Wasserstoff in Planungs- und Genehmigungsverfahren: Regierungsentwurf eines Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes

Köln, 13.06.2024

Bereits im Juli 2023 einigte sich das Bundeskabinett auf die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS). Diese sollte die bereits bestehende NWS aus dem Jahr 2020 an die gesteigerten Ambitionen im Klimaschutz sowie die neuen Herausforderungen am Energiemarkt anpassen. Für die bis 2030 anstehenden Transformationen in der Energiewirtschaft, im Verkehrssektor und in der Industrie soll die Nutzung von Wasserstoff und seinen Derivaten eine wesentliche Rolle bei der Dekarbonisierung spielen. 

Die NWS 2023 zielt darauf ab, verlässliche Rahmenbedingungen für private Investitionen in die nachhaltige, wirtschaftliche, ökologische und soziale Erzeugung, Transport und Nutzung von Wasserstoff, dessen Derivaten und Wasserstoffanwendungstechnologien zu etablieren. Zentraler Bestandteil der NWS 2023 ist dabei auch der Erlass eines Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes, mit dem die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Wasserstoffanwendungstechnologien gestrafft und vereinfacht werden sollen. 

Seit Ende Mai liegt nunmehr der Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Verfügbarkeit von Wasserstoff und zur Änderung weiterer rechtlicher Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf sowie zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften (BR-Drucks. 265/24) vor. Erklärtes Ziel des Entwurfs ist es, einen effektiven, kohärenten und transparenten Regelungsrahmen zu schaffen, der die direkten Förderinstrumente ergänzen sowie zur Beschleunigung des Markthochlaufs beitragen soll. Dieses Ziel soll u.a. dadurch erreicht werden, dass das Interesse an der Realisierung von Wasserstoffvorhaben zum überragenden öffentlichen Interesse erhoben wird.  

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf am 29. Mai 2024 beschlossen und in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren überführt. Obwohl sich dieses noch in einem frühen Stadium befindet, sollen die im Regierungsentwurf (RegE) vorgesehenen Umsetzungsmaßnahmen aufgrund der hohen Bedeutung des Ausbaus der Wasserstoffinfrastruktur für das Gelingen der Energiewende im Rahmen dieses Beitrags schon jetzt näher beleuchtet werden. Nach dem Wunsch der Bundesregierung sollen Teile des geplanten Gesetzes noch im Jahr 2024 in Kraft treten.

Wasserstoff- beschleunigungs­gesetz

Zweck und Anwendungsbereich

Kernstück des Gesetzentwurfs bildet der Entwurf eines Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes (WassBG-RegE). Zweck dieses Gesetzes ist die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen für den vereinfachten und beschleunigten Auf- und Ausbau einer Infrastruktur insbesondere für die Erzeugung, die Speicherung und den Import von Wasserstoff (§ 1 WassBG-RegE).

Der sachliche Anwendungsbereich des WassBG-RegE ist wiederum weit angelegt: So ist das Gesetz u.a. anzuwenden auf die Zulassung von Elektrolyseuren an Land zur Erzeugung von Wasserstoff, Anlagen zur Speicherung von Wasserstoff sowie Anlagen zur Dehydrierung von flüssigen organischen Wasserstoffträgern inklusive ihrer jeweiligen Nebenanlagen (§ 2 Abs. 1 WassBG-RegE). Daneben sind vom Anwendungsbereich auch Direktleitungen von Energieerzeugungsanlagen zu Wasserstoffanlagen umfasst, § 2 Abs. 1 Nr. 10 WassBG-RegE.

Vom WassBG-RegE ausdrücklich nicht erfasst sind Elektrolyseure auf See. Deren Zulassung richtet sich vielmehr nach den Vorgaben des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) und denen des Flächenentwicklungsplans des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).

Überragendes öffentliches Interesse

Hervorzuheben ist § 4 WassBG-RegE. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Regelung liegen Errichtung und Betrieb von Anlagen oder Leitungen im Sinne des § 2 Abs. 1 WassBG-RegE im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit, wobei § 4 Abs. 2 bis 6 WassBG-RegE hiervon partielle Ausnahmen machen.

Dass an der Realisierung von Wasserstoffvorhaben ein überragendes öffentliches Interesse besteht, wird im Entwurf vor allem mit der Vielseitigkeit der Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff begründet. So kann Wasserstoff insbesondere in der Stahlherstellung direkt als Energieträger verwendet werden. Darüber hinaus kann Wasserstoff als Transport- und Speichermedium für Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen eingesetzt werden. Wasserstoff bildet mithin ein „Schlüsselelement“ der Energiewende. 

Rechtstechnisch ist die Regelung des § 4 Abs. 1 WassBG-RegE wie ihre Parallelbestimmungen in § 2 EEG und § 2 NABEG als Abwägungsdirektive zu qualifizieren. Das bedeutet, dass die Zulassungsbehörden dem Interesse an der Realisierung eines Wasserstoffvorhabens im Verhältnis zu anderen betroffenen Interessen und Schutzgütern (z.B. Denkmal-, Landschafts-, Naturschutz) in der Regel Vorrang einräumen müssen. Anders gewendet: Zukünftig soll die Genehmigung für ein Wasserstoffvorhaben unter Verweis auf die Betroffenheit anderer Interessen und Schutzgüter nur noch in Ausnahmefällen versagt werden können (BR-Drs. 265/24, S. 31 f.).

Verhältnis zu wasserwirtschaftlichen Belangen

Eine Ausnahme des § 4 Abs. 2 WassBG-RegE betrifft wasserrechtliche Zulassungsverfahren betreffend die Wasserentnahme für Elektrolyseure an Land zur Erzeugung von Wasserstoff. Auf diese Verfahren ist die Abwägungsdirektive nicht anzuwenden, wenn durch die Wasserentnahme die öffentliche Wasserversorgung oder der Wasserhaushalt erheblich beeinträchtigt werden kann. Ausreichend ist hierfür bereits eine wahrscheinliche Beeinträchtigung.

Diese Regelung soll vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung der Wasserversorgung als Aufgabe der Daseinsvorsorge, § 50 Abs. 1 Satz 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG), mögliche Konflikte bei Wasserknappheit vermeiden. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Wasserversorgung liegt nach dem Gesetzentwurf immer vor, wenn die öffentliche Trinkwasserversorgung betroffen ist. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes setzt die Reduzierung von Wasser in Wassermangelgebieten oder klimaschutzrelevanten Gebieten voraus (BR-Drs. 265/24, S. 32).

Das Schutzgut „Wasser“ soll in Zulassungsverfahren für Elektrolyseure also weiterhin eine umfassende und seiner hohen Bedeutung für die menschliche Gesundheit hinreichend Rechnung tragende Würdigung durch die zuständige Behörde erfahren. 

Gleichzeitig enthält der Gesetzentwurf verschiedene Regelungen, durch die wasserrechtliche Verfahren beschleunigt, vereinfacht und digitalisiert werden sollen (§§ 5 bis 8 WassBG-RegE). So wird etwa der Plan im Rahmen des Öffentlichkeitbeteiligungsverfahren in Planfeststellungsverfahren auf einem Internetportal veröffentlicht (§ 5 Abs. 7 WassBG-RegE). Zudem wird eine Frist zur Entscheidung über wasserrechtliche Erlaubnis- und Bewilligungsanträge von grundsätzlich 12 Monaten mit einer einmaligen Verlängerungsmöglichkeit um sechs Monate festgelegt (§ 6 Abs. 1 WassBG-RegE). Entscheidungen über den Planfeststellungsbeschluss müssen innerhalb einer Frist von 18 Monaten getroffen werden (§ 5 Abs. 10 WassBG-RegE). Darüber hinaus sollen Anträge und Stellungnahmen sowohl im Planfeststellungs-, als auch im Erlaubnisverfahren zukünftig elektronisch übermittelt werden.

Daneben sollen durch §§ 9 - 15 WassBG-RegE Vorschriften des Bundesimmissionsschutzrechts sowie des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) jeweils für Genehmigungsverfahren betreffend Anlagen und Leitungen im Sinne des § 2 Abs. 1 WassBG-RegE modifiziert angewendet werden, sodass hier ebenfalls eine Verfahrensbeschleunigung ermöglicht wird.

Rechtsschutz gegen Zulassungsentscheidungen

Schließlich enthält der WassBG-RegE Regelungen zum Rechtsschutz gegen Zulassungsentscheidungen für Wasserstoffvorhaben.

So sollen Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen Zulassungsentscheidungen für Vorhaben im Sinne des § 2 WassBG-RegE zukünftig keine aufschiebende Wirkung mehr entfalten (§ 17 Abs. 1 WassBG-RegE). 

Darüber hinaus wird geregelt, dass erstinstanzliche Entscheidungen über Streitigkeiten, welche die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Elektrolyseuren im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 WassBG-RegE mit einer Leistung von mindestens 30 MW sowie von Dampf-, Wasser oder Stromleitungen im Anwendungsbereich des Gesetzes betreffen, direkt vom Oberverwaltungsgericht zu treffen sind (§ 18 Abs. 1 WassBG-RegE). Für weitere Streitigkeiten im Anwendungsbereich dieses Gesetzes ist in Ergänzung des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO erst- und letztinstanzlich das Bundesverwaltungsgericht zuständig, § 18 Abs. 2 WassBG-RegE. Im Ergebnis will der Gesetzentwurf somit in allen Streitigkeiten außer solchen über die Errichtung, den Betrieb oder die Änderung von Elektrolyseuren mit einer Leistung von weniger als 30 MW den Instanzenzug verkürzen.

Zukünftig dürfte demnach mit einer spürbaren Verkürzung von Klageverfahren und damit einhergehend auch des Realisierungszeitraums von (größeren) Wasserstoffvorhaben zu rechnen sein. Ausweislich der Entwurfsbegründung soll mit den Regelungen vor allem dem Bedürfnis des Vorhabenträgers nach Planungssicherheit Rechnung getragen werden (BR-Drs. 265/24, S. 53f.).

Vergaberechtliche Aspekte

Ebenfalls im WassBG-RegE enthalten sind einige Modifikationen des Vergabe- und Nachprüfungsverfahren im Zusammenhang mit Wasserstoffvorhaben (§ 16 WassBG-RegE).

Insbesondere soll von dem Gebot der losweisen Vergabe für öffentliche Aufträge bei Wasserstoffvorhaben abgewichen werden. So wird z. B. § 97 Abs. 4 Satz 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) dergestalt modifiziert, dass mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden dürfen, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen (§ 16 Abs. 2 WassBG-RegE). Gemäß § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB selbst kommen hingegen nur wirtschaftliche oder technische Gründe in Betracht. Die Gründe, die eine Gesamtvergabe rechtfertigen können, werden also um die zeitlichen Gründe erweitert.

Ausweislich der Entwurfsbegründung können zeitliche Gründe hierbei insbesondere in der Eilbedürftigkeit einer Vergabe liegen, auch ohne dass eine Dringlichkeit im Sinne des Vergaberechts vorliegt. Hintergrund dessen ist, dass Losbildungen beim öffentlichen Auftraggeber zu einem erhöhten zeitlichen Aufwand führen können, sowohl in der Durchführung des Vergabeverfahrens als auch im Rahmen der Auftragsausführung, da der Koordinierungsaufwand anders als bei Gesamtvergaben in solchen Fällen beim öffentlichen Auftraggeber liegt.

Auch auf dem Gebiet des Vergaberechts dürften Verfahren damit zukünftig schneller zum Abschluss gebracht werden. 

Weitere Gesetzesänderungen    

Neben dem Erlass des Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes enthält der Gesetzentwurf zahlreiche kleinere Änderungen an weiteren Gesetzen, u.a. des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und des Raumordnungsgesetzes (ROG). Im Wesentlichen beziehen sich diese Änderungen auf verfahrensrechtliche Fragen der Zulassung von Wasserstoffvorhaben, welche zu einer Beschleunigung der jeweiligen Verwaltungsverfahren führen sollen. Die VwGO wird hinsichtlich der erweiterten Zuständigkeiten von Oberverwaltungsgerichten und Bundesverwaltungsgericht angepasst. 

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