Redispatch 2.0 – Regelungen, Entwicklungen und Auswirkungen

Berlin, 06.01.2022

Mit dem Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13. Mai 2019 wurden die Regelungen zum Redispatch 2.0 in das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) aufgenommen und sind zum 1. Oktober 2021 in Kraft getreten. Die Bestimmungen der §§ 13, 13a EnWG regeln den Redispatch 2.0 maßgeblich mit Blick auf den energetischen und bilanziellen Ausgleich der Regelmaßnahmen und lösen damit die Regelungen zum Einspeisemanagement nach den §§ 14, 15 EEG ab. Der Beitrag erläutert die Funktionsweise sowie den Sinn und Zweck der neuen Regelungen und zeigt Entwicklungen sowie erste Praxisprobleme im Zusammenhang mit dem Redispatch 2.0 auf.

Funktionsweise der neuen Regelungen

Kommt es zu einer Erzeugungsanpassung durch den Netzbetreiber, regelt § 13a EnWG deren bilanziellen und finanziellen Ausgleich gegenüber dem Anlagenbetreiber.

Ist die Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems in der jeweiligen Regelzone gefährdet oder gestört, sind die Betreiber der Übertragungsnetze nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 3 EnWG berechtigt und verpflichtet, durch Maßnahmen nach § 13a Abs. 1 EnWG die Gefährdung oder Störung zu beseitigen. Unter den Maßnahmen ist eine Anpassung der Wirkleistungs- oder Blindleistungserzeugung oder des Wirkleistungsbezugs zwischen dem Betreiber des Übertragungsnetzes und dem Betreiber der Anlage zu verstehen.

Nach § 13a Abs. 1a Satz 1 EnWG hat der Bilanzkreisverantwortliche der betroffenen Einspeise- oder Entnahmestelle einen Anspruch auf einen bilanziellen Ausgleich der Maßnahme gegen den Übertragungsnetzbetreiber, der den Betreiber der Anlage zur Erzeugungsanpassung aufgefordert oder die Anpassung durchgeführt hat.

Nach § 13a Abs. 2 Satz 1 EnWG ist eine Anpassung der Wirkleistungs- oder Blindleistungserzeugung oder des Wirkleistungsbezugs zwischen dem Betreiber des Übertragungsnetzes und dem Betreiber der Anlage zur Erzeugung oder Speicherung von elektrischer Energie zudem angemessen finanziell auszugleichen. Die Maßnahmen zur Anpassung der Erzeugung nach § 13a  EnWG ergänzen die in § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnWG bereits bestehenden marktbezogenen Maßnahmen.

Der finanzielle Ausgleich bestimmt sich nach der Festlegung der Bundesnetzagentur zum bilanziellen Ausgleich von Redispatch-Maßnahmen vom 6. November 2020 als die Differenz zwischen der Einspeisung, die sich ohne Redispatch-Maßnahme ergeben hätte und der Einspeisung, die durch die Redispatch-Anweisung vorgegeben wurde.

Bilanzierungs- und Abrechnungsmodelle des Redispatch 2.0

Die Bundesnetzagentur hat in ihrer Festlegung zum bilanziellen Ausgleich von Redispatch-Maßnahmen vom 6. November 2020 in Verbindung mit Anlage 1 zum Beschluss BK6-20-059 für den bilanziellen Ausgleich der Regelmaßnahmen nach § 13 a Abs. 1a EnWG zwei verschiedene Modelle herausgearbeitet, nach denen Anlagen ab einer Leistung von 100 kW zuzuordnen sind und nach denen die Bilanzierung erfolgen kann.

Dies ist zum einen das Planwertmodell. Dieses Modell zeichnet sich dadurch aus, dass der Ausgleich aus der Differenz zwischen der geplanten Einspeisung und der vom Netzbetreiber durch die Redispatch-Maßnahme vorgegebenen Einspeisung besteht. Anlagen, für die exante-Fahrpläne, sprich die vorherigen Planungsdaten durch den Betreiber, übermittelt werden, sind daher diesem Modell zugeordnet. Auch sonstige Anlagen können dem Planwertmodell nach Absprache mit dem Netzbetreiber zugeordnet werden. 

Zum anderen existiert das Prognosemodell. Das Prognosemodell findet Anwendung, wenn eine Anlage nicht bereits dem Planwertmodell zugeordnet ist. In diesem Modell prognostiziert der Netzbetreiber die Ausfallarbeit auf der Grundlage eigener Schätzungen. Das bedeutet die Ausfallarbeit wird erst im Nachhinein (ex post) vom Netzbetreiber berechnet und beruht nicht auf vorher gemeldeten Planungsdaten.

Für die Bestimmung der Ausfallarbeit existieren nach der Bundesnetzagentur verschiedene Abrechnungsmodelle. Das Spitzabrechnungsverfahren legt bei fluktuierenden Erzeugern direkt an der Anlage gemessene Wetterdaten zugrunde, bei nicht fluktuierenden Erzeugern die Daten nach dem exante übermittelten Fahrplan. Das Pauschalabrechnungsverfahren schreibt pauschal die letzte Viertelstunde vor der Redispatch-Maßnahme fort. Neu ist das sogenannte vereinfachte Spitzabrechnungsverfahren, das Wetterdaten zugrunde legt, die von Referenzanlagen bezogen oder anhand von Daten am Anlagenstandort ermittelt werden. Die verschiedenen Modelle dienen dazu, die Ausfallarbeit möglichst realitätsnah zu ermitteln.

Die dargestellten Bilanzierungs- und Abrechnungsmodelle sind zwar insbesondere für den bilanziellen Ausgleich nach § 13a Abs. 1a EnWG maßgeblich. Allerdings können sie aus Kohärenzgründen auch für Berechnung der Ausfallarbeit des finanziellen Ausgleichs herangezogen werden¹.

Inhalt und Umfang des finanziellen Ausgleichs

Der Anlagenbetreiber ist im Rahmen des Redispatch 2.0, nach der Anpassung durch den Netzbetreiber, Inhaber eines Anspruchs auf angemessenen finanziellen Ausgleich, § 13a Abs. 2 Satz 1 EnWG. Der Ausgleich ist nach § 13a Abs. 2 Satz 2 EnWG dann angemessen, wenn er den Betreiber der Anlage unter Anrechnung des bilanziellen Ausgleichs wirtschaftlich weder besser noch schlechter stellt, als er ohne die Maßnahme stünde. 

Ein angemessener finanzieller Ausgleich umfasst nach § 13a Abs. 2 Satz 3 EnWG die notwendigen Auslagen für die tatsächlichen Anpassungen der Erzeugung (Erzeugungsauslagen) oder des Bezugs, den Werteverbrauch der Anlage für die tatsächlichen Anpassungen der Erzeugung oder des Bezugs (anteiligen Werteverbrauch), die nachgewiesenen entgangenen Erlösmöglichkeiten, wenn und soweit diese die Summe der Erzeugungsauslagen und des anteiligen Wertverbrauchs übersteigen, die notwendigen Auslagen für die Herstellung der Betriebsbereitschaft oder die Verschiebung einer geplanten Revision und im Fall der Reduzierung der Wirkleistungserzeugung aus Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien oder KWK-Anlagen die entgangenen Einnahmen zuzüglich der zusätzlichen Aufwendungen.

Der Netzbetreiber hat gegen den Anlagenbetreiber nach § 13a Abs. 2 Satz 4 EnWG einen Anspruch auf Erstattung der ersparten Aufwendungen infolge der Redispatch-Maßnahme. Hierzu können beispielsweise ersparte Brennstoffkosten zählen.

Sinn und Zweck des Redispatch 2.0

Mit dem Redispatch 2.0 wurden die unterschiedlichen Regelungen zur Beseitigung von Netzengpässen für Einspeisemanagement und Redispatch zu einem einheitlichen, „optimierten“ Redispatch zusammengeführt. Die Anpassung des Redispatch durch die Regelungen des Redispatch 2.0 erfolgte aufgrund zahlreicher Erkenntnisse und signifikanter Ineffizienzen bei der Abwicklung und beim energetischen, finanziellen und bilanziellen Ausgleich von Maßnahmen zur Netzengpassbehebung. 

Da der Umfang der Redispatch-Maßnahmen seit 2013 (4.604 GWh) bis 2020 (16.561 GWh) stetig gestiegen ist und dies einen rasanten Anstieg der Kosten (2013: 132,6 Mio; 2020: 221 Mio.) für den Redispatch zur Folge hatte, wird in die Regelungen des Redispatch 2.0 vor allem die Hoffnung einer Kosteneinsparung gesetzt. Der stetige Anstieg der Redispatch Maßnahmen wird unter anderem auf den beschleunigten Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima und den verstärkten Ausbau der Windenergie im Norden Deutschlands und dem im Vergleich dazu langsam voranschreitenden Ausbau der Übertragungsnetze zurückgeführt.

In einem vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) in Auftrag gegebenen Forschungsprojekt wurden die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der bestehenden Regeln zum Netzengpassmanagement untersucht. Hierbei wurde vor allem die Überarbeitung des energetischen und bilanziellen Modells bei der Abregelung von EE-Anlagen und KWK-Anlagen in den Fokus gesetzt. Die energiewirtschaftlichen Analysen ergaben, dass der Umfang an Maßnahmen sowie die Kosten des Netzengpassmanagements spürbar verringert werden könnten, wenn der nachrangige Einsatz von EE- und KWK-Anlagen sowie der Netzreserve für die Netzengpassbehebung relativiert würden². 

Ob sich die erhoffte Kosteneinsparung mit dem Redispatch 2.0 realisieren lässt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Auswirkungen und Entwicklungen des Redispatch 2.0

Im Angesicht der künftig erwarteten Entwicklungen auf dem Strommarkt, des Regierungswechsels und die Vorhaben nach dem Koalitionsvertrag, lassen sich aber bereits jetzt aktuelle Herausforderungen in der Praxis des Redispatch 2.0 absehen.

Künftige Veränderungen des Strommarktes

Die neue Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Durchführung der Stromwende beschlossen. Sie will den Ausbau Erneuerbarer Energien als zentrales Projekt der Regierungsarbeit verstanden wissen und den Kohle- und Atomausstieg manifestieren. Ziel ist es Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich zu beschleunigen um den höheren Bruttostrombedarf von 680-750 TWh im Jahr 2030 mit 80 % Erneuerbaren Energien decken zu können. Für Onshore Windprojekte sollen 2% der Landesflächen ausgewiesen, Offshore Windprojekte sollen mit mindestens 30 GW in 2030, 40 GW in 2035 und 70 GW in 2045 gesteigert werden. Als Instrument der Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer Energien sieht der Koalitionsvertrag zudem vor, Power Purchase Agreements (PPA) als Instrument für den förderfreien Zubau und europaweiten Handel mit Herkunftsnachweisen im Sinne des Klimaschutzes zu stärken.

Auswirkungen auf Power Purchase Agreements (PPA)

Marktkonforme PPA werden mit kurz-, mittel- und längerfristigen festen Laufzeiten eine immer größere Rolle in der Energiebeschaffung spielen. Auch für PPA wird vor allem der bilanzielle Ausgleich der Erzeugungsanpassung nach den neuen Regelungen des Redispatch 2.0 relevant. Im Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Bilanzkreisverantwortlichem kommt dieser zum Tragen, wenn eine Redispatch-Maßnahme geplant ist.

Offene Fragen ergeben sich hierbei insbesondere betreffend den Umfang des bilanziellen Ausgleichs. Zwar sollen die betroffenen Bilanzkreise nach dem bilanziellen Ausgleich so gestellt werden, wie sie stünden, wenn es die Maßnahme nicht gegeben hätte. Hierbei ist allerdings nicht ersichtlich wie damit umzugehen ist, wenn an den zu beziehenden Strom bestimmte – der Transparenz und des Klima- und Umweltschutzes geschuldete – Eigenschaften geknüpft und diese auch bezahlt werden. Die neuen gesetzlichen Regelungen schweigen hierzu.

Es ist auch offen, was für ein Unternehmen gilt, dessen Eigenerzeugungsanlage abgeregelt wird und das deshalb Graustrom aus dem Netz beziehen muss, obwohl es sich gegenüber seinen Kunden dazu verpflichtet sieht, nur Grünstrom einzusetzen. Weder die Gesetzesbegründung zu den neuen Redispatch-Regelungen liefert hierzu Erkenntnisse noch hat die Bundesnetzagentur bislang in einer ihrer Festlegungen dazu einen Lösungsansatz bieten können. Diese Problemlage stellt sich sowohl für bestehende als auch für künftige PPA und bezieht auch die Frage ein, wie in die vertragliche Grundlage eingegriffen wird, Redispatch-Maßnahmen durch den Redispatch 2.0 nicht reduziert werden können, sondern sich der Trend zum Eingriff fortsetzt.

Antworten auf diese Fragen können entweder der Gesetzgeber durch eine Nachschärfung der gesetzlichen Bestimmungen oder die Bundesnetzagentur mit einer erhellenden Festlegung bieten. Den Vertragsparteien eines PPA bleibt zu diesem Zeitpunkt nur die Regelung inter partes und ein möglichst einvernehmlicher begleitender Dialog.

Fazit

Der neue Rechtsrahmen zur Regelung des Redispatch 2.0 schafft zwar Vereinfachungen, allerdings wirft er auch neue Fragen und Probleme auf, die bislang nicht alle abschließend durch die Festlegungen der Bundesnetzagentur geklärt werden können. Ob sich die erhofften Verbesserungen mit dem Redispatch 2.0 realisieren lassen, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen.

 

[1] Stangl, in: REE 04-2021, 183, 187.

[2] Consentec/BBH/Ecofys, Entwicklung von Maßnahmen zur effizienten Gewährleistung der Systemsicherheit im deutschen Stromnetz (im Auftrag des BMWi), 2018, S. 76 f

 

Autoren: Dr. Liane Thau und Anne Schneider

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