Digitale Arbeitsplattformen bieten Unternehmen und Selbstständigen die Chance, ihre Dienstleistungen leichter und zum Teil auch grenzüberschreitend anzubieten. Unter Plattformarbeit werden alle Dienstleistungen verstanden, die über web-basierte Plattformen vermittelt und/oder erbracht werden. Die Dienstleistungen können, wie beispielsweise bei Lieferdiensten, lokal verrichtet (Gigwork) oder, wie etwa bei Übersetzungs- oder IT-Tätigkeiten, online angeboten und erbracht werden (Cloudwork). Angaben der Europäischen Kommission zufolge wird in der Arbeitsplattformwirtschaft bis zum Jahr 2025 europaweit mit einem Beschäftigungszuwachs von derzeit 28 Millionen auf 43 Millionen Beschäftigte gerechnet. Schätzungen zufolge werden neun von zehn Personen, die in der EU auf digitalen Plattformen tätig sind, derzeit als Selbstständige eingestuft. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission könnten allerdings bis zu 5,5 Millionen Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, dem Risiko einer falschen Einstufung des Beschäftigungsstatus ausgesetzt sein. Der Beschäftigungsstatus der Plattformarbeiter, sogenannte „Crowdworker“, ist in den vergangenen Jahren Gegenstand vieler Diskussionen gewesen und hat zahlreiche europäische Gerichte beschäftigt (vgl. hierzu unsere Beiträge „„Crowdworker“ können Arbeitnehmer sein“ sowie „The Gig Economy and Crowdworking as Challenges for Legislation Governing Employment and Social Benefits in Europe?“). Die Europäische Kommission hat vor diesem Hintergrund am 9. Dezember 2021 einen Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Menschen, die über digitale Plattformen arbeiten, vorgelegt.
Der Vorschlag umfasst insbesondere folgende Punkte:
Begriff der digitalen Plattform
Gemäß dem Richtlinienvorschlag handelt es sich um Plattformarbeit, wenn eine natürliche oder juristische Person kommerzielle Dienstleistungen anbietet und die folgenden Kriterien erfüllt sind:
- Die Dienstleistung wird zumindest teilweise auf elektronischem Wege aus der Ferne bereitgestellt, etwa über eine Homepage oder eine App;
- die Dienstleistung wird auf Verlangen eines Leistungsempfängers erbracht;
- sie umfasst als notwendigen und wesentlichen Bestandteil die Organisation der von Einzelpersonen geleisteten Arbeit, unabhängig davon, ob diese Arbeit online oder an einem bestimmten Ort ausgeführt wird.
Plattformen, die lediglich verfügbare Angebote wiedergeben, ohne dass eine weitere Beteiligung erfolgt, sollen nicht als digitale Arbeitsplattform im Sinne des Richtlinienvorschlags gelten.
Beschäftigungsstatus
Die Frage nach dem Beschäftigungsstatus (Selbstständiger oder Arbeitnehmer) ist sowohl für die Plattformbetreiber als auch für die dort Arbeitenden von erheblicher Relevanz. Der Status als Arbeitnehmer führt zu der Anwendbarkeit zahlreicher Schutzvorschriften, insbesondere Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub sowie Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Darüber hinaus ist das Beschäftigungsverhältnis im Falle der Bejahung eines Arbeitnehmerstatus sozialversicherungspflichtig. Zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit und zum Schutz der Plattformarbeiter sieht der Richtlinienvorschlag eine gesetzliche Vermutung zugunsten eines Arbeitsverhältnisses vor, soweit mindestens zwei der fünf aufgeführten Kriterien erfüllt sind:
- Effektive Bestimmung der Höhe der Vergütung oder Festlegung von Obergrenzen der Vergütung;
- Aufforderung der Plattformarbeit leistenden Personen, bestimmte verbindliche Regeln in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten gegenüber dem Empfänger der Dienstleistung bzw. in Bezug auf die Arbeitsleistung einzuhalten;
- Überwachung der Arbeitsleistung oder Überprüfung der Qualität der Arbeitsergebnisse, auch auf elektronischem Wege;
- Effektive Einschränkung der Freiheit, die Arbeit zu organisieren – insbesondere den Ermessensspielraum bei der Wahl der Arbeitszeit oder der Abwesenheitszeiten -, Aufgaben an- bzw. abzulehnen oder die Dienste von Unterauftragnehmern oder Ersatzkräften in Anspruch zu nehmen, auch durch den Einsatz von Sanktionen;
- Einschränkung der Möglichkeit, einen Kundenstamm aufzubauen oder Arbeiten für Dritte auszuführen.
Bei der Prüfung der Kriterien soll nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Plattform abgestellt werden. Der Plattformbetreiber soll die gesetzliche Vermutung widerlegen können, indem er auf Grundlage des nationalen Arbeitsrechts nachweist, dass kein Arbeitsverhältnis besteht.
Weitere Regelungsgegenstände
Algorithmisches Management
Der Richtlinienvorschlag sieht außerdem vor, dass Algorithmen, die auf Plattformen zur Aufgabenzuweisung, zur Überwachung, zur Bewertung und bei Vergabeentscheidungen eingesetzt werden, transparenter ausgestaltet werden sollen. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission besteht derzeit das Risiko, dass algorithmisches Management u.a. ein für ein Arbeitsverhältnis charakteristisches Unterordnungsverhältnis sowie die Kontrolle der Plattformarbeiter durch die digitale Arbeitsplattform verbergen kann. Zudem sieht die Europäische Kommission beim algorithmischen Management Potenzial für geschlechtsspezifische Voreingenommenheit und Diskriminierung. Den Plattformarbeitern sollen deshalb Informationsrechte eingeräumt werden, durch welche sie nachvollziehen können, wie die Aufträge zugewiesen und bewertet werden. In diesem Zusammenhang soll den Plattformarbeitern auch das Recht eingeräumt werden, die Begründung einer algorithmenbasiert getroffenen Entscheidung von einer reellen Person zu erhalten. Zudem sollen sie die Möglichkeit haben, die Entscheidung anzufechten und zu berichtigen.
Rückverfolgung
Künftig sollen digitale Arbeitsplattformen verpflichtet werden, ihre Tätigkeit in dem Land anzumelden, in dem sie erbracht wird. Zudem müssen verschiedene Informationen den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung gestellt werden. Dies soll den nationalen Behörden u.a. die Durchsetzung bestehender Verpflichtungen in Bezug auf Sozialversicherungsbeiträge ermöglichen.
Durchsetzung von Ansprüchen
Zukünftig soll zudem die Möglichkeit von Sammelklagen gegen Plattformbetreiber eröffnet werden.
Stärkung des sozialen Dialogs
Der soziale Dialog soll gestärkt werden, indem Plattformbetreiber verpflichtet werden sollen, Kommunikationskanäle für die Plattformarbeitenden zu schaffen, damit sich diese selbst organisieren und von Arbeitnehmervertretern kontaktiert werden können. Hierdurch soll zudem der Weg für Tarifverhandlungen geebnet werden.
Ausblick
Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission greift die voranschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt auf und beabsichtigt, EU-weit einheitliche „Spielregeln“ für Plattformarbeit zu schaffen. Er wird zunächst im Europäischen Parlament und Rat geprüft und überarbeitet. Bis zur Umsetzung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens vergehen in der Regel 18 Monate. Ab diesem Zeitpunkt haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Rechts umzusetzen. Allerdings ist mit einer zügigen Umsetzung zu rechnen, da der Richtlinienvorschlag inhaltlich in weiten Teilen mit einem seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales veröffentlichen Eckpunktepapier übereinstimmt.