Paukenschlag aus Luxemburg: Steht das Geschäftsmodell „Kundenanlage“ vor dem Aus?

Berlin, 09.01.2025

Nachdem der EuGH am 28. November 2024 in seinem Urteil[1] feststellte, dass die Kundenanlage, wie sie im EnWG vorgesehen ist, nicht mit EU-Recht vereinbar ist, ging ein Beben durch die deutsche Energiebranche. Jahrelang wurden zahlreiche Projekte – gerade auch mit erneuerbaren Energien – auf dem Modell der Kundenanlage auf- und umgesetzt. Es wurde für bestimmte Situationen geradezu als Königsweg propagiert. Auch wenn es angesichts der EU-Rechtslage inhaltlich nicht völlig überrascht, drohen mit dem Urteil des höchsten EU-Gerichts nun zahlreiche Fragen und Unwägbarkeiten. Für diese gilt es Lösungen zu finden.

Erste Indikationen soll dieses Legal Update bieten. Dafür fassen wir zunächst das Urteil und seine Kernaussagen zusammen, bevor wir dessen Auswirkungen auf die Praxis beleuchten. Anschließend schauen wir auf mögliche Lösungsansätze.

Die Kundenanlage als Ausnahme zum allgemeinen Verteilernetz

Bei der in § 3 Nr. 24a EnWG definierten Kundenanlage handelt es sich im Wesentlichen um eine Erzeugungsanlage, beispielsweise eine Photovoltaikanlage, die Strom innerhalb eines räumlich begrenzten Gebiets direkt an Letztverbraucher liefert. Die besondere Form der Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung im Sinne von § 3 Nr. 24b EnWG muss demgegenüber fast ausschließlich der betriebsnotwendigen Energieversorgung dienen. Beide Arten haben gemein, dass kein Strom durch das öffentliche, allgemeine Stromnetz geleitet wird. Die Kundenanlage stellt also eine im EnWG geregelte Ausnahme zur Regulierung von Energieanlagen dar – daran ändert auch das EuGH-Urteil unmittelbar nichts (dazu sogleich). Die Kundenanlage ermöglicht(e) günstigere Strompreise, da bei ihr Netzentgelte und Umlagen nicht anfielen. Außerdem eröffnet(e) sie eine Gestaltungsoption, die gut an lokale Gegebenheiten angepasst werden konnte.

Gerade dezentrale Versorgungskonzepte – Stichwort: Quartierslösungen – basier(t)en auf der Kundenanlage, weshalb sie eine herausgehobene Rolle in der deutschen Energiewende hat. Faktisch schuf die Kundenanlage Anreiz zum Ausbau erneuerbarer Energie-Anlagen und zur Dekarbonisierung unter Vermeidung weiteren Neuausbaus.

Das EuGH-Urteil

Dem Verfahren vor dem EuGH liegt ein Streit zwischen einem Energieversorgungsunternehmen und einem Verteilernetzbetreiber zugrunde. Das Energieversorgungsunternehmen beantragte beim Verteilernetzbetreiber zwei Netzanschlüsse für zwei relativ umfangreiche Kundenanlagen, welche der Verteilernetzbetreiber aber verweigerte. Nachdem auch die Regulierungsbehörde keine Abhilfe leistete, landete der Fall schließlich beim BGH. Dieser bejahte zwar das Vorliegen von Kundenanlagen im Sinne des EnWG, stellte aber infrage, ob dieses Konzept überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist. Er legte es zur dahingehenden Abklärung dem EuGH vor.

Der EuGH stellt nun fest, dass die deutsche Konzeption der Kundenanlage eine unzulässige Ausnahme zur Regulierung des Verteilernetzes darstellt. Die Frage, ob ein Verteilernetz vorliegt, ist nach der zugrundeliegenden EU-Richtlinie 2019/944[2] grundsätzlich allein anhand zweier Kriterien zu bestimmen: der Spannungsebene des weitergeleiteten Stroms und der Kategorie von Kunden, an die der Strom weitergeleitet wird. Andere Kriterien sind unerheblich. Gerade die Kundenanlage stellt aber unter anderem auch auf unzulässige Kriterien ab. Die im EnWG geregelte Rechtsfigur geht damit über den von der EU-Richtlinie definierten Rahmen hinaus.

Daneben begründet der EuGH seine Entscheidung auch mit der Wirkung, die Kundenanlagen auf den Strommarkt im Ganzen haben könnten: Nimmt man (als Kundenanlage) zahlreiche Anlagen aus dem Regulierungssystem der Netze heraus, entstehen keine integrierten, sondern aufgeteilte Märkte. Statt dass möglichst viele Verbraucher an ein- und demselben Netz die gleichen und geringeren Entgelte und Umlagen zahlen, nehmen sich einige Verbraucher aus dieser Solidargemeinschaft heraus; sie zahlen gar keine Entgelte und Umlagen. Das Ziel der EU, wettbewerbsgeprägte, verbraucherorientierte, faire und transparente Strommärkte zu etablieren, sei dadurch gefährdet.

Daher: Kundenanlage in jetziger Form EU-rechtswidrig

Unmittelbare rechtliche Wirkung entfaltet das Urteil zunächst einmal allein im vom BGH dem EUGH vorgelegten Verfahren. Aus der grundlegenden Argumentation des EuGH lässt sich aber unschwer ableiten, dass die gesamte Rechtsfigur Kundenanlage unionsrechtswidrig ist. Da EU-Recht dem nationalen Recht vorgeht, schwingt darin bereits der Auftrag an deutsche Behörden und Gerichte mit, die Kundenanlage in ihrer jetzigen Rechtsform nicht mehr anzuwenden. Bei entsprechenden Verfahren muss die Kundenanlage, wie sie momentan im Gesetz geregelt ist, außen vor bleiben. Daher ist wohl auch damit zu rechnen, dass der deutsche Gesetzgeber seine bisherige fehlerhafte Umsetzung der EU-Richtlinie durch eine Streichung der Kundenanlage aus dem EnWG korrigiert. Flankierend dürfte wohl die Bundesnetzagentur tätig werden.

Auch bereits abgeschlossene Verfahren und existierende Kundenanlagen sind von der Entscheidung des EuGH grundsätzlich betroffen. Denn ob insoweit überhaupt Bestandsschutz eintreten konnte, ist fraglich. In der Praxis ist hier jedoch wohl mit Übergangslösungen zu rechnen, die zumindest insoweit eine gewisse Rechtssicherheit gewähren könnten. Bereits in der Vergangenheit war dies das Mittel der Wahl, wenn Auswirkungen der EU-Rechtswidrigkeit deutscher Normen aufzufangen waren.

Daraus folgt ganz allgemein, dass Anlagen, die bisher allein aufgrund der Einordnung als Kundenanlage ausnahmsweise außerhalb der Stromnetzregulierung standen, nun darunterfallen. Grundsätzlich werden für die Kunden nun Netzentgelte und Umlagen fällig, den Betreiber treffen die umfangreichen Pflichten eines Verteilernetzbetreibers.

Aber: Andere zulässige Ausnahmen von Verteilernetz

Das bedeutet indes nicht, dass jegliche Anlage, die bisher als „Kundenanlage“ firmierte, nun Teil des Verteilernetzes sein muss. Denn wie bereits der EuGH in seinem Urteil anmerkte, sind Ausnahmen zum Verteilernetz und seiner Regulierung durchaus zulässig, aber eben exklusiv der EU-Richtlinie zu entnehmen. Diese bietet eine Reihe von Ausnahmetatbeständen, die auf bisher bestehende, momentan noch projektierte oder zukünftige Anlagen und Netzsituationen zutreffen könnten – mit ähnlichen Privilegierungen, wie sie aus der Kundenanlage folgten. 

Dazu sollte primär die EU-Richtlinie konsultiert werden, die (s.o.) alleiniger Maßstab ist. Anschließend kann im deutschen Recht die entsprechende Umsetzung gesucht werden.

Nachfolgend werden in einer kurzen Übersicht die ausdrücklich zulässigen Ausnahmen zu der Einordnung als Verteilernetz und die damit einhergehenden Pflichten dargestellt. Ob eine Anlage bisher als Kundeanlage eingeordnet wurde, ist für die Ausnahmen unerheblich.

Bürgerenergie­gemeinschaft

Am nächsten mag der bisherigen Figur der Kundenanlage die Konstellation der Bürgerenergiegemeinschaft kommen. Dabei handelt es sich um eine Rechtsperson, die eine offene und freiwillige Mitgliedschaft ermöglicht und tatsächlich von ihren Mitgliedern oder Anteilseignern kontrolliert wird. Mitglieder und Anteilseigner können natürliche Personen (Menschen), Kommunen oder Kleinunternehmen sein. Ihr Hauptzweck besteht darin, umweltliche, wirtschaftliche oder soziale Gemeinschaftsvorteile für ihre Mitglieder, Anteilseigner oder ihre nähere Umgebung zu erbringen, nicht in der Erwirtschaftung finanzieller Gewinne. Sie ist – ähnlich der Kundenanlage – durch eine räumlich und persönlich begrenzte Kooperation zu einem gemeinsamen Zweck gekennzeichnet.

Freilich sind auch Bürgerenergiegemeinschaften nicht ohne Berührungspunkte zum allgemeinen, öffentlichen Netz. So arbeiten sie mit dem entsprechenden Verteilernetzbetreiber zusammen, um die Stromübertragungen innerhalb der Bürgerenergiegemeinschaft zu erleichtern. Vor allem muss sichergestellt sein, dass auch im Rahmen einer Bürgerenergiegemeinschaft in transparenter Art und Weise Abgaben und Umlagen geleistet werden, und sie als Ganzes in angemessenem Umfang an den Kosten des allgemeinen Netzes in Form von Netzentgelten beteiligt wird.

Im EnWG findet sich keine unmittelbare Entsprechung der Bürgerenergiegemeinschaft im Sinne der EU-Richtlinie. Allein in § 3 Nr. 15 und § 22b EEG 2023 ist als Ausnahme zum Ausschreibungsregime für Windenergieanlagen die Bürgerenergiegesellschaft normiert. Angesichts dieses begrenzten Anwendungsbereiches ist festzustellen, dass es nach wie vor [3] an einer Umsetzung der Bürgerenergiegemeinschaft in deutsches Recht fehlt. Dies führt zu Rechtsunsicherheit und Lücken im Energiemarkt- und -versorgungsdesign. Womöglich bringt die Lücke, die der „Wegfall“ der Kundenanlage schlägt, neue Dynamik in diese Thematik. Momentan stellt die Bürgerenergiegemeinschaft, wie sie die EU-Richtlinie vorsieht, jedoch keine rechts- und planungssicher gangbare Gestaltungsoption dar.

Geschlossenes Verteilernetz

Das geschlossene Verteilernetz ist als einziger Ausnahmetatbestand ausdrücklich im deutschen Recht geregelt: § 110 EnWG befreit seinen Betreiber von zahlreichen zentralen Netzbetreibervorgaben wie der rechtlichen Entflechtung, der Anschlusspflicht oder der Beschaffungspflicht von Ausgleichsenergie. Um als geschlossenes Verteilernetz zu gelten, muss ein Energieversorgungsnetz zunächst (1) zum Zwecke der Ermöglichung der Versorgung von Kunden, (2) in einem geografisch begrenzten Gebiet, in dem Leistungen gemeinsam genutzt werden (insbesondere ein Industrie- oder Gewerbegebiet), liegen. Dabei (3) dürfen keine Letztverbraucher, die Energie für den Eigenverbrauch im Haushalt beziehen, versorgt werden, oder nur eine geringe Zahl, wenn diese ein Beschäftigungsverhältnis oder eine vergleichbare Beziehung zum Eigentümer oder Betreiber des Netzes unterhalten. Schließlich (4a) müssen die Tätigkeiten oder Produktionsverfahren der Anschlussnutzer dieses Netzes aus konkreten technischen oder sicherheitstechnischen Gründen verknüpft sein, oder (4b) muss mit dem Netz in erster Linie Energie an den Netzeigentümer oder -betreiber oder an mit diesen verbundenen Unternehmen verteilt werden. Sind diese vier Voraussetzungen erfüllt, kann die Einstufung als geschlossenes Verteilernetz bei der Landesregulierungsbehörde oder der BNetzA beantragt werden. Darin gleicht § 110 EnWG im Wesentlichen seiner europarechtlichen Grundlage in Art. 38 der EU-Richtlinie.

Das geschlossene Verteilernetz kann sowohl für die Strom- als auch die Gasversorgung genutzt werden. Es soll den spezifischen Interessen und Bedürfnissen insbesondere von Unternehmen in Industrieparks oder ähnlichen Umgebungen Rechnung tragen. In diesem Regelungszweck überschneidet es sich teilweise mit der Kundenanlage. So weisen beide Rechtsfiguren ein geografisches Begrenzungselement auf. Da es bei der Kundenanlage strenger gefasst ist, dürften einige bisher als Kundenanlage firmierende Modelle auch diese Voraussetzung des geschlossenen Verteilernetzes erfüllen. Jedoch nimmt § 110 EnWG hinsichtlich des Empfängerkreises der Energie eine gegenüber der Kundenanlage erhebliche Einschränkung vor, indem er keine (oder nur wenige und betreibernahe) Haushaltskunden zulässt. Das geschlossene Verteilernetz vermag daher wohl eher die Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung ersetzen, nicht die allgemeine Kundenanlage. Bei einer betrieblichen Eigenversorgung kann § 110 EnWG aber durchaus eine passende und vor allem schnelle Lösung darstellen.

Kleines Verbundnetz und kleines, isoliertes Netz

Ein kleines Verbundnetz ist ein Netz, das zum Stichjahr 1996 einen Verbrauch von weniger als 3.000 GWh aufwies, und bei dem mehr als 5 % des Jahresverbrauchs durch einen Verbund mit anderen Netzen bezogen werden. Das kleine isolierte Netz unterscheidet sich davon nur insofern, als dass weniger als 5 % des Jahresverbrauchs durch einen Verbund mit anderen Netzen bezogen werden. Sie sind als „Strominseln“ bereits nach dem übergeordneten Zweck der EU-Richtlinie quasi unerwünschte Ausnahmen zum integrierten Elektrizitätsbinnenmarkt.

Die EU-Richtlinie eröffnet für kleine, isolierte Netze zunächst einmal nur Ausnahmen zu Pflichten über die Erstellung von Netzentwicklungsplänen und die Entflechtung von Verteilernetzbetreibern. Für sie und für kleine Verbundnetze können die Mitgliedsstaaten Ausnahmen von den Vorschriften über den Betrieb des Verteilernetzes sowie die Entflechtung und die Pflichten von Übertragungsnetzbetreibern beantragen. Voraussetzung ist, dass diese Mitgliedsstaaten nachweisen können, dass sich andernfalls erhebliche Probleme für ihre kleinen Verbundnetze und kleinen, isolierten Netze ergeben.

Von einem entsprechenden Antrag der Bundesrepublik Deutschland ist nichts bekannt; womöglich folgt er noch im Laufe der weiteren Umsetzungsbemühungen. Konsequenterweise sind sie nicht im EnWG geregelt. Auch hier bleibt danach festzuhalten, dass die Rechtsfiguren des kleinen Verbundnetzes und des kleinen, isolierten Netzes momentan (noch) keine brauchbaren Gestaltungsoptionen für den Markt und das Netz in Deutschland darstellen.

Ausblick

Ein Wegfall der Kundenanlage als attraktives Ausnahmemodell zu den umfangreichen Vorgaben für das allgemeine Netz hinterlässt eine Lücke im deutschen Energiemarkt und Energieversorgungssystem. Der Gesetzgeber dürfte darauf reagieren – angesichts der noch ausstehenden BGH-Entscheidung und anstehender Neuwahlen wird dies aber wahrscheinlich noch dauern. Bis es soweit ist, kann wohl das geschlossene Verteilernetz gem. § 110 EnWG Abhilfe bieten, allerdings eher für betriebliche Projekte. Kurzfristig wird dies einen Investitionsstau und damit einen Dämpfer für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bedeuten. Ob die juristisch folgerichtige Entscheidung des EuGH langfristig dem übergeordneten Ziel der transparenten, fairen, wettbewerbsgeprägten und integrierten Elektrizitätsmärkte förderlich sein kann, wird sich noch zeigen müssen. Sie reiht sich jedenfalls ein in die Grundentscheidung der EU zugunsten eines zentralen Solidarsystems gegenüber kleinteiliger dezentraler Lösungen. 

 

[1] EuGH, Urteil vom 28.11.2024 – C-293/22.

[2] Richtlinie (EU) 2019/944 vom 05.06.2019, ABl. L 158/125 vom 14.06.2019.

[3] Prof. Björn Hoops, https://www.genoverband.de/newsroom/news/aus-dem-verband/to-or-not-to-share-wie-energiegenossenschaften-in-deutschland-sich-organisatorisch-veraendern-muessen-um-vom-energy-sharing-zu/

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