Kabinett einigt sich auf Regierungsentwurf zur 11. GWB-Novelle

Hamburg / Köln, 12.05.2023

Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Referentenentwurf eines „Kartellrechts mit Klauen und Zähnen“ für die 11. GWB-Novelle veröffentlicht (siehe hierzu unser Legal Update vom 30. September 2022). Nach weiteren fast sieben Monaten konnte sich das Kabinett nun auf einen Regierungsentwurf einigen. Nachfolgend soll auf den Prozess zur Entstehung dieses Entwurfs und die grundlegenden Neuerungen eingegangen werden.

Werdegang der 11. GWB-Novelle

Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Verwerfungen insbesondere an den Energiemärkten hat der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck im Juni vergangenen Jahres eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts in Aussicht gestellt. Die Ankündigung der Novellierung des GWB seitens des Ministers wurde mit der Einleitung einer Sektoruntersuchung zu Raffinerien und Kraftstoffgroßhandel verbunden. Aus dem im November veröffentlichten Zwischenbericht des Bundeskartellamts ergibt sich, dass aktuell keine Anzeichen für wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Kraftstoffmarkt erkennbar sind. Eher seien die Strukturen des Marktes mit einer hohen Transparenz und Akteuren, welche auf verschiedenen Marktebenen tätig sind, die Ursachen für die zeitweise hohen Margenerträge. Während das Ende der Sektoruntersuchung abzuwarten bleibt, nimmt die 11. GWB-Novelle Gestalt an.

In Ankündigung der Reform gab das BMWK ursprünglich drei Kernpunkte zu den geplanten inhaltlichen Änderungen des GWB durch die 11. Novelle bekannt:

  1. Missbrauchsunabhängige Entflechtung ermöglichen, um Wettbewerb auf verfestigen Märkten zu schaffen;
  2. Hürden für kartellrechtliche Gewinnabschöpfung senken und so Schlagkraft der Kartelldurchsetzung erhöhen;
  3. Sektoruntersuchungen schlagkräftiger ausgestalten.

Mit Veröffentlichung des Referentenentwurfes am 20. September 2022 legte das BMWK erstmals konkrete Pläne für grundlegende Änderungen im Kartellrecht vor. Ursprünglich wurde davon ausgegangen, die 11. GWB-Novelle würde bereits im Jahr 2022 durchs Kabinett gehen. Nach einer wesentlich länger als anfangs angedachten Abstimmung unter den Ministerien und im Kabinett, wurde der Regierungsentwurf am 5. April 2023 veröffentlicht. Inhaltlich sind die drei Punkte in beiden Entwürfen vertreten, wobei die missbrauchsunabhängige Entflechtung an eine vorherige Sektoruntersuchung gekoppelt wurde. Als weiteren Punkt greift die 11. GWB-Novelle die Umsetzung des Digital Markets Act (DMA) auf.

Neue Eingriffsmöglichkeiten nach Sektoruntersuchungen

Die Befugnis des Bundeskartellamts einzelne Wirtschaftszweige zu untersuchen und gewisse Maßnahmen zu ergreifen ist in § 32e GWB geregelt. Seit dem Referentenentwurf ist klar, dass in einem neuen § 32f GWB Ref-E diese Eingriffsmöglichkeiten nach einer Sektoruntersuchung erheblich erweitert werden sollen.

Im Gegensatz zum Ref-E ist das Verfahren zur Anordnung von Abhilfemaßnahmen nach einer Sektoruntersuchung nun zweistufig (vgl. § 32f Abs. 3 GWB Reg-E). Eine Verfügung soll nach der Feststellung einer Wettbewerbsstörung möglichen Adressaten von Abhilfemaßnahmen zugehen. Dies gibt den Unternehmen die Möglichkeit, die als Ergebnis der Sektoruntersuchung festgestellte Wettbewerbsstörung gerichtlich zu überprüfen. Beim einstufigen Verfahren des Ref-E wäre eine solche Überprüfung nur inzident in Verbindung mit den angeordneten Abhilfemaßnahmen möglich gewesen. Eine aufschiebende Wirkung kommt der Rechtsbeschwerde gegen die Maßnahmen jedoch lediglich im Fall der angeordneten Entflechtung zu (vgl. § 66 GWB Reg-E).

Feststellung einer Störung des Wettbewerbs

Maßnahmen seitens des Bundeskartellamts sollen in Zukunft bereits dann möglich sein, wenn eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ als Ergebnis einer Sektoruntersuchung festgestellt wird. Abstand wurde somit von der ursprünglichen Formulierung einer „erhebliche[n], andauernde[n] oder wiederholte[n] Störung des Wettbewerbs“ des Referentenentwurfs genommen.

Ebenfalls wurden den Kriterien zum Vorliegen einer Störung des Wettbewerbs in § 32f Abs. 5 S. 2 Reg-E vier Regelbeispiele in § 32f Abs. 5 S. 1 Reg-E vorangestellt, um dem unbestimmten Begriff der Wettbewerbsstörung etwas mehr Kontur zu verleihen:

  1. Unilaterale Angebots- oder Nachfragemacht,
  2. Beschränkungen des Marktzutritts, des Marktaustritts oder der Kapazitäten von Unternehmen oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager,
  3. gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten, oder
  4. Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen.

Entgegen der vorherigen Formulierung erlaubt der Regierungsentwurf die Feststellung einer solchen Störung nur, wenn andere kartellrechtliche Befugnisse voraussichtlich nicht ausreichend sind (vgl. § 32f Abs. 3 GWB Reg-E). Auch wenn die neu geschaffenen Maßnahmen mithin grundsätzlich subsidiär gegenüber den bekannten Instrumenten sind, handelt es sich bei der Formulierung im Regierungsentwurf um keine strenge Subsidiarität. Das Bundeskartellamt wird voraussichtlich lediglich im Zeitpunkt der Entscheidung der Auffassung sein, dass herkömmliche Eingriffsbefugnisse nicht ausreichen, um die Störung abzustellen.

Anordnung von Abhilfemaßnahmen

Der Regierungsentwurf zählt anschließend verschiedene verhaltensorientierte oder quasi-strukturelle Maßnahmen auf, welche insbesondere zur Anwendung kommen sollen, um der Störung im Markt Abhilfe zu leisten (vgl. § 32f Abs. 3 GWB Reg-E). Dieser Katalog wurde ebenfalls umfassend überarbeitet. Die Maßnahmen sollen unter anderem folgendes beinhalten:

  • Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen,
  • Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen,
  • Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen.

Der Katalog nennt lediglich Regelbeispiele für mögliche Maßnahmen, weshalb das Handeln des Bundeskartellamts nicht hierauf beschränkt ist.

Als letztmögliche Maßnahme soll das Bundeskartellamt in Zukunft ebenfalls eine missbrauchsunabhängige Entflechtung einzelner Unternehmen anordnen dürfen (vgl. § 32f Abs. 4 GWB Reg-E). Voraussetzung ist zusätzlich eine marktbeherrschende Stellung oder die überragende marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb gemäß § 19a GWB. Ebenfalls neu ist das Verfahren zum Vollzug und Entschädigung der Entflechtung (vgl. § 32f Abs. 4 S. 7 und 8 GWB Reg-E). Das Verfahren soll folgendermaßen ablaufen:

Beauftragung eines Wirtschaftsprüfers zur Bestimmung des Wertes des zur Entflechtung angeordneten Unternehmensteils,

  1. Vollzug der Entflechtung, wenn der Verkauf mindestens 50 % dieses Wertes einbringt,
  2. Zahlung des Staates an den Adressaten in Höhe der Hälfte der Differenz von berechnetem und tatsächlichem Erlös des Verkaufs.

Neben den genannten inhaltlichen Neuerungen werden durch die 11. GWB-Novelle auch grundsätzliche Verfahrensfragen behandelt. Wie bereits im Referentenentwurf vorgesehen, sollen Sektoruntersuchungen zukünftig innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen sein (vgl. § 32e Abs. 3 GWB Reg-E), um zeitnah auf entsprechende Probleme reagieren zu können.

(Wieder-) belebung der Vorteilsabschöpfung

Die Vorteilsabschöpfung als kartellrechtliches Instrument findet sich bereits seit den 1980er Jahren im § 34 GWB. Für einen maximalen Zeitraum von fünf Jahren ist aktuell bereits die Abschöpfung eines wirtschaftlichen Vorteils, der aus einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen das Kartellrecht resultiert möglich. Revolutionär - wenn jedoch keine gänzlich neue Idee - ist die Einführung der widerlegbaren Vermutung, dass ein Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften einen wirtschaftlichen Vorteil für ein Unternehmen erbracht hat (vgl. § 34 Abs. 4 GWB Reg-E). Der Referentenentwurf wollte das Verschuldenserfordernis des § 34 GWB bei einem kartellrechtlichen Verstoß eines Unternehmens gänzlich entfallen lassen. Der Regierungsentwurf verwirft diese Idee und belässt es bei einen „vorsätzlichen oder fahrlässigen“ Verstoß.

Ab Beendigung des Kartellverstoßes soll eine Abschöpfung innerhalb von sieben Jahren möglich sein. Aus Unternehmenssicht ist dies zumindest unter dem Aspekt zu begrüßen, dass noch im Referentenentwurf vorgesehen war, diese Frist auf zehn Jahre zu erhöhen. Ebenfalls war ursprünglich angedacht, die Begrenzung des Abschöpfungszeitraumes auf fünf Jahre zu streichen, womit die Belastung für Unternehmen sich über einen weitaus längeren Zeitraum hätte strecken können. Der Regierungsentwurf behält die Begrenzung nun bei.

Die Höhe dieses Vorteils kann das Bundeskartellamt in Zukunft schätzen und eine entsprechende Abschöpfung vornehmen, wobei mindestens 1 % des Umsatzes mit den betroffenen Produkten im Inland erfasst sein soll. Nicht gelten soll diese Vermutung, wenn aufgrund der „Natur des Verstoßes“ kein Vorteil erlangt wurde. Möglich erscheint dies, wenn offensichtlich lediglich Dritte oder andere Beteiligte vom Verstoß profitiert haben. Begrenzt ist die Abschöpfung indem die Summe nicht höher als 10 % des Vorjahresumsatzes liegen darf (vgl. § 34 Abs. 4 S. 10 GWB Reg-E). Die Vermutung über einen kartellrechtswidrig erlangten Vorteil kann lediglich durch den Nachweis widerlegt werden, dass das Unternehmen im Abschöpfungszeitraum keinen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat (vgl. § 34 Abs. 4 S. 6 GWB Reg-E). Insbesondere bei international agierenden oder diversifizierten Unternehmen dürfte dieser Nachweis regelmäßig nicht möglich sein.

Durchsetzung des DMA

Der DMA ist bereits Ende letzten Jahres final verabschiedet worden und zum 1. November 2022 in Kraft getreten. Bereits vor der Verabschiedung fand die Umsetzung der Verordnung Beachtung im Referentenentwurf, mangels Verabschiedung noch ohne dessen Verordnungsnummer (vgl. u.a. § 89 Abs. 1 S. 1 Ref-E). Nach Ablauf der in § 54 DMA vorgesehenen Übergangszeit von sechs Monaten kommt die Verordnung seit dem 2. Mai 2023 zur Anwendung. Mit den ersten Verpflichtungen müssen die noch zu benennenden Torwächter nicht vor 2024 rechnen. Der deutsche Gesetzgeber will seinen eingeschränkten Spielraum bei der Umsetzung des DMA nun unter anderem im neuen § 32g GWB Reg-E nutzen. Auch wenn für die Durchsetzung des DMA die Europäische Kommission zuständig sein wird, kann das Bundeskartellamt - demnach unterstützend - mögliche Verstöße gegen die Art. 5, 6 und 7 DMA seitens der definierten Torwächter untersuchen. Ferner bleibt als Rechtsgrundlage für ein Einschreiten gegen Verhalten definierter Torwächter weiterhin der § 19a GWB.

Neben der behördlichen Durchsetzung ist für den DMA das private enforcement als zweites Standbein vorgesehen, zu welchem Zweck Art. 39 DMA die Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten und der Kommission regelt. Die in § 87 ff. GWB geregelten Vorschriften zu privaten Rechtsstreitigkeiten sollen nun um entsprechende Ergänzungen zur Erfassung des DMA geändert werden. Wo bisher Verstöße gegen Art. 101 und 102 AEUV aufgelistet sind, kommen zukünftig solche gegen Verordnung (EU) Nr. 2022/1925 hinzu. Je nach Dauer der Umsetzung wäre Deutschland der erste Mitgliedsstaat, in welchem das private enforcement ermöglicht werden würde.

Auswirkungen für die Praxis

Nach Verabschiedung im Kabinett liegt die 11. GWB-Novelle nun beim Bundestag. Der Reg-E der 11. GWB-Novelle stärkt die Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts erheblich. Mit einer „rechtsverstoßunabhängigen“ Interventionsbefugnis erhält das Bundeskartellamt erstmals die Kompetenz, in Marktstrukturen einzugreifen, ohne dass die Adressaten gegen Vorschriften des Kartellrechts verstoßen haben.

Unternehmen, die in konzentrierten Märkten tätig sind, müssen sich deshalb zukünftig mit dem Risiko eines Marktstruktureingriffs durch das Bundeskartellamt auseinandersetzen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit das abstrakte Risiko, Adressat einer verstoßunabhängigen Marktstrukturintervention des Bundeskartellamts zu werden, bereits frühzeitig Verhaltensänderungen der potentiellen Adressaten bewirkt – entweder im Sinne reduzierter Investitionsbereitschaft, was wohl grundsätzlich als negative Konsequenz der neuen Kompetenz zu interpretieren wäre oder im Sinne eines offeneren Marktverhaltens, das beispielsweise neuen Marktteilnehmern mehr Raum gibt, was wohl grundsätzlich als positive Konsequenz der neuen Kompetenz zu interpretieren wäre. Naheliegend ist, dass die Konsequenzen und damit auch die Bewertungen der neuen Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts im Wesentlichen von der angemessenen Nutzung der Kompetenz abhängen werden.

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