Obwohl ein „Fadenriss“ vermieden werden sollte, stagnierte der Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland in den letzten Jahren. Die Ausbaulücke machte sich insbesondere im vergangenen Jahr bemerkbar, in dem erstmals seit mehr als zehn Jahren kein Zubau von Offshore-Windenergie in Deutschland stattfand. Zur Vermeidung weiterer Ausbaulücken forderte die Offshore-Branche zunehmend Maßnahmen, um den Ausbau der Offshore-Windenergie zu beschleunigen.
Insbesondere die Ergebnisse der im vergangenen Jahr durchgeführten ersten Ausschreibungen der BNetzA für das sog. „zentrale Modell“ haben gezeigt, dass das Interesse an Flächen für Offshore-Windenergie bei den Bietern groß ist. Für alle Flächen wurden sogenannte Null-Cent-Gebote abgegeben, sodass die erfolgreichen Bieter keine Förderung für den auf diesen Flächen produzierten Strom erhalten werden. Ferner mussten aufgrund einer Vielzahl von Geboten für zwei Flächen Losentscheidungen zwischen den Bietern getroffen werden.
Eine neue Perspektive für einen schnelleren Offshore-Ausbau bietet der am 7. Dezember 2021 geschlossene Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung: Darin stellt die Ampel-Koalition in Aussicht, den Ausbau von Offshore-Windenergie weiter anzukurbeln und die Ausbauziele zu erhöhen. Als erste Maßnahme wurden dafür zusätzliche Flächen für die Offshore-Windenergie ausgewiesen.
Ferner wurde durch die bereits am 1. Oktober 2021 in Kraft getretene Sonstige-Energiegewinnungsbereiche-Verordnung (SoEnergieV) noch im vergangenem Jahr der Grundstein für die Produktion von grünem Wasserstoff auf hoher See gelegt: Im Jahr 2022 wird erstmals eine Ausschreibung für sonstige Energiegewinnungsbereiche stattfinden. Im Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) ist vorgesehen, dass auf diesen Flächen Offshore-Windenergieanlagen ohne Netzanschluss und Elektrolyseure errichtet und betrieben werden.
Erhöhung der Ausbauziele
Bereits durch das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung sowie die Änderung des WindSeeG zum
10. Dezember 2020 wurden die Ausbauziele für die Offshore-Windenergie von 15 Gigawatt auf insgesamt 20 Gigawatt bis zum Jahr 2030 und 40 Gigawatt bis zum Jahr 2040 erhöht. Nach dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sollen diese Ausbauziele nun nochmals deutlich angehoben werden: Bis zum Jahr 2030 soll die Kapazität für Offshore-Windenergie auf 30 Gigawatt, bis zum Jahr 2035 auf 40 Gigawatt und bis zum Jahr 2045 auf 70 Gigawatt erhöht werden. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen werden im Koalitionsvertrag verschiedene Maßnahmen festgelegt. Beabsichtigt ist die Ausweisung zusätzlicher Flächen in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die Priorisierung der Offshore-Windenergie gegenüber anderen Nutzungsformen, die Stärkung von Offshore-Kooperationen und grenzüberschreitenden Projekten sowie die beschleunigte und gebündelte Anbindung von Offshore-Windenergieanlagen.
Ausweisung zusätzlicher Flächen
Den Abschluss des Koalitionsvertrages hat das Bundesamt für Seeschifffahrt- und Hydrographie (BSH) zum Anlass genommen, am 17. Dezember 2021 das Verfahren zur Fortschreibung des Flächenentwicklungsplans für den weiteren Ausbau der Offshore-Windenergie offiziell zu starten. Dabei berücksichtigt das BSH einerseits die durch die Bundesregierung festgelegten erhöhten Ausbauziele und andererseits den am 1. September 2021 in Kraft getretenen Raumordnungsplan für die deutsche AWZ (Raumordnungsplan 2021). Durch die Neuaufteilung einiger Flächen sowie die Kalkulation einer dort im Verhältnis zur Fläche höheren Turbinenleistung sieht der Vorentwurf des neuen Flächenentwicklungsplans bereits drei Gigawatt mehr Erzeugungskapazität vor.
Gleichzeitig stellt das BSH in dem Vorentwurf fest, dass die im Koalitionsvertrag genannten Ausbauziele für 2030 und 2035 erreicht werden können: Auf den im Vorentwurf zusätzlich festgelegten Flächen könnten voraussichtlich 43 GW Windenergieanlagen auf See errichtet werden und zusätzlich seien gemäß den Festlegungen des Flächenentwicklungsplans 2020 im Jahr 2030 weitere 14,5 GW in Betrieb. Allerdings müssten zur Erreichung des Ausbauziels von 70 GW bis zum Jahr 2045 in erheblichem Umfang weitere Gebiete für den Ausbau der Offshore-Windenergie erschlossen werden.
Konkrete Angaben zu Kalenderjahren für die Ausschreibungen und den Inbetriebnahmen der Windenergieanlagen sowie der Netzanbindungssysteme sind im Vorentwurf bisher nicht enthalten. Begründet wird dies damit, dass mit einer Beschleunigung der derzeit vorgesehenen Inbetriebnahmejahre zu rechnen ist.
Die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit können sich bis zum 18. Januar 2022 zum Entwurf des Flächenentwicklungsplans äußern. Mitte 2022 soll der Entwurf veröffentlicht und Ende 2022 bzw. Anfang 2023 in der finalen Fassung vorgestellt werden.
Priorität gegenüber anderen Nutzungsformen
Darüber hinaus wird im Koalitionsvertrag festgelegt, dass Offshore-Windenergieanlagen gegenüber anderen Nutzungsformen Priorität genießen sollen. Eine Möglichkeit für einen besseren Interessenausgleich sei auch die Ko-Nutzung.
Grundsätzlich wurde der Ansatz der Ko-Nutzung bereits im neuen Raumordnungsplan 2021 aufgegriffen, in dem die verschiedenen Nutzungen der verfügbaren Flächen in der AWZ in Ost- und Nordsee koordiniert werden. Eine strikte Trennung der Nutzungsformen auf verschiedenen Flächen ist nicht mehr festgeschrieben. Stattdessen ist beispielsweise vorgesehen, dass in Bereichen, die für die Offshore-Windenergie ausgewiesen sind, dennoch Fischereiforschung betrieben werden soll. Dabei soll auch ein Forschungsprojekt initiiert werden, in dem geprüft wird, inwiefern eine gemeinsame Nutzung von Flächen durch Offshore-Windenergie und Fischerei möglich ist. Auch soll der Bundeswehr die Befahrung von Windparks erlaubt sein. Eine eindeutige Priorisierung der Offshore-Windenergie oder eine Ko-Nutzung – beispielsweise in Naturschutzgebieten – findet sich im Raumordnungsplan 2021 jedoch bisher nicht.
Offshore-Kooperationen und beschleunigte Anbindung
Außerdem sieht der Koalitionsvertrag vor, dass europäische Offshore-Kooperationen weiter vorangetrieben und grenzüberschreitende Projekte in Nord- und Ostsee gestärkt werden sollen.
Ferner ist im Koalitionsvertrag festgelegt, dass der zusätzlich durch Offshore-Windenergieanlagen erzeugte Strom beschleunigt, eingriffsmindernd und gebündelt an das Übertragungsnetz angebunden werden soll. Die dafür notwendigen Technologieentscheidungen, beispielsweise zur Rolle hybrider Interkonnektoren, vermaschter Offshore-Netze oder von Multiterminalanbindungen, sollen umgehend getroffen werden. Dabei werde auch die landseitige Netzintegration berücksichtigt, um Netzengpässe im Onshore-Netz zu vermeiden.
Die Bundesregierung beabsichtigt folglich, vermehrt auch auf internationale Offshore-Projekte und Interkonnektoren zu setzen. Der erste Interkonnektor zwischen Dänemark und Deutschland, die sogenannte Combined Grid Solution Kriegers Flak, wurde im Dezember 2020 in Betrieb genommen. Sie verbindet den Offshore Windpark Baltic 2 in Deutschland mit dem Offshore Windpark Kriegers Flak in Dänemark und ermöglicht, Strom sowohl nach Deutschland als auch Dänemark zu leiten und zu handeln.
Allerdings handelt es sich dabei bisher um ein Pionierprojekt. Da im Koalitionsvertrag nicht thematisiert wird, wie solche Projekte zukünftig gefördert werden sollen, bleibt abzuwarten, wie die Bundesregierung, solche Projekte zukünftig beschleunigen und vorantreiben wird.
Gewinnung von grünem Wasserstoff auf hoher See
Deutlich konkreter zeichnet sich bereits jetzt ab, dass zukünftig grüner Wasserstoff auf hoher See produziert werden kann. Durch die Änderung des WindSeeG und die neue SoEnergieV wurden für die Gewinnung von grünem Wasserstoff in der AWZ konkrete Regelungen und Rahmenbedingungen geschaffen.
Als grüner Wasserstoff wird Wasserstoff bezeichnet, der durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt ist, wobei ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt. Dieser vielfältig einsetzbare Energieträger wird in der Sektorenkopplung künftig vor allem in den Bereichen relevant, in denen die Elektrifizierung in absehbarer Zeit technisch nicht möglich oder unwirtschaftlich ist. Grüner Wasserstoff kann daher insbesondere zur Dekarbonisierung des Flug-, Fern-, Schwerlast- und des Schiffsverkehrs beitragen. Zudem kann Wasserstoff in Industrieprozessen (z.B. Glas-, Zement- und Stahlindustrie) eingesetzt werden. Dabei ist die Offshore-Windenergie für die Gewinnung von grünem Wasserstoff besonders geeignet: Entweder kann der auf See produzierte Strom landseitig im Wege der Elektrolyse in grünen Wasserstoff umgewandelt werden oder die Gewinnung von grünem Wasserstoff kann unmittelbar auf hoher See erfolgen.
Sonstige Energiegewinnungsbereiche
Für die Wasserstoffproduktion in der AWZ ist im WindSeeG vorgesehen, dass sogenannte sonstige Energiegewinnungsbereiche durch das BSH ausgewiesen werden. In diesen Bereichen dürfen Windenergieanlagen ohne Netzanschluss und Elektrolyseure errichtet und betrieben werden. Der im Dezember 2020 veröffentlichte Flächenentwicklungsplan 2020 sieht bereits jeweils einen sonstigen Energiegewinnungsbereich in Nord- und Ostsee vor, auf denen künftig grüner Wasserstoff erzeugt werden kann. Der größere Teil mit einer Fläche von etwa 27,5 Quadratkilometern liegt in der Nordsee. Für diesen Teil wird im Flächenentwicklungsplan die Errichtung eigener Kabel und Pipelines zur Abführung von Energie oder Energieträgern ausgeschlossen. Für die kleinere Fläche von 7,6 Quadratkilometer in der Ostsee ist nach den Vorgaben des Flächenentwicklungsplans hingegen eine Trasse grundsätzlich möglich, so dass der Bereich beispielsweise landseitig an einen Elektrolyseur angeschlossen oder der erzeugte Wasserstoff durch eine Pipeline abgeführt werden könnte.
Ausschreibung von sonstigen Energiegewinnungsbereichen
Diese sonstigen Energiegewinnungsbereiche wird das BSH zukünftig im Wege einer Ausschreibung nach den Vorgaben einer gesonderten Rechtsverordnung vergeben. Dadurch wird ein sogenanntes Windhund-Rennen verhindert, bei dem die Fläche stets an den Antragssteller vergeben werden müsste, der den ersten Genehmigungsantrag einreicht.
Bereits am 1. Oktober 2021 ist für die Vergabe der Sonstigen Energiegewinnungsbereiche die SoEnergieV in Kraft getreten. Darin werden objektive, nachvollziehbare, diskriminierungsfreie und effiziente Kriterien für die Vergabe festgelegt. Ziel der Verordnung ist es, innovative Konzepte zur Wasserstofferzeugung auf See praktisch zu erproben und ihre Umsetzung sicherzustellen. Die Erprobung dieser neuen Konzepte zur Energiegewinnung soll technologieoffen, räumlich geordnet und flächensparsam erfolgen. Die erste Ausschreibung wird das BSH in diesem Jahr durchführen. Dabei vergibt das BSH für die Gebote Punkte und der Bieter mit den meisten Punkten erhält den Zuschlag. Die Punktevergabe richtet sich nach verschiedenen Bewertungskriterien wie der voraussichtlichen jährlichen Energiemenge des Wasserstoffs, der Energieeffizienz, der Technologiereife, der Skalierbarkeit des Projekts, der Energiebereitstellungskosten und der bereits absehbaren, wesentlichen Auswirkungen des Projekts auf die Meeresumwelt.
Ausblick
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung unterstreicht die zentrale Rolle der Offshore-Windenergie zur Erreichung der Klimaschutzziele. Durch die geplante Fortschreibung des Flächenentwicklungsplans und die Ausweisung zusätzlicher Flächen für die Offshore-Windenergie wird der Ausbau der Offshore-Windenergie ermöglicht. Dennoch müssen weitere Flächen erschlossen werden, um das Ziel von einer installierten Nennleistung von 70 GW im Jahr 2045 zu erreichen. Entscheidend wird daher sein, welche weiteren konkreten Maßnahmen die Bundesregierung im Rahmen der zu erwartenden Novellierung des WindSeeG ergreifen wird, um die Offshore-Windenergie langfristig auszubauen und neue Perspektiven für die Offshore-Windenergie zu schaffen.
Darüber hinaus wurde durch die Festlegung der ersten sonstigen Energiegewinnungsbereiche in der Nord- und Ostsee die Wasserstoffproduktion auf hoher See zwar eingeleitet. In der ersten Ausschreibung in diesem Jahr wird sich allerdings zeigen, ob die festgelegten Vergabekriterien für diese Bereiche in der Praxis umsetzbar sind und dazu führen, dass zeitnah realisierbare Projekte einen Zuschlag erhalten. Da sich die Technologien zur Wasserstofferzeugung auf See noch in einem frühen Stadium befinden, ist derzeit nur schwer zu prognostizieren, ob und in welchem zeitlichen Rahmen eine wirtschaftliche Wasserstoffproduktion auf hoher See ohne eine gesonderte Förderung erfolgen kann.