Obwohl oder gerade weil die Legislaturperiode langsam dem Ende entgegengeht, werden die Gesetzesvorhaben aus dem Bundesgesundheitsministerium nicht weniger. Nachdem die Reaktion auf die Corona-Pandemie die Bundesregierung und den Bundestag intensiv beschäftigt hat, stehen andere Reformvorhaben für das Gesundheitswesen noch aus. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über einige der geplanten rechtlichen Änderungen gegeben werden.
I. Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken
Ein Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) ist schon länger in Planung. Zentraler Bestandteil des VOASG ist eine Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hatte am 19. Oktober 2016 unter Aktenzeichen C-148/15 entschieden, dass die in Deutschland geltende Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten den im Unionsrecht vorgesehenen freien Warenverkehr in unzulässiger Weise beschränkt. Das deutsche Arzneimittelpreisrecht ist in der Folge nicht auf Versandapotheken im europäischen Ausland anwendbar, die beim Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach Deutschland Boni und Rabatte gewähren können. Weil ein totales gesetzliches Verbot des Versandhandels in Deutschland als sogenanntes „Rx-Versandverbot“ politisch scheiterte, musste eine alternative Reaktion auf die Benachteiligung der deutschen „Vor-Ort-Apotheken“ im Preiswettbewerb entwickelt werden. Ein Lösungsvorschlag lag bereits seit April 2019 mit dem Referentenentwurf des VOASG als Gesetzentwurf vor. Während das VOASG durch Abstimmungsgespräche mit der EU-Kommission lange aufgeschoben war, wurden eigentlich im VOASG vorgesehene Regelungen, wie etwa das Makelverbot für (elektronische) Verschreibungen, bereits in anderen Gesetzgebungsverfahren umgesetzt. Nachdem das VOASG im Herbst wieder Fahrt aufgenommen hat, hat nunmehr der Bundestag das Gesetz am 29.10.2020 in dritter Lesung verabschiedet.
In der vom Bundestag verabschiedeten Fassung wird zunächst der vom EuGH entkräftete § 78 Abs. 1 S. 4 AMG aufgehoben. Darin ist bisher geregelt, dass die Arzneimittelpreisverordnung auch für Arzneimittel gilt, die von einer Apotheke aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union an einen deutschen Endverbraucher im Versandhandel abgegeben werden. Dafür bestimmt ein neu gefasster § 129 Abs. 3 SGB V, dass Apotheken Arzneimittel nur an gesetzlich Krankenversicherte abgeben und mit den Krankenkassen unmittelbar abrechnen dürfen, wenn der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband e. V für sie Rechtswirkung hat. Weiterhin sind Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an gesetzlich Versicherte künftig gem. § 129 Abs. 3 SGB V zur Einhaltung der in der nach § 78 AMG erlassenen Arzneimittelpreisverordnung festgesetzten Preisspannen und Preise verpflichtet und dürfen gesetzlich Versicherten keine Zuwendungen gewähren. Künftig sind damit auch Versandapotheken aus dem europäischen Ausland über das Sozialrecht wieder an das Rabattverbot gebunden. Das gilt aber nur für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht für die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Privatversicherte. Mit diesem Kompromiss hofft der Gesetzgeber, eine europarechtskonforme Lösung gefunden zu haben. Die Transformation der Preisbindung in das Sozialrecht ist aber nicht unumstritten geblieben. Es ist daher zu erwarten, dass die Neuregelungen von dem EuGH überprüft werden wird.
Europäische Versandapotheken werden nach den mit dem VOASG verbundenen Änderungen des Apothekengesetzes und der Apothekenbetriebsordnung künftig auch verpflichtet sein, die Anforderungen an den Versand gemäß der Apothekenbetriebsordnung einzuhalten. Künftig soll auch für die Auslandsversender § 17 Abs. 2a Nr. 1 Apothekenbetriebsordnung gelten, nach dem die für Arzneimittel geltenden Temperaturanforderungen während des Transports bis zur Abgabe an den Empfänger eingehalten werden müssen und die Einhaltung bei besonders temperaturempfindlichen Arzneimitteln, soweit erforderlich, durch mitgeführte Temperaturkontrollen valide nachgewiesen werden muss.
II. Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege
Ein Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege (GPVG) liegt als Entwurf der Bundesregierung als BT-Drucksache 19/23483 vor. Das GPVG wurde am 29.10.2020 erstmalig im Bundestag beraten. Ein Kernpunkt des Vorhabens ist die Stärkung der Pflege im deutschen Gesundheitswesen. Dazu sollen in der vollstationären Altenpflege 20.000 Stellen finanziert werden. Ebenfalls sollen mit einem Förderprogramm neue Stellen für Hebammen in Krankenhäusern geschaffen werden. Für von der COVID-19-Pandemie betroffene Vertragszahnärzte wird eine Sonderregelung in einem neuen § 85a SGB V übernommen, um finanzielle Auswirkungen der Pandemie zu überbrücken. Weitere Regelungen sollen der finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung dienen. So soll der Bund nach einem neuen § 221a SGB V im Jahr 2021 einen ergänzenden Zuschuss von 5 Milliarden Euro an den Gesundheitsfond zahlen. Aus dem Fond erhalten die gesetzlichen Krankenversicherungen finanzielle Mittel zur Versorgung der Versicherten. Dadurch soll die Stabilität der Versicherungsbeiträge gewährleistet werden können.
Bessere Zusammenarbeit bei besonderen Versorgungen gemäß § 140a SGB V
Ebenfalls interessant ist eine umfassende Änderung des § 140a SGB V, der die selektivvertragliche Ausgestaltung von sogenannten besonderen Versorgungen in der gesetzlichen Krankenversicherung regelt. Die Neuregelung öffnet die besondere Versorgung nun auch weiter für nichtärztliche Leistungserbringer, denen so ermöglicht wird, besondere Versorgungsaufträge in Abweichung von den für sie geltenden Bestimmungen in der Regelversorgung mit den Krankenkassen zu vereinbaren. Bisher sind sektorenspezifische besondere Versorgungsaufträge in § 140a Abs. 1 S. 2 SGB V nur unter Beteiligung vertragsärztlicher Leistungserbringer oder deren Gemeinschaften vorgesehen. Die Verträge sollen in Zukunft von den gesetzlichen Krankenkassen auch mit anderen Sozialleistungsträgern und privaten Kranken- und Pflegeversicherungen abgeschlossen werden können. Dadurch werden besondere Versorgungsmodelle ermöglicht, die sowohl privat als auch gesetzlich Versicherten zugänglich sind. Auch Anbieter digitaler Dienste und Anwendungen nach § 68a Abs. 3 SGB V sollen künftig am Vertrag beteiligt sein können. Nach § 68a Abs. 3 SGB V können die Krankenkassen „digitale Innovationen“ in Zusammenarbeit mit Dritten entwickeln oder entwickeln lassen. Damit sind künftig auch Verträge gerade im Bereich der Telemedizin denkbar. Die Verträge sollen aber auch Regelungen enthalten können, die eine besondere Versorgung regional beschränken. Damit soll es auch den überregionalen Krankenkassen ermöglicht werden, innovative und lokal besondere Versorgungskonzepte zu fördern.
Die Partner eines Vertrags über eine besondere Versorgung sollen sich demnächst auch darauf einigen können, dass Beratungs-, Koordinierungs- und Managementleistungen der Leistungserbringer und der Krankenkassen zur Versorgung der Versicherten im Rahmen der besonderen Versorgung durch die Vertragspartner oder Dritte erbracht werden. Solche Koordinationsstellen sind gerade bei sektorenübergreifenden besonderen Versorgungen denkbar. Mit einem Verweis auf § 11 Abs. 4 Satz 5 SGB V wird geregelt, dass beauftragte Dritte die Beratungs-, Koordinierungs- und Managementleistungen und die dazu erforderliche Übermittlung von Daten nur mit Einwilligung und nach vorheriger Information der Versicherten durchführen dürfen. Künftig gibt es auch keine gesetzliche Vorschrift mehr, nach der die Wirtschaftlichkeit der besonderen Versorgung nach vier Jahre nachweisbar sein muss. Die Bundesregierung sieht eine solche Voraussetzung ausweislich der Gesetzesbegründung als überflüssig an und vertraut auf die unternehmerische Verantwortung und Sparsamkeit der Krankenversicherungen.
III. Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung
In einem frühen Stadium befindet sich das Verfahren zu einem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG), von dem bisher nur ein Referentenentwurf veröffentlicht wurde. Dieser befindet sich zurzeit in Ressort-Abstimmung. In dem GVWG sind verschiedene Reformvorhaben in einem Gesetzentwurf gebündelt.
Stärkung der Netzwerke in der Palliativversorgung
Unter anderem will das Bundesgesundheitsministerium die Hospiz- und Palliativversorgung durch die Koordination in Netzwerken verbessern. Bei der Betreuung von unheilbar erkrankten Menschen in Hospizen oder in der ambulanten Palliativversorgung sind schon jetzt eine Vielzahl von Akteuren tätig. Nach der Gesetzesbegründung sind neben den Krankenkassen, ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringern oftmals auch ehrenamtlich Tätige, Selbsthilfegruppen, Kirchen und Religionsgemeinschaften und Unternehmen in der Palliativversorgung involviert. Um die bestehenden Strukturen zu stärken, sollen sie zu koordinierten, regionalen Versorgungs-Netzwerken ausgebaut werden. Nach einem neuen § 39d Abs. 2 SGB V ist ein solches Netzwerk dadurch gekennzeichnet, dass es sich aus verschiedenen Angeboten der Hospiz- und Palliativversorgung zusammensetzt, für alle in der bestimmten Region in diesem Bereich tätigen Leistungserbringer und versorgenden Einrichtungen sowie für die ehrenamtlichen und kommunalen Strukturen offensteht und übergreifende Koordinierungstätigkeiten ausführt. Künftig bestimmt § 39d Abs. 2 SGB V die Aufgaben eines Netzwerkkoordinators, der unter anderem die Unterstützung der Kooperation und die Abstimmung und Koordination der Maßnahmen der Mitglieder eines solchen regionalen Netzwerks übernehmen soll. Auch die Öffentlichkeitsarbeit, interdisziplinäre Fort- und Weiterbildungsangebote, Netzwerktreffen, die Abstimmung mit thematisch verwandten Akteuren und einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch soll der Netzwerkkoordinator organisieren können. Nach der Gesetzesbegründung können die Aufgaben des Netzwerkkoordinators von den Kommunen, selbstständigen oder unmittelbar am Leistungsgeschehen Beteiligten (z.B. SAPV-Teams, auf Palliativversorgung spezialisierte Ärztinnen und Ärzte, Hospizdienste) wahrgenommen werden. Um die Entstehung von Versorgungsnetzwerken zu unterstützen, sollen nach § 39d Abs. 1 SGB V die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich in jedem Kreis oder jeder kreisfreien Stadt einen Netzwerkkoordinator finanziell fördern. Voraussetzung dafür ist, dass der jeweilige kommunale Träger der Daseinsvorsorge an der Förderung der Netzwerkkoordination jeweils in gleicher Höhe beteiligt ist. Die Fördersumme für die entsprechende Teilfinanzierung der Netzwerkkoordination beträgt maximal 15.000 Euro je Kalenderjahr und Netzwerk. Bedarfsgerecht können in Ballungsräumen mehrere Netzwerkkoordinatoren für verschiedene Teilräume gefördert werden. Weitere Grundsätze der Förderung soll der Spitzenverband Bund der Krankenkassen nach § 39d Abs. 3 SGB V erstmals bis zum 31.03.2022 regeln.
Versorgung mit bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung
Auch bei der Versorgung der gesetzlich Versicherten mit bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung sind Rechtsänderungen vorgesehen. Dazu soll § 31 Abs. 5 SGB V neu gefasst werden. Nach der Gesetzesbegründung habe sich die bisher vorgesehene Übergangsregelung in der Versorgungspraxis bewährt und wird deshalb in den Regelleistungsbereich überführt. Die Versicherten haben in Zukunft einen rechtssicheren Anspruch auf die Versorgung nach den Maßgaben der Arzneimittel-Richtlinie in der Form des Beschlusses vom 25. August 2005 (BAnz. S. 13 241). Der bisher bestehende Regelungsauftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) soll angepasst werden. Der GBA soll künftig die Entwicklung der Versorgung mit parenteraler Ernährung evaluieren und dem Bundesgesundheitsministeriums alle zwei Jahre berichten. Stellt der GBA einen Anpassungsbedarf zur Sicherstellung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung fest, soll er spätestens ein Jahr nach Übersendung des Berichts die erforderlichen Anpassungen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V regeln. Bei der Evaluation und Regelung soll der GBA nach einem neuen § 31 Abs. 5 S. 4 SGB V auch Angaben von Herstellern zur medizinischen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit für deren Produkte sowie Angaben zur Versorgung mit Produkten zu bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften, des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft berücksichtigen. Werden Anpassungen in den Richtlinien vorgenommen, sollen nach der Gesetzesbegründung im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens nach § 92 Abs. 3a SGB V auch die betroffenen Hersteller und Einführer von Produkten sowie die relevanten Verbände beteiligt werden.
IV. Fazit
Das Bundesgesundheitsministerium um Minister Jens Spahn verfolgt weiterhin mit Nachdruck die Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitswesens. Die gesetzliche Krankenversicherung soll dafür finanziell abgesichert und die Pflege personell verstärkt werden. Daneben sollen auch innovative neue Konzepte in der gesetzlichen Krankenversicherung ermöglich werden. Mit einer besseren Vernetzung in der Hospiz- und Palliativversorgung und im Rahmen von besonderen Versorgungen sollen auch regionale Projekte ermöglich werden. Ob mit dem Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken der Apothekenmarkt befriedet werden kann und die wohnortnahe Apothekenversorgung gesichert wird, bleibt abzuwarten.
Zu allen Rechtsfragen bezüglich der Gesetzesvorhaben im Gesundheitswesen beraten wir Sie gerne.