Im ersten Quartal 2023 wurden Erneuerbare-Energien-Anlagen („EE-Anlagen“) im Rahmen von Redispatch-Maßnahmen in Höhe von insgesamt 3.575.895 MWh abgeregelt. Das macht einen Anteil von 5,29 % an der Gesamtstromerzeugung durch EE-Anlagen aus. Offshore-Windparks sind besonders häufig von Redispatch-Maßnahmen betroffen. Insgesamt 24,13 % der erzeugten Strommengen mussten durch die Übertragungsnetzbetreiber („ÜNB“) aufgrund von Engpässen im Onshore-Netz im ersten Quartal 2023 abgeregelt werden (BT-Drs. 20/8445, 1).
Der Deutsche Bundestag hat am 10. November 2023 das Gesetz zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften beschlossen (BT-Drs. 20/7310; 20/8165).
Damit wird u.a. ein neuer § 13k EnWG („Nutzen statt Abregeln“) eingeführt, der ein wettbewerbliches Instrument zur Nutzung von ansonsten abzuregelndem erneuerbaren Strom durch zuschaltbare Lasten vorsieht.
Problemstellung und Regelungsziel
Ist die Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems in einer Regelzone gefährdet oder gestört, ist der regelzonenverantwortliche ÜNB verpflichtet, die Gefährdung oder Störung durch sog. Netzengpassmanagementmaßnahmen zu beseitigen. Eine Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems liegt insbesondere dann vor, wenn kurzfristige Netzengpässe, also Überlastungen des Netzes, drohen. In einer solchen Situation kann der ÜNB zu verschiedenen Maßnahmen greifen; hierzu zählen unter anderem die Abregelung der Einspeisung von Strom aus EE-Anlagen im Rahmen von Redispatch-Maßnahmen.
Derartige Maßnahmen führen dazu, dass einspeisebereite Anlagen nicht oder nicht in vollem Umfang Strom ins Netz einspeisen können. Die Anlagenbetreiber als Adressaten der Redispatch-Maßnahmen sind hierfür wiederum zu entschädigen. Für das Jahr 2022 lagen die vorläufigen Gesamtkosten für Netzengpassmanagementmaßnahmen bei 4,2 Mrd. Euro und somit weit über dem Vorjahresniveau (Gesamtjahr 2021: 2,3 Mrd. Euro).
Angesichts dieser stetig steigenden Kosten für Redispatch-Maßnahmen als Folge der an die Anlagenbetreiber zu leistenden Entschädigungszahlungen wird mit § 13k EnWG nun der Versuch unternommen, Strommengen, die bislang aufgrund von Redispatch-Maßnahmen abgeregelt wurden („Abregelungsstrommengen“), in Zukunft einer alternativen Nutzung in sog. Entlastungsanlagen zuzuführen. In Situationen mit ansonsten hoher Abregelung sollen zuschaltbare Lasten eingesetzt werden, um durch zusätzlichen Verbrauch die Abregelung von EE-Anlagen zu verringern und Redispatch-Maßnahmen zu vermeiden. Hiermit werden vor allem zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollen die Letztverbraucher, die die Kosten der Netzengpassmanagementmaßnahmen über die Netzentgelte zu tragen haben, finanziell entlastet werden. Zum anderen soll zukünftig nach Möglichkeit jede Einheit grünen Stroms systemisch sinnvoll verbraucht werden, um CO2-Emissionen zu senken und Investitionen in Zukunftstechnologien anzureizen (BT-Drs. 20/9187, S. 146). Diese Ziele sollen im Einzelnen wie folgt erreicht werden:
Regelungskonzept des § 13k EnWG
Nutzung von Strommengen in zusätzlich zuschaltbaren Lasten
Den Ausgangspunkt bildet § 13k Abs. 1 EnWG, gemäß dem die regelzonenverantwortlichen ÜNB berechtigten Teilnehmern ab dem 1. Oktober 2024 die Nutzung von Strommengen in zusätzlich zuschaltbaren Lasten ermöglichen müssen.
Dies soll gemäß § 13k Abs. 2 EnWG frühestens zwei Tage und spätestens zwei Stunden vor Handelsschluss am vortägigen Spotmarkt geschehen. Vorgesehen ist eine Zuteilung der Abregelungsstrommengen im Wege einer wettbewerblichen Ausschreibung, im Rahmen derer die Teilnehmer ihre wahre Verbrauchsabsicht preisgeben müssen. Hierdurch sollen strategisches Gebotsverhalten und daraus resultierende Risiken für die sichere Netzbetriebsführung vermieden werden.
Berechtigte Teilnehmer
Zur Teilnahme berechtigt sind ausschließlich Betreiber von registrierten zusätzlich zuschaltbaren Lasten in Entlastungsregionen (Entlastungsanlagen) oder Aggregatoren solcher Anlagen (§ 13k Abs. 3 EnWG). Gemäß § 13k Abs. 6 Nr. 1 EnWG sind diese Entlastungsregionen von den ÜNB zu definieren und es ist zu begründen, inwieweit die gewählte Gebietsdefinition Redispatch-Maßnahmen bei EE-Anlagen effektiv verringern kann.
Als zusätzliche zuschaltbare Lasten gelten nicht sämtliche Stromverbrauchsanlagen. Der Teilnehmerkreis ist vielmehr beschränkt, wobei hiermit das Ziel verfolgt wird, netzengpassverstärkendes Verhalten und Mitnahmeeffekte (sog. Increase-Decrease-Gaming) zu unterbinden. Stünde die Teilnahme allen Betreibern von Stromverbrauchsanlagen offen, würde für diese der Anreiz bestehen, in Erwartung günstigerer Bedingungen durch die Ersteigerung der Abregelungsstrommenge ihre ohnehin geplanten Stromverbräuche nicht am regulären Strommarkt, sondern günstiger über das Instrument zu beschaffen.
Elektrolyseure zur Wasserstofferzeugung
Bis zum 1. Juli 2024 sollen durch die Bundesnetzagentur („BNetzA“) nähere Kriterien zur Zusätzlichkeit des Stromverbrauchs festgelegt werden, die eine zuschaltbare Last für die Registrierung zu erfüllen hat (§ 13k Abs. 3 EnWG). Diese Kriterien sind wiederum so auszugestalten, dass das Ziel der Vorschrift – die Reduzierung abzuregelnder Strommengen – erreicht werden kann. Daher dürfen ausschließlich diejenigen Stromverbräuche Berücksichtigung finden, die in ihrer Fahrweise flexibel sind und zur Transformation zu einem treibhausgasneutralen, zuverlässigen, sicheren und bezahlbaren Energieversorgungssystem beitragen. Als Entlastungsanlagen dürften daher insbesondere durch Strom aus EE-Anlagen angetriebene Power-to-Heat oder Power-to-Gas-Anlagen in Betracht kommen, in denen durch Elektrolyse grüner Wasserstoff hergestellt wird.
Sonderkonstellation für Windenergieanlagen an Land und Bestandssolaranlagen
Ferner sieht § 13k Abs. 3 EnWG eine spezielle Vorgehensweise für Entlastungsanlagen vor, die mit Windenergieanlagen an Land (WEA an Land) oder PV-Bestandssolaranlagen hinter einem Netzverknüpfungspunkt über eine Direktleitung verbunden sind. Bei diesen Vor-Ort-Modellen mit Eigenverbrauchsentlastungsanlagen darf in Höhe des Verbrauchs von Abregelungsstrom auf die Abregelung der Erzeugungsanlage durch den ÜNB oder auf die Aufforderung verzichtet werden. Das bedeutet, dass der Betreiber der WEA an Land oder der PV-Bestandssolaranlage den Strom bilanziell einspeisen und vermarkten und dadurch auch Zahlungsansprüche nach dem EEG in Anspruch nehmen kann. In diesen Konstellationen bleibt die Wirkung am Netzverknüpfungspunkt gerade identisch zu dem Fall, dass die jeweilige Anlage abgeregelt wurde. Es entsteht hinter dem Netzverknüpfungspunkt also kein Netzengpass und der Verbrauch von Abregelungsstrom ist nicht notwendig.
Die Regelung gilt nur für bestehende und neue WEA an Land sowie für Solarbestandsanlagen. Eine Begrenzung ist bei Photovoltaik auf Bestandsanlagen notwendig, da laut der Gesetzesbegründung das Risiko bestünde, dass die Kombination aus Solaranlagen und Lasten regional so ausgewählt wird, dass Engpässe verstärkt und die Höhe der Abregelungsmenge beeinflusst wird. Dieses Risiko bestünde aufgrund der Flächenknappheit für WEA an Land nur in geringerem Maße.
Missbräuchliches Verhalten
Schließlich soll auch missbräuchliches Verhalten der Teilnehmer verhindert werden. Aus diesem Grund wird eine effektive Pönale eingeführt, die ein berechtigter Teilnehmer an den ÜNB zu leisten hat, wenn er Abregelungsstrommengen bezieht, diese jedoch nicht selbst verbraucht (§ 13k Abs. 5 EnWG).
Weitere Umsetzungsschritte
Um Planungssicherheit für die Betreiber der Entlastungsanlagen zu schaffen, haben die ÜNB bis zum 1. April 2024 ein Konzept zur detaillierten Umsetzung des wettbewerblichen Instruments bei der Regulierungsbehörde vorzulegen (§ 13k Abs. 6 EnWG). Zudem werden die maßgeblichen Ausgestaltungsmerkmale für das von den ÜNB vorzulegende Konzept genannt. Hierzu zählen die von den ÜNB festzulegenden Entlastungsregionen, Angaben zur Beschaffung des notwendigen bilanziellen Ausgleichs für die zugeteilten Abregelungsstrommengen sowie die Prognose- und Berechnungsmethoden der ÜNB, Ausschreibungsbedingungen und Details zu den Modalitäten der Ausschreibung. Ferner werden die Anforderungen an das Verfahren zur Registrierung der Entlastungsanlagen der berechtigten Teilnehmer bei dem entsprechenden ÜNB mit Regelzonenverantwortung konkretisiert. Dazu ist ein Präqualifizierungsprozess der Lasten bei den ÜNB notwendig, damit sichergestellt ist, dass die erforderlichen Bedingungen erfüllt sind. Ferner können die ÜNB eine Mindestleistung für teilnehmende Anlagen festlegen (De-minimis-Schwelle), die jedoch eine installierte Leistung bzw. Pool-Gesamtleistung von 500 kWel nicht überschreiten darf. Darüber hinaus sollen die ÜNB eine bestimmte Auslöseschwelle definieren, die das Ausschreibungs- bzw. das pauschalierte Zuteilungsverfahren aktivieren. Dafür muss in der relevanten Stunde ein bestimmter Prozentsatz der Stromerzeugung erneuerbarer Energien in der jeweiligen Entlastungsregion erreicht werden, der laut Prognose abgeregelt werden müsste. Die Definition des Schwellenwertes soll dazu beitragen, dass die Maßnahmen nur in Stunden mit signifikanten Abregelungsstrommengen durchgeführt werden.
Nach § 13 Abs. 7 EnWG überprüft die BNetzA als Regulierungsbehörde das nach Abs. 6 vorgelegte Konzept dahingehend, ob es in seiner konkreten Ausgestaltung dazu geeignet ist, die Abregelung von Strom aus EE-Anlagen effektiv zu reduzieren und die Netz- und Systemsicherheit nicht zu beeinträchtigen.
Übertragung der Regelungen auf Verteilnetzbetreiber
Darüber hinaus ist vorgesehen, dass auch Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen mit einer Nennspannung von 110 Kilovolt (Hochspannungsnetz) unter bestimmten weiteren Voraussetzungen berechtigten Teilnehmern ab dem 1. April 2025 eine Nutzung von Strommengen in zusätzlich zuschaltbaren Lasten ermöglichen können (§ 13k Abs. 8 EnWG). Allerdings soll das Instrument nur bei größeren Verteilernetzen mit entsprechend zu erwartender größerer Abregelungsmenge (mindestens 100.000 Megawattstunden in den letzten zwei Jahren) Anwendung finden. Ferner muss stets eine Abstimmung mit dem jeweiligen ÜNB mit Regelzonenverantwortung, an dessen Netz das Elektrizitätsverteilernetz angeschlossen ist, erfolgen, um etwaige Wechselwirkungen zwischen den Netzbetriebsführungen und Erzeugungs- und Abregelungsprognosen beider Netzbetreiber zu berücksichtigen und ggf. erforderliche Kommunikations- und Durchführungsprozesse einzurichten. Anders als die ÜNB sind die Verteilnetzbetreiber zur Nutzung des Instruments jedoch nicht verpflichtet.