Einleitung
Es gibt zwei Arten, wie ein Grundstück insbesondere im Hinblick auf eine in der Nachbarschaft beabsichtigte Bebauung belastet werden kann. Privatrechtliche Instrumente wie Grunddienstbarkeiten regeln hier das privatrechtliche Verhältnis direkt zwischen Grundstückseigentümern. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht sichert eine sogenannte Baulast hingegen zugunsten der Verwaltung, dass der Eigentümer bestimmte Dinge zu dulden, zu tun oder zu unterlassen hat.
Obwohl die beiden Belastungsarten unterschiedliche Voraussetzungen und Zielrichtungen haben, kann sich insbesondere aus einer bestehenden Grunddienstbarkeit ein Anspruch eines Grundstückseigentümers gegen den anderen auf Abgabe einer inhaltsgleichen Baulasterklärung gegenüber der Behörde ergeben. Die Voraussetzungen hierfür hat der Bundesgerichthof in einer kürzlich veröffentlichen Entscheidung noch einmal gelockert.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshof
In dem hier besprochenen Fall ging es um ein Hinterliegergrundstück, welches seit etwa der ersten Hälfte des vorherigen Jahrhunderts teilweise bebaut, aber auch in Teilen unbebaut geblieben war. Als die Eigentümerin den unbebauten Teil nun auch mit einem Wohnhaus bebauen wollte, machte die Bauaufsicht die Erteilung der Baugenehmigung von einer Baulast auf dem Grundstück des Nachbarn abhängig, wonach dieser die Zufahrt zum öffentlichen Straßenraum über sein Grundstück dulde.
Eine solche Baulast muss der Nachbar in der Regel aber nicht erteilen. Deswegen berief sich die bauwillige Eigentümerin darauf, dass ihr aus der zwischen beiden Grundstücken bestehenden Grunddienstbarkeit über ein Wegerecht der entsprechende Anspruch gegen ihren Nachbarn zustünde.
Die Folgerung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung des Nachbarn gegenüber der Behörde aus der privatrechtlich bestehenden Belastung seines Grundstücks mit einem Wegerecht ist nicht neu, aber wegen des erheblichen 2 Eingriffs in die Rechte des Nachbarn an enge Voraussetzungen geknüpft. Eine davon war bisher, dass die bestehende, privatrechtliche Dienstbarkeit gerade mit dem „Zweck“ eingetragen worden sein musste, die Bebaubarkeit des anderen Grundstücks zu ermöglichen.
Dieses Kriterium hat der Bundesgerichtshof nun in seinem Urteil vom 30.06.2023 (Az. V ZR 165/22) offiziell fallengelassen. Wenn und soweit die anderen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere die Grunddienstbarkeit die Nutzungen abdeckt, die auch Gegenstand der Baulast sein sollen, bestehe der Anspruch auch ohne Betrachtung des mit der Eintragung der Grunddienstbarkeit ehemals verfolgten Zwecks.
Das Gericht stellt klar, dass Grundbucheintragungen grundsätzlich objektiv auszulegen seien. Vor allem aktuelle Eigentümer müssten sich auf den objektiv erkennbaren Inhalt verlassen können, insbesondere wenn die Eintragung selbst schon länger zurückliege und von Voreigentümern vorgenommen wurde. Die Konsequenz, dass die faktische Belastung durch die nunmehr anstehende Bebauung vergrößert werde (mehr Fußgänger und KFZ-Verkehr), sei hinzunehmen, weil es gleichsam nur eine quantitative Ausweitung dessen sei, zu dessen Duldung man sich bereits mit der Grunddienstbarkeit verpflichtet habe.
Bewertung und Ausblick
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs erscheint dogmatisch richtig und plausibel. In der Tat würde es die Anforderungen an vor allem objektiv dokumentierte Verpflichtungen überspannen, wenn man als (neuer) Eigentümer zusätzlich subjektive, meist eben nicht in den schriftlichen Vereinbarungen niedergelegte Zwecke nachweisen müsste. Andererseits muss man durchaus in Frage stellen, ob insbesondere der Eigentümer, der sich vielleicht erstmals nach vielen Jahren einem solchem Anspruch ausgesetzt sieht, wirklich hiermit gerechnet haben muss. Gerade in dem hier besprochenen Fall, bei dem die Bebauungssituation seit mehr als achtzig Jahren im Wesentlichen unverändert war, wird der nunmehr verpflichtete Eigentümer ggf. sehr erheblich – negativ – überrascht gewesen sein.
Denn anders als vielleicht das Eingehen einer kaufvertraglichen Verpflichtung, einen Kaufpreis zu bezahlen und die Sachrisiken einer Immobilie zu übernehmen, dürften bestehende Dienstbarkeiten gerade von Privatkäufern kaum als relevant betrachtet werden. Selbst wenn sie vor dem Ankauf geprüft werden, bedarf es schon einer erfahrenen Rechtsberatung, um zu schlussfolgern, dass ein bestehendes Geh- und Fahrrecht dazu führen kann, dass ein länger unbebautes Grundstück in der Nachbarschaft plötzlich bebaut und mit dementsprechenden Auswirkungen genutzt wird.
Folgerung für die aktuelle Beratungspraxis ist daher, dass man sich insbesondere bei Vereinbarung einer neuen oder Anpassungen einer bestehenden Grunddienstbarkeit nicht nur über die Gegenwart, sondern auch über die Zukunft Gedanken machen sollte. Möchte man beispielsweise eine künftige Ausweitung der Nutzung vermeiden oder jedenfalls einschränken, empfiehlt es sich, entsprechende Vorgaben im Bewilligungstext zu vereinbaren. Entstehen über ein solches Ansinnen kontroverse Diskussionen mit dem Vertragspartner, ist dies gerade ein beredtes Zeichen dafür, dass ein solches Sicherungsbegehren durchaus in begründet war.