Durchführungsbeschluss der EU-Kommission: Freistellung vom Vergaberecht bei zahlreichen Erneuerbare-Energien-Projekten

Hamburg/Köln, 16.01.2024

Was in Deutschland im Bereich der Erzeugung von Strom und des Großhandels mit Strom aus konventionellen Quellen schon seit dem Jahr 2012 galt, gilt nun seit dem 17. Oktober 2023 auch für die Erzeugung von Strom und den Großhandel mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen: die Freistellung von der Anwendung des Vergaberechts. Für Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, die in Deutschland unter das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) fallen, sind das gute Nachrichten.

Historie und Freistellungs­entscheidung des Durchführungs­beschlusses 

Mit Durchführungsbeschluss vom 24. April 2012 (2012/218/EU)[1] hat die Europäische Kommission bereits eine Freistellungsentscheidung hinsichtlich der Erzeugung von und des Großhandels mit Strom aus konventionellen Quellen getroffen (Strom aus Kohle, Gas, Heizöl, Kernkraft sowie aus stromgeführten KWK-Anlagen). Der Durchführungsbeschluss umfasst jedoch nicht die Erzeugung und den Erstabsatz von Strom aus Erneuerbaren Energien, da dieser nach Auffassung des Bundeskartellamts zum damaligen Zeitpunkt aufgrund des Einspeisevorrangs und der gesetzlich festgelegten Vergütung nicht dem Wettbewerb ausgesetzt sei.

Mit Beschluss vom 21. September 2023 (2023/1978)[2], bekanntgegeben im Bundesanzeiger am 17. Oktober 2023[3], hat die Europäische Kommission diese Auffassung nunmehr korrigiert und eine Freistellungsentscheidung auch bezüglich EE-Strom getroffen. 

Nach Art. 34 Abs. 1 der Sektorenrichtlinie (RL 2014/24/EU) fallen Aufträge, die die Ausübung einer richtlinienrelevanten Tätigkeit ermöglichen sollen, auf Antrag eines Mitgliedstaats oder eines Auftraggebers nicht unter die Richtlinie, wenn die Tätigkeit in dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgeübt wird, unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt ist, die keiner Zugangsbeschränkung unterliegen. Es erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, dass bestimmte Leistungen von der Anwendung des Vergaberechts freigestellt werden können. Allerdings sehen auch der auf Grundlage der Sektorenrichtlinie umgesetzte § 140 GWB und § 3 SektVO für Sektorenaufträge eine solche Freistellung ausdrücklich vor. § 140 Abs. 1 GWB regelt in diesem Zusammenhang die Freistellung für Aufträge, „die zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit vergeben werden, wenn die Sektorentätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt ist, die keiner Zugangsbeschränkung unterliegen.“.

Am 13. April 2023 hatte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft („BDEW“), der die Unternehmen der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft vertritt, einen entsprechenden Antrag bei der EU-Kommission für Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Erzeugung von und dem Großhandel mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Deutschland gestellt. Bereits in entsprechenden Beschlüssen in Bezug auf die Niederlande, Italien, Litauen und Dänemark hatte die Kommission jeweils festgestellt, dass Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen demselben Markt angehören wie konventionelle Stromerzeugung.[4] Auf Grundlage einer Analyse des deutschen Stromgroßhandels kam die Kommission sodann auch in ihrem jetzt erfolgten Durchführungsbeschluss in Bezug auf Deutschland zu dem Ergebnis, dass jedenfalls im Fall der Direktvermarktung sowie bei ausgeförderten Anlagen die Bedingungen des freien Zugangs zum Markt erfüllt sind.

Danach sind Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 GWB nunmehr von der Pflicht befreit, Aufträge, die die Erzeugung und den Erstabsatz von Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Deutschland ermöglichen, nach den Vorgaben der SektVO auszuschreiben.

Welche Leistungen betrifft dies genau?

Nach Art. 1 des Durchführungsbeschlusses betrifft die Freistellung Leistungen im Zusammenhang mit Anlagen zur Erzeugung von EE-Strom, soweit der erzeugte Strom im Wege der Direktvermarktung vermarktet wird. Dies umfasst sowohl die Vermarktung in der geförderten Direktvermarkung mit gesetzlich bestimmtem anzulegendem Wert als auch in der geförderten Direktvermarktung mit durch Ausschreibung bestimmtem anzulegendem Wert. 

Für Anlagen in der geförderten Direktvermarktung, deren anzulegender Wert gesetzlich bestimmt wird (beispielsweise Photovoltaik- oder Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung bis einschließlich 1 MW oder bestimmte Anlagen von Bürgerenergiegesellschaften), gilt jedoch einschränkend, dass diese nur dann unter die Freistellung fallen, wenn der anlagenspezifische anzulegende Wert für zwölf aufeinanderfolgende Monate niedriger ist als der Marktwert (oder als der Index eines entsprechenden, aber zukunftsgerichteten Index eines Strombezugsvertrags). Die Kommission begründet diese Einschränkung damit, dass (nur) in diesem Fall der Anlagenbetreiber uneingeschränkt einem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt ist, da er in diesem Fall die Marktpreise vereinnahmt. Offen bleibt, wie zum Zeitpunkt der Bewertung, ob eine Ausschreibung nach den Vorgaben der SektVO erforderlich ist, für die Zukunft beurteilt werden kann, ob der anzulegende Wert niedriger sein wird als der Marktwert. Weiter betrifft die Freistellung Leistungen im Zusammenhang mit Anlagen zur Erzeugung von EE-Strom, welche im Wege der sonstigen Direktvermarktung nach § 21a EEG vermarktet werden. sowie ausgeförderte Anlagen. Damit sind nunmehr insbesondere große Photovoltaikanlagen mit einer installierten Leistung über 1 MW sowie Windenergieanlagen von der Ausschreibungspflicht ausgenommen, da für den in solchen Anlagen erzeugten Strom entweder eine wettbewerblich ermittelte Marktprämie in Anspruch genommen wird (geförderte Direktvermarktung) oder der Strom über ein sog. Power-Purchase-Agreement vermarktet wird (sonstige Direktvermarktung).

Nicht unter die Freistellung fallen EE-Anlagen, deren Strom unter Inanspruchnahme der Einspeisevergütung ohne Direktvermarktung vermarktet wird, da diese Anlagen nicht an einer Markttätigkeit beteiligt sind. Unter dem EEG 2023 sind dies ausschließlich Anlagen mit einer installierten Leistung von bis zu 100 kW. Betreiber von Solaranlagen, die für den erzeugten Strom den Mieterstromzuschlag in Anspruch nehmen, sind ebenfalls nicht von der Freistellung umfasst. Auch diese Anlagen stehen nach Auffassung der Kommission nicht im Wettbewerb. 

Nach Art. 1 des Durchführungsbeschlusses werden die der Freistellung unterfallenden Auftraggeber von der Pflicht befreit, Aufträge, die die Erzeugung und den Erstabsatz von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ermöglichen, nach den Vorgaben des Vergaberechts auszuschreiben. Es entfällt demnach die Pflicht zur Ausschreibung nach den Vorgaben des GWB und der SektVO. Welche konkreten Beschaffungsgegenstände unter die Freistellung fallen, wird dabei nicht geregelt. Voraussetzung der Freistellung ist lediglich, dass die jeweilige Beschaffung die Erzeugung von und den Großhandel mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen ermöglichen soll. 

Konkret betrifft dies Beschaffungen über die Planung, die Errichtung, den Kauf, den Betrieb oder die Wartung von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen.

Der Durchführungsbeschluss befreit nur von den Vorgaben der Sektorenrichtlinie bzw. des GWB-Vergaberechts, er hat darüber hinaus aber keine Auswirkungen auf anderweitig bestehende unionsrechtliche Pflichten. Öffentliche Auftraggeber bleiben daher insbesondere den Grundsätzen der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz unterworfen (Art. 18, 49, 56 AEUV). Es besteht demnach weiterhin eine Bindung an solche vergaberechtlichen Grundsätze, die sich aus dem Primärrecht ergeben. In der Folge wird in der Literatur zum Teil ein Vergabeverfahren „light“ gefordert, d.h. insbesondere transparent und nichtdiskriminierend.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass in der juristischen Literatur teilweise angenommen wird, dass öffentliche Sektorenauftraggeber aus haushaltsrechtlichen Gründen weiter an die Regelungen des Vergaberechts gebunden sein sollen. Nach § 55 Abs.1 BHO/LHO muss dem Abschluss von Verträgen grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen. Allgemein gilt der Grundsatz, dass das Haushaltsvergaberecht gegenüber dem EU-Vergaberecht subsidiär ist. Es ist daher jedenfalls im Unterschwellenbereich zu berücksichtigen. Zum Teil wird aber in der Literatur auch oberhalb der Schwellenwerte unter Berufung auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen eine parallele Anwendung vertreten. Es sollte daher weiterhin im Einzelfall geprüft werden, ob eine Ausschreibungspflicht nach dem Haushaltsrecht besteht.

Gemischte Aufträge und Hilfstätigkeiten

Die Frage, welche weiteren Leistungen bei sog. „gemischten Aufträgen“ unter die Freistellung des Art. 1 des Durchführungsbeschlusses fallen, lässt sich nicht abschließend beantworten.

Dies muss – wie so häufig – vielmehr im Einzelfall geprüft werden. Der Beschluss selbst trifft hierzu keine Regelung, sondern legt in Art.1 lediglich fest, dass die jeweilige Beschaffung die Erzeugung von Strom und den Großhandel mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen ermöglichen soll. Was „ermöglichen soll“ in diesem Zusammenhang bedeutet, ist im Beschluss selbst jedoch nicht definiert. Auch der Durchführungsbeschluss der Kommission vom 24. April 2012 zu Strom aus konventionellen Quellen trifft keine Regelung dazu, welche Leistungen unter die Freistellung fallen. Dort wird in Art. 1 auch lediglich die Formulierung „ermöglichen sollen“ verwendet. 

Die juristische Literatur hat hier in der Vergangenheit aber zumindest einige Orientierungshilfen herausgearbeitet. 

So dürften zunächst auch die Stilllegung oder der Rückbau einer Anlage unter die Freistellung fallen, wenn diese im Zusammenhang mit dem Neu- oder Umbau einer Anlage erfolgen

Der Durchführungsbeschluss betrifft sodann auch Hilfstätigkeiten. Denn nicht nur die Errichtung und der Betrieb einer Anlage ermöglichen die Stromerzeugung. Auch Hilfstätigkeiten, die entsprechend § 1 SektVO im Zusammenhang mit der Sektorentätigkeit stehen, dienen dem Zweck, die Stromerzeugung zu ermöglichen. Hilfstätigkeiten können etwa den Netzanschluss, die Errichtung oder die Reinigung von Verwaltungsgebäuden des Stromerzeugers betreffen oder die Beschaffung von Versicherungen für den Betrieb der Stromerzeugungsanlagen.

Einige Ansichten gehen hier noch ein wenig weiter und sehen auch etwaige Planungsleistungen von dem Durchführungsbeschluss erfasst. Bei diesen Leistungen ist häufig schon fraglich, ob sie noch bloße „Hilfstätigkeiten“ sind. Zu beachten ist nämlich immer ein hinreichender Zusammenhang mit der Erzeugung von Strom oder dem Großhandel mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen.

Nicht erfasst sein dürften danach vorgelagerte Hilfstätigkeiten, wie beispielsweise die Erkundung und Sicherung von Flächen oder von der Erzeugung klar abtrennbare Leistungen wie die Beschaffung von Speichereinheiten.

Ausnahme vom Durchführungs­beschluss

Für den Fall, dass der Auftraggeber für die Durchführung des Projekts Fördermittel erhält, ist anhand der Förderbedingungen genau zu prüfen, ob nicht das Vergaberecht – trotz der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Durchführungsbeschlusses – anzuwenden ist. 

Durchführungs­beschluss gilt nur für Deutschland

Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass der Durchführungsbeschluss – ebenso wie derjenige für konventionellen Strom – ausschließlich in Deutschland gilt (so Art. 3 des Durchführungsbeschlusses).

 

[1] ABl. EU v. 26.04.2012, L 114/21.

[2] ABl. EU v. 25.09.2023, L 235/13.

[3] BAnz AT 17.10.2023 B1. 

[4] Durchführungsbeschlüsse (EU) 2018/71; (EU) 2020/1499; (EU) 2020/1500; (EU) 2022/1376.

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