Urteil des OLG Frankfurt a. Main vom 12. Juli 2018: Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines pauschalen Plattformvertriebsverbots ohne qualitative Vorgaben für den Plattformvertrieb, aber Freistellung über EU-rechtliche Vertikal-Verordnung
In dem Rechtsstreit zwischen dem Kosmetikkonzern Coty und der Online-Parfümerie parfumdreams, einer Tochter der Parfümerie Akzente GmbH, hat das Oberlandesgericht Frankfurt / Main (Az.: 11 U 96/14 (Kart)) am 12. Juli 2018 darüber geurteilt, ob Markenhersteller autorisierten Händlern den Vertrieb ihrer Parfüms über Drittplattformen wie AMAZON oder eBay verbieten dürfen. Die Klägerin Coty befürchtet Imageverluste für ihre Marken. Es geht um die Vereinbarkeit von Internetplattformvertriebsverboten mit europäischem und deutschem Kartellrecht. Das betrifft die weit verbreitete Praxis von Markenherstellern, im Rahmen eines Selektivvertriebs den Verkauf im Internet durch das Verbot des Vertriebs ihrer Ware auf eBay und AMAZON zu beschränken.
Die Coty Deutschland GmbH ist als Teil des weltweit agierenden Kosmetikkonzerns der Coty-Unternehmens-gruppe für den Vertrieb der zahlreichen Coty-Markenprodukte – insbesondere Markenparfüms – auf dem deutschen Markt verantwortlich. Den Vertrieb eines beachtlichen Teils der weltweiten bekannten Coty-Marken-produkte – u. a. „Davidoff, Jil Sander oder Calvin Klein“ – organisiert die Coty Deutschland GmbH ausschließlich über ein sogenanntes selektives Vertriebssystem, in dem die angeschlossenen Einzel- und Großhändler zur Einhaltung zahlreicher Regelungen und Vorgaben insbesondere hinsichtlich ihrer Vertriebsmodalitäten verpflichtet werden. Zu diesen Regelungen gehört das pauschale Verbot, die betroffenen Markenprodukte im Internet über die Handelsplattformen Dritter anzubieten, soweit die jeweiligen Plattformbetreiber für die Verbraucher nach Außen erkennbar werden. Auf diese Weise werden von dem Verbot alle aktuell auf dem Markt relevanten Internethandelsplattformen – insbesondere eBay und Amazon – erfasst. Nach Angaben der Coty Deutschland GmbH soll dieses Verbot insbesondere den Prestigecharakter der betroffenen Markenprodukte vor dem vermeintlich schädlichen Einfluss der großen Internethandelsplattformen schützen.
Die Parfümerie Akzente GmbH betreibt eine der größten Parfümerieketten mit 28 stationären Ladengeschäften in Deutschland. Parallel vertreibt die Parfümerie Akzente GmbH ihr Warensortiment – darunter auch die Coty-Markenprodukte – im Internet über ihren Onlineshop parfumdreams.de. Ergänzend zum eigenen Webshop findet der Verkauf auch über einen eigenen AMAZON-Webshop statt.
Die Coty Deutschland GmbH hat die Parfümerie Akzente GmbH zunächst vor dem Landgericht Frankfurt a. Main (Az. 2-03 O 128/13) unter anderem auf Unterlassung des Vertriebs der Coty-Markenprodukte über den AMAZON-Shop der Parfümerie Akzente GmbH in Anspruch genommen. Mit Urteil vom 31.07.2014 hat das Landgericht Frankfurt a. Main die Klage der Coty Deutschland GmbH abgewiesen. Die verfahrensgegenständliche Klausel, mit der der Vertrieb der Coty-Markenprodukte über Internethandelsplattformen Dritter untersagt werden sollte, verstoße gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV und sei somit nichtig. Insbesondere dem Versuch einer Rechtfertigung des Vertriebsverbots mit Gründen des Prestigeschutzes hat das Landgericht Frankfurt am Main eine deutliche Absage erteilt. Darüber hinaus handele es sich bei dem Verbot um eine Kernbeschränkung i. S. der Vertikal-GVO 2010, so dass eine Gruppenfreistellung des wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens nicht in Frage komme.
Auf die Berufung der Coty Deutschland GmbH hin hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen des europarechtlichen Bezugs der streitentscheidenden Rechtsfragen nunmehr den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung ersucht. Der EuGH sollte gemäß dem Ersuchen des OLG Frankfurt am Main insbesondere die Frage beantworten, ob pauschale Plattformvertriebsverbote überhaupt – im kartellrechtlichen Sinne – „erforderlich“ sein können oder ob sie stets als wettbewerbsbeschränkend i. S. d. Art. 101 AEUV anzusehen sind. Der EuGH entschied u.a., dass der Luxuscharakter von Markenware einen Selektivvertrieb erforderlich machen und damit rechtfertigen kann.
Dem OLG Frankfurt a. Main fiel es nun zu, auf der Grundlage der EuGH-Vorlageentscheidung im konkreten Fall zu entscheiden. Es hat im Ergebnis zugunsten der Klägerin entschieden, indem es der Berufung von Coty und somit deren Klage stattgab. Dabei ließen die Richter offen, ob ein (pauschales) Plattformvertriebsverbot in einem qualitativen Vertriebssystem möglich ist. Das OLG geht davon aus, dass das Selektivvertriebssystem und damit die streitige Klausel jedenfalls nach der EU-Vertikal-Verordnung selbst im Fall eines Verstoßes gegen § 1 GWB, Art. 101 AEUV freigestellt ist. Die Vertikal-Verordnung ist anwendbar, wenn das einen Selektivvertrieb betreibende Unternehmen einen Marktanteil von nicht mehr als 30% hat, keine diskriminierende Anwendung erfolgt und keine sog. Kernbeschränkung vorliege. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Anwendung der EU-Freistellung geht das OLG aus. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen, möglich ist dagegen aber die Nichtzulassungsbeschwerde.
Kai Renchen, Gründer und Geschäftsführer von parfumdreams (Parfümerie Akzente GmbH):
„Als Pionier im E-Commerce setzen wir uns mit parfumdreams für klare Regeln im Onlinehandel ein. Für unser Geschäft hat das Urteil keine große Auswirkung, da der Vertrieb über Drittplattformen heute einen niedrigen, einstelligen Teil unseres Umsatzes ausmacht. Für kleine und mittelständische Unternehmen spielen Drittplattformen besonders beim Markteintritt eine wichtige Rolle. Das Urteil schafft Barrieren im Onlinehandel, die nicht zukunftsorientiert sind und auch nicht das Verbraucherverhalten widerspiegeln.
Als autorisierter Händler sind wir grundsätzlich Befürworter des selektiven Vertriebs. Es ist auch in unserem Interesse, dass Hersteller das Luxusimage ihrer Produkte schützen. Wir sind aber der Meinung, dass ein Verkauf über Drittplattformen nicht per se dem Luxusimage schadet und dass vielmehr auch dort qualitative Vorgaben an die Stelle eines pauschalen Verbots treten sollten.“
Rechtsanwalt Dr. Oliver Spieker (GÖRG), der das Verfahren federführend mit seinem Team betreut:
„Das Urteil hat gravierende Auswirkungen auf den Handel mit Verbraucherprodukten in einer Vielzahl von Produktsegmenten. Gerade in den Bereichen Parfümerie- und Kosmetikwaren, Verbraucherelektronik, Schmuck oder Bekleidung bedient sich auch heute noch eine beachtliche Zahl von Herstellern vergleichbarer Vertriebsbeschränkungen, die sich mit dem Luxuscharakter der Ware begründen lassen könnte. Mit dem Urteil wird den Herstellern ermöglicht, ihre Ware von Plattformen wie Amazon und eBay fernzuhalten, was für den Onlinehandel und die Verbraucher erhebliche Folgen haben kann.“
GÖRG ist schon seit mehreren Jahren für eine Vielzahl von Mandanten regelmäßig in außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit selektiven Vertriebsvereinbarungen und Vertriebssystemen sowohl auf Händler- als auch auf Herstellerseite tätig. Dr. Oliver Spieker berät darüber hinaus regelmäßig Unternehmen schon bei der rechtlichen Ausgestaltung selektiver Vertriebssysteme.
Berater Parfümerie Akzente GmbH
GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB
Dr. Oliver Spieker, Partner, Berlin
Michael Alber, Assoziierter Partner, Berlin
Berater Coty Deutschland GmbH
Lubberger Lehment Gesellschaft bürgerlichen Rechts
Dr. Andreas Lubberger, Partner
Über parfumdreams
parfumdreams ist eine der größten Online‐Parfümerien in Deutschland. Das Sortiment umfasst mehr als 40.000 Produkte von über 650 Marken. Der Shop wurde 2004 von Kai Renchen gegründet. Die Online‐Tochter der Parfümerie Akzente entwickelte sich zu einem sympathischen Mittelständler, bei dem der Mensch im Mittelpunkt und die Zufriedenheit der Kunden an erster Stelle steht. parfumdreams beliefert derzeit über zwei Millionen Kunden und wächst jedes Jahr zweistellig. Das E-Commerce-Geschäft und der stationäre Handel ergänzen sich dabei perfekt und nutzen die spezifischen Erfahrungen der unterschiedlichen Vertriebswege.