Die Frage nach einer geschlechtsneutralen Vergütung – stets ein aktuelles Thema. Die Anforderungen an eine geschlechtsneutrale Vergütung sind auf nationaler Ebene im Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) geregelt. Seit Erlass der Entgelttransparenzrichtlinie (EntgTranspRL) gibt es neue Vorgaben zu beachten, die der deutsche Gesetzgeber bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen hat. Über die in der EntgTranspRL vorgesehenen Änderungen haben wir bereits in unseren Legal Updates vom 20. Dezember 2023 und 22. August 2024 berichtet. Währenddessen mehren sich die durch die Gerichte zu entscheidenden Fälle in Bezug auf eine geschlechtsneutrale Vergütung. Dabei steht häufig die Frage nach der richtigen Bezugsgröße für die Berechnung einer etwaigen Vergütungsnachzahlung im Mittelpunkt.
In Bezug auf dieses Thema hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg mit seiner aktuellen Entscheidung vom 1. Oktober 2024 Aufsehen erregt (bislang gibt es nur die Pressemitteilung vom 01. Oktober 2024, Az. 2 Sa 14/24). Die Methode, nach der das LAG Baden-Württemberg die Differenzzahlung aufgrund einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung berechnet hat, sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für die Höhe des Vergütungsanspruches werden in diesem Beitrag beleuchtet. Dabei wird insbesondere auf die im Vergleich zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) abweichenden Ansätze eingegangen und bewertet, welche Bedeutung diese für die betriebliche Praxis haben könnten.
Die gesetzlichen Grundlagen nach dem EntgTranspG und der EntgTranspRL
Die Grundlagen der geschlechtsneutralen Vergütung finden sich im deutschen EntgTranspG und der europäischen EntgTranspRL. Nach dem EntgTranspG gelten u.a. die folgenden Grundsätze:
- Verbot von geschlechtsabhängigen Benachteiligungen bei der Vergütung (§ 3 EntgTranspG),
- benachteiligungsfreie Ausgestaltung der Entgeltsysteme (§ 4 EntgTranspG),
- Anspruch auf Auskunft über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung des eigenen Entgeltes sowie des (Median-)Entgeltes einer zuvor benannten Vergleichstätigkeit (auf Anfrage von Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten, §§ 10 ff. EntgTranspG)
Die EntgTranspRL sieht darüber hinausgehende Verpflichtungen vor, indem sie beispielsweise auch Bewerber als neue Personengruppe in den Schutz einbezieht und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein weitergehendes individuelles Auskunftsrecht gewährt (vgl. hierzu im Einzelnen unsere Legal Updates vom 20. Dezember 2023 und 22. August 2024).
Differenzberechnung nach dem BAG
Nach der Rechtsprechung des BAG gilt für die Berechnung einer aufgrund festgestellter Diskriminierung nachzuzahlenden Vergütung, „dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, die den Angehörigen der privilegierten Gruppe zugutekommen“ (BAG, Urteil vom 21. Januar 2021 - 8 AZR-488/19). In seiner Entscheidung vom 16. Februar 2023 (Az. 8 AZR 450/21) sprach das BAG der dortigen Klägerin aufgrund einer unmittelbaren Entgeltbenachteiligung die Differenz zwischen ihrem und dem Gehalt des durch sie benannten vergleichbaren männlichen Kollegen zu. Es gab in diesem Fall lediglich zwei männliche Kollegen, die mit der Klägerin vergleichbar waren. Das BAG erachtete es für die Begründung der Kausalitätsvermutung insoweit als ausreichend, dass die Klägerin nur einen dieser beiden männlichen Kollegen benannt hatte (BAG, Urteil vom 16. Februar 2023 - Az. 8 AZR 450/21).
Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg
Der dem LAG Baden-Württemberg zur Entscheidung vorliegende Sachverhalt handelte von einer Klägerin, die als Führungskraft auf der dritten Ebene tätig war. Während ihrer rund 30-jährigen Betriebszugehörigkeit arbeitete sie etwa die Hälfte der Zeit im Management. Die Klägerin wurde zwischenzeitlich Mutter. Sie arbeitete auch während ihrer Elternzeit in Teilzeit. Auch nach Ablauf der Elternzeit blieb sie zunächst in Teilzeit tätig, während sie später wieder auf ihre Vollzeitstelle zurückkehrte. Die Klägerin erhielt eine im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen geringere Vergütung. Zudem wurde die Klägerin selbst im Vergleich zu ihren weiblichen Kolleginnen geringer vergütet. Als Vergleichsperson für die Berechnung der ihr nach ihrer Auffassung zustehenden Differenzzahlung benannte die Klägerin einen Mann, der Spitzenverdiener in der herangezogenen männlichen Vergleichsgruppe war. Das Arbeitsgericht (ArbG) Baden-Württemberg hatte in erster Instanz festgestellt, dass die Klägerin aufgrund der im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen geringeren Vergütung benachteiligt sei und ihr die Differenz zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe als Ausgleich zugesprochen (ArbG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. November 2023, Az. 22 Ca 7069/21 – nicht veröffentlicht). Die Klägerin gab sich damit jedoch nicht zufrieden und ging vor dem LAG Baden-Württemberg in Berufung.
Diskriminierung mangels objektiver Kriterien für eine unterschiedliche Bezahlung
Das LAG nahm im Grundsatz ebenfalls eine geschlechtsbezogene Benachteiligung aufgrund der geringeren Vergütung an. Die sich aus der geringeren Vergütung ergebende Vermutung der Diskriminierung (§ 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) habe die Arbeitgeberin nach Auffassung des LAG nicht widerlegen können.
Abweichung von der BAG Rechtsprechung: Differenz zwischen weiblichem und männlichem Mittelwert
Allerdings sprach das LAG der Klägerin „nur“ einen Anspruch auf Nachzahlung der Differenz zwischen dem weiblichen und dem männlichen Medianentgelt zu. Das LAG begründete seine Entscheidung damit, dass ein Indiz für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung in einer bestimmten Höhe bestehen müsse. In diesem Fall sei zugrunde zu legen gewesen, dass die Vergütung des von der Klägerin benannten männlichen Kollegen oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe lag. Dieser Kollege könne demnach nicht als Vergleichsperson herangezogen werden. Zudem lag die Vergütung der Klägerin unterhalb des von ihr bezifferten Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe. Aus Sicht des Gerichts bestehe keine hinreichende Kausalitätsvermutung, dass die volle Differenz des individuellen Gehalts der Klägerin zum Gehalt des seitens der Klägerin benannten männlichen Kollegen bzw. dem Median der männlichen Vergleichsgruppe auf einer geschlechtsbedingten Benachteiligung beruhe (vgl. Pressemitteilung vom 01. Oktober 2024, Az. 2 Sa 14/24).
Einordnung der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg
Das LAG wich damit von den Vorgaben des BAG sowie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Bezug auf die Berechnung der Differenzzahlung ab. Wie bereits eingangs dargestellt, gilt laut BAG, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile zustehen, wie sie den Angehörigen der privilegierten Gruppe gewährt werden (BAG, Urteil vom 21. Januar 2021 - 8 AZR 488/19). Die Bildung zweier Vergleichsgruppen ist dabei nicht vorgesehen. Das LAG sprach der Klägerin in der besagten Entscheidung eine Vergütungsnachzahlung zu, die nicht von deren individuellem Gehalt ausging. Stattdessen bildete das LAG unter den weiblichen vergleichbaren Kolleginnen (inklusive der Klägerin) ebenfalls einen Median.
Statt Vergütung der Klägerin Medianentgelt der weiblichen Vergleichsgruppe als Ausgangsbasis
Das Bilden eines Medians in Bezug auf die Vergütung der weiblichen Vergleichsgruppe führte dazu, dass das der Differenzberechnung zugrunde gelegte Ausgangsgehalt höher lag, als dasjenige, das die Klägerin tatsächlich erhielt. Die Differenzberechnung fiel dementsprechend geringer aus. Dabei ist es für die Berechnung des aufgrund einer Benachteiligung entstandenen Vergütungsanspruches nach §§ 3, 7 EntgTranspG irrelevant, ob und dass die Klägerin (auch) unter den weiblichen Kolleginnen schlechter vergütet wurde. Der Vergütungsanspruch resultiert aus einer geschlechterbezogenen Entgeltbenachteiligung, d.h. es kommt auf die Ungleichbehandlung der Klägerin im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit an. Eine etwaige Vergütungsdifferenz zu Kolleginnen des eigenen Geschlechts ist insoweit nicht von Relevanz.
Differenzierung zwischen Auskunftsanspruch und Vergütungsanspruch
Zudem hat sich das LAG auf den Median der männlichen Vergleichsgruppe bezogen und nicht auf das Gehalt eines männlichen Kollegen innerhalb dieser Vergleichsgruppe. Insoweit ist zu beachten, dass der statistische Median zwar Grundlage des im EntgTranspG geregelten Auskunftsanspruches ist, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber geltend machen können (§ 11 Abs. 3 EntgTranspG). Dieser Auskunftsanspruch ist jedoch nicht mit dem Vergütungsanspruch gleichzusetzen. Der Auskunftsanspruch dient der Transparenz: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen durch die Auskunftserteilung die Möglichkeit erhalten, eine vermutete Ungleichbehandlung zu prüfen und ggf. geltend zu machen (vgl. Bundestags-Drucksache 18/11133, Seite 58).
Somit ist fraglich, ob die durch das LAG Baden-Württemberg vorgenommene Berechnung des Vergütungsanspruchs den gesetzlichen, insbesondere den europarechtlichen Vorgaben entspricht. Läge man auf Seiten des Klägers oder der Klägerin stets den Median des eigenen Geschlechts oder beider Geschlechter zugrunde und läge das Gehalt der klagenden Person oberhalb eines dieser Medianwerte, so wäre eine Benachteiligung dieser Person schlichtweg ausgeschlossen. Eine solche Betrachtungsweise – wie sie das LAG Baden-Württemberg vorgenommen hat – verzerrt die Beurteilung einer ungleichen Vergütung. Der Fokus liegt bei dieser Berechnungsmethode nicht mehr auf der (möglicherweise gegebenen) geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung, sondern auf einer generellen Betrachtung des Gehalts in einer geschlechterunspezifischen Gruppe. Dies scheint den europarechtlichen Grundsätzen nicht gerecht zu werden. Zudem erscheint fraglich, dass eine Frau nur eine Zahlung im Umfang der Differenz zu dem Median der männlichen Vergütung erhalten kann. Ist der Vergleich mit einem männlichen Spitzenverdiener stets unmöglich? Oder ergibt sich ein Anspruch auf eine dementsprechende Vergütung nicht gerade aus dem individuellen Vergütungsanspruch nach §§ 3, 7 EntgTranspG, der von dem Auskunftsanspruch betreffend den Median gemäß § 11 Abs. 3 EntgTranspG zu unterscheiden ist?
Ausblick für die betriebliche Praxis
Das LAG Baden-Württemberg hat die Revision zum BAG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache für beide Parteien zugelassen. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin vor dem BAG weiter um die von ihr angestrebte Vergütungsnachzahlung kämpfen wird. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie sich die zu erwartende Fortführung des Rechtsstreits entwickeln wird. Interessant dürfte insbesondere sein, wie sich das BAG zu der Berechnungsmethode des LAG Baden-Württemberg äußern wird.
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg verdeutlicht erneut die enormen Herausforderungen, vor der Unternehmen in Bezug auf eine geschlechtsneutrale Vergütung stehen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen die Entgeltstrukturen transparent und nachvollziehbar gestalten. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Vergütungen, die höher oder niedriger als der Median ausfallen. Das heißt jedoch nicht, dass Vergütungen für gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten nicht unterschiedlich ausfallen dürfen. Grundsätzlich gilt: Eine unterschiedliche Vergütung – auch geschlechterbezogen – ist nicht grundsätzlich verboten. Es bedarf jedoch objektiv überprüfbarer Kriterien, die eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen. Die Auseinandersetzung mit den Vorgaben der EntgeltTranspRL insbesondere im Hinblick auf transparente Vergütungsstrukturen, ist für Arbeitgeber somit unerlässlich, um mögliche Ansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach dem EntgTranspG zu minimieren. Nur bei transparenten Vergütungsverhältnissen bestehen für Arbeitgeber im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung reelle Chancen, die gesetzliche Vermutung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu widerlegen.