Ordentliche Kündigung eines Nutzungsvertrags für Windkraftanlagen vor Baubeginn – OLG Hamm, Urteil vom 2. Juli 2020, 5 U 81/19

Köln, 08.03.2022

Beitragsbild_Immo Newsletter_03Einleitung

Im Geschäftsverkehr ist Planungssicherheit von immenser Bedeutung. Sie ist ein wesentliches Motiv dafür, Verträge miteinander abzuschließen. Man sichert sich auf diese Weise eine bestimmte Leistung für eine bestimmte Gegenleistung und umgekehrt. In gleicher Weise vereinbart man in Verträgen (abschließende) Bedingungen, unter denen man die Leistung oder Gegenleistung nicht fordern kann bzw. unter denen man sich von einem Vertrag wieder 
lösen kann.

Das hier besprochene, schon etwas zurückliegende Urteil des OLG Hamm hat in diesem Kontext bei vielen Beobachtern für Unsicherheit gesorgt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Gericht damit den betreffenden Nutzungsvertrag praxisfern ausgelegt und damit ein nicht sachgerechtes Urteil zulasten von Planungssicherheit gefällt hat.

Das Urteil ist auch deswegen von besonderer Bedeutung für die Immobilienbranche, weil seine Aussagen ggf. verallgemeinerungsfähig sind und es potenziell Auswirkungen für alle gewerblichen Mietverhältnisse haben kann.

Sachverhalt 

Ein Projektentwickler für Windparks hatte mit verschiedenen Eigentümern Nutzungsverträge geschlossen, die die Nutzung von deren Flächen für den Bau und den Betrieb von Windkraftanlagen regelten. Wie im Planungsstadium eines Projekts üblich, sahen die Verträge vor, dass ein Austausch der Hauptleistungen – Nutzungsmöglichkeit für Windkraftanlagen einerseits und Nutzungsentgelt andererseits – erst stattfinden sollte, wenn die erste Anlage in Betrieb gegangen worden war. Auch die auf zwanzig Jahre fest befristete Vertragslaufzeit sollte erst mit dem Monat beginnen, in dem mit dem Bau des Windparks begonnen worden war. Sollte auch fünf Jahre nach Vertragsabschluss noch nicht begonnen worden sein, sollten beide Vertragsparteien vom Vertrag zurücktreten können.

Einen solchen Nutzungsvertrag hatte der Projektentwickler auch im Jahr 2014 mit dem später von ihm verklagten Eigentümer geschlossen. In den Jahren danach kam das Projekt aber nicht entscheidend voran und insbesondere kam es zu keinem Baubeginn für den Windpark. Der betreffende Eigentümer kündigte daher den Nutzungsvertrag im weiteren Verlauf zu verschiedenen Zeitpunkten, erstmals im Jahr 2017 und dann auch später noch im Rahmen des Rechtsstreits.

Die Entscheidung des Gerichts 

Das OLG Hamm hat die Klage des Projektentwicklers abgewiesen und im Ergebnis dem Eigentümer Recht gegeben. Denn nach Auffassung des Gerichts konnte der Eigentümer zwar vom Vertrag nicht zurücktreten, weil er bestimmte vertragliche Voraussetzungen hierfür seinerseits nicht erfüllt hatte. Der Eigentümer habe den Nutzungsvertrag aber wirksam ordentlich gekündigt.

Zur Begründung führt das Gericht in dem Urteil aus, dass ein Nutzungsvertrag über Flächen für Windkraftanlagen im Kern ein gewerbliches Miet- bzw. Pachtverhältnis sei. Hierfür gelte zwar, dass eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen sei, wenn ein solches Mietverhältnis auf bestimmte Zeit abgeschlossen ist (§ 542 Abs. 2 BGB). Im streitigen Fall habe aber die feste Vertragslaufzeit noch nicht zu laufen begonnen, sodass dem Eigentümer die ordentliche Kündigung zugestanden habe (§ 542 Abs. 1 BGB).

Das Gericht sieht im Rahmen einer ergänzenden Auslegung durchaus die Möglichkeit, dass die Parteien ein ordentliches Kündigungsrecht insbesondere vor Beginn der Festlaufzeit eigentlich ausschließen wollten, da sie stattdessen einen Rücktritt vereinbarten. Dies sei auch nachvollziehbar, weil der Projektentwickler hohe Kosten investiere, sodass er ein großes Interesse am Fortbestand der Verträge habe. Da die Nutzungsverträge aber in dieser Form vielfach verwendet worden seien, handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die man ausschließlich nach ihrem objektiven Wortlaut auslegen könne. Dieser Wortlaut stelle aber lediglich auf einen Rücktritt ab und schließe ein ordentliches Kündigungsrecht nicht ausdrücklich aus.

Selbst wenn man den Vertragswortlaut dahingehend ergänzend auslegen wollte, dass auch eine ordentliche Kündigung im Planungsstadium ausgeschlossen sei, benachteilige dies den Eigentümer unangemessen und die Regelung sei unwirksam. Wenn die Baugenehmigung deutlich später oder ggf. nie erteilt werde, sei der Eigentümer länger an den Vertrag gebunden, erhalte aber während dieser ganzen Zeit keine (finanzielle) Gegenleistung. Auch das Rücktrittsrecht sei durch verschiedene Ausnahmeregelungen so aufgeweicht, dass hierein keine ausreichende alternative Möglichkeit, den Vertrag zu beenden, gesehen werden könne.

Bewertung

Die Entscheidung des OLG Hamm überzeugt im Ergebnis nicht. Die Urteilsgründe lesen sich zwar vordergründig wie eine lehrbuchmäßige juristische Prüfung, dürften aber die Anforderungen an solche Nutzungsverträge zumindest aus praktischer Sicht überspannen.  

Bemerkenswerterweise hat das Gericht sogar die vermutliche Interessenlage der Parteien, jedenfalls die des Projektentwicklers, durchaus bedacht, nämlich den Eigentümer an den Nutzungsvertrag grundsätzlich gebunden zu haben. Eine vergleichbare Interessenlage wird übrigens bei Vertragsschluss auch bei dem Eigentümer bestanden haben, der ebenfalls ein Interesse an Planungssicherheit und einem zukünftigen Nutzungsentgelt gehabt haben dürfte. Dass sich diese Interessenlage nach dem Vertragsschluss ändern kann, ist normal; nur so wird ein Rechtsstreit daraus. 

Trotz Befassung mit der (kommerziellen) Interessenlage bei Vertragsschluss wendet das OLG Hamm eine überaus restriktive rechtliche Herleitung an, die dem Eigentümer dann doch noch zu einem Ausstieg aus dem unliebsamen Vertrag verhilft. Die für Gestaltungsrechte benutzten Begriffe seien streng nach ihrem Wortlaut auszulegen. Ein Rücktritt sei ein Rücktritt und eben keine Kündigung; insofern sei eine ordentliche Kündigung durch den Vertrag eben nicht ausgeschlossen worden.

Dabei übergeht das Gericht die übliche Interessenlage und den Marktstandard, dass Gewerbemietverträge mit einer vereinbarten Festlaufzeit, das heißt Befristung, vor ihrem Vollzug allenfalls einen Rücktritt zulassen und typischerweise nur hierzu vertragliche Regelungen treffen. Es hätte daher durchaus nahegelegen, die Formulierungen nach Maßgabe des wahren Willens der Parteien, gemessen am objektiven Empfängerhorizont bei Vertragsabschluss, auszulegen. Auch das in diesem Kontext bemühte Hilfsargument des Gerichts, dass Kündigungen bereits vor Vollzug eines Mietverhältnisses möglich seien, verfängt nicht, da die entsprechend zur Begründung zitierten Gerichtsentscheidungen nicht einschlägig sind. Es ging dort gerade um Mietverhältnisse mit unbefristeten Laufzeiten.

Auch wenn das Gericht diese eindimensionale Auslegung noch mit einer streng formalen Rechtsanwendung rechtfertigen können mag, ist insbesondere die weitere Argumentation dann doch unangemessen ergebnisorientiert motiviert; im Endeffekt wird dem Projektentwickler vorgehalten, dass der Eigentümer zunächst für unbestimmte Zeit und damit zu lange an den Vertrag gebunden sein könnte, ohne selbst davon zu profitieren.

Diese weitere Argumentation lässt aber erneut eine 
lebensnahe Betrachtung und Auslegung vermissen. Denn solche Nutzungsverträge, auch wenn sie vielfach verwendet werden, sind keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihrer klassischen Form. Auch sind die Eigentümer derartiger Grundstücke oftmals weniger schutzbedürftig als ein normaler Verbraucher. Wenn also die Regelungen des Vertrags bis zum Vollzug nur ein Rücktrittsrecht zulassen, das an bestimmte, durchaus nachvollziehbare Bedingungen geknüpft ist, ist dem Eigentümer eine vorzeitige Lösung vom Vertrag damit nicht in unangemessener Weise unmöglich gemacht worden. 

Man kann daher den Eindruck gewinnen, dass das OLG Hamm mit seiner Entscheidung vor allem ein bei Vertragsschluss beim Eigentümer ggf. vorherrschendes Desinteresse für die vertraglichen Regelungen oder sein fehlendes Verhandlungsgeschick nachträglich korrigiert. Eine solche Korrektur geht aber zu weit, wenn der Projektentwickler sich bei der Abfassung der Gestaltungsrechte an den Marktstandard gehalten hat, dass vor dem Vollzug eines befristeten Mietverhältnisses lediglich Rücktrittsrechte und keine Kündigungsrechte in Betracht kommen.

Die Hoffnung bleibt, dass konventionelle Gewerbemietverträge weniger von der Entscheidung des OLG Hamm betroffen sein dürften. Eine nahezu unbegrenzte zeitliche Bindung des Vermieters bzw. Eigentümers dürfte dort rein praktisch kaum vorkommen. Der Mieter wird demgegenüber, wenn für ihn kein Beendigungsrecht im Vertrag vorgesehen ist, über gesetzliche Gestaltungsrechte eine überlange Bindung vermeiden können. Insbesondere in diesem Punkt dürfte die dem OLG Hamm vorliegende Fallgestaltung nicht vergleichbar sein.

Gleichwohl zeigt auch diese Gerichtsentscheidung erneut, wie Gerichte durch strikte Rechtsanwendung nachträglich in Rechtsverhältnisse eingreifen, bei denen die Parteien ursprünglich davon ausgegangen sein dürften, dass vertraglich doch alles eindeutig ist. Fachkundige Beratung kann dabei helfen, solche Missverständnisse zu vermeiden bzw. rechtlich sicherere Regelungen in den Verträgen zu formulieren.

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