Mehrmiete für Ersatzmietflächen – (auch) ein OLG darf nicht „durchentscheiden“(BGH, Beschl. v. 26.4.2023 – XII ZR 83/22)

Köln, 12.07.2023

MehrmieteDer wirtschaftliche Erfolg eines Mietvertrages kann auch sehr stark von der pünktlichen Übergabe der Mietflächen abhängen. Gerät der Vermieter hiermit in Verzug, droht zum einen ein Rücktritt des Mieters. Zudem kommen Schadensersatzansprüche des Mieters in Betracht, der naturgemäß mit seinem Unternehmen nicht „auf der Straße stehen“ will. Im hier besprochenen Fall droht dem Vermieter insoweit, seinem ursprünglichen Mieter über mehrere Jahre hinweg eine monatliche Differenz zur höheren Miete im Ersatzmietobjekt erstatten zu müssen.

Erstattungsfähigkeit der Mehrmiete

Der Vermieter hatte Flächen in einem erst noch zu sanierenden Gebäude in Willich an ein Unternehmen aus der Modebranche vermietet. Da er jedoch keine Finanzierung für sein Bauvorhaben bekam, konnte er die Sanierung nicht durchführen und das Mietobjekt nicht an die Mieterin übergeben. Diese kündigte den Mietvertrag, nachdem sie bereits Ersatzflächen im Düsseldorfer Hafenviertel angemietet hatte. Die Ersatzflächen waren ca. 18 % größer und die hierfür vereinbarte Miete war insgesamt ca. 32 % höher als in Willich. Von der Miete umfasst war allerdings auch die Mitbenutzung einer größeren Gemeinschaftsfläche.

Der Bundesgerichtshof sieht es hier als notwendig an, dass das zuvor befasste Oberlandesgericht Düsseldorf den Fall noch einmal prüft. Dem Mieter stünde bei einer solchen Pflichtverletzung ein Anspruch auf Ersatz der Differenz zur ggf. höheren Miete zu. Voraussetzung sei, dass er die Vertragsverletzung durch den Vermieter berechtigterweise zum Anlass nehme, den Umständen nach angemessene neue Räume anzumieten.

Das Oberlandesgericht hatte aber schlicht entschieden, dass der Mieterin durch die Anmietung der Ersatzflächen in der auch für Mode bekannten Landeshauptstadt Düsseldorf ein zusätzlicher Vorteil gegenüber den Flächen in Willich zuwachse. Diesen müsse ihr der beklagte Vermieter nicht in Form der Mietdifferenz finanzieren. Mit anderen Worten hielt es die Mietdifferenz nicht für erstattungsfähig, weil es an der Vergleichbarkeit der beiden Mietobjekte fehle.

Dieser – vorschnellen – Beurteilung hat der Bundesgerichtshof einen Riegel vorgeschoben.

Für die Bewertung von Gewerbeimmobilien bedürfe es regelmäßig besonderer Erfahrungen und Kenntnisse über ortsbezogene und wirtschaftliche Begleitumstände sowie die Interessen der am Wirtschaftsleben beteiligten Verkehrskreise, die sich nicht allein aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergäben. Wenn und soweit das Gericht nicht über spezielle eigene Sachkunde zu diesen Aspekten verfüge und dies in der Entscheidung näher darlege, dürfe es die Frage der Gleichwertigkeit von Mietobjekten nicht in eigener Verantwortung entscheiden. Stattdessen müsse das Gericht dementsprechenden Beweisangeboten der Parteien nachgehen.

Bewertung und praktische Hinweise

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, den Fall zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zurückzuverweisen, ist in zweierlei Hinsicht kommentierungswürdig.

Prozessuale Sorgfalt

Zum einen hat der Bundesgerichtshof einer unschönen Praxis eine Absage erteilt, bei der Richter zuweilen – vermutlich zum Zwecke einer schnelleren Erledigung des Falls – mehr oder weniger gutgläubig, aber zu Unrecht eine eigene Sachkunde in derartigen Fragestellungen annehmen. Dass gerade der Vergleich von Mietflächenqualitäten in unterschiedlichen Städten und hierfür zu zahlenden Mieten in der Regel komplexer als die allgemeine Lebenserfahrung ist, leuchtet jedem Immobilienprofi ohne weiteres ein. Soweit ist die Entscheidung vor allem eine Klarstellung und Ermahnung an ggf. etwas zu vorschnell entscheidende Gerichte.

Wichtig ist dabei aber auch zu betonen, dass der Mieter im Prozess ersichtlich gut vertreten war und zu Recht von Anfang an eine Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten über die Frage der Gleichwertigkeit der Mietobjekte angeboten hatte. Denn nur allzu leicht unterstellt man ggf. auf Mieterseite, dass sich die Gleichwertigkeit solcher Mietobjekte schon aus dem Gesamtzusammenhang ergebe, insbesondere dass der Vermieter eine eventuell überschießende Mehrmiete als gleichsam punitives Element der Differenzerstattungspflicht eben hinzunehmen habe. Doch mit einer solchen Haltung beginge man letztlich spiegelbildlich den Fehler des Oberlandesgerichts, die ordnungsgemäße prozessuale Klärung vorschnell mit der eigenen (Rechts-)Einschätzung zu ersetzen. Das leicht für obsolet zu haltende Beweisangebot zu der vielleicht als offensichtlich eingeschätzten Vergleichbarkeit war hier ein durchaus wichtiger prozessualer Schritt, der daher positiv hervorzuheben ist.

Vertragsgestaltung aus Vermietersicht

Am besten wäre es für den Vermieter natürlich, gar nicht erst in einen solchen Prozess hineingezogen zu werden, oder sich zumindest vorher rechtlich bessere Verteidigungsmöglichkeiten geschaffen zu haben. Hier sind diverse vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten zum Ausschluss oder jedenfalls deutlichen Reduzierung eines Haftungsrisikos denkbar, von denen der Vermieter hier aber offenbar keinen Gebrauch gemacht hatte. Dies geht von eigenen Rücktrittsrechten über Verzögerung der Rücktrittsmöglichkeiten des Mieters bis hin zu Beschränkungen der eigentlichen Schadensersatzhaftung.

Solche Gestaltungsmöglichkeiten hängen natürlich immer auch vom individuellen Verhandlungsgeschick und der Verhandlungsmacht einer Partei ab, aber mit sachgerechten (rechtlichen) Argumenten lässt sich in den meisten Fällen zumindest eine deutliche Risikobegrenzung in den Mietvertrag einziehen.

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