Entgegen einer in der Praxis verbreiteten Meinung gilt die arbeitnehmerseitige (Neben-)Pflicht zur unverzüglichen Anzeige einer Arbeitsunfähigkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EntgFG auch im Fall der Fortdauer der Krankheit. Verstöße hiergegen berechtigen daher zu arbeitsrechtlichen Sanktionen bis hin zur verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Dies hat das Bundesarbeitsgericht unlängst noch einmal klargestellt.
Hintergrund
Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EntgFG (https://www.gesetze-im-internet.de/entgfg/__5.html) sind Arbeitnehmer verpflichtet, ihrem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Diese Mitteilungspflicht dient der Dispositionsfähigkeit des Arbeitgebers, der die betrieblichen Abläufe möglichst frühzeitig mit Blick auf die Abwesenheit des betreffenden Mitarbeiters (neu) organisieren soll. Die Benachrichtigung des Arbeitgebers muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, grundsätzlich unter Verwendung der modernen Telekommunikationsmittel (Telefon, E-Mail etc.) und jedenfalls gegenüber einem vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von Erklärungen autorisierten Mitarbeiter erfolgen.
Das Gesetz trifft keine Regelung dazu, ob den erkrankten Mitarbeiter auch dann noch die Pflicht zur unverzüglichen Meldung gegenüber dem Arbeitgeber (nach vorstehender Maßgabe) trifft, wenn seine Arbeitsunfähigkeit über den zunächst bescheinigten Termin hinaus andauert (obwohl dieser Fall in der Praxis bekanntlich keine Seltenheit ist). Eine solche Regelung hat der Gesetzgeber lediglich im Hinblick auf die Pflicht des Arbeitnehmers zur Vorlage einer Folgebescheinigung getroffen, siehe § 5 Abs. 1 Satz 4 EntgFG.
Entscheidung
In dem vom BAG am 7.5.2020 (AZ: 2 AZR 619/19; vgl. http://juris.bundesarbeitsgericht.de/zweitesformat/bag/2020/2020-07-17/2_AZR_619-19.pdf) entschiedenen Fall ging es um die verhaltensbedingte Kündigung eines langjährigen und bereits eine längere Zeit durchgehend erkrankten Mitarbeiters, weil dieser die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit nicht ordnungsgemäß angezeigt hatte. Den betrieblichen Vorgaben zufolge war der Mitarbeiter verpflichtet, bei einer Arbeitsunfähigkeit unverzüglich seinen Vorgesetzten „am ersten Arbeitstag zum Beispiel telefonisch mit Angabe der Gründe und der voraussichtlichen Dauer“ zu verständigen. Der Arbeitgeber mahnte den Kläger ab, weil er ohne Angabe von Gründen nicht zur Arbeit erschienen war, sowie zwei weitere Male, weil Folgebescheinigungen den Vorgesetzten nicht rechtzeitig erreicht hätten. Die Einreichung einer Folgebescheinigung im Laufe des Montags nach ursprünglich am Freitag davor endender Arbeitsunfähigkeit führte zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.
Die Vorinstanz (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 8.5.2019 – 10 Sa 52/18; http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=29738) hatte zwar darauf hingewiesen, dass es eine schuldhafte Pflichtverletzung darstelle, die eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen könne, wenn die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit nicht unverzüglich angezeigt werde. Im Rahmen der Interessenabwägung nahm das LAG aber ein lediglich geringes Verschulden des Arbeitnehmers an; die Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Erkrankung beeinträchtige das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers generell weniger gravierend als die nicht unverzügliche Anzeige des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit; der Arbeitgeber sei hier nicht mehr „unvorbereitet“. Gerade bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit müsse der Arbeitgeber sich um eine längerfristige Ersatzlösung bemühen. Nach der „allgemeinen Lebenserfahrung“ sei es auch eher unwahrscheinlich, dass der Arbeitnehmer nach einer langen Arbeitsunfähigkeit und einer Vielzahl von Folgekrankschreibungen den Dienst tatsächlich ohne anderslautende Verlautbarung wieder antrete.
Demgegenüber hat das BAG klargestellt, dass die Anzeigepflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 EntgFG gleichermaßen für Erst- wie auch für Folgeerkrankungen gelte. Der Verstoß gegen die unverzügliche Anzeigepflicht einer Folgeerkrankung sei grundsätzlich genauso gravierend wie das Unterlassen bzw. die verspätete Anzeige einer Ersterkrankung. Arbeitgeber müssten bei einer langfristigen Erkrankung des Arbeitnehmers auch nicht davon ausgehen, dass dieser über den mitgeteilten Zeitraum hinaus weiter erkrankt sein werde. Vielmehr könne sich der Arbeitgeber auf die mitgeteilte Dauer der Erkrankung verlassen. Allein die fortgesetzte Dauer einer Arbeitsunfähigkeit spreche auch nicht allgemein dafür, dass eine Genesung unwahrscheinlicher werde. Aufgrund unzureichender Tatsachenfeststellungen hat das BAG die Sache jedoch an das LAG zurückverwiesen.
Auswirkungen für die Praxis
Auch wenn das Gesetz insoweit nicht eindeutig ist, zeigt die Entscheidung des BAG, dass die Meldepflicht in § 5 Abs. 1 Satz 1 EntgFG in gleichem Maße gilt, wenn die Arbeitsunfähigkeit über den einmal bereits bescheinigten Termin hinaus fortbesteht und Mitarbeiter den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses riskieren, wenn sie gegen diese Pflicht verstoßen. Es handelt sich hierbei gerade nicht um eine weniger bedeutende Pflicht, nur weil es sich um eine fortdauernde oder gar eine Langzeiterkrankung nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraumes handelt. Im Gegenteil, die Pflicht gilt nach den Ausführungen des BAG ganz unabhängig davon, ob es um den Beginn oder um die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit geht. Dessen ungeachtet macht es mit Blick auf den lückenhaften Wortlaut von § 5 Abs. 1 EntgFG Sinn, die arbeitsvertraglichen Regelungen zu den Meldepflichten so zu gestalten, dass die Konstellation der fortdauernden Erkrankungen ebenfalls hiervon umfasst ist. Arbeitnehmern wiederum ist dringend zu empfehlen, auch ohne eine solche vertragliche Regelung, auch bei Folge- und Langzeiterkrankungen und auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums von sechs Wochen die gesetzlichen Anzeige- und Nachweispflichten uneingeschränkt zu erfüllen.