Dingliches Vorkaufsrecht ohne notarielle Beurkundung - Geht das?

07.06.2016

Zugleich Besprechung zu BGH, Urt. v. 8. April 2016 – V ZR 73/15

Einführung

Wer Erfahrungen mit dem Verkauf und dem Erwerb von Grundstücken hat, wird früher oder später mit Vorkaufsrechten zu tun haben. Diese geben dem Inhaber das Recht immer dann, wenn jemand anderes mit dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks einen Kaufvertrag über dessen Erwerb schließt, das Grundstück anstelle des Käufers zu den gleichen Bedingungen erwerben zu dürfen. Es kommt ein zweiter Kaufvertrag zustande. Der ursprüngliche Erstkäufer geht in einem solchen Fall hingegen leer aus bzw. hat ggf. etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer. Man unterscheidet insoweit schuldrechtliche und dingliche Vorkaufsrechte, die unterschiedliche Voraussetzungen und Wirkungen haben.

Schuldrechtliches Vorkaufsrecht

Mit dem schuldrechtlichen Vorkaufsrecht verpflichtet sich der Verkäufer gegenüber dem Vorkaufsberechtigten, ihm einen abgeschlossenen Kaufvertrag über das betroffene Grundstück zur Kenntnis zu bringen, um ihm die Ausübung seines Vorkaufsrechts zu ermöglichen. Gegenüber dem Erstkäufer sichert sich der Verkäufer in diesem Fall idealerweise durch ein Rücktrittsrecht ab, damit er nicht in die Verlegenheit kommt, gegenüber beiden Kaufparteien – dem Erstkäufer und dem Vorkaufsberechtigten – zur Übertragung des Eigentums an ein und demselben Grundstück verpflichtet zu sein.

Hält der Verkäufer sich jedoch nicht an seine Pflicht, dem Vorkaufsberechtigten die Erwerbsmöglichkeit anzudienen, kann der Vorkaufsberechtigte den Verkauf an den Erstkäufer nicht verhindern. Ihm stehen dagegen im Falle des Falles ggf. Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer zu, weil dieser dem Berechtigten die Vorkaufsmöglichkeit pflichtwidrig entzogen hat (siehe hierzu auch den weiteren Beitrag „Schadensersatzanspruch des Mieters wegen Vereitelung des gesetzlichen Vorkaufsrechts“ in diesem Newsletter).

Dingliches Vorkaufsrecht

Anders als das lediglich schuldrechtliche Vorkaufsrecht gibt das dingliche Vorkaufsrecht dem Vorkaufsberechtigten zusätzlich die Möglichkeit, den Eigentumserwerb eines anderen Erstkäufers effektiv zu verhindern.

Gegen den Willen des Vorkaufsberechtigten kann der Verkäufer das Eigentum dann nicht übertragen. Das Vorkaufsrecht wirkt nämlich „dinglich“, d. h. es hindert den dinglichen Eigentumsübergang. Unter anderem um einem etwaigen Erstkäufer eine Kenntnisnahme von dieser Eventualität zu geben, muss das dingliche Vorkaufsrecht im Grundbuchblatt des Grundstücks vermerkt werden.

Erfordernis der notariellen Beurkundung

Nach deutschem Recht muss die Verpflichtung, ein Grundstück zu verkaufen, von einem Notar beurkundet werden. Durch das Lautlesen des Verpflichtungstextes durch den besonders qualifizierten Notar und seine weiteren Belehrungen der Beteiligten sollen diese u. a. in besonderem Maße auf die Gewichtigkeit der einzugehenden Verpflichtung hingewiesen werden, welche hinsichtlich eines Grundstücks vom Gesetzgeber als besonders gravierend empfunden wird. Im Gegensatz dazu bescheinigt der Notar bei einer bloßen notariellen Beglaubigung nur die Echtheit einer Unterschrift  und ggf. das Zutreffen weiterer Rechtstatsachen.

Da die Verpflichtung, einem Vorkaufsberechtigten ggf. künftig ein Grundstück zu verkaufen, ähnlich schwer wiegt wie eine sofortige Verpflichtung zum Verkauf, bedarf konsequenterweise auch die Vereinbarung eines schuldrechtlichen Vorkaufsrechts einer formalen notariellen Beurkundung.

Bei einem dinglichen Vorkaufsrecht muss differenziert werden, denn hier kommt eine weitere Besonderheit des deutschen Rechts ins Spiel. Hier gibt es nämlich mitunter zwei unterschiedliche Ebenen einer rechtsgeschäftlichen, auf einmalige Übertragung eines Gegenstands gerichteten Vereinbarung: einmal das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, mit dem eine grundsätzliche Verpflichtung begründet wird. Zum anderen das Erfüllungsgeschäft, bei dem beide Seiten hinsichtlich der konkreten (Rechts-) Änderung, zu der man sich zuvor verpflichtet hat, zusammenwirken.

Diese – manchmal etwas gekünstelt wirkende und nicht immer leicht  nachzuvollziehende  –  Trennung  wird als „Abstraktionsprinzip“ bezeichnet. Die Wortwahl verdeutlicht bereits den Kern dieses Prinzips, nämlich dass beide vorbeschriebenen Ebenen einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung grundsätzlich unabhängig voneinander zu beurteilen sind.

In einer jüngst ergangenen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 08.04.2016 – V ZR 73/15) nun klargestellt, dass auch die schuldrechtliche Verpflichtung, ein dingliches Vorkaufsrecht zu bestellen,  von der Erfüllung eben dieser Verpflichtung durch Rechtsänderungen im Grundbuch zu unterscheiden ist.

Obwohl man nach dem eingangs Gesagten auf den ersten Blick annehmen könnte, dass ein dingliches Vorkaufsrecht sogar eine noch stärkere Verpflichtung zum Verkauf eines Grundstücks beinhaltet – und daher erst recht beurkundungsbedürftig sein müsste –, ist dem- nach auch hier rechtlich strikt zwischen den Ebenen zu trennen: Die nach dem Gesetz erforderliche, aber eben an keine bestimmte Form gebundene gemeinsame Einigung zwischen Verpflichtetem und Berechtigten über die Eintragung eines dinglichen Vorkaufsrechts im Grundbuch bezieht sich nur auf diese Rechtsänderung an sich. Die auf der Verpflichtungsebene zugrunde liegenden und ggf. als Motiv mitschwingenden schuldrechtlichen Rechtspflichten beeinflussen diese dingliche Rechtsänderung hingegen grundsätzlich nicht.

Insofern ist die Einigung über die Eintragung eines dinglichen Vorkaufsrechts im Grundbuch qualitativ nicht mit der schuldrechtlichen Verpflichtung zum (zukünftigen) Verkauf gleichzustellen. Aus diesem Grund bedarf diese Einigung unter Wertungsgesichtspunkten dann auch nicht der gleichen notariellen Form wie die Einräumung eines   schuldrechtlichen Vorkaufsrechts. Das Gesetz schreibt – wie erwähnt – ohnehin keine besondere Form hierfür vor.

Einzige weitere Wirksamkeitsvoraussetzung ist die Eintragung des dinglichen Vorkaufsrechts im Grundbuch, wozu lediglich die entsprechenden Grundbucherklärung(en) notariell beglaubigt sein müssen. Ist diese Voraussetzung eingehalten, kann ein solches Vorkaufsrecht also auch dann bestehen, wenn sich die Parteien letzt- lich nur mündlich oder konkludent über seine Bestellung und die Verpflichtung hierzu einig waren.

Bewertung und Auswirkungen für die Praxis

Obwohl das Abstraktionsprinzip als verhältnismäßig theoretische Rechtsfigur erscheinen mag, führt es jedoch – wie hier – in ganz realen Fällen zu praktisch durchaus relevanten Ergebnissen.

Ein einmal wirksam eingetragenes Vorkaufsrecht ermöglicht selbst dann seine Ausübung im Vorkaufsfall, wenn eine Verpflichtung zu seiner Einräumung nicht wirksam bestand bzw. ein für diesen Fall nur schuldrechtlich auf der Verpflichtungsebene vereinbartes Vorkaufsrecht unwirksam gewesen wäre. Im konkret vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall konnte sich  so der Berechtigte nach fast dreißig Jahren noch den Erwerb eines direkt an sein Grundstück grenzenden Hinterlandgrundstücks sichern, obwohl der Verkäufer sich eigentlich nicht zur Erfüllung eines vermeintlichen Vorkaufsfalls verpflichtet ansah.

Dieses Ergebnis mag zunächst überraschend sein, ist aber rechtlich konsequent. Es betont noch einmal die überaus starke Wirkung, die eine grundbuchliche Eintragung durch ihre gesetzliche Publizitätswirkung für die beteiligten Kreise beim Rechtsverkehr mit Grundstücken hat. Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass ein einmal wirksam eingetragenes Recht auch zu beachten ist, selbst wenn man ihm eine tiefergehende Berechtigung absprechen mag. Gerade bei eingetragenen Vorkaufsrechten wird diese Situation oftmals nur zu leicht unterschätzt.

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