[] Die Europäische Kommission hat neue Wettbewerbsregeln für Liefer- und Vertriebsvereinbarungen erlassen. Liefer- und Vertriebsvereinbarungen enthalten typischerweise wettbewerbsbeschränkende Klauseln, wie z. B. Exklusivitätsvereinbarungen oder Beschränkungen für den Weiterverkauf der Produkte. Diese Beschränkungen sind grundsätzlich nach Art. 101 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV") verboten, soweit sie geeignet sind, den Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen. Erlaubt sind jedoch Vereinbarungen, die nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt sind. Die für die Praxis wichtigste Freistellung ist die nun revidierte Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung („Vertikal-GVO").
Was ist neu?
Die am 01.06.2010 in Kraft getretene neue Vertikal-GVO sowie die dazugehörigen Leitlinien enthalten einige für die Praxis relevante Änderungen und Klarstellungen:
Neue Marktanteilsschwelle
Die wichtigste Änderung ist die Einführung einer weiteren Marktanteilsschwelle. Bisher war es für die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO grundsätzlich ausreichend, dass der Lieferant auf dem relevanten Markt einen Marktanteil von 30% oder weniger hat. Nach der neuen Vertikal-GVO darf nun zusätzlich auch der Marktanteil des Käufers auf dem relevanten Markt nicht mehr als 30% betragen.
Keine Ausnahme für kleine und mittlere Unternehmen
Die alte Vertikal-GVO hat ausnahmsweise auch vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern freigestellt, wenn der jährliche Gesamtumsatz des Käufers 100 Mio. EUR nicht überschritt. Diese Ausnahme ist ersatzlos weggefallen.
Internethandel
Die Leitlinien enthalten nützliche Klarstellungen zu möglichen Beschränkungen des Internethandels, der als Form des sog. „passiven" Verkaufs grundsätzlich nicht beschränkt werden darf. Die Europäische Kommission sieht es zum Beispiel ausdrücklich als unzulässige Kernbeschränkung an, den über das Internet getätigten Teil der Gesamtverkäufe zu begrenzen. Die Leitlinien stellen aber auch klar, dass Qualitätsanforderungen an den Internetvertrieb zulässig sein können. Auch kann der Händler verpflichtet werden, einen bestimmten Mindestumsatz über stationäre Geschäfte zu erzielen.
Besonderheiten im Einzelhandel
Die Leitlinien enthalten neue Bewertungshilfen für die Beurteilung der im Einzelhandel üblichen Category Management Agreements und Upfront Access Payments.
Was ist zu tun?
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen in bestehenden Verträgen, die die Freistellungsvoraussetzungen der alten Vertikal-GVO erfüllen, bleiben noch bis zum 31.05.2011 wirksam. Ab dem 01.06.2011 gilt auch für Altverträge nur noch die neue Vertikal-GVO.
Die neue Vertikal-GVO sollte daher zum Anlass genommen werden, bestehende Vertriebs- und Liefervereinbarung zeitnah auf Ihre Vereinbarkeit mit dem Kartellrecht zu überprüfen und gegebenenfalls die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Eine Chance liegt dabei darin, dass die neuen Regeln den Unternehmen teilweise größere Freiheit bei der Vertragsgestaltung lassen.