Arbeitsrecht: Neues Arbeitszeit- und Vergütungsmodell am Beispiel von DIN Media

Personalwirtschaft

11.06.2024

Bei DIN Media und DIN Solutions (Firmierung ab 1. Juli 2024, bisher DIN Software) gilt ab 1. Juli 2024 ein neues Vergütungs- und Arbeitszeitmodell. Dr. Alexander Insam, Partner und Arbeitsrechtsexperte bei GÖRG, und Karsten Bich, HR & Transformation (CHRO) der DIN-Gruppe, erläutern im Interview mit der Personalwirtschaft, warum und wie die beiden Modelle gestaltet wurden.

Comp & Ben: Herr Bich, warum haben Sie das Arbeitszeit- und Vergütungsmodell der Tochtergesellschaften neu aufgesetzt?

Karsten Bich: Die DIN-Gruppe befindet sich wie jedes Unternehmen in der Transformation. So hieß die Tochtergesellschaft DIN Media bis zu ihrem 100. Geburtstag im April noch Beuth Verlag. Sein klassisches Geschäftsmodell war der Vertrieb von Normen als Buch und PDF. Aktuell entwickeln wir uns zu einem Unternehmen, das deutlich mehr digitale Produkte anbietet. Daher haben wir die Ausrichtung unserer beiden Tochtergesellschaften noch stärker auf zukunftsorientierte Geschäftsfelder fokussiert. DIN Solutions entwickelt zunehmend Softwarelösungen für die Kunden von DIN Media, die diese Produktlösungen anschließend in den Vertriebsfokus nimmt.

Da dies zu anderen und neuen Qualifikationserfordernissen und Tätigkeitsprofilen führt, wollten wir unser Vergütungssystem überarbeiten. Gehaltsbenchmarks haben uns darüber hinaus gezeigt, dass wir beim Thema Vergütung inflationsbedingt Nachholbedarf haben. Ein Teil unserer Gehälter lag – insbesondere bei den neuen Tätigkeitsprofilen – leicht unter dem Marktmedian. Zudem hatten die Mitarbeitenden in den beiden Tochtergesellschaften bislang historisch bedingt unterschiedliche Arbeitsbedingungen, da der Beuth Verlag tarifgebunden war. Eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen ist für uns als DIN-Gruppe wichtig, um unseren Beschäftigten in allen Gesellschaften zukünftig dieselben attraktiven Arbeitsbedingungen anbieten zu können.

Wie sieht die Neuordnung des Vergütungssystems aus, und wie haben Sie den Ausstieg aus dem Tarifvertrag erreicht?
Bich: Die Beschäftigten mit Tarifvertrag arbeiteten mit 38,5 Stunden pro Woche, und erhielten 1,5 Gehälter als Bonus im Jahr. Wir haben eine 35-Stundenwoche angeboten bei gleichbleibender Grundvergütung wie für die bisherige tarifliche 38,5-Stundenwoche, und der Bonus wird auf ein Monatsgehalt gekürzt. Somit entsteht eine Win-win-Situation. Wir erreichen auf den alten Wert gerechnet eine Gehaltssteigerung von insgesamt rund zehn Prozent, die in dieser Höhe jedoch von der DIN Media einseitig nicht leistbar und vergütungsstrukturell auch nicht angemessen gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund wurde eine Teilung dieses Gesamteffektes mit den Betriebsräten vereinbart, von dem der Arbeitgeber mehr als die Hälfte, 60 Prozent übernimmt und die Mitarbeitenden selbst auch 40 Prozent beitragen. Anders ausgedrückt: Mit dem neuen Modell können die Mitarbeitenden eine Gehaltserhöhung von mindestens sechs Prozent unter Beibehalten der bisherigen Arbeitszeit oder alternativ einen gleichbleibenden Monatslohn bei einer 3,5 Stunden geringeren Wochenarbeitszeit wählen; dies jedoch jeweils unter Reduzierung des Bonus um 0,5 Gehälter.

Wie ist der Bonus gestaltet?
Bich: Wir haben uns weitestgehend von den Individualzielen im Bonus verabschiedet und lediglich auf ein gemeinsam zu verfolgendes Kollektivziel, dem Ergebnis aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit, abgestellt. Für Führungskräfte sowie Expertinnen und Experten im Gehaltsband 5 und 6 haben wir zehn beziehungsweise 15 Prozent Bonus vorgesehen. Dieser Bonus besteht jeweils zu 50 Prozent aus dem gemeinsamen Unternehmensziel und zu 50 Prozent aus individuellen Zielen.

Künftig können Mitarbeitende wählen, ob sie 35 Stunden in der Woche auf fünf oder vier Tage verteilt arbeiten wollen oder mehr als 35 und bis zu maximal 42 Stunden in einer Fünftagewoche (siehe Kasten: Arbeitszeitmodelle bei DIN Media). Wie ist das Wahl- und Wechselrecht gestaltet?
Bich: Je nach Lebenszyklus sind die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden unterschiedlich. Daher haben wir ein Lebensphasen-Arbeitszeitmodell mit einem hohen Maß an Autonomie für Mitarbeitende entwickelt mit der Bezeichnung „MaxiFlex@DIN2024“. Bei Neueinstellungen können Kandidatinnen und Kandidaten frei wählen zwischen dem Grundmodell und dem Maxi-Flex-Modell, und sie müssen sich für eine Laufzeit zwischen sechs bis 24 Monaten entscheiden. Alle folgenden Vereinbarungen müssen mit dem oder der Vorgesetzten nach dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit erfolgen: Beide Parteien setzen sich zusammen und besprechen, ob und wie die gewünschte Arbeitszeit – Umfang, Lage und Laufzeit– im Team darstellbar ist.

Für das Personal in der bestehenden Belegschaft gilt, dass sie ab dem 1. Juli 2024 zusätzlich zwischen ihrem jetzigen Arbeitsmodell und der neuen Welt wählen können, das heißt, sie müssen nicht ihr gewohntes System verlassen. Wir möchten unsere Beschäftigten von der fair und transparent gestalteten neuen Arbeitswelt überzeugen und keinesfalls zu einem Wechsel aus dem Tarifmodell „verführen“ oder gar „zwingen“. Daher ist mit den Betriebsräten eine spätere Wechselmöglichkeit in das neue System bis 2030 für die Mitarbeitenden, die noch nicht direkt zum 1. Juli 2024 in das neue Modell wechseln möchten, vereinbart worden.

Dr. Alexander Insam: Die Wahlmöglichkeiten der Mitarbeitenden sowohl in der neuen Welt als auch auf dem Weg in die neuen Bedingungen waren rechtlich herausfordernd und personalpolitisch meines Erachtens der Schlüssel zum Erfolg auch in den Verhandlungen mit den Betriebsräten.

Ist die Personaleinsatzplanung vor dem Hintergrund des neuen Arbeitszeitmodells nicht sehr aufwendig? Wie gehen Sie damit um, wenn viele Mitarbeitende 35 Stunden an vier Tagen arbeiten wollen?
Bich: Wir haben über zehn Jahre Erfahrung mit einem ähnlichen Modell in der Muttergesellschaft DIN e. V. gesammelt. Dort gilt die 35-Stundenwoche als Standard, und die Beschäftigten können zwischen 35, 38 oder 40 Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche wählen. Unsere Erfahrung: Der Mittelwert der geleisteten Wochenstunden liegt bei rund 38 Stunden. Die Prognose bei der neuen Gesellschaft geht daher von einem Durchschnitt von 38 Stunden aus.

Läuft es ohne Konflikte? Was passiert, wenn alle in einer Abteilung immer freitags ihren freien Tag nehmen wollen?
Bich: In der Muttergesellschaft erleben wir eine gegenseitige Rücksichtnahme, das Agreement und Committment zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden ist vorhanden. In der DIN-Gruppe gibt es eine Kommission für eventuell auftretende Konflikte, aber sie musste sich in den letzten zehn Jahren noch nie mit Arbeitszeitkonflikten beschäftigten.

Insam: Auch die beiden Betriebsräte haben in den Verhandlungen zum neuen System diese Sorgen formuliert. Was machen wir, wenn sich die Beschäftigten streiten? Welchen Konfliktlösungsmechanismus haben wir? Auch aus anderen Unternehmen kenne ich diese Bedenken: „Gibt es jetzt eine kleine privilegierte Gruppe, die freitags zu Hause bleibt?“ Da aber in der Betriebsvereinbarung der gewählte Zeitraum – zwischen sechs und maximal 24 Monaten – fixiert ist, hat das Modell eine eingebaute Rotation. Wenn eine Person den Freitag als freien Tag erhält, bekommt sie ihn nicht bis ultimo. Nach Ablauf der gewählten Dauer wird rotiert. In der Betriebsvereinbarung ist schriftlich verankert, dass es Wechsel für Wochentage gibt, an denen man freinehmen kann.

Wie lange dauerte der Findungs- und Einigungsprozess für das neue Arbeitszeit- und Vergütungsmodell?
Bich: Das Vergütungsmodell, das wir als Ausgangspunkt gewählt haben, ist ähnlich bei DIN Solutions bekannt, und die Basis unseres neuen Arbeitszeitmodells wird bereits bei DIN e. V. gelebt. Beide Modelle haben wir modernisiert und deutlich flexibilisiert. Die Modelle wurden in gut neun Monaten konzipiert und unsere Ideen in nur rund sechs Monaten verhandelt, weil schon Muster vorlagen.

Sie haben eine Evaluation der Modelle eingeplant. Sie gehen davon aus, dass mit Start am 1. Juli 2024 neue Erfahrungen hinzukommen und ein Nachjustieren notwendig sein wird?
Bich: Wenn wir uns modernisieren wollen und müssen, ist es logisch, dass wir auch auf ein paar Unbekannte in der Gleichung stoßen können. Nicht nur an dieser Stelle hatten die Betriebsräte großes Verständnis, dass wir nach zwölf Monaten noch mal schauen wollen, wo wir nachjustieren müssen. Wir haben mit sehr offenen Karten gespielt, das gilt gleichermaßen für die frühzeitige und umfassende Einbindung der Führungskräfte.

Der Katalog der Betriebsvereinbarungen ist umfangreich. Herr Insam, wo liegen die besonderen Herausforderungen bei der Neugestaltung der Modelle?
Insam: Mehrere Punkte sind bei einem solchen Transformationsprojekt zu beachten. Viele Ziele auf einmal zu erreichen, hört sich gut an und klingt sehr nachhaltig, ist aber rechtlich sehr komplex umzusetzen. Die Menge und die Vielschichtigkeit der zu lösenden Aufgaben war eine große Herausforderung für beide Seiten. Ohne ein großes Vertrauensverhältnis geht das nicht. Der große Umfang kam zustande, weil es im Zuge der Transformation auch Personalwechsel zwischen den Gesellschaften gab, das heißt, Teilbetriebsübergänge und somit einen Interessensausgleich und Sozialplan. Gleichzeitig wurde das Vergütungsmodell verändert – mit dem Ausstieg aus dem Tarifvertrag beim bisherigen Beuth Verlag und dem Einstieg in die neue Gesellschaft mit Veränderungen von bestehenden Betriebsvereinbarungen – und das alles auf der Basis der Freiwilligkeit. Bis zum 30. April 2024 konnten die Mitarbeitenden frei wählen, ob sie im alten System bleiben wollten oder gleich zum 1. Juli 2024 ins neue Modell gehen. Wenn sie doch nicht dauerhaft im alten System verbleiben wollen, dann dürfen sie bis maximal 2030 nachwechseln. Hier wirkten individuelles und kollektives Arbeitsrecht zusammen. Aus rechtlicher Sicht möchte ich es als „Turnen am Hochreck“ bezeichnen, das Wahl- und Wechselrecht war der schwierigste Teil.

Sportlich war aber der Zeitraum von sechs Monaten Verhandlung allemal.
Insam: Ja, das stimmt. Hilfreiche Startbedingung ist, wenn wie bei der DIN-Gruppe ein Grundvertrauen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat existiert. Ein solches Vertrauensverhältnis entsteht wenn in der Vergangenheit Zusagen wechselseitig eingehalten wurden. Das hilft, Skepsis zu überwinden. Das Vertrauensverhältnis muss dann weiter gestärkt werden. Daher haben wir von Anfang an in den Verhandlungen einen Fokus auf Transparenz und Übersichtlichkeit gelegt und die komplexen Sachverhalte in einzelne Schritte runtergebrochen.

Hilfreich waren auch die Visualisierung der personalpolitischen Ziele einerseits und das Aufzeigen der rechtlichen Seite andererseits. Und wir haben uns viel Zeit genommen und tageweise, nicht stundenweise geplant. Ein weiterer wesentlicher Faktor war die gute Vorbereitung der Termine. Hier hat das HR-Team von DIN gezeigt, wie gut es untereinander und auch mit Externen zusammenarbeiten kann. Im Ergebnis waren die Verhandlungstermine zwar eng getaktet, aber gleichzeitig hocheffizient. Ein solches Projekt kann nur Erfolg haben, wenn auch Vorstand und Geschäftsführung mit HR an einem Strang ziehen. Das hat wunderbar funktioniert.

Die Geschaftsführerinnen und Geschaftsführer der Tochtergesellschaften haben zudem die Balance geschafft, sich inhaltlich einzubringen und gleichzeitig das HR-Team in Ruhe arbeiten zu lassen. Das war ungemein hilfreich. Schließlich möchte ich auch ausdrücklich die Arbeits- und Kooperationsbereitschaft der Betriebsräte und ihrer Anwältin erwähnen. Man kann durchaus freundlich und offen kommunizieren und gleichzeitig um einzelne Punkte hart ringen. Wir haben zeitweise mehr als 100 strittige Punkte gehabt, diese sauber strukturiert abgearbeitet und alle Differenzen am Ende gelöst und die Dokumente unterschrieben.

Bich: Die Vorstände, die Geschaftsführungen der Tochtergesellschaften, die Betriebsräte und das gesamte HR-Team in der DIN Gruppe haben verstanden: Als kontinuierlich wachsendes Unternehmen, in dem altersbedingt in den kommenden Jahren 25 Prozent der Belegschaft ausscheiden, haben wir – wie die deutsche Wirtschaft insgesamt – großen Personalbedarf. Wir haben aber keine entsprechende Employer Brand, die uns die benötigten, gut ausgebildeten Menschen als „Selbstläufer“ zuführt. Mit unserem transparenten Vergütungs- und Benefits-Modell und insbesondere mit dem attraktiven Arbeitszeit- und Mobilarbeitsmodell inklusive der dort verankerten Teilautonomie der Arbeitnehmenden haben wir an dem zunehmend leerlaufenden Arbeitsmarkt eine echte Chance, trotz der hochkompetitiven Marktlage unsere Personalbedarfe gut zu decken.

Das ganze Interview lesen Sie hier: Artikel

 

 

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