Leitsatz
Arbeitgeber und Betriebsrat dürfen bei der Bemessung von Sozialplanabfindungen die Rentennähe eines betroffenen Arbeitnehmers berücksichtigen. Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, können hiernach wegen ihrer Rentennähe mit einer deutlich geringeren Abfindung bedacht werden als jüngere Kolleginnen und Kollegen. Dies verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot der Altersdiskriminierung im Recht der Europäischen Union (BAG, Urteil v. 26.03.2013 - 1 AZR 813/11, Presseveröffentlichung).
Sachverhalt
Das Bundesarbeitsgericht hatte über einen im Jahre 2011 vereinbarten Sozialplan zu befinden, der zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat wegen einer bevorstehenden Betriebsstilllegung abgeschlossen wurde. Dieser sah zunächst für die zu entlassenden Arbeitnehmer die Berechnung einer Abfindung nach einer standardisierten Formel vor, die Bruttoarbeitsentgelt, Betriebszugehörigkeit und Lebensalter des Arbeitnehmers berücksichtigte. Für Arbeitnehmer, die bereits das 58. Lebensjahr vollendet hatten, wurde diese standardisierte Formel dadurch ersetzt, dass nur noch ein Abfindungsbetrag gezahlt wird, der sich auf einen 85%-igen Bruttolohnausgleich unter Anrechnung des Arbeitslosengeldes bis zum frühestmöglichen Eintritt in die gesetzliche Altersrente beschränkte. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt des nach dem Sozialplan bestimmten Stichtages für die Berechnung der Abfindung das 62. Lebensjahr vollendet. Seine Abfindung errechnete sich demnach nicht nach der standardisierten Berechnungsformel, nach der seine Abfindung etwa € 240.000,00 betragen hätte. Stattdessen erhielt er nur einen teilweisen Ausgleich für entgangenes Entgelt bis zum Renteneintrittsalters in Höhe von insgesamt €4.974,62. Er argumentierte, dass die ihm gezahlte Abfindung allein altersbedingt etwa €235.000,00 niedriger ausgefallen ist. Hierin sah er insbesondere eine Altersdiskriminierung, die nach den einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes untersagt sei.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht schloss sich der Rechtsmeinung des Klägers nicht an. Es hielt die unterschiedlichen Berechnungsformeln in dem vorgelegten Sozialplan für rechtens und kritisierte nicht, dass Arbeitnehmer, die das 58. Lebensjahr vollendet hatten, nicht hinsichtlich der Berechnung ihres Sozialplananspruches der standardisierten Berechnungsformel unterlagen. Das Bundesarbeitsgericht betonte, dass an das Lebensalter anknüpfende Berechnungen der Abfindungen in Sozialplänen nach § 10 Satz 3 Nr. 6, 2. Alt. AGG zulässig seien. Wegen der Überbrückungsfunktion einer Sozialplanabfindung sei es nicht zu beanstanden, wenn die Betriebsparteien bei rentennahen Arbeitnehmern nur deren bis zum vorzeitigen Renteneintritt entstehenden wirtschaftlichen Nachteile mit einer darauf bezogenen Berechnungsformel ausglichen. Die Klage des „rentennahen“ Arbeitnehmers scheiterte damit, er musste sich mit der ihm gezahlten Abfindung in Höhe von € 4.974,62 zufrieden geben.
Anmerkung
Das Urteil des Bundesarbeitsgericht ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, geht es doch von dem richtigen Ansatz aus, wonach die Abfindung wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes künftige finanzielle Einbußen lindern soll. Befindet sich ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Verlustes des Arbeitsplatzes in Reichweite zu dem Bezug von Rentenleistungen, so ist seine Situation nicht zu vergleichen mit der eines jüngeren Arbeitnehmers, der noch viele Jahre bis zum Renteneintritt überbrücken und gegebenenfalls auch mit der Abfindung kompensieren muss. Somit ist der Bezug auf § 10 Satz 3 Ziffer 3, 2. Alt. AGG zutreffend, wonach ältere Arbeitnehmer, die - gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld - rentenberechtigt sind, wirtschaftlich keine oder kaum Nachteile hinzunehmen haben, wenn sie im rentennahen Alter ihren Arbeitsplatz verlieren. Gleichwohl hat die vorliegende Entscheidung einen „faden Beigeschmack“, führt man sich vor Augen, dass die Regelabfindung nach der standardisierten Berechnungsformel des Sozialplans bei etwa € 240.000,00 gelegen hätte, der klagende Arbeitnehmer aufgrund der rentennahen Berechnung allerdings nur knapp € 5.000,00 erhalten hat. Da die Fixierung eines Alters – vorliegend 58 Jahre – stets und gleichsam naturgemäß willkürlich ist – vorliegend hätte es auch die Vollendung des 59. oder 60. Lebensjahres sein können –, können die Unterschiede bei der Zahlung einer Abfindung ganz erheblich sein, so dass es geradezu vom Zufall abhängig ist, ob man eine hohe oder – im Verhältnis hierzu – eine verschwindend geringe Abfindung erhält. Das Arbeitsgericht hat sich hiervon aber zurecht nicht beeindrucken lassen, da die Festsetzung eines bestimmten Lebensalters für eine geänderte, rentennahe Berechnung der Abfindung zwingend notwendig ist, um diesem Aspekt überhaupt Rechnung tragen zu können. Für die Praxis bedeutet dies, dass bei der Formulierung von Sozialplänen stets darauf geachtet werden sollte, dass für rentennahe Jahrgänge eine eigene Kalkulation des Abfindungsanspruches vorgesehen sein sollte, die dem Arbeitgeber im Ergebnis – je nach Altersstruktur des Betriebes – erhebliche Kosten sparen kann.