein Eigentümer darf jedoch nicht allein aus dem Grund benachteiligt werden, dass ihm mehrere benachbarte Grundstücke zur Verfügung stehen.

Hinweis – vorübergehendes Notwegerecht

Im Rahmen einer jüngeren Entscheidung, in einer ähnlichen Konstellation, in der dem Kläger ebenfalls mehrere Grundstücke zur Verfügung standen, hat der Bundesgerichtshof angedeutet, dass ein Notwegerecht auch vorübergehend zu gewähren sein kann, etwa bis zur Herstellung anderweitiger Verkehrsverbindungen mit dem öffentlichen Weg (BGH, Urteil vom 16. April 2021 – V ZR 85/20).

 

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  3. Die Ausübung von Dienstbarkeiten gegen Zahlung eines Entgelts am Beispiel von Stellplatzdienstbarkeiten – Neuigkeiten vom BGH [hier mehr dazu]
  4. Notwegerecht trotz Blockierung durch selbst herbeigeführte Bebauung eines Nachbargrundstücks [hier mehr dazu]
  5. Grundstücksgeschäfte der öffentlichen Hand: Vergaberechtsfreier Mietvertrag oder vergaberechtsrelevanter Bauauftrag? [hier mehr dazu]

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