Den Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers betreffende Regelungen ergeben sich nicht nur aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag, den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) sowie etwaigen Tarifverträgen, sondern auch aus der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Betreffend Letztere droht nun ein Urteil des Europäischen Gerichthofs zur Frage der Verjährung von Urlaubsansprüchen, das abermals für Unruhe im deutschen Urlaubsrecht sorgen könnte.
Das Verfahren
Die Klägerin war von 1996 bis 2017 als Bilanzbuchhalterin in der Kanzlei des Beklagten beschäftigt. Aufgrund hohen Arbeitsaufkommens war sie jahrelang nicht in der Lage, ihren Jahresurlaub vollständig zu nehmen. Der Beklagte forderte sie weder auf, Urlaub zu nehmen, noch wies er sie auf die Folgen einer Nichtinanspruchnahme ihres Urlaubs hin. Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses verlangt die Klägerin nun die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2017. Der Beklagte ist hingegen der Meinung, der Urlaubsanspruch der Klägerin sei zumindest verjährt und stehe ihr somit nicht länger zu.
Das Arbeitsgericht teilte diese Ansicht und wies die Klage daher größtenteils ab. Das Landesarbeitsgericht erklärte hingegen, der Urlaubsanspruch sei nicht verjährt und hielt die Klage für überwiegend begründet. Der Beklagte legte daraufhin Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein. Dieses legte die Sache wiederum dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor und bat um Vorabentscheidung (Vorlagebeschluss v. 29.9.2020 – AZR 266/20 (A)).
Das Problem
Das Bundesurlaubsgesetz sieht vor, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr oder ausnahmsweise spätestens innerhalb der ersten drei Monate des Folgejahres nehmen muss (§ 7 Abs. 3 BurlG). Andernfalls verfällt der Urlaub.
Bereits 2018 entschied der EuGH (EuGH 6.11.2018, C-684/16, C-619/16 – vgl. Newsletter „Das Schicksal des Resturlaubs – Aktuelle EuGH-Rechtsprechung“), dass diese Regelung so nicht gelten könne. Der Arbeitnehmer sei als schwächere Partei schützenswert und müsse tatsächlich in die Lage versetzt werden, seinen Urlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber habe daher seine Arbeitnehmer zu informieren, wie viel Urlaub ihnen zustehe und dass dieser verfallen könne. Zudem müsse der Arbeitgeber die Arbeitnehmer individuell auffordern, den ihnen zustehenden Urlaub zu nehmen. Komme der Arbeitgeber dieser Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nicht nach, verfalle der Urlaub des Arbeitnehmers auch nicht.
Unklar ist bislang, ob und wann nicht verfallener Urlaub verjährt. Die regelmäßige Verjährungsfrist (§§ 194, 195, 199 BGB) beträgt drei Jahre ab Ende des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Beginn der Frist setzt allerdings Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen voraus. Das BAG war bisher der Auffassung zugeneigt, dass Urlaubsansprüche dieser regelmäßigen Verjährungsfrist unterworfen seien und der Arbeitgeber seinen Urlaub spätestens drei Jahre nach Schluss des Urlaubsjahres nicht mehr einfordern könne. Schließlich kenne der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch.
Da das BAG aber den Konflikt mit den europäischen Vorgaben sah, legte es diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der Generalanwalt am EuGH hat nun vorgeschlagen, dass die Verjährungsfrist betreffend Urlaubsansprüche erst dann beginnen solle, wenn der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nachgekommen sei (Schlussantrag vom 5.5.2022 – C-120/21). Schließlich könne man nicht ohne Weiteres annehmen, dass Arbeitnehmer ihren genauen Urlaubsanspruch kennen. Die vom BAG favorisierte Lösung unterstelle eine rein theoretische Kenntnis des Arbeitnehmers und sei europarechtswidrig.
Wie der EuGH entscheiden wird, ist derzeit noch offen. Zwar muss sich der EuGH der Ansicht des Generalanwalts nicht anschließen, folgt ihm aber dennoch in den meisten Fällen. Für Arbeitgeber könnte eine entsprechende Entscheidung Probleme nach sich ziehen.
Tipps für die Praxis
Das in den nächsten Monaten erwartete Urteil des EuGHs sollten Arbeitgeber einmal mehr zum Anlass nehmen, Arbeitnehmer ordnungsgemäß über den ihnen zustehenden Urlaub und dessen etwaigen Verfall zu informieren.
Viele Arbeitgeber begnügen sich damit, den jeweils aktuellen Resturlaub auf der Gehaltsabrechnung auszuweisen oder ihre Arbeitnehmer im letzten Quartal mit einer knappen Rundmail daran zu erinnern, ihren Urlaub zu nehmen. Eine solches Vorgehen dürfte jedoch nicht ausreichen. Denn gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müssen Arbeitgeber jedem Arbeitnehmer klar, rechtzeitig und individuell mitteilen, wie viel Urlaub ihm zusteht und wann dieser gegebenenfalls verfällt. Zudem muss diese Information mit der nachdrücklichen Aufforderung verbunden werden, rechtzeitig Urlaub zunehmen. Darüber hinaus sollte die Information in nachweisbarer Form erfolgen (z.B. mittels einer individualisierten E-Mail) sowie der Zugang ggfs. durch den Arbeitnehmer quittiert werden. In einem späteren Prozess muss nämlich der Arbeitgeber beweisen, dass er seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit hinreichend Genüge getan hat. Gelingt ihm dies nicht, hat er das Nachsehen.
Kommen Arbeitgeber ihrer Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nicht nach, können sie sich akkumulierten Resturlaubsansprüchen bzw., sofern die Urlaubsansprüche bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden können, entsprechenden Urlaubsabgeltungsansprüchen gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ausgesetzt sehen. Wenn der EuGH nun entscheiden sollte, dass Urlaubsansprüche nicht ohne Weiteres verjähren, so könnten Arbeitnehmer unter Umständen die Abgeltung ihres jahrelang angesparten Urlaubs verlangen. In dem vor dem BAG anhängigen Verfahren droht dem Beklagten eine Zahlung in Höhe von rund 20.000 €. Dabei geht es lediglich um eine einzige Arbeitnehmerin und die Auszahlung des Urlaubs von wenigen Jahren. Bei gehäuften Klagen langjährig Beschäftigter könnten jedoch weitaus höhere Forderungen auf Arbeitgeber zukommen.