Bereits im Jahr 2015 hat das Bundessozialgericht (BSG) seine Rechtsprechung für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung von Gesellschafter-Geschäftsführern neu ausgerichtet und konkrete und daher handhabe Maßstäbe entwickelt. Mit drei Entscheidungen vom 1. Februar 2022 (BSG, Urteile vom 1. Februar 2022 – B 12 KR 37/19 R; B 12 R 19/19 R; B 12 R 20/19 R) hat das BSG diese Rechtsprechung weiter konkretisiert und wichtige Hinweise für die Praxis gegeben.
1. Grundsätzliche sozialversicherungsrechtliche Einordnung von Gesellschafter-Geschäftsführern
Die sozialversicherungsrechtliche Einordnung der Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers als beitragspflichtige abhängige Beschäftigung oder als beitragsfreie selbständige Tätigkeit hängt entscheidend davon ab, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer über die Rechtsmacht verfügt, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen, insbesondere unangenehme Weisungen gegen sich zu verhindern. Ist dies der Fall, dann ist der Gesellschafter-Geschäftsführer sozialversicherungsrechtlich als Selbständiger anzusehen.
Die erforderliche Rechtsmacht ist in der Regel anzunehmen, wenn der Geschäftsführer mindestens 50% der Geschäftsanteile an der GmbH hält. Da sich dies in der Praxis aber nicht immer abbilden lässt, haben Rechtsanwälte und Steuerberater in der Vergangenheit mit wechselhaftem Erfolg versucht, Alternative Konstruktionen zu entwickeln, um auch Geschäftsführern mit einer geringeren Beteiligung eine selbständige Tätigkeit ohne Beitragspflicht zu ermöglichen. Das BSG hat sich bereits zu einer Reihe dieser Konstruktionen und Fragen äußern können. Zu nennen sind etwa die Art des Begründungsakts der Rechtsmacht, Gestaltungsformen über schuldrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Treuhandverhältnisse, die Bedeutung mittelbarer Beteiligungen an Muttergesellschaften, die Bedeutung familiärer Beziehungen oder Fragen des Vertrauensschutzes. Mit den Entscheidungen vom 1. Februar 2022 hatte das BSG Gelegenheit, zu zwei weiteren Fallgestaltungen Stellung zu nehmen: der erforderlichen Ausgestaltung von Sperrminoritäten und der Bedeutung der Beziehung mehrerer (Minderheits-)Gesellschafter-Geschäftsführer untereinander.
2. Erforderlicher Umfang der Sperrminorität bei (Minderheits-)Gesellschafter-Geschäftsführern
Bereits im Jahr 2018 (BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 KR 13/17 R) hatte das BSG entschieden, dass ein Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nur dann selbständig tätig ist, wenn er über eine im Gesellschaftsvertrag verankerte „echte / qualifizierte“ Sperrminorität verfügt, die nicht auf bestimmte Angelegenheiten begrenzt ist, sondern uneingeschränkt die gesamte Unternehmenstätigkeit umfasst. Mit den beiden Entscheidungen vom 1. Februar 2022 - B 12 KR 37/19 R; B 12 R 19/19 hat das BSG deutlich gemacht, dass die Voraussetzung, die Sperrminorität müsse „uneingeschränkt die gesamte“ Unternehmenstätigkeit umfassen, auch in dieser Weise zu verstehen ist.
So ist es für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit nicht ausreichend, wenn die Sperrminorität nur bestimmte Beschlüsse der Gesellschafterversammlung (u.a. die Änderung des Gesellschaftsvertrags und den Abschluss von Anstellungsverträgen mit Geschäftsführern) umfasst und zwar selbst dann nicht, wenn der Geschäftsführer zusätzlich über ein satzungsrechtliches Sonderrecht verfügt, wonach er nicht als Geschäftsführer abgerufen werden kann, solange er eine Minderheitsbeteiligung an der GmbH hält (BSG, Urteil vom 1. Februar 2022 – B 12 KR 37/19).
Eine satzungsrechtlich verankerte Sperrminorität ist selbst dann nicht ausreichend, wenn diese den Geschäftsführer in die Lage versetzt, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu verhindern, die seine Abberufung oder die Bestellung von anderen Geschäftsführern und Prokuristen, Weisungen zu Geschäftsführungsmaßnahmen oder den Erlass, die Änderung und die Aufhebung der Geschäftsordnung der Geschäftsführung betreffen. Das BSG sieht eine derart weitgehende Sperrminorität nicht als ausreichend an, weil sie nicht die gesamte Unternehmenstätigkeit umfasse (BSG, Urteil vom 1. Februar 2022 – B 12 R 19/19 R; anders noch die Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Oktober 2019 – L 8 BA 1226/18).
3. Keine Zusammenrechnung von Anteilen
In einer weiteren Entscheidung hat das BSG (Urteil vom 1. Februar 2022 – B 12 R 20/19 R) klargestellt, dass die erforderliche Rechtsmacht auch bei einer gleichmäßigen Verteilung der Gesellschaftsanteile auf drei Gesellschafter-Geschäftsführer nicht vorliege. Die (Minderheits-)Gesellschafter-Geschäftsführer seien zwar bei der Entscheidungsfindung in der Gesellschafterversammlung voneinander abhängig, weil jeder auch auf die Interessen der anderen Rücksicht nehmen müsse. Eine die sozialversicherungsrechtliche Selbständigkeit begründende Zusammenrechnung der Anteile erfolge aber nicht. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass der BGH diese Frage im Bereich der betrieblichen Altersversorgung anders beantwortet und (Minderheits-)Gesellschafter-Geschäftsführer als Selbständige bzw. als nicht arbeitnehmerähnliche Personen behandelt, wenn diese zusammen mehr als 50% der Anteile halten (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2019 – II ZR 386/17).
4. Praxisrelevanz
Gerade in der letzten Zeit lässt sich vermehrt beobachten, dass Unternehmen von der Deutschen Rentenversicherung dazu aufgefordert werden, rückwirkend für einen Zeitraum von vier Jahren Sozialversicherungsbeiträge samt Säumniszuschläge für die Tätigkeit ihrer vermeintlich selbständigen Geschäftsführer zu zahlen. Die unzutreffende sozialversicherungsrechtliche Einordnung der Geschäftsführer beruht meist auf der vor der Rechtsprechungsänderung des BSG im Jahr 2015 vorherrschenden Rechtsauffassung, dass Minderheitsgesellschafter auch ohne Sperrminorität ausnahmsweise als Selbstständige im Sinne des Sozialversicherungsrecht gelten können, wenn sie sozusagen „Kopf und Seele“ der Gesellschaft sind (wie z.B. bei Familienunternehmen). Vor diesem Hintergrund sollte die sozialversicherungsrechtliche Einordnung von Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern kritisch hinterfragt und gegebenenfalls an die aktuelle Rechtsprechungslage angepasst werden, um eine rückwirkenden Inanspruchnahme durch die Deutsche Rentenversicherung zu vermeiden.