Keine Wasser- und Abwasserbeiträge für Altanschließer

12.02.2016

I. Zusammenfassung

Die Eigentümer sog. altangeschlossener Grundstücke in Brandenburg können nach zwei Urteilen des OVG Berlin-Brandenburg vom 11. Februar 2016 (OVG 9 B 1/16, OVG 9 B 43/15) möglicherweise mit Rückzahlungen von kommunalen Anschlussbeiträgen rechnen. Das OVG Berlin-Brandenburg hat die in den Klagen umstrittenen Beitragsbescheide für die Schmutzwasserkanalisation aufgehoben. Grundlage ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015. Hierin hatte das Gericht festgestellt, dass eine rückwirkende Änderung des brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes im Jahr 2004 (KAG Bbg), die mit dem Ziel der Beitragserhebung für altangeschlossenen Grundstücke vorgenommen wurde, gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt.

II. Hintergrund

Sog. altangeschlossene Grundstücke sind Grundstücke in den neuen Bundesländern, die bereits vor dem 3. Oktober 1990 in der DDR an kommunale Wasserversorgungsanlagen oder Abwasserbeseitigungsanlagen angeschlossen waren. Grundsätzlich konnten Kommunen in Brandenburg nach der bisherigen Rechtslage auch solche Altanschließer zur Zahlung von Erschließungsbeiträgen für ihre Grundstücke heranziehen, obwohl für den Anschluss dieser Grundstücke nach der Wiedervereinigung keine Erschließungskosten entstanden waren. Rechtsgrundlagen für diese Beitragserhebung waren das KAG Bbg sowie kommunale Satzungen der Wasser- und Abwasserverbände über Erschließungsbeiträge. Nach der Wiedervereinigung kam es allerdings zu erheblichen Verzögerungen bei dem Erlass wirksamer Beitragssatzungen, weshalb Beitragsbescheide an die Grundstückseigentümer teilweise erst 20 Jahre später ergingen. Viele Grundstückseigentümer haben gegen die entsprechenden Bescheide Rechtsmittel eingelegt. Die zeitlich verzögerte Beitragserhebung wurde insbesondere durch eine Gesetzesänderung des KAG Bbg im Jahr 2004 möglich. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der ab dem 1. Februar 2004 gültigen Fassung sollte die Beitragspflicht mit dem erstmaligen Erlass einer wirksamen kommunalen Beitragssatzung entstehen. Die alte Gesetzesfassung hatte demgegenüber noch auf den allein formell ordnungsgemäßen Erlass von Beitragssatzungen abgestellt. Formell ordnungsgemäße Satzungen waren vielfach schon in den 90er Jahren erlassen worden. Daher war auch die an anderer Stelle normierte vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist für Erschließungsbeiträge (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 KAG Bbg) oftmals abgelaufen. Demgegenüber wurden wirksame Beitragssatzungen oftmals erst Ende der 2000er Jahre zu erlassen. Durch die Gesetzesänderung wurde den Kommunen trotz Ablaufs der Festsetzungsverjährungsfrist die Möglichkeit gegeben, Erschließungsbeiträge für Altanschließergrundstücke zu erheben. In zwei Musterverfahren hatte das OVG Berlin-Brandenburg in den Jahren 2013 und 2014 die Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG für verfassungsmäßig erachtet und die Rechtsmittel der Grundstückseigentümer zurückgewiesen (Urt. v. 13. November 2013, OVG 9 B 35/12; Beschl. v. 29. September 2014, OVG 9 N 18/14).  Mit Beschluss vom 12. November 2015 hat das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidungen aufgehoben und die Verfahren zur erneuten Verhandlung an das OVG Berlin-Brandenburg zurück-verwiesen (Beschl. v. 12. November 2015, 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14). Nach Auffassung des BVerfG verstieß die Gesetzesänderung im Jahr 2004 gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Durch die Regelung des brandenburgischen Landesgesetzgebers sei in Sachverhalte, die aufgrund des Ablaufes der Festsetzungsverjährungsfrist bereits Ende 1997 abgeschlossen gewesen seien, nachträglich eingegriffen worden. Dies stelle eine sog. echte Rückwirkung dar, die den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Vertrauens in die Beständigkeit der Rechtsordnung verletze. Gründe für eine ausnahmsweise Zulässigkeit beständen nicht, insbesondere sei das öffentliche Interesse an der Refinanzierung von öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlagen unbeachtlich.

III. Zur Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg

Das OVG Berlin-Brandenburg hat in seinen Urteilen vom 11. Februar 2016 auf diesen Beschluss reagiert und die darin enthaltenen Vorgaben umgesetzt. Das Gericht hat unter Anknüpfung an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die in den beiden Klagen streitgegenständlichen Anschlussbeitragsbescheide aufgehoben. Bezüglich des einen Falles hatte das Gericht aufgrund des Zeitpunktes des Anschlussvorteils (2003) zwar Zweifel daran, ob die Klägerin überhaupt zu der Gruppe von Grundstückseigentümern gehöre, denen unter Zugrundelegung der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts Vertrauensschutz gegenüber der Gesetzesänderung zustehe. Gleichwohl hat sich das Gericht an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gebunden gesehen, welches ausdrücklich die Verfassungswidrigkeit des Anschlussbeitragsbescheides festgestellt hat.

IV. Auswirkungen auf die Praxis

Die beiden Entscheidungen dürften weitreichende Folgen haben. Betroffen sind neben den alten Anschlüssen aus DDR-Zeiten auch diejenigen Fälle, in denen die Wasseranschlüsse in den 1990er Jahren erfolgt sind. Auch in diesen Fällen (Anschluss bzw. Anschlussmöglichkeit vor dem 31. Dezember 1999) dürfen die Grundstückseigentümer nicht rückwirkend in Anspruch genommen werden. Denn auch die Eigentümer dieser Grundstücke konnten aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung zum 1. Januar 2004 nicht mehr zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden, sodass sich die mit Wirkung zum 1. Februar 2004 erfolgte Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG auch für diese als echte Rückwirkung darstellt. Offen bleibt jedoch weiterhin, wie mit den Fällen zu verfahren ist, bei denen ein Anschluss zwischen 2000 und Anfang 2004 erfolgte. Die Entscheidungen beziehen sich grundsätzlich nur auf die verhandelten Klagen. Mittelbar haben sie aber Auswirkungen auf viele andere Altanschlussfälle. Diejenigen, die ebenfalls gegen eine Beitragsfestsetzung geklagt haben und deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind, haben gute Chancen auf eine Befreiung von der Beitragspflicht bzw. auf die Rückerstattung. Für Betroffene, die Widerspruch eingelegt haben, über den noch nicht schieden wurde, gilt dies entsprechend. Schwieriger ist die Situation für Altanschließer mit bestandskräftigen Beitragsbescheiden. Diese bilden die Rechtsgrundlage für die erfolgte Zahlung. Allerdings sollten sich die Eigentümer auch hier erneut an die die Wasser- und Abwasserverbände wenden, denn auch sie haben ggf. Chancen auf eine Rückerstattung. In Hinblick auf die Rücknahme des bestandskräftigen rechtswidrigen Anschlussbeitragsbescheides besteht jedenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde. Einige Wasser- und Abwasserverbände, z.B. Panke/Finow in Bernau (Barnim) haben bereits angekündigt, dass bei entsprechendem Antrag auch diejenigen ihre gezahlten Beiträge zurückerhalten sollen, die keinen Widerspruch eingelegt haben. Es bleibt abzuwarten, wie andere Verbände reagieren. Andere Altanschließern, die erst jetzt Beitragsbescheide erhalten, sollten Widerspruch einzulegen und ihren Fall prüfen lassen. In jedem Fall ist aber eine rechtliche Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls erforderlich: Neben dem Zeitpunkt des Anschlusses ist auch der Zeitpunkt des Erlasses und Inkrafttretens der jeweiligen Beitragssatzung relevant. Inwieweit sich aus den Entscheidungen Konsequenzen für andere Konstellationen – namentlich Fällen aus den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern – ableiten lassen, muss anhand der Vorgaben des Kommunalrechts dieser Länder geprüft werden.

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