I. Einführung
Der weltweite Ausbruch der Corona-Pandemie stellt aktuell branchenübergreifend eine Vielzahl von Unternehmen vor enorme Herausforderungen und Probleme. Die Politik reagiert mit verschiedenen Maßnahmen, um die Folgen einer drohenden globalen Wirtschaftskrise abzufedern. So hat die Politik durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 569ff.) unter anderem die dreiwöchige Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO für Fälle, in denen die Zahlungsunfähigkeit auf den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise beruht, vorübergehend grundsätzlich bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies verschafft den von der Krise betroffenen Unternehmen in erster Linie Zeit, um die staatlichen Hilfsprogramme in Anspruch zu nehmen und auf die veränderte wirtschaftliche Situation zu reagieren.
Gleichwohl ist damit zu rechnen, dass die staatlichen Maßnahmen nicht alle Unternehmen mittel- und langfristig vor einer durch die Corona-Krise bedingte Insolvenz retten können. Dementsprechend ist zu erwarten, dass es spätestens ab Oktober dieses Jahres, sobald die Insolvenzantragspflicht wieder allgemeine Geltung hat, zu einem Anstieg von Insolvenzanträgen kommen wird.
Eine erhöhte Zahl von Insolvenzen bedeutet allerdings auch eine Zunahme von Investorenprozessen im Distressed Bereich. Vor diesem Hintergrund werden Distressed M&A-Transaktionen, also der Verkauf wirtschaftlich notleidender Unternehmen, in den kommenden Monaten an Bedeutung gewinnen. Über die Bedeutung von Distressed M&A-Transaktionen allgemein soll im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden.
II. Zeitpunkt der M&A Transaktion
Transaktionen im Bereich Distressed M&A lassen sich neben der klassischen Differenzierung zwischen Share- und Asset Deal in erster Linie anhand des Zeitpunkts, zu dem sie abgeschlossen werden, voneinander unterschieden und anhand dieses Kriteriums grundsätzlich in zwei Gruppen einteilen: Die Transaktion kann entweder zur Abwendung einer drohenden Insolvenz im Rahmen eines sogenannten „Fire Sales“ erfolgen oder auch erst nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Eine Transaktion im vorläufigen Insolvenzverfahren ist dagegen erfahrungsgemäß sehr selten. Daneben besteht im Insolvenzverfahren auch die Möglichkeit einer Transaktion durch einen sog. Insolvenzplan als Alternative zum Asset Deal, auf den im Folgenden nicht dezidiert eingegangen wird.
Je nach Zeitpunkt (vor oder nach Insolvenzeröffnung) sind verschiedene Vor- und Nachteile mit der Transaktion verbunden, auf die im Folgenden ein Überblick gegeben werden soll. Gemein ist allen Varianten, dass sie mit einem wesentlich höheren Zeitdruck als „klassische“ M&A-Transaktionen verbunden sind.
III. Vor- und Nachteile einer Transaktion vor dem Insolvenzverfahren
Sofern die Transaktion vor der Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt, haben insolvenzrechtliche Regelungen nur mittelbaren Einfluss auf die Gestaltung und den Verlauf der Transaktion. Insbesondere ist auf Seiten des in wirtschaftliche Not geratenen Zielunternehmens noch kein (vorläufiger) Insolvenzverwalter bestellt, so dass die Entscheidungsgewalt über den Abschluss und die Gestaltung des in Rede stehenden Kaufvertrags noch in vollem Umfang bei der Geschäftsführung bzw. den Gesellschaftern bzw. Inhabern des Zielunternehmens liegt.
Gleichwohl bestehen bei einer Transaktion vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bereits insolvenzrechtliche Risiken, insbesondere das Risiko einer späteren Insolvenzanfechtung. Sofern der Verkäufer (bei einem Share Deal der Gesellschafter der Zielgesellschaft und bei einem Asset Deal der verkaufende Rechtsträger der Assets selbst) nach Veräußerung der Anteile (Share Deal) oder der Vermögensgegenstände (Asset Deal) insolvenzreif wird und daher gezwungen ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, droht das Risiko einer Anfechtung des Kaufvertrags nach §§ 129 ff. InsO durch den späteren Insolvenzverwalter. Eine Anfechtung nach den Vorschriften der Insolvenzordnung ist immer dann möglich, wenn eine Rechtshandlung – hier die Übertragung des Unternehmens im Kaufvertrag – eine Benachteiligung der (zukünftigen) Insolvenzgläubiger darstellt und der Erwerber davon Kenntnis hatte. Diese Kenntnis ist bei einer Distressed Transkation immanent, da die Krise des Zielunternehmens Motivation und preisbestimmender Faktor ist. Das Risiko einer Insolvenzanfechtung sollte deshalb bei einer Transaktion vor der Insolvenz immer bei der Strukturierung berücksichtigt werden, da einem Käufer ansonsten ein „wirtschaftlicher Totalschaden“ droht, nämlich das Unternehmen zurückgewähren zu müssen und mit dem Rückzahlungsanspruch des Kaufpreises nur Insolvenzgläubiger zu sein.
Weitere Nachteile einer Transaktion im Vorfeld des Insolvenzverfahrens ergeben sich aus verschiedenen Haftungsrisiken. Hervorzuheben sind hier bei einem Asset Deal die Haftung für Altverbindlichkeiten bei Unternehmensfortführung gemäß § 25 Abs. 1 HGB sowie die Haftung für Betriebssteuern nach § 75 Abs. 1 AO, welche zu einer Haftung des Käufers für vom Verkäufer begründete Verbindlichkeiten führen können. Während die Haftung für Altverbindlichkeiten nach § 25 Abs. 1 HGB gemäß § 25 Abs. 2 HGB durch Eintragung einer entsprechenden Vereinbarung im Handelsregister ausgeschlossen werden kann, handelt es sich bei der steuerrechtlichen Haftung nach § 75 Abs. 1 AO um eine zwingende Haftungsnorm. Dem Risiko der Haftung für Betriebssteuern kann lediglich mit üblichen Freistellungsansprüchen gegen den Verkäufer begegnet werden, welche – je nach Bonität des Verkäufers – ihrerseits wiederum einem Insolvenzrisiko ausgesetzt sind. Beim Share Deal übernimmt der Erwerber sowieso sämtliche Verbindlichkeiten des Rechtsträgers.
Ein Vorteil von Transaktionen im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens ist, dass für das Zielunternehmen der mit der Stellung eines Insolvenzantrags einhergehende Vertrauensverlust bei Kunden und Lieferanten meist vermieden werden kann. Ferner bleiben bei einer Transaktion als Share Deal bestehende Verträge, die ggf. für das Unternehmen von besonderer Bedeutung sind, unverändert bestehen. Somit können die für das Unternehmen essentiellen Vertragsbeziehungen mit Kunden und Lieferanten aufrechterhalten und die Bedingungen für eine Sanierung des Unternehmens verbessert werden.
IV. Vor- und Nachteile einer Transaktion im Insolvenzverfahren
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt eine Transaktion fast ausschließlich als Asset Deal durch die Übertragung der Vermögensgegenstände auf eine Gesellschaft des Käufers, die sogenannte „übertragende Sanierung“. Ein Share Deal ist – ausgenommen von einer Strukturierung im Insolvenzplan – grundsätzlich nicht möglich, da der Rechtsträger sich in einem Insolvenzverfahren befindet.
Typischerweise werden Investorenprozesse bereits unmittelbar nach Insolvenzantragstellung im Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens (zwischen Stellung des Insolvenzantrags und Eröffnung des Insolvenzverfahrens) angestoßen, damit der Kaufvertrag am Tag der Insolvenzeröffnung ausverhandelt ist und abgeschlossen bzw. das entsprechende Kaufangebot vom Insolvenzverwalter angenommen werden kann. Hintergrund ist, dass die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Verbindlichkeiten grundsätzlich zu Insolvenzforderungen werden und mit der insolventen „Hülle“ zurückgelassen werden können.
Ein wesentlicher Unterschied zur Transkation vor einer Insolvenz ist, dass mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Transaktion unmittelbar dem insolvenzrechtlichen Regime untersteht. Auf Seiten des Zielunternehmens haben nun im Rahmen eines Regelinsolvenzverfahrens nicht mehr die Geschäftsführer bzw. die Gesellschafter die Entscheidungsgewalt über den Abschluss der Transaktion. Stattdessen entscheidet faktisch der (vorläufige) Insolvenzverwalter (und in einer Eigenverwaltung die Geschäftsführung) – ggf. unter Einbeziehung eines Gläubigerausschusses – über die Fortführung und Verwertung des Unternehmens. Die übertragende Sanierung bedarf im Einzelfall zusätzlich der Zustimmung der Gläubigerversammlung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO.
Ein wesentlicher Vorteil von Transaktionen im Wege der übertragenden Sanierung ist aus Käufersicht das geringere Haftungsrisiko für Verbindlichkeiten des Zielunternehmens, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden. Solche Altverbindlichkeiten und nachteilige Schuldverhältnisse muss der Käufer nicht zwingend übernehmen, sondern der Insolvenzverwalter hat die Möglichkeit, solche Schuldverhältnisse zu beenden. Davon ausgenommen sind Arbeitsverträge, die gemäß § 613a BGB auf den Käufer übergehen.
Der Käufer profitiert zudem von insolvenzrechtlichen Privilegierungen, welche viele Haftungstatbestände für Altverbindlichkeiten ausschließen. Der Übernehmer haftet beispielsweise nach § 75 Abs. 2 AO weder für im Vorfeld angefallene Betriebssteuerung noch haftet er nach der Rechtsprechung für Altverbindlichkeiten nach § 25 Abs. 1 HGB.
Die Möglichkeit einer Anfechtung des Kaufvertrags nach den §§ 129 ff. InsO besteht bei einer übertragenden Sanierung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls nicht, wodurch im Vergleich zu Transaktionen im Vorfeld einer Insolvenz erheblich größere Sicherheit für den Verkäufer im Hinblick auf den Bestand der Transaktion entsteht.
Eine übertragende Sanierung im Vergleich zu einer Transaktion im Vorfeld der Insolvenz (oder zu einem Insolvenzplanverfahren) kann jedoch auch nachteilig sein, wenn die Fortführung des Unternehmens von bestimmten Vertragsverhältnissen abhängt, die jedoch bei der übertragenden Sanierung nur mit Zustimmung des Vertragspartners auf den Erwerber übertragen werden können. Auch stehen dem Käufer bei einer übertragenden Sanierung aus der Insolvenz typischerweise keinerlei Gewährleistungs- und Garantieansprüche gegen den Verkäufer zu, was bei der Bemessung des Kaufpreises zu berücksichtigen ist. Schließlich ist nicht zu vernachlässigen, dass das Insolvenzverfahren noch immer ein Stigma für den Betrieb bedeutet und zu einem Vertrauensverlust bei Kunden und Geschäftspartnern führen kann.
V. Fazit
Der Erwerb von Unternehmen im Rahmen von Distressed M&A-Transaktionen bietet große Chancen und Risiken, die im jeweiligen Einzelfall durch hoch spezialisierte und erfahrene Berater geprüft und abgewogen werden müssen, damit im Ergebnis die Chancen genutzt und die Risiken ausgeschlossen werden können.