Mit dem Ziel der Vereinfachung und Beschleunigung von Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich tritt am 01.09.2021 das Gesetz zur Novellierung des Hessischen Vergabe- und Tariftreuegesetzes und zur Änderung der Hessischen Landeshaushaltsordnung in Kraft. Es löst das bislang geltende Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG) ab.
Struktur und Ziele des Gesetzes
Das neue HVTG ist – wie zuvor – ab einem Auftragswert netto von EUR 10.000,00 von öffentlichen Auftraggebern nach Maßgabe von § 1 Abs. 4 HVTG anzuwenden. Die neue Fassung des HVTG besteht aus fünf Teilen: Allgemeine Vorschriften; Tariftreue und Mindestentgelte; Vergabe von Verkehrsleistungen; Verfahren und Schlussbestimmungen. Während Regelungen zur Vergabe von Verkehrsleistungen in der alten Fassung verteilt vorzufinden waren, nehmen diese in der Novellierung einen eigenen Teilabschnitt ein.
Ein Augenmerk der neuen Regelungen soll insbesondere auf Nachhaltigkeitsaspekte in der öffentlichen Beschaffung gelegt werden. Zudem bietet das Gesetz weitergehende Regelungen zu Kontrollmöglichkeiten für die Einhaltung des Mindest- bzw. Tariflohns durch den Auftragnehmer und seiner Subunternehmer.
Angesichts der nunmehr anstehenden Einführung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) auch in Hessen soll die Novellierung des HVTG dazu dienen, Widersprüche zwischen dem hessischen Gesetz einerseits und der VOB/A sowie der UVgO andererseits auszuräumen. In diesem Zusammenhang wurden beispielsweise die im nationalen Bereich zulässigen Verfahrensarten an die der VOB/A sowie der UVgO angepasst. Die hessische Besonderheit des grundsätzlich vor jeder Vergabe durchzuführenden „Interessenbekundungsverfahrens“ wird es zukünftig nicht mehr geben. Der Mittelstandsförderung kommt durch eine eigenständige Regelung größere Bedeutung zu als zuvor.
Strukturell neu ist damit allerdings auch, dass das neue HVTG durchweg in materiellrechtlichen Fragen keine eigene Regelung mehr enthält, sondern – konsequent – auf die UVgO verweist.
Für Vergaben, die vor Inkrafttreten des neuen HVTG eingeleitet wurden (Start: Veröffentlichung der Bekanntmachung in der HAD), findet das HVTG vom 19.12.2014 in der alten Fassung weiterhin Anwendung.
Soziale, ökologische und innovative Anforderung-gen und Nachhaltigkeit
Anders als in der noch geltenden Fassung des HVTG, die es dem öffentlichen Auftraggeber freistellt, soziale ökologische, umweltbezogene und innovative Anforderung bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen, wird in § 3 der neuen Fassung für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen des Landes Hessen die grundsätzliche Berücksichtigung von Aspekten der Qualität und der Innovation sowie sozialer und umweltbezogener Aspekte vorgeschrieben. Dabei findet der Aspekt des Klimaschutzes explizite Erwähnung.
Kommunale Auftraggeber werden hingegen nicht verpflichtet, sondern können die genannten Aspekte bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen berücksichtigen.
Korrespondierend zu anderen vergaberechtlichen Regelwerken müssen auch im Unterschwellenbereich die genannten Aspekte in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand stehen und verhältnismäßig zu dessen Wert und den Beschaffungszielen sein. Eine solche Verbindung soll auch dann anzunehmen sein, wenn sie sich auf Prozesse oder Methoden im Zusammenhang mit der Herstellung, Erbringung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung beziehen, auch wenn derartige Faktoren keine materiellen Bestandteile der Leistung sind.
Der öffentliche Auftraggeber hat die Möglichkeit, Nachhaltigkeitsaspekte als Eignungsanforderungen, Anforderungen in der Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien oder Ausführungsbedingungen zu fordern. Diese können somit im Rahmen unterschiedlicher Bestandteile der Vergabeunterlagen gefordert werden. Diese vielfältigen Möglichkeiten ebnen den Weg für einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung.
Tariftreue und Mindestentgelte
In den §§ 4 ff. finden sich Regelungen zur Einhaltung der Tariftreue und Mindestentgelte. Der Umfang der Verpflichtung ist weitestgehend an § 128 Abs. 1 GWB angelehnt.
Eine Verpflichtungserklärung über die Einhaltung der in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) eines nach dem TVG mit den Wirkungen des Arbeitnehmer-Entsendungsgesetzes (AEntG) für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages oder einer nach dem AentG oder nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz erlassenen Rechtsverordnung normierten Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts wird von den Unternehmen gefordert, wenn die Erbringung der Leistung in den Geltungsbereich der genannten Tarifverträge bzw. der jeweils geltenden Rechtverordnung fällt. Vor Auftragsvergabe ist auf Verlangen des Auftraggebers eine Erklärung in Textform über die Einhaltung der Verpflichtung abzugeben. Bereits in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ist durch den Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass eine solche Verpflichtungserklärung abzugeben ist.
Für Vergaben von Bauleistung sieht § 5 Abs. 3 vor, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter vor Auftragsvergabe eine gültige Bescheinigung der zuständigen Sozialkasse vorzulegen hat, die nicht älter als sechs Monate sein darf. Bei Unstimmigkeiten kann der Auftragnehmer die Sozialkasse um Aufklärung ersuchen, was auch während der Vertragsausführung gilt, § 7 Abs. 3.
Bieter, deren Betrieb nicht in den Geltungsbereich der Tarifverträge der Sozialkassen fallen, oder die in den vergangenen sechs Monaten nicht im Inland ansässig waren und nicht verpflichtet sind, an einem Sozialkassenverfahren teilzunehmen, müssen eine Bescheinigung einer Krankenkasse über die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeträge bzw. eine Eigenerklärung vorlegen, § 5 Abs. 4.
Für Nach- und Verleihunternehmen gilt weiterhin, dass sie die genannten Verpflichtungen in eigener Verantwortung zu erfüllen haben, während der Bieter sich verpflichtet, die Erfüllung der Verpflichtungen durch die Nach- bzw. Verleihunternehmen sicherzustellen.
Bei Anhaltspunkten für Verstöße gegen diese Verpflichtung ist die Einhaltung auf Anforderung des Auftraggebers nachzuweisen.
§ 7 Abs. 1 gewährt zudem dem Auftraggeber vertragliche Prüf- und Einsichtsrechte als Kontrollelement zur Einhaltung der Verpflichtungen. Dies ist vertraglich mit dem beauftragten Unternehmen sowie mit allen Nach- und Verleihunternehmen zu vereinbaren, § 7 Abs. 2.
Zur weiteren Stärkung der Tariftreue sieht § 7 Abs. 4 die Einrichtung von Stellen bei dem für das Tarifwesen zuständigen Hessischen Ministerium für Soziales und Integration vor, an die Fragen von öffentlichen Auftraggebern, Unternehmern und deren Beschäftigten zur Einhaltung der Tarif- und Entgeltverpflichtungen gerichtet werden können. Bei Verdacht eines Verstoßes gegen Tariftreue- oder Minderlohnpflichten kann diese Stelle den Kontakt zu Zollbehörden koordinieren.
Neuerungen im Rahmen des Verfahrens
Gleichstellung der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb
Zwecks Vereinheitlichung des nationalen Vergaberechts werden in § 12 die Öffentliche Ausschreibung und die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb gleichgestellt. Das bisherige Interessenbekundungs-verfahren entfällt vollständig zugunsten von „echten“ Teilnahmewettbewerben.
Dazu wird § 55 der Hessischen Landeshaushaltsordnung geändert, indem die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb explizit als Verfahrensart Erwähnung findet und zusätzlich in § 55 Abs. 1 S. 2 definiert wird.
Mittelstandsförderung
Um die Mittelstandsfreundlichkeit der Beschaffung zu gewährleisten, sieht § 14 die Aufteilung der Leistung in Fach- und Teillose vor, wobei eine Zusammenfassung von Losen nur möglich ist, soweit wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Der öffentliche Auftraggeber kann dabei von der Angebots- und Zuschlagslimitierung Gebrauch zu machen.
Vergabekompetenzstellen
§ 18 nennt explizit die Vergabekompetenzstellen bei Hessen Mobil, der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main und den Regierungspräsidien und weist diesen die Aufgabe der Beratung von Auftraggebern und Zuwendungsempfängern in Fragen der Vergabe von Bau, Liefer- und Dienstleistungen zu. Zudem können Bewerber und Bieter einen behaupteten Verstoß gegen Vergabe-vorschriften bei diesen Stellen beanstanden. Dies gilt bei Bauleistungen ab einem geschätzten Auftragswert von 250.000 Euro netto je Fachlos und bei Liefer- und Dienstleistungen ab einem geschätzten Auftragswert von 50.000 Euro netto. Voraussetzung hierfür ist, dass der Verstoß zuvor bei dem Auftraggeber beanstandet wurde und keine Abhilfe erfolgte.
Ausblick
Mit der Einführung der UVgO auch in Hessen schließt der hessisches Gesetzgeber eine häufig kontrovers diskutierte Regelungslücke und trägt somit zur Einheitlichkeit der nationalen Vergaberechtsregelungen bei. Zu erwarten ist ferner eine alsbaldige Änderung des Hessischen Vergabeerlasses, sodass keine Widersprüche zum novellierten HVTG auftreten und die UVgO auch insofern verbindlich vorgegeben werden kann.
Da die neue Fassung des HVTG keine Regelung zur Einführung der E-Vergabe im Unterschwellenbereich enthält, bleibt zu vermuten, dass diesbezügliche Regelungen der VOB/A Abschnitt 1 und der UVgO voraussichtlich in dem Hessischen Vergabeerlass modifiziert werden.