I. App vom Arzt
„App vom Arzt“ ist der Titel eines Buches, das der inzwischen zum Bundesgesundheitsminister berufene Jens Spahn im Jahr 2016 als Mitautor veröffentlicht hat. Damals lautete eine der Forderungen, das Smartphone zum festen Bestandteil des Gesundheitswesens weiterzuentwickeln und es zum zentralen Baustein der digitalen Gesundheitsversorgung zu machen. Das Smartphone könne als technischer Begleiter notwendige Informationen vernetzt bereitstellen, wann und wo sie für den Anwender im Alltag benötigt würden. Die Digitalisierung könne so auch die Informationsdefizite überwinden, die durch den Sektorenübergang im Gesundheitswesen entstünden. Mit dem Smartphone als täglichem Gesundheitsbegleiter erhielten die Patienten in der Zukunft ihre medizinische Versorgung, ohne dafür zwingend in einer Praxis oder in einem Krankenhaus vorstellig werden zu müssen. Mit entsprechenden Apps könne das Smartphone der „Leibarzt in der Hosentasche“ sein.
Vier Jahre später und nach einigen neuen Gesetzen aus dem Ministerium Spahn ist die „Medizin nach dem Smartphone-Prinzip“ keine reine Zukunftsprojektion mehr, sondern wird Stück für Stück Realität. Neben der Öffnung der Anwendungen aus dem Bereich der Telematikinfrastruktur wie E-Rezept und elektronischer Patientenakte für mobile Endgeräte der Versicherten werden dabei auch digitale Medizinprodukte in der Form der Mobile App immer wichtiger. Diese können von den Patienten ohne große technische Einstiegshürde auf den eigenen Smartphones genutzt werden.
II. App auf Rezept
Die Bundesregierung hat mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz die Rechtsgrundlagen dafür geschaffen, dass so genannte digitale Gesundheitsanwendungen Bestandteil der regulären Gesundheitsversorgung in Deutschland werden. Digitale Gesundheitsanwendungen sind nach § 33a Abs. 1 und 2 SGB V Medizinprodukte niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht und die dazu bestimmt sind, bei den Versicherten oder in der Versorgung durch Leistungserbringer die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen. Digitale Gesundheitsanwendungen können dabei nicht nur mobile Apps als native Anwendung für ein Smartphone sein. Möglich sind z.B. auch Webanwendungen zum Abruf im Browser oder eine Cross-Plattform-Entwicklung, die neben dem portablen Zugriff über eine App von den Patienten oder den versorgenden Leistungserbringern auch am Computer genutzt werden können.
Nach § 33a Abs. 1 SGB V haben die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung bei Bedarf einen Anspruch gegen Ihre Krankenkasse auf Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen als Sachleistung. Den Versicherten wird dann nach § 33a Abs. 3 SGB V im Wege der elektronischen Übertragung die Anwendung vom Hersteller zur Verfügung gestellt. Sie können z.B. eine App mit ihrem Smartphone aus einem App Store herunterladen und installieren. Die Krankenkassen tragen gegenüber dem Hersteller die Kosten für die Anwendung, sodass die Gesundheitsanwendung für die Patienten grundsätzlich kostenfrei ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Anwendung dem Versicherten von einem behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten als „App auf Rezept“ verschrieben wurde oder mit Genehmigung der Krankenkasse angewendet wird.
Damit eine Medical App als digitale Gesundheitsanwendung für die gesetzlich Krankenversicherten zugänglich wird, muss die App gemäß § 33a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 139e SGB V aufgenommen werden.
III. DiGA-Verzeichnis
Das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen, auch DiGA-Verzeichnis genannt, wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt. Im Gegensatz zu dem Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V, das bei dem GKV-Spitzenverband als Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen geführt wird, ist damit eine Bundesoberbehörde direkt zuständig. Die Aufnahme einer Gesundheitsanwendung in das DiGA-Verzeichnis erfolgt gem. § 139e Abs. 2 SGB V nach einem elektronischen Antrag des Herstellers auf eine Entscheidung des BfArM. Die Entscheidung umfasst auch die Bestimmung der ärztlichen Leistungen, die zur Versorgung mit der jeweiligen digitalen Gesundheitsanwendung erforderlich sind.
Das Antragsverfahren ist im sog. „Fast-Track“ konzipiert. Binnen drei Monaten nach vollständigem Eingang der Antragsunterlagen trifft das BfArM eine Entscheidung. Der Hersteller muss mit den Antragsunterlagen nachweisen, dass die digitale Gesundheitsanwendung den Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität des Medizinproduktes und den Anforderungen des Datenschutzes entspricht. Auch die Datensicherheit nach dem Stand der Technik muss gewährleistet sein. Selbstverständlich müssen auch alle allgemeinen Anforderungen des Medizinprodukterechts erfüllt werden, wie etwa die richtige CE-Kennzeichnung der Produkte.
Eine weitere Voraussetzung für eine dauerhafte Aufnahme in das Register ist nach § 139e Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB V, dass die Gesundheitsanwendung positive Versorgungseffekte aufweist und der Hersteller dies nachweisen kann. Ein solcher positiver Versorgungseffekt kann ein medizinischer Nutzen oder eine patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung in der Versorgung sein. Kann ein positiver Versorgungseffekt zunächst noch nicht nachgewiesen werden, kann die digitale Gesundheitsanwendung für bis zu zwölf Monate in das Verzeichnis zur Erprobung aufgenommen werden. Details zu dem Antragsverfahren regelt die Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) des Bundesministeriums für Gesundheit.
Die Vergütung der Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen wird nach § 134 Abs. 1 SGB V einheitlich für alle Krankenkassen von dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den Herstellern vereinbart. Die vereinbarten Beträge gelten nach dem ersten Jahr nach Aufnahme der jeweiligen digitalen Gesundheitsanwendung in das DiGA-Verzeichnis. Bis dahin werden nach § 134 Abs. 5 SGB V die tatsächlichen Abgabepreise der Hersteller bezahlt.
Das DiGA-Verzeichnis ist erstmalig im Oktober 2020 mit der Aufnahme von ersten Gesundheitsanwendungen gestartet. Zum jetzigen Zeitpunkt Anfang November sind bereits fünf Anwendungen in das Verzeichnis aufgenommen worden, teilweise zur vorläufigen Erprobung, teilweise dauerhaft. Vier dieser Anwendungen sind als App für das Android und iOS Betriebssystem auf entsprechenden Smartphones nutzbar. Bereits jetzt ist erkennbar, dass digitale Gesundheitsanwendungen in Zukunft ein breit aufgestelltes Nutzungsspektrum haben werden. Zurzeit stehen Anwendungen zur Verwendung bei Adipositas, Angststörungen, Gelenkschmerzen, Schlafstörungen und Tinnitus zur Verfügung.
IV. Fazit
Noch ist die Entwicklung der „Medizin nach dem Smartphone-Prinzip“ nicht abgeschlossen. Aus einem Arbeitspapier des Bundesgesundheitsministeriums geht nach Medienberichten hervor, dass das Ministerium ein weiteres Digitalisierungsgesetz vorbereitet. Damit seien auch ergänzende Vorschriften zu der Verordnung, Finanzierung und dem Einsatz digitaler Gesundheitsanwendungen geplant. Weiterhin sollen auch digitale Pflegeanwendungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung eingeführt werden.
Die App vom Arzt ist aber keine Zukunftsvision mehr, sondern steht jetzt für die gesetzlich Versicherten bereit. Neben Struktur- und Verfahrensverbesserungen etwa in der Telemedizin können Apps und andere Gesundheitsanwendungen auch einen medizinisch therapeutischen Mehrwert bieten. Entwickler von Medical Apps müssen neben den regulatorischen Anforderungen des Medizinprodukterechts und des Datenschutz auch die Vorgaben des Sozialrechts umsetzen, wenn sie digitale Gesundheitsanwendungen zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungen anbieten wollen.
Gerne beraten wir Sie hierzu und zu allen weiteren Fragestellungen rund um die Digitalisierung des Gesundheitswesens.