Dr. Klaus Felke
I. Ausgangslage
Die Haftung für verbotene Zahlungen nach Insolvenzreife ist ein Dauerbrenner. Diese Haftung ist praktisch der wichtigste Fall einer Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft.
Nach § 64 GmbHG bzw. vergleichbaren Vorschriften für andere Rechtsformen haftet der Geschäftsführer für alle Zahlungen, die nach dem Eintritt der Insolvenzreife (das heißt nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der insolvenzrechtlichen Überschuldung) geleistet werden, persönlich.
Diese Haftung ist deshalb so bedeutsam, weil die Haftungsvoraussetzungen für den Insolvenzverwalter in der Regel leicht darzulegen sind. Der Insolvenzverwalter muss nur darlegen, dass der Geschäftsführer Zahlungen geleistet hat und die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig oder insolvenzrechtlich überschuldet war. Der Geschäftsführer hat dagegen verschiedene Einwendungen, die die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife auf ein sachgerechtes Maß begrenzen sollen. Diese Einwendungen sind allerdings vom Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen. Der Geschäftsführer ist damit in einer schwierigen Position.
Es kommt hinzu, dass die verbotenen Zahlungen oftmals einen erheblichen Umfang einnehmen und deshalb Haftungsansprüche oft ein sehr hohes und für den Geschäftsführer existenzbedrohenden Umfang erreichen. Ein Schutz durch die D&O-Versicherung ist hier besonders wichtig.
II. Urteil des OLG Düsseldorf: Kein Schutz durch D&O-Versicherung
In diesem Zusammenhang erging jüngst ein vielbeachtetes Urteil des OLG Düsseldorf. In diesem Urteil vom 20. Juli 2018 (I-4 U 93/16) vertrat das OLG Düsseldorf die Auffassung, dass die D&O-Versicherung nicht den Anspruch aus § 64 GmbHG abdecke.
Zur Begründung führte das OLG Düsseldorf auf, dass der Anspruch aus § 64 GmbHG keinen Schadensersatzanspruch sei, sondern ein „Ersatzanspruch eigener Art“. Außerdem komme die Ersatzleistung nicht der Gesellschaft, sondern den Gläubigern im Insolvenzverfahren zugute.
Dieses Urteil hat für erhebliches Aufsehen und erhebliche Unsicherheit gesorgt. Es besteht Unklarheit, ob bei einer Inanspruchnahme nach § 64 GmbHG noch ein Versicherungsschutz besteht. Dies ist naturgemäß für In Anspruch genommene oder von Haftung bedrohte GmbH-Geschäftsführer von existenzieller Bedeutung.
Von großer Bedeutung ist dies aber auch für den Anspruchssteller, mithin dem Insolvenzverwalter. Diese muss naturgemäß prüfen, ob eine Inanspruchnahme des Geschäftsführers nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Verfolgung solcher Ansprüche wird deutlich unattraktiver, wenn der Insolvenzverwalter nach gewonnenem Haftungsprozess nicht mehr auf die D&O-Versicherung zugreifen kann.
III. Rechtliche Bewertung des Urteils
Die Auffassung des OLG Düsseldorf kann nicht überzeugen.
Es mag noch vertretbar sein, den Anspruch aus § 64 GmbHG nicht als „Schadensersatzanspruch“ zu begreifen. Denn die Erstattung der Zahlungen nach Insolvenzreife ist nicht notwendigerweise ein Schadensersatz, weil z.B. auch die Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten erfasst ist. Die Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten einer Gesellschaft begründet aber keinen Schaden.
Dieses am Wortlaut orientierte Argument führt aber schon deshalb nicht weiter, weil in Parallelvorschriften für andere Rechtsformen sehr wohl von einem „Schadensersatzanspruch“ die Rede ist (wie z.B. § 130a HGB).
Entscheidend ist aber, dass die Argumentation des OLG Düsseldorf an Sinn und Zweck der D&O-Versicherung und an dem Verständnis der Vertragsparteien völlig vorbei geht.
Mit dem Abschluss einer D&O-Versicherung möchte die Gesellschaft sowohl ihren Geschäftsführer vor potentiellen Ansprüchen schützen als auch für den Fall eines Anspruchs, für einen solventen Schuldner sorgen. Mit diesem auch für den Versicherer offensichtlichen Vertragszweck ist die Argumentation des OLG Düsseldorf unvereinbar.
Kein Versicherungsnehmer wird eine Versicherung für das Risiko einer Haftung des Geschäftsführers abschließen wollen, bei dem ausgerechnet der wichtigste Fall der Geschäftsführerhaftung unversichert bleibt.
Es kommt hinzu, dass in der Vergangenheit Ansprüche aus § 64 GmbHG ohne weiteres von der D&O-Versicherung abgedeckt wurden. Offenbar sehen es auch die Versicherer als selbstverständlich an, dass diese Ansprüche von der D&O-Versicherung gedeckt sind. In juristischer Hinsicht bleibt damit nur zu hoffen, dass der BGH zügig Gelegenheit findet, die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zu korrigieren.
IV. Prozessuale Strategien bis zur Klärung der Rechtsfragen
Doch was tun in der Zwischenzeit?
Die Problematik des Versicherungsschutzes kommt bei einer Inanspruchnahme an mehreren Stellen zum Tragen.
Üblicherweise nimmt der Insolvenzverwalter den Geschäftsführer wegen verbotener Zahlungen zunächst außergerichtlich und dann gerichtlich in Anspruch (sog. Haftungsprozess). Wird der Geschäftsführer zur Rückerstattung verbotener Zahlungen verurteilt, wird dann in einem zweiten Prozess (dem Deckungsprozess) geklärt, ob der Anspruch auch unter den Versicherungsschutz fällt.
1. Klärung während des Haftungsprozesses
Die Problematik des Versicherungsschutzes kann sehr zügig dann auftreten, wenn der Geschäftsführer in Anspruch genommen wird oder ein Haftungsprozess eingeleitet wird. In diesem Falle hat der Geschäftsführer aus der D&O-Versicherung einen Anspruch auf Abwehrdeckung, das heißt auf Übernahme der Abwehrkosten.
Weigert sich die Versicherung, die Abwehrkosten zu übernehmen, so kann der versicherte Geschäftsführer die Versicherung auf Abwehrdeckung in Anspruch nehmen. Im Interesse der Versicherung liegt ein solches Vorgehen nicht unbedingt wird doch ggfs. die Frage der Deckung schon geklärt, obwohl noch gar nicht klar ist, dass überhaupt eine Haftung des Geschäftsführers besteht.
Versicherungen werden daher – dies ist auch die derzeitige Tendenz – zumindest die Kosten der Abwehrdeckung zunächst übernehmen.
2. Klärung im Deckungsprozess
Endet der Haftungsprozess dann mit einer Verurteilung des Geschäftsführers, wird der Insolvenzverwalter auch den Anspruch gegen die D&O-Versicherung auf Freistellung vom Ersatzanspruch zugreifen.
Weigert sich die Versicherung zu zahlen, so wird ein Deckungsprozess zwischen der versicherten Person oder dem Insolvenzverwalter einerseits und der Versicherung anderereits nötig. In diesem Deckungsprozess kann die Frage geklärt werden, ob es sich bei dem Anspruch um einen versicherten Anspruch handelt.
Eine Klärung im Deckungsprozess ist derzeit auch deshalb vorteilhaft, weil die weitere Entwicklung der Rechtsprechung vorerst abgewartet werden kann. Sie setzt aber voraus, dass der Versicherer bereit ist, zumindest die Abwehrdeckung zu erteilen.
3. Verjährungsfragen
Da der Haftungsprozess aufgrund der oft schwierigen Beweisfragen sehr lange dauern kann, müssen auch die Verjährungsfristen im Blick gehalten werden.
Der Freistellungsanspruch gegen den Versicherer verjährt grundsätzlich in drei Jahren. Diese Verjährung wird durch den Haftungsprozess zwischen Insolvenzverwalter und Gechäftsführer nicht gehemmt. Allerdings ist die Verjährung nach der Anmeldung beim Versicherer solange gehemmt, bis die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht (§ 15 VVG).
Die Verjährung beginnt mithin mit einer sogenannten Deckungsablehnung wieder zu laufen. Diese Deckungsablehnung kann – wenn schon die Abwehrdeckung verweigert wird – schon relativ früh im Prozess eintreten. Alle Beteiligten sind daher gut beraten, Ansprüche gegen den Versicherer ggfs. möglichst schnell zu sichern und klarzustellen, dass nicht eine überflüssige Deckungsklage erhoben werden muss.
V. Aktuelle Entwicklungen
In letzter Zeit berufen sich Versicherungen überwiegend nicht auf das neue Urteil des OLG Düsseldorf. Dies auch deshalb, um die Reputation des Produkts „D&O-Versicherung“ nicht übermäßig zu schachern. Nach wie vor besteht in der Praxis aber noch eine erhebliche Unsicherheit, wie mit der durch das OLG Düsseldorf geschaffenen Rechtsunsicherheit umzugehen ist. Die Sicherung von Ansprüchen gegen die Versicherung ist deshalb sowohl für Insolvenzverwalter als auch für den in Anspruch genommenen Geschäftsführer von großer Bedeutung und muss gerade derzeit stets im Blick gehalten werden.