[Köln, ] Bekanntermaßen wird es gerade in Metropolregionen und attraktiven Ober- und Mittelzentren immer schwieriger, Immobilieneigentum zu angemessenen Preisen zu erwerben. Wahrscheinlich ist es u. a. auch auf diesen Umstand zurückzuführen, dass die Gerichte augenscheinlich immer öfter über Vorkaufsrechtsausübungen in ausgefallenen Konstellationen entscheiden müssen.
Diesmal geht es um das Vorkaufsrecht des Mieters, das sich nicht nur auf zu bildendes Wohnungseigentum (z. B. eine klassische Eigentumswohnung), sondern vielmehr auch auf ganze Grundstücke beziehen kann. Nach der hier diskutierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs soll dem Mieter sogar dann ein vorrangiges Zugriffsrecht auf ein solches Grundstück zustehen, wenn es noch nicht katastermäßig gebildet und teilweise gar nicht einmal an den Mieter vermietet ist.
Was war passiert?
Schon seit 1989 mietete die Klägerin ein Einfamilienhaus (nebst umgebenden Außenflächen) in einer Siedlung ehemaliger, auf einem einheitlichen Siedlungsgrundstück gelegener Zolldienstwohnungen an. Ende des Jahres 2012 veräußerte die Eigentümerin das Siedlungsgrundstück an fünf Ehepaare und eine Einzelperson, wobei vorgesehen war, dass am Ende jede Käufergruppe Eigentum an einer real geteilten Teilfläche des Siedlungsgrundstücks, d. h. einem neuen Einzelgrundstück, erhalten sollte.
Die klagende Mieterin übte im weiteren Verlauf das ihr gemäß § 577 BGB zustehende Vorkaufsrecht aus, da die von ihr angemieteten Flächen weitgehend mit einer an ein Ehepaar verkauften Teilfläche identisch waren.
Die Mieterin bekommt Recht
Zu Recht! Der Bundesgerichtshof befindet, dass die Mieterin vom Verkäufer Übertragung des Eigentums an dem – noch gar nicht gebildeten – Einzelgrundstück gegen Zahlung des hierauf entfallenden Kaufpreises verlangen kann (BGH, Urteil v. 27.04.2016, VIII ZR 61/15). Das eigentlich im notariellen Kaufvertrag als Käufer vorgesehene Ehepaar hat das Nachsehen.
Hintergrund für diesen einigermaßen ungewöhnlichen Ausgang eines Grundstücksverkaufs ist u. a. die Vorschrift des § 577 Abs. 1 S. 1 BGB: „Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll, an einen Dritten verkauft, so ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt.“
Vorkaufsrecht nicht nur hinsichtlich Wohnungseigentum, sondern auch hinsichtlich Realeigentum
Der exakte Wortlaut der das Vorkaufsrecht des Mieters begründenden Vorschrift (§ 577 BGB) spricht nur von „Wohnräume(n)“ und „Wohnungseigentum“. Gemeint ist damit der eher klassische Fall, dass reguläre Mietswohnungen in einem Mehrparteienwohnhaus – zumeist zu Renditezwecken – in Eigentumswohnungen umgewandelt und als solche gewinnbringend verkauft werden.
Der Bundesgerichtshof stellt jedoch in seinem Urteil noch einmal klar, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht entscheidend ist. Vielmehr soll sich das Vorkaufsrecht des Mieters aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 577 BGB auch auf ein zu Wohnzwecken vermietetes Grundstück beziehen. Wird dieses in einzelne Parzellen aufgeteilt und verkauft bzw. werden gleichsam virtuell die erst noch im weiteren Verlauf durch Realteilung zu erstellenden Parzellen verkauft, kann dem Mieter ein Vorkaufsrecht zustehen, wenn sein Mietgegenstand mit einer oder mehrerer dieser Parzellen mehr oder weniger identisch ist.
Vorkaufsrecht und die Frage der Aufteilung
Liegt zunächst wie hier noch ein Gesamtgrundstück vor, woraus erst in der weiteren Abwicklung eines Verkaufs Einzelgrundstücke gebildet werden, muss für das Bestehen eines Vorkaufsrechts des Mieters hinzukommen, dass der Verkäufer beim Verkauf noch eine Verpflichtung übernommen hat, diese Aufteilung herbeizuführen.
Nur dann halten es die Gerichte auf Grundlage des § 577 BGB für gerechtfertigt, dass der Mieter sich in einen solchen Verkauf durch seinen bisherigen Vermieter einschalten und die eigentlich vorgesehenen Käufer vom Erwerb ausschließen kann.
Vorliegend hatte die beklagte Eigentümerin bestritten, dass der Kaufvertrag eine entsprechende Verpflichtung für sie enthielt, das Gesamtgrundstück aufzuteilen und am Ende eigentlich die Teilgrundstücke zu verkaufen. In der Tat ging aus den Formulierungen des Kaufvertrages eine solche Verpflichtung nicht eindeutig hervor.
In umfangreichen Ausführungen legt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung jedoch dar, dass es hierauf nicht ankommt. Aufgrund einer Auslegung der verschiedenen vertraglichen Bestimmungen und der Interessenslage der Parteien komme jedenfalls hinreichend klar zum Ausdruck, dass die Verkäuferin sich zur Aufteilung und dem Verkauf der Einzelgrundstücke verpflichtet habe.
Das Vorkaufsrecht greift ggf. sogar weiter als der Kaufvertrag
Im Grundsatz kommt durch die Ausübung eines Vorkaufsrechts ein neuer Kaufvertrag zwischen Verkäufer und dem Vorkaufsberechtigten zu den Konditionen des ursprünglichen Kaufvertrages zustande (Grundsatz der Vertragsidentität). D. h. auch für die Frage, welches Immobilieneigentum gekauft und übertragen wird, ist zunächst die Definition des ursprünglichen Kaufvertrages maßgeblich.
Diese Regel erfährt jedoch durch gesetzliche Bestimmungen Einschränkungen. U. a. kann der Vorkaufsberechtigte, wenn eine Gesamtheit an Kaufgegenständen verkauft wird, das Vorkaufsrecht auf den davon betroffenen Gegenstand beschränken und muss nur den hierauf entfallenden Kaufpreisanteil bezahlen (vgl. § 467 BGB). D. h. der Berechtigte muss nicht immer zwingend den gesamten Kaufgegenstand erwerben, sondern kann erwirken, dass er nur den von seinem Vorkaufsrecht betroffenen Teil erwirbt.
Vorliegend lag der Fall aber zusätzlich so, dass nach Durchführung der geplanten Aufteilung ein Flurstück gebildet würde, dessen (Mit-)Nutzung für die Klägerin zwar erforderlich sein würde, das aber nicht Teil des ursprünglichen Mietgegenstands und damit auch zunächst nicht vom Vorkaufsrecht betroffen war. Diesbezüglich dreht der Bundesgerichtshof eine eigentlich zugunsten des Verkäufers bestehende Regelung in entsprechender Anwendung zugunsten des Vorkaufsberechtigten einfach um: Nach § 467 S. 2 BGB kann eigentlich zunächst lediglich der Verpflichtete verlangen, dass der Vorkäufer durch den Vorkaufsfall nicht nur eine besonders gute Teilfläche eines Grundstück erwirbt und dem Verkäufer mehr oder weniger unverkäufliche Restflächen übrig lässt. Vielmehr kann der Verkäufer in einem solchen Fall vom Vorkaufsberechtigten verlangen, dass dieser dann ggf. auch die unverkäuflichen Restflächen miterwerben muss, auch wenn sie eigentlich nicht vom Vorkaufsrecht betroffen sind.
Dieses Recht des Verkäufers dreht der Bundesgerichtshof nun um und wendet es entsprechend als ein Recht des Vorkaufsberechtigten an. D. h. im konkreten Fall konnte die Mieterin von der Verkäuferin verlangen, dass sie auch den entsprechenden Miteigentumsanteil an dem für sie erforderlichen neuen Flurstück erwirbt, obwohl ihr Mietvertrag und damit ihr Vorkaufsrecht sich hierauf gar nicht bezogen.
Das Vorkaufsrecht war für die Mieterin also nur das Einfallstor in den fremden Kaufvertrag; am Ende hatte sie durchaus gewisse Freiheiten zu entscheiden, wie der letztlich von ihr erworbene Kaufgegenstand aussehen sollte. Sie konnte daher sogar mehr Grundbesitz zu Eigentum erwerben, als sie ursprünglich im Mietvertrag angemietet hatte.
Auswirkungen für die Praxis
Das Vorkaufsrecht ist – gerade in heutigen Zeiten eines angespannten Immobilienmarktes – oftmals ein scharfes Schwert. Dennoch scheint es vielfach noch nicht ausreichend im Bewusstsein der Handelnden angekommen zu sein. Gerade das Vorkaufsrecht des Mieters wird nur allzu oft übersehen und ist mitunter auch deswegen Gegenstand vieler Gerichtsverfahren.
Neben der Kenntnis, dass ein Vorkaufsrecht bestehen kann, zeigt gerade die hier diskutierte Entscheidung des Bundesgerichthofs, dass ein Vorkaufsrecht viel weiter reichen kann, als man meinen würde. Es geht nämlich ggf. sogar über seinen eigentlichen räumlichen Anwendungsbereich hinaus. Aus Verkäufersicht kann einem so u. U. auch ein sorgfältig geplanter Verkauf von Grundbesitz durch einen unerwarteten Vorkaufsfall in äußerst unwillkommener Weise modifiziert werden. Wichtig ist in dem Fall u. a., dass man sich auch gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Käufer, der nun trotz eigentlich wirksamen Vertrag leer ausgehen würde, entsprechend vertraglich abgesichert hat.
Für den vorliegenden Fall ist schließlich noch anzumerken, dass die vermutliche Unkenntnis der Parteien vom Vorkaufsrecht des Mieters sich auch in der Vertragsgestaltung widergespiegelt hat. Mit verhältnismäßig oberflächlichen und augenscheinlich nur teilweise durchdachten Regelungen hat man sich wahrscheinlich ungewollt in eine vertragliche Grauzone begeben. Die hat der Bundesgerichtshof allerdings ohne zu zögern in eine den Vorkauf zulassende, kaufvertraglich verbindlich zugesagte Aufteilungssituation uminterpretiert. Dies dürfte die Beteiligten recht unerwartet getroffen und negativ überrascht haben.