Zahlreiche Unternehmen stehen wegen der Pandemie vor dem Aus. Ihnen könnte mit einer Reform des Insolvenzrechts geholfen werden, meinen Gerrit Hölzle und Stephan Madaus.
Das im März 2020 nach nur wenigen Tagen Vorbereitung in Kraft getretene Corona-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (CovInsAG) war ein beachtlicher Kraftakt des Gesetzgebers. Im Angesicht der Pandemie vertraute man dabei den Instrumenten, die für existenzgefährdete Unternehmen bereits nach den Elbhochwassern genutzt worden waren. Sie waren zur Bewältigung einer Notsituation gedacht, in der weder Gerichte noch geordnete Marktmechanismen funktional verlässlich zur Verfügung stehen, und wurden folgerichtig bis zum 30. September 2020 befristet.
Als die zweite Welle der Pandemie ab Herbst 2020 zur erneut laufenden Verschärfung der Maßnahmen zwang, blieb der Gesetzgeber seinem Rezept treu und setzte die Insolvenzantragspflichten – nicht ohne Einschränkungen im Detail – weiter aus. Nicht mehr das fehlende Vertrauen in die Berechtigung und Funktionsfähigkeit einer Insolvenzlösung, sondern nunmehr die schleppende Auszahlung zugesagter Staatshilfen sollte die weitere Aussetzung legitimieren. Begünstigt hiervon ist seit Januar 2021 nur noch ein kleiner Teil der von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie hart getroffenen Unternehmen.
Geschäftsleiter müssen sich nicht zuletzt deshalb fragen, ob sie nun einen Insolvenzantrag stellen oder die zum Teil deutlich verschärfte Geschäftsleiterhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife aus dem zum Jahresbeginn in Kraft getretenen neuen Paragrafen 15 b der Insolvenzordnung (InsO) riskieren sollten. Eine – auch für fachkundige Berater – mitunter nicht einfach zu beantwortende Frage.
Unternehmern bleibt so in diesen Tagen nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Dabei wird ihnen der Gang in die Insolvenz zusätzlich dadurch erschwert, dass gerade in den hart getroffenen Branchen derzeit kaum planbar ist, wann und in welchem Umfang einstmals funktionierende Geschäftsmodelle wiederbelebt werden können. Die Pandemie bremst das Investoreninteresse und limitiert die Sanierungsaussichten gerade im Mittelstand. Insolvenz wird hier oft Schließung bedeuten, fehlt es doch in Zeiten weggebrochener Märkte an Lösungen.
Der Gesetzgeber muss in dieser Situation einen dritten Weg eröffnen und – zeitlich begrenzt – die Nutzung des Insolvenzrechts eröffnen, ohne zugleich den befürchteten Verwertungsautomatismus auszulösen. Die ständige Verlängerung der Aussetzung von Antragspflichten hilft nicht, löst das Vermeiden der formalen Insolvenz doch nicht das Problem wegbrechender Einnahmen bei gleichbleibenden Kosten.
Die betroffenen Unternehmen sind am Limit und brauchen eine Lösung, die Zeit auszusitzen, die weiter erforderlich sein wird, um zu erkennen, ob ihr vormals funktionierendes und pandemiebedingt temporär weggebrochenes Geschäftsmodell wieder Platz greift. Dies erfordert ein „Einfrieren“ des Geschäftsbetriebs, sodass dieser wie in einem „Winterschlaf“ mit minimalem Kreislauf überleben und nach dem Ende der Pandemiebeschränkungen aus dem „Dornröschenschlaf“ erwachen kann.
Ein Dornröschenschlaf verhindert das massenhafte, oft stille Schließen von Betrieben, denen die Reserven ausgehen. Er vermeidet das Entlassen von Mitarbeitern und Zerschlagen von Strukturen, sodass der Geschäftsbetrieb am Ende der Pandemiebeschränkungen unmittelbar wieder in Gang gesetzt werden kann. Sein institutioneller Rahmen funktioniert als Kommunikationshilfe und gewährleistet die Sachaufsicht gleichermaßen.
Die Option eines solchen Dornröschenschlafs wäre für den Gesetzgeber mit wenigen, gleichsam mikroinvasiven Anpassungen der Insolvenzordnung und angrenzender Gesetze möglich. Mit wenigen Korrekturen könnte eine Insolvenzoption des „ruhenden Geschäftsbetriebs“ als Sonderfall der Eigenverwaltung geschaffen werden, in der Mitarbeiter unter unbeschränkter Inanspruchnahme des Insolvenz- und Kurzarbeitergelds bezahlt und deshalb gehalten werden können.
Vertragliche Pflichten könnten unter der Geltung von Kündigungssperren einem Moratorium unterworfen werden. So könnten Lieferketten und marktwirtschaftliche Strukturen nur pausiert werden. Ferner könnten nach dem Wiedererwachen des Betriebs Regeln für die Rückführung aufgelaufener Verbindlichkeiten zur gerechten Lastenverteilung vorgegeben werden.
Die Zeit drängt; die hier aufgezeigten Ideen liegen in detaillierten Regelungsvorschlägen vor und harren der Umsetzung. Unternehmer brauchen neue Optionen, nicht nur Anträge auf Staatshilfen, sollen die Betriebe erhalten werden. Die Kosten einer solchen Lösung lägen voraussichtlich deutlich unterhalb der Kosten immer neuer Hilfspakete und damit verbundener Verwaltungsaufwendungen. Ein Gewinn für das deutsche Insolvenzrecht auf seinem Weg in eine nachhaltige Sanierungskultur wäre es aber allemal.