Konkretisierung der Auswahlkriterien bei der Vergabe von Wegenutzungsverträgen für Strom- und Gasnetze durch die BGH-Entscheidungen „Stromnetz Berkenthin” und „Stromnetz Heiligenhafen“

16.04.2014

Hintergrund

Gegenstand der Urteile „Stromnetz Berkenthin” und „Stromnetz Heiligenhafen“ des BGH vom 17.12.2013 sind praxisrelevante Fragen zur Konzessionsvergabe im Zusammenhang mit der Vergabe von Wegenutzungsverträgen für Stromnetze. Die Entscheidungsgründe sind nun am 12.03.2014 endlich veröffentlicht worden.

Nach Auslaufen der Wegenutzungsverträge in zwei schleswig-holsteinischen Gemeinden sollten die Altkonzessionäre durch kommunale Unternehmen ersetzt werden. Diese hatten die Übereignung der Stromnetze sowie Auskünfte über relevante Netzdaten gefordert.

Die Stadt Heiligenhafen, als Klägerin im ersten Verfahren, entschied sich im Rahmen der Neuvergabe der abgelaufenen Konzession u.a. gegen die Bewerbung des Altkonzessionärs zur Fortführung, und für eine Übernahme des Netzbetriebes durch einen gemeindlichen Eigenbetrieb. Die Gemeinde verlangt nunmehr die Übereignung des örtlichen Stromversorgungsnetzes von dem beklagten Altkonzessionär (BGH, Urteil vom 17.12.2013, Az. KZR 65/12).

In dem Verfahren „Berkenthin“ hatten 36 Gemeinden einen Konzessionsvertrag mit einer Tochtergesellschaft dreier anderer Gemeinden geschlossen, welche ausweislich der öffentlichen Bekanntmachung die höchste Bewertung im Vergabeverfahren erhielt. Der Neukonzessionär begehrte aus abgetretenem Recht der Gemeinden die Herausgabe von Netzdaten von dem Altkonzessionär (BGH, Urteil vom 17.12.2013, Az. KZR 66/12).

Das Landgericht Kiel hatte beide Klagen abgewiesen (zu KZR 65/12: Urteil vom 3.2.2012 – 14 O 83/10; zu KZR 66/12: 3.2.2012 – 14 O 12/11). Auch die Berufungen zum OLG Schleswig blieben ohne Erfolg (zu KZR 65/12: Urteil vom 22.11.2012 – 16 U (Kart) 22/12; zu KZR 66/12: Urteil vom 22.11.2012 – 16 U (Kart) 21/12). Der BGH bestätigte beide Entscheidungen des OLG Schleswig.

Zentraler Inhalt der Urteile ist die Frage, welche Anforderungen an die Neuvergabe von Konzessionen für Strom- und Gasnetze im Rahmen von Rekommunalisierungen zu stellen sind. Dabei gewinnen insbesondere die Verfahrensvoraussetzungen sowie die maßgeblichen Auswahlkriterien weiter an Kontur.

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Keine Anwendung vergaberechtlicher Ausnahmetatbestände

Grundsätzlich findet das kartellrechtliche Vergaberecht der §§ 97 ff. GWB keine ─ auch keine entsprechende ─ Anwendung bei der Vergabe von Konzessionen nach § 46 EnWG.

Der BGH bestätigt die bereits in der Rechtsprechung und Literatur gefestigte Auffassung, dass sich die Gemeinden nicht auf die Privilegierung der „In-house-Vergabe“ berufen können, wenn sie die Nutzung ihrer öffentlichen Verkehrswege zum Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen wollen. Ferner scheide auch eine Berufung auf das sog. Konzernprivileg aus. Auch wenn der Wortlaut des § 46 Abs. 4 EnWG eine Bevorzugung gemeindlicher Eigenbetriebe ─ mangels Verweises auf § 46 Abs. 1 EnWG ─ nicht ausschließe, so spreche der Sinn und Zweck der Regelung dafür, dass auch bei der Entscheidung für einen Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb das Diskriminierungsverbot gelten müsse. Ziel von § 46 Abs. 2 und 3 EnWG sei es, kommunalen Ewigkeitsrechten entgegenzuwirken. Dieses Ziel werde durch den § 46 Abs. 4 EnWG dahingehend gefördert, dass eine Umgehungsmöglichkeit durch Eigenbetriebe verhindert werden soll und eine Gleichstellung im Wettbewerb um die Konzessionen zu erfolgen habe.

II. Anwendung des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbotes

1. Gemeinden als marktbeherrschende Unternehmen im Sinne des Kartellrechts

Der BGH bestätigt die herrschende Auffassung, wonach Gemeinden bei der Konzessionsvergabe i.S.v. § 46 Abs. 2 EnWG als marktbeherrschende Unternehmen im Sinne des deutschen Kartellrechts einzuordnen sind. Kommunen würden bei der Ausschreibung von Konzessionsverträgen stets eine Doppelfunktion einnehmen, die sich einerseits als Nachfrager des Netzbetriebes, andererseits als Anbieter der Wegenutzungsrechte darstellt und sich dabei nur auf das Konzessionsgebiet als örtlichen Markt bezieht. Als Normadressaten der §§ 19 und 20 GWB haben sie somit das kartellrechtliche Diskriminierungs- und Behinderungsverbot zu beachten.

2. Energiewirtschaftsrechtliche Vorgaben

Zentrale Norm der Vergabe von Strom- und Gasnetzkonzessionen ist § 46 EnWG. Ausschließlich § 46 Abs. 2 bis 5 EnWG enthalten ausdrückliche Vorgaben für die Durchführung der Konzessionsvergabe, wohingegen § 46 Abs. 1 EnWG nur die einfache Wegenutzung regelt. Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG haben Gemeinden ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet jedoch diskriminierungsfrei durch Vertrag zur Verfügung zu stellen. Auch bei Konzessionsvergaben nach § 46 Abs. 2 EnWG sind die Gemeinden laut BGH verpflichtet, das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG zu beachten. Die Bestimmungen des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG stehen dabei (selbständig) neben den Vorgaben des § 46 Abs. 2 EnWG.

Insoweit stimmen die kartellrechtlichen und energiewirtschaftlichen Diskriminierungsverbote bzw. Transparenzgebote überein.

3. Vereinbarkeit mit der Selbstverwaltungsautonomie des Art. 28 Abs. 2 GG

Eine Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltungsrechts tritt nach Auffassung des BGH a. a. O. mit der Pflicht zur diskriminierungsfreien Auswahl des Konzessionärs nicht ein. Selbiges gilt auch bei der Berücksichtigung der Pflicht bei der Übertagung von Wegenutzungsrechten auf Eigenbetriebe. Zwar sei die örtliche Energieversorgung eine Aufgabe der verfassungsrechtlich geschützten Selbstverwaltung, jedoch werde die damit zusammenhängende wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze garantiert und nicht grenzenlos gewährleistet. Insbesondere schütze sie nur die wirtschaftliche Betätigung als solche, nicht jedoch einzelne Ausprägungen. Die Verpflichtungen aus § 46 Abs. 1 EnWG berührten in keiner Weise den Kernbestand der Selbstverwaltungsgarantie. Selbst wenn man in § 46 Abs. 1 EnWG einen Eingriff in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung erblicken sollte, sei dieser jedenfalls zur Förderung des Wettbewerbs geeignet und erforderlich. Diese Feststellungen des Gerichts sind mit Rücksicht auf das hohe Schutzgut des Art. 28 Abs. 2 GG kritisch zu hinterfragen.

III. Anforderungen an die Auswahlentscheidung

Aus der Bindung der Gemeinden an das Diskriminierungsverbot leitet der BGH sowohl verfahrensbezogene als auch materielle Anforderungen an die Auswahlentscheidung ab. Diese stellen sich wie folgt dar:

1. Offenlegung der Entscheidungskriterien

Das Auswahlverfahren müsse so gestaltet sein, dass die Auswahlkriterien und deren Gewichtung für die Bewerber um die Konzession erkennbar seien. Nur so sei ein nach sachlichen Kriterien gestalteter und diskriminierungsfreier Auswahlprozess gewährleistet.

Das Transparenzgebot verlangt nach Ansicht des BGH, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und deren Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Nicht erforderlich sei jedoch, dass die Angaben bereits in der Bekanntmachung i.S.d. § 46 Absatz 3 EnWG erfolgen. Insoweit reiche eine rechtzeitige, gleichlautende Kundgabe in einem Verfahrensbrief an Interessierte der zu vergebenden Konzession. Das Prinzip finde auch bei der geplanten Vergabe an Eigenbetriebe der Gemeinde Anwendung.

Die Darstellung entscheidungsrelevanter Kriterien dürfe also nicht erst nach Einreichung des Angebots der Interessenten erfolgen, anderenfalls bestünde keine hinreichende Möglichkeit, das Angebot den Anforderungen entsprechend anzupassen. Darüber hinaus ist es unzureichend die Kundgabe später lediglich mündlich nachzuholen, da solche per se ungeeignet seien, einen einheitlichen Informationsstand gewährleisten zu können.

Daran ändere ─ laut BGH ─ auch eine „Systementscheidung“ für den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb nichts. Der Sinn und Zweck der Regelung spreche dafür, dass auch bei einer Entscheidung für einen Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb das Diskriminierungsverbot gelten müsse.

2. Anforderungen an die Bewertungsmatrix

Die Gemeinden sind ferner durch das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG verpflichtet, die Entscheidungskriterien vorrangig an den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG ─ Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen Energieversorgung ─ auszurichten. Diese, den Ausgangspunkt bildenden Anforderungen des § 1 EnWG, seien die Gemeinden in den Verfahren nicht gerecht geworden.

Im Übrigen bleibe es der Gemeinde überlassen, sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten. Dem Zweck des EnWG, einen Wettbewerb um das Netz zu initiieren, stünde es jedenfalls nicht entgegen, wenn eine Gemeinde weitere Kriterien einführt, sofern diese als konzessionsabgabenrechtliche zulässige Nebenleistung im Zusammenhang mit der Wegenutzung stehen oder die Ausrichtung des Netzbetriebes auf die Ziele des § 1 EnWG betreffen. Es könne auch eine wirtschaftliche Verwertung des Wegerechts erfasst sein.

Zwar qualifizierte der BGH, entgegen der Ansicht der zweitinstanzlichen OLG Schleswig-Entscheidung a. a. O., die Kriterien „Kommunalrabatt“ und „Folgekostenübernahme“ als legitime Kriterien bei der Wahl des Vertragspartners. Gleiches gelte für die Kriterien „Endschaftsbestimmung“ und „Kaufpreisregelung“, welche einen sachlichen Bezug zum Konzessionsvertrag aufweisen und dazu dienten den Wettbewerb und das Netz fördern.

Gleichwohl seien die Ziele des § 1 EnWG nicht oder jedenfalls nicht vorrangig berücksichtigt worden. So seien 70 von 170 bei der Angebotsbewertung zu vergebenen Punkten für Kriterien zum Geschäftsmodell, insbesondere zu Möglichkeiten der Ausgestaltung einer kommunalen Beteiligung an der Netzgesellschaft vorgesehen.

Es sei zwar nicht von vornherein unzulässig, das Kriterium der gemeindlichen Einflussmöglichkeiten auf betriebliche Entscheidungen aufzustellen. Die Gemeinde könne durchaus ein solches Angebot besser bewerten, welches ihr erlaube, ihre Interessen an der Ausgestaltung des Netzbetriebes auch nach Konzessionsvergabe zu verfolgen. Dazu zählen etwa Einflussmöglichkeiten der Gemeinde auf Effizienz, Sicherheit und Preiswertigkeit des Netzbetriebes oder Absicherung der Planungshoheit bei Netz- oder Kapazitätserweiterungen sowie Maßnahmen zur Modernisierung des Netzes. Bedenklich werde die Einbeziehung allerdings dann, wenn die begehrte Einflussnahme an eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung anknüpfe und nicht auf einer vertraglichen Grundlage erreichbar wäre. In einem solchen Fall müsse jedenfalls die durch die gesellschaftsrechtliche Beteiligung verbundene Gegenleistung sowie etwaige Risiken bei der Bewertung Berücksichtigung finden.

An anderer Stelle bemängelte der BGH, dass der Gesetzeszweck der Versorgungssicherheit zwar mit dem Kriterium „Bemühung um störungsfreien Netzbetrieb“ berücksichtigt wurde, die Gewichtung mit maximal 10 von insgesamt 170 möglichen Punkten jedoch eine willkürliche Mindergewichtung darstelle. Dies werde besonders durch einen Vergleich mit dem Musterkriterienkatalog des Landes Baden-Württemberg deutlich, wonach die Netzsicherheit mit mindestens 25 % der Gesamtpunktzahl zu gewichten sei.

Auch müsse der Gesetzeszweck der preisgünstigen Versorgung und der Effizienz sowie Verbraucherfreundlichkeit hinreichend Berücksichtigung finden.

Der BGH hielt den Gemeinden außerdem vor, dass diese mit den Kriterien „Höhe des kommunalen Anteils an Netzen“, „Kommunaler Vermögenszuwachs“ und „Höhe des kommunalen Kapitaleinsatzes für den Netzerwerb“ unzulässigerweise allein fiskalische Interessen verfolgten. Darüber hinaus hält der BGH das Kriterium „Möglichkeiten der Geschäftsfelderweiterung“ mangels sachlichen Zusammenhangs mit dem Konzessionsvertrag für unzulässig.

3. Nichtigkeit als Rechtsfolge eines Verstoßes

Im Ergebnis entscheidet der BGH, dass das Auswahlverfahren in mehrfacher Hinsicht gegen das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG verstößt und damit zugleich eine unbillige Behinderung der Mitbewerber darstellt. Eine unbillige Behinderung liege nur dann nicht vor, wenn zweifelfrei feststehe, dass sich die Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens nicht auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann, weil derselbe Bewerber die Konzession auf jeden Fall auch ohne den Verfahrensfehler erhalten hätte. Soweit der Kriterienkatalog im Hinblick auf die Ziele des § 1 EnWG gravierend unvollständig war und damit vollkommen unklar sei, ob sich die Klägerin bei einer ordnungsgemäßen Bewertung durchgesetzt hätte, könne eine unbillige Behinderung nicht ausgeschlossen werden. Die gravierende Fehlerfolge der Vertragsnichtigkeit kommt nach Auffassung des BGH a. a. O. also nur dann in Betracht, wenn sich der vermeintliche energiewirtschaftsrechtliche Verstoß auch kausal auf das Wettbewerbsergebnis ausgewirkt hat. Eine Nichtigkeit tritt etwa dann nicht ein, wenn der Auftraggeber im Wege einer hypothetischen Angebotsauswertung nachgewiesen hat, dass ein vermeintlich fehlerhaftes, den § 1 Abs. 1 EnWG widersprechendes Auswahlkriterium keine Auswirkung auf die Wertungsrangfolge gehabt hat.

Der BGH ordnet § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB als Verbotsgesetz i.S.d § 134 BGB ein. Durch die festgestellten Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot liege ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz vor, so dass das Rechtgeschäft infolge dessen nichtig sei. Folglich seien Konzessionsverträge nach § 46 Abs. 2 EnWG, deren Abschluss mit einem bestimmten Bewerber andere Bewerber entgegen § 19 GWB unbillig behindert, grundsätzlich nichtig. Die Vergabe an Eigenbetriebe führe in einem solchen Fall zu einem langfristigen faktischen Ausschluss aller anderen Bewerber um den Netzbetrieb, so dass die damit verbundene Benachteiligung nur durch die Unwirksamkeit des Konzessionsvertrages beseitigt werden könne. Aufgrund der Nichtigkeit bestehen also auch keine Ansprüche der Gemeinden aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG.

4. Herausgabeanspruch nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG

Rahmen des § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aktivlegitimiert ist. Anspruchsinhaber des § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG ist allein das „neue Energieversorgungsunternehmen“ (vgl. § 3 Nr. 18 EnWG). Voraussetzung sei nach Ansicht des BGH, dass die Übertragung des Netzbetriebes auf den neuen Konzessionär rechtswirksam erfolgte. Es reiche nicht bereits aus, dass die Gemeinde ihre Auswahlentscheidung durch den Abschluss eines Konzessionsvertrages zum Ausdruck gebracht habe. Dieser Auffassung tritt der BGH unter Verweis auf den Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 2 EnWG entgegen. Auch der Zweck spreche für einen Gleichlauf von Wegerechtseinräumung und Überlassungsanspruch, solle durch den Regelungskomplex doch gerade verhindert werden, dass aufgrund von Eigentumsfragen alter Netzbetreiber der Wechsel praktisch verhindert und wirtschaftlich unmöglich gemacht werde. Potentielle Schutzerwägungen für den Überlassungsschuldner erachtet der BGH als nicht überzeugend, so dass im Ergebnis eine rechtswirksame Konzessionsvergabe zwingende Voraussetzung für den Übereignungsanspruch ist.

5. Keine Rügepflicht der Altkonzessionäre in Netzübernahmekonstellation

Der BGH sah sich auch mit der Frage konfrontiert, ob den Altkonzessionär im zu entscheidenden Fall eine Rügepflicht bei einem mangelhaften Verfahren treffe, und ob etwaige Einwendungen im Falle der unterlassenen Geltendmachung der betreffenden Beanstandungen im Fortgang des Verfahrens präkludiert seien, so dass auf diesem Wege eine Nichtigkeit der Konzessionsvergabe ggf. ausnahmsweise entfiele.

Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB hält der BGH in denjenigen verfahrensrechtlichen Konstellationen für ausgeschlossen, in denen es – wie in dem vom BGH a. a. O. zu beurteilenden Sachverhalt – nach Abschluss des Konzessionsvergabeverfahrens im Verhältnis neues Energieversorgungsunternehmen/ Altkonzessionär um die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG geht (Netzübernahmekonstellation). Denn diese Vorschrift sei nicht isoliert aus dem gesetzlich reglementierten Kartellvergaberecht nach Maßgabe der §§ 97 ff. GWB auf das nicht näher gesetzlich geregelte Verfahren der Konzessionsvergabe übertragbar. Ebenso verneint der BGH eine vorvertragliche Pflicht der Interessenten nach §§ 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf etwaige Rechtsverstöße im Vergabeverfahren hinzuweisen. Somit überwiege das Eigentum des Altkonzessionärs gegenüber etwaigen Interessen der Rechtssicherheit der Allgemeinheit. Der Altkonzessionär müsse sich also jedenfalls in der vorliegenden verfahrensrechtlichen Konstellation die Nichtgeltendmachung etwaiger Verfahrensfehler nicht entgegenhalten lassen und diese folglich auch nicht im Konzessionierungsverfahren bzw. im unmittelbaren Nachgang daran erheben. Anders beurteilt der BGH a. a. O. offensichtlich die Situation im Rahmen einstweiliger Verfügungsverfahren gemäß §§ 935, 936 ZPO, durch welche vor Abschluss des Konzessionsvergabeverfahrens das Zustandekommen eines neuen Konzessionsvertrages bis zur Beendigung eines erneuten, fehlerfreien Auswahlverfahrens verhindert werden soll. Diese Konstellation entspricht nach Auffassung des BGH derjenigen der vergaberechtliche Rügepräklusion nach § 107 Abs. 3 GWB. Das heißt: Die öffentliche Hand wird als Antragsgegnerin in einem einstweiligen Verfügungsverfahren auf der Grundlage der aktuellen BGH-Entscheidung mit Aussicht auf Erfolg vortragen können, der antragsstellende Bieter habe die ihm bekannten vermeintlichen energiewirtschafts- sowie wettbewerbsrechtlichen Verstöße nicht rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB beanstandet und sei mit diesen Rügen insoweit verfristet.

Der BGH gibt als „Handlungsempfehlung“ in Bezug auf die Netzübernahmekonstellation jedoch vor, dass eine Präklusion dann möglich sei, wenn die ausschreibende Kommune die Bieter rechtzeitig von der geplanten Zuschlagserteilung in Anlehnung an § 101 a GWB unterrichtet. Sofern ein Bieter darauf nicht mit einer einstweiligen Verfügung reagiert, wären die Einwände präkludipräkludiert.

Praxisrelevanz

Eine Vielzahl von Konzessionsverträgen ─ etwa 2000 bis zum Jahre 2016 ─ laufen in naher Zukunft aus. Es mehren sich dabei die Bemühungen von Kommunen zur Rekommunalisierung, also die Versorgungsnetze wieder in gemeindliche Trägerschaft zurückzuführen. So haben seit 2007 bereits 83 Kommunen eigene Stadtwerke neu gegründet und knapp 200 Gemeinden Konzessionen für Stromnetze selbst übernommen, als prominente Beispiele seien nur Hamburg und Berlin erwähnt.

Diese Bestrebungen beruhen auf dem Selbstverständnis der Gemeinden, ausgehend von der in Art. 28 Abs. 2 GG verankerten Verpflichtung zur Gewährleistung der Energieversorgung der Bürger, einhergehend mit der Wahrnehmung von Rechten aus der Garantie der Selbstverwaltung in Form der Daseinsvorsorge. Im Zentrum steht daher das Bemühen, die eigenen Gestaltungsspielräume zu nutzen und die Erwägung, dass ein größerer Einfluss auf den Netzbetrieb möglich ist, wenn ein kommunales Unternehmen Konzessionsinhaber ist. Eine weitere Motivation der Gemeinden ist natürlich auch wirtschaftlicher Natur: Die Gemeinden erhoffen sich neben Konzessionsabgaben vor allem Unternehmensgewinne, die ihnen aus der mit dem Energieversorgungsunternehmen gegründeten gemeinsamen Netzgesellschaft zufließen.

Um den Wettbewerb um die Netze zu erhöhen, begrenzt der Gesetzgeber jedoch die Konzessionsvergabe auf 20 Jahre, ohne dabei kommunale Unternehmen per se zu bevorzugen. Demzufolge treffen die Gemeinden Pflichten bei der Vergabe von Konzessionen, vor allem Diskriminierungsverbote und Transparenzgebote, welche im § 46 EnWG angelegt sind. Das komplexe Vergabeverfahren ist jedoch allenfalls rudimentär ausgestaltet, viele Fragen sind auch gerichtlich bislang nicht entschieden. Insbesondere sieht das Gesetz keine besonderen Regelungen für Rekommunalisierungsvorhaben vor. Lediglich § 46 Abs. 4 EnWG verweist auf eine entsprechende Anwendung der § 46 Abs. 2 und 3 EnWG bei gemeindlichen Eigenbetrieben.

Die in jüngster Zeit bereits ergangenen Urteile zeigen das Spannungsfeld im Rahmen der Rekommunalisierungsversuche, aber auch im Hinblick auf die ordnungsgemäße Durchführung eines Verfahrens zur Vergabe eines Wegenutzungsvertrages für Strom oder Gas. Es wurden unterschiedliche Wege gewählt, die Konturen des Vergabeverfahrens, mitsamt ihrer Auswahlkriterien, zu schärfen. Die dabei hervorgetretene Komplexität des Verfahrens ist jedoch für die Kommunen in der Praxis nur schwer handhabbar. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zum Teil gravierenden Konsequenzen etwaiger Verfahrensfehler, beispielsweise die Notwendigkeit der Neukonzessionierung, ist dieser Zustand als problematisch einzuordnen.

So orientierte sich das LG Frankfurt (Urteil vom 29.09.2013 - 2-03 O 217/12) vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG. Ebenso pochte das OLG Schleswig (Beschluss vom 07.11.2013, - 201 Kart 1/13), abgeleitet aus § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG, auf den Vorrang des § 1 EnWG. Das OLG Stuttgart wiederum hielt die in § 1 EnWG genannten Ziele als ausschließlich relevante Maßstäbe, wohingegen das OVG Lüneburg (Beschluss vom 11.09.2013 - 10 ME 87/12) den § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG dahingehend auslegt, dass den Zielen des § 1 EnWG eine bloß gleichwertige Gewichtung mit anderen denkbaren Zielsetzungen der Kommen zukomme. Anders hielt es noch das VG Oldenburg (Beschluss vom 17.07.2012 (1 B 3594/12) in der Vorinstanz, welches die Ziele des § 1 EnWG als nicht maßgeblich erachtete. Auch das Schrifttum ist bei der Bestimmung der entscheidungserheblichen Bewertungspunkte nicht einheitlich (vgl. nur instruktiv Richter/Brahms, KommJur 2014, S. 6 (10)). Nähere Konkretisierung erfuhr der § 46 EnWG auch durch zwei Urteile des OLG München (Urteile vom 26.9.2013, U 3587/12 Kart und U 3589/12 Kart). Darin wertete das Gericht Vereinbarungen zur Unterstützung kommunaler Energiekonzepte als Verstoß gegen das Nebenleistungsverbot des § 3 Abs. 2 Nr. 1 KAV. Auch dies führt im Ergebnis zur Gesamtnichtigkeit der (Neu)Konzessionsverträge. Die Urteile sind insofern von besonderer Bedeutung als dass die streitgegenständlichen Klauseln Bestandteil vieler (Landes) Musterverträge sind.

Nunmehr liegt mit den Entscheidungen des BGH ein höchstrichterlicher Ansatz vor, der die rechtlichen Rahmenbedingungen konkretisiert und so für die kommunale Vergabepraxis von maßgeblicher Bedeutung ist. Hervorzuheben ist die zentrale Bedeutung der Kriterien des § 1 EnWG. Es wird ferner klargestellt, dass zwar das Vergaberecht in Form der § 97 ff. GWB keine Anwendung findet, gleichwohl ist erkennbar, dass das eigenständige energiewirtschaftliche Verfahren von Prinzipien durchdrungen ist, die aus den Vorgaben des Kartellvergaberechts der §§ 97 ff. GWB abgeleitet werden können (vgl. etwa die vom BGH angedeutete Anlehnung an die Informations- und Wartepflicht nach § 101 a GWB). Insbesondere die zentrale Norm des § 46 EnWG, sowie die ergänzend hinzutretenden kartellrechtlichen Vorschriften der §§ 19 und 20 GWB, gewinnen somit durch die beiden BGH-Entscheidungen deutlich an Kontur. Die Notwendigkeit der Einbeziehung der kartellrechtlichen Normen in das Verfahren nach § 46 EnWG wird bisweilen kritisch ─ weil nicht erforderlich ─ beurteilt (vgl. Richter/Brahms, KommJur 2014, S. 6 (8)).

Von erheblicher Bedeutung ist auch die für die Gemeinden enttäuschende Betonung, dass diese grundsätzlich keine Privilegierung bei der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen erfahren sowie die Festsetzung eines relativ „starren“ Rahmens der Auswahlkriterien. Gerade vor dem Hintergrund der Selbstverwaltungsautonomie des Art. 28 Absatz 2 GG ist dies überaus kritisch zu betrachten. Die Gemeinden erfahren so eine Beschränkung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten, was sich spürbar negativ auf die Vielzahl von Rekommunalisierungsvorhaben auswirken dürfte. Vor diesem Hintergrund hat die Stadtvertretung Heiligenhafen – wie in verschiedenen Online-Medien gemeldet wird –, die Werkleitung der Stadt Heiligenhafen beauftragt, gegen das Urteil des BGH vom 17.12.2013 (KZR 65/12) Verfassungsbeschwerde einzulegen. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde soll insbesondere geklärt werden, ob die Auffassung des BGH, im Rahmen der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen komme eine Inhouse-Vergabe nicht in Betracht, gegen das Recht der öffentlichen Hand auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG verstößt.

Weiterhin verdeutlichen die Entscheidungen auch, dass etwaige Rechtsverstöße zur Nichtigkeit des Vertrages führen können, ohne dass den Altkonzessionär in dem Falle einer Netzübernahmekonstellation eine Rügepflicht treffe, und führt so eine scharfe Sanktion ins Feld. Die Nichtigkeit als Rechtsfolge ist dabei von entscheidender Bedeutung, zumal ein Nachholen versäumter Verfahrensschritte nicht vorgesehen ist, so dass dieses Verdikt besonders schwerwiegend ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der BGH gleichzeitig jedenfalls in den Fällen einer Netzübernahmekonstellation eine Rügeverpflichtung grundsätzlich verneint. Diese Rechtsprechung wurde bereits auf obergerichtlicher Ebene fortgeführt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.3.2014 – 6 U 68/13 (kart)). Rechtswidrige Konzessionsverträge werden so also nicht wirksam. Anders ist dies bloß, wenn der diskriminierte Bewerber ausreichend Gelegenheit hatte, seine Rechte zu wahren, diese aber nicht nutzte. Als praxistaugliche „Handreichung“ bietet der BGH insoweit den Rechtsgedanken des § 101 a GWB an: Sofern alle Bewerber um die Konzession rechtzeitig über die beabsichtigte Vergabeentscheidung benachrichtigt werden, d.h. 15 Kalendertage vor der Entscheidung, sind etwaige ─ nicht geltend gemachte ─ Einwendungen des unterlegenen Bewerbers präkludiert. Nur dann gewährt der BGH der Rechtssicherheit Vorrang. In anderen Fällen ist der Altkonzessionär als unterlegener Bewerber der Neuvergabe in seinen Rechtspositionen vor Ansprüchen aus § 46 Absatz 2 Satz 2 EnWG weitestgehend geschützt. Für die Praxis kann diese umfassend gewährte Schutz die Gemeinde in Zukunft bei der Umsetzung ihrer bereits abgeschlossenen Verfahren vor gravierende Probleme stellen und die Rekommunalisierung der Strom,- und Gasnetze mancherorts erheblich verzögern. Aus Sicht der Kommunen kritisch zu beachten ist dabei insbesondere die Tendenz des BGH, den Beurteilungsspielraum der öffentlichen Hand in Bezug auf die Auswahl der Entscheidungskriterien sowie der entsprechenden prozentualen Gewichtung unter Rückgriff auf den Musterkriterienkatalog des Landes Baden- Württemberg in nicht unerheblichem Maße einzuschränken. Diese Entwicklung, nach der die Gefahr besteht, letztlich für sämtliche Konzessionsvergaben einem starren, verbindlichen Kriterienkatalog mit feststehender Gewichtung vorzugeben, dürfte nicht nur das kommunale Selbstverwaltungsrecht der öffentlichen Hand tangieren, sondern ist auch aus wettbewerblichen Gesichtspunkten äußerst problematisch.

Insgesamt erhellen die Urteile zumindest in Teilen das zuweilen undurchsichtige Verfahren der Konzessionsvergabe nach dem EnWG, gleichwohl verbleibt ein Dickicht an Anforderungen, dass nur schwer handhabbar ist und die Kommunen auch weiterhin vor die schwierige Aufgabe stellt, ein ordnungsgemäßes Verfahren durchzuführen. Gerade im Hinblick auf bereits abgeschlossene Konzessionsvergaben im Zuge der Rekommunalisierungsbestrebungen besteht die Gefahr, dass diese im Insgesamt erhellen die Urteile zumindest in Teilen das zuweilen undurchsichtige Verfahren der Konzessionsvergabe nach dem EnWG, gleichwohl verbleibt ein Dickicht an Anforderungen, dass nur schwer handhabbar ist und die Kommunen auch weiterhin vor die schwierige Aufgabe stellt, ein ordnungsgemäßes Verfahren durchzuführen. Gerade im Hinblick auf bereits abgeschlossene Konzessionsvergaben im Zuge der Rekommunalisierungsbestrebungen besteht die Gefahr, dass diese im Lichte der ergangenen Rechtsprechung als energie- und wettbewerbsrechtlich rechtswidrig einzuordnen sind, so dass eine Neuvergabe notwendig wird. Dieser „Trend“ zeichnet sich bereits in einer jüngst ergangenen obergerichtlichen Entscheidung ab (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.3.2014 – 6 U 68/13 (kart)).

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