A. Einführung
Mit dem vorliegenden Legal Update knüpfen wir auf der Grundlage des Schreibens des BMF vom 9.7.2021 und des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 28.7.2021 an unsere früheren Updates zu den zivilrechtlichen Fragen von Cum/Cum und Cum/Ex-Geschäften an. Wir nehmen erneut die steuer- und zivilrechtliche Haftung der Beteiligten solcher Geschäfte in den Blick, auch angesichts des Umstands, dass aktuell wieder Bewegung in die Aufarbeitung der Cum/Ex-Transaktionen kommt, wie das Handelsblatt am 5.1.2022 berichtet.
B. Cum/Cum-Geschäfte
Deutsche institutionelle Investoren („Investoren“) haben in der Vergangenheit Wertpapiere an in- und ausländische Banken („Vertragspartner“) zivilrechtlich übertragen und erhielten ihrerseits als Wertausgleich und/oder Sicherheit vom Vertragspartner dividendenberechtigte Aktien an deutschen Aktiengesellschaften (wechselseitiges Wertpapiergeschäft). Ferner gab es „Secured Loan“- oder „Stock Loan“-Transaktionen, in denen der Vertragspartner ebenfalls Aktien an den Investor zivilrechtlich wirksam übertrug, jedoch nicht zur Sicherung eines gegenläufigen Wertpapiergeschäfts, sondern beispielsweise im Zusammenhang mit Darlehen des Investors an den betreffenden Vertragspartner (einseitiges Wertpapiergeschäft). Am Dividendenstichtag vereinnahmten die Investoren als Inhaber der Aktien die betreffenden Nettodividenden unter Anrechnung / Erstattung von Kapital-ertragsteuer/SolZ, die vom Emittenten abgeführt wurden. Sodann gab der Investor die Aktien an den betreffenden Vertragspartner zurück, und zwar nebst einer Kompensationszahlung für die vom Investor als zwischenzeitlichem Aktieninhaber vereinnahmte Bruttodividende (Dividendenkompensationszahlung). Ohne die Transaktionen hätte der Vertragspartner (im folgenden „Aktienlieferant“) als Inhaber der Aktie lediglich die Nettodividende vereinnahmen und als ausländische Bank lediglich einen Erstattungsanspruch nach dem jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen („DBA-Steuererstattungsanspruch“) i.H.v. maximal 10 % der Bruttodividende geltend machen können. Dieser Vorteil floss in die Bemessung der Entgelte für die zu Grunde liegenden Transaktionen ein und kam so wirtschaftlich auf der Grundlage der Verträge beiden Seiten zugute.
Nach vielen Jahren, in denen die Finanzverwaltung diese Geschäfte kannte und nicht beanstandete, kam es ab 2016 vermehrt zu Steuernachforderungen der Finanzbehörden.
C. Das Schreiben des BMF vom 9.7.2021 / Steuerrechtliche Lage
Im Schreiben vom 9.7.2021 hat sich das BMF mit der materiell-rechtlichen Behandlung von "Cum/Cum-Transaktionen" befasst und erklärt, dass das wirtschaftliche Eigentum an Aktien zwar grundsätzlich dem (zivilrechtlichen) Eigentümer zuzurechnen ist, hiervon jedoch abzuweichen ist, wenn ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die tatsächliche Sachherrschaft über die Aktien ausübt. Das BMF-Schreiben ersetzt das Schreiben vom 17.7.2017 und ist in allen offenen Fällen anwendbar.
Bei Cum/Cum-Transaktionen geht das zivilrechtliche Eigentum an den Aktien nach dem BMF-Schreiben zwar auf den Entleiher bzw. Erwerber über, allerdings bewirken die anlässlich der Transaktion abgeschlossenen Verträge und deren Vollzug, dass das wirtschaftliche Eigentum regelmäßig nicht auf den zivilrechtlichen Eigentümer der Aktien übergeht. Denn es erfolge, so die Verwaltungsauffassung, kein endgültiger Übergang der Chancen und Risiken, die mit dem Eigentum an den Wertpapieren üblicherweise verbunden sind. Denn der Empfänger der Aktien übertrage die Aktien nach der Dividendenausschüttung an seinen Vertragspartner zurück und trage bis zur Rückübertragung der Aktien keine Kursrisiken, da er:
- die Aktien über eine Wertpapierleihe vom Veräußerer übertragen bekomme,
- der Verkaufspreis im Falle der Rückveräußerung bereits als Bestandteil der Vereinbarung feststehe oder
- die Aktien während der Haltedauer im Rahmen der Transaktionen gegen Kursschwankungen gesichert würden. Selbst die Weiterverwendung der Aktien über den Zeitraum bis zur Rückübertragung soll hierbei kein wirtschaftliches Eigentum begründen.
Das BMF-Schreiben will damit die Anerkennung von Cum/Cum – Transaktionen einschränken. Diese Zielsetzung wird weiter dadurch deutlich, dass dann, wenn die Prüfung ergibt, dass der Empfänger der Aktien das wirtschaftliche Eigentum erlangt hat, die weiteren steuerlichen Folgen auf Grundlage der Regelungen zum Gestaltungsmissbrauch zu prüfen sind. Denn nach dem BMF-Schreiben muss neben der Frage der Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums bezüglich der weiteren steuerlichen Folgen geprüft werden, ob ein Gestaltungs-missbrauch im Sinne des § 42 Abs. 2 AO vorliegt.
Die Rechtsfolge in beiden Fällen (kein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums oder Gestaltungsmissbrauch): Der Empfänger der Aktien aus einer Cum/Cum-Gestaltung ist nicht der steuerliche Anteilseigner (nach § 20 Abs. 5 EStG). Er ist nicht zur Anrechnung oder Erstattung der auf die Dividendenzahlung abgeführten Kapitalertragsteuer befugt. Die auf die Dividendenzahlung abgeführte Kapitalertragsteuer ist nicht auf die Steuerschuld des Empfängers der Aktien anzurechnen oder an den Empfänger zu erstatten. Wurde bei der Dividendenzahlung kein Kapitalertragsteuerabzug vorgenommen oder die einbehaltene Kapitalertragsteuer erstattet, ist die Kapitalertragsteuer nachzuzahlen.
Das BMF weist in seinem neuen Schreiben darauf hin, dass Steuerzahlern eine Anzeige- und Berichtigungspflicht (nach § 153 AO) obliegt, wenn sie nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennen, dass sie Cum-Cum-Sachverhalte in ihrer Steuererklärung objektiv unrichtig bzw. unvollständig erklärt haben und es dadurch zu einer Steuerverkürzung kommen kann bzw. gekommen ist. Bei vollständiger Erklärung und Offenlegung des Sachverhaltes in den entsprechenden Steuererklärungen ist eine Berichtigung demgegenüber nach § 153 AO nicht erforderlich.
Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass gegen die Auffassung der Finanzverwaltung zahlreiche Argumente ins Feld geführt werden können. Z.B. berücksichtigt das BMF-Schreiben nicht die Rechtsprechung des EuGHs und des BFH zum wirtschaftlichen Eigentum und zum Gestaltungsmissbrauch, so dass ein Beschreiten des finanzgerichtlichen Weges nicht von vorneherein ausgeschlossen werden sollte.
D. Zivilrechtliche Folgen: Ausgleichs- und Ersatzansprüche aufgrund aberkannter Erstattung / Anrechnung
I. Ausgangslage
Die neuerliche Positionierung des BMF rückt neben den Nachforderungen des Fiskus auch die zivilrechtlichen Folgen der Nachforderungen des Fiskus verstärkt in den Blick. Hier geht es z.B.
- um die Frage, ob der an der Transaktion Beteiligte, der vom Fiskus in Anspruch genommen worden ist, andere Beteiligte kraft gesetzlicher Regelungen (z.B. Gesamtschuld) oder auf vertraglicher Grundlage in Regress nehmen kann oder allein auf dem Schaden „sitzen“ bleibt,
- um Regressansprüche wegen fehlerhafter Beratung durch die Counterparty oder andere und
- um Schadensersatz des betroffenen Unternehmens gegen handelnde Mitarbeiter bzw. D&O - Versicherer.
Insbesondere wenn die Investoren - um ihren Anzeige- und Berichtspflichten auch zwecks Vermeidung steuerstrafrechtlicher Konsequenzen rechtzeitig nachzukommen – sich an die Finanzverwaltung wenden und somit möglicherweise Nachforderungen des Fiskus auslösen, müssen sie sich nicht nur mit Rückstellungen befassen, sondern auch mit Regressmöglichkeiten.
Wie in unseren früheren Legal Updates ausgeführt, kommen mehrere Grundlagen für Ausgleichsansprüche in Betracht, wenn sich die ursprünglich erwarteten steuerlichen Konsequenzen zu Lasten eines Beteiligten, zum Beispiel der Investoren, ändern, insbesondere Ansprüche aus ergänzender Vertragsauslegung, aus Wegfall der Geschäftsgrundlage, bereicherungsrechtliche Ansprüche, Ansprüche aus Beratungshaftung sowie Ansprüche aus Gesamtschuldnerausgleich.
Zur Vermeidung von entsprechenden Einwendungen von in Regress genommenen Geschäftspartnern erscheint es vielfach unerlässlich, das steuerrechtliche außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren vollständig durchzuführen, eine finale Entscheidung herbeizuführen, hierbei die möglichen Regressschuldner im gebotenen Maße zu involvieren und sodann auf der Grundlage der rechtskräftigen steuerrechtlichen Entscheidung Regress zu nehmen. Ob dies die Interessenlage trifft, ist freilich im Einzelfall zu beurteilen und gegebenenfalls mit den potenziellen Regressschuldnern abzustimmen.
II. Verjährung
Von besonderer Bedeutung ist es für die Marktteilnehmer, die der Fiskus in Anspruch nimmt bzw. nehmen könnte, wie sie ihre Regressansprüche wahren und Verjährung verhindern (vgl. dazu unsere früheren Updates).
Im Auge zu behalten ist dabei die Pflicht von Geschäftsleitern, Ansprüche ihres Unternehmens zu wahren. Das gilt natürlich auch für derartige Rückgriffsansprüche.
E. Cum/Ex-Transaktionen und die daraus entstehenden Ansprüche
I. Cum/Ex - Transaktionen
Bei Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um gezielte Aktienleerverkaufsgeschäfte um den Dividendenstichtag. Diese führten im Ergebnis dazu, dass Kapitalertragsteuerbescheinigungen mehrfach ausgestellt wurden, obwohl es nur einen Steuerpflichtigen gab. Das LG Bonn (LG Bonn v. 18.3.2020 – 62 KLs - 213 Js 41/19 - 1/19, BeckRS 2020, 13619) beschreibt diese Geschäftsformen wie folgt:
„Die Bezeichnung Cum/Ex-Geschäft geht allgemein darauf zurück, dass die sachenrechtliche Übertragung der veräußerten Aktien jedoch erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Dividendenkupon bereits getrennt (‚ex‘) ist. Tatsächlich erfolgt die Kupontrennung beim Sammelverwahrer regelmäßig mit Ablauf des Tages, an dem die Hauptversammlung der betreffenden Gesellschaft den die Gewinnverteilung (und damit den die Dividendenzahlung) betreffenden Beschluss gefasst hat. Ab diesem Moment, also ab dem Tag nach der Hauptversammlung (auch: ‚Ex-Tag‘), können Aktien unabhängig von den schuldrechtlichen Vereinbarungen der Vertragspartner sachenrechtlich nur noch ohne Kupon und damit nur noch ohne Anspruch auf Zahlung der Dividende übertragen werden, “der die zu zahlende Dividende verkörpernde Kupon noch nicht getrennt ist.“ Die Motivation zum Abschluss dieser Geschäfte wird vom LG Bonn wie folgt beschrieben:
„Anders als bei Cum/Cum-Geschäften ging es den Akteuren bei den streitgegenständlichen Cum/Ex-Konstellationen nicht darum, Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag zu vermeiden. Diese Geschäfte zielten vielmehr weitergehend darauf ab, Steueranrechnungen oder Steuererstattungen in Fällen zu erlangen, in denen zuvor ein Abzug der entsprechenden Steuern gar nicht stattgefunden hatte. Der Fiskus erlitt hier nicht (lediglich) eine Steuermindereinnahme. Er wurde vielmehr veranlasst, Beträge anzurechnen bzw. zu erstatten, denen keine vorherige Steuereinnahme gegenüberstand.“
II. Gegenwärtiger Stand / Urteil des BGH
In der Folge haben Cum/Ex-Geschäfte umfangreiche Strafverfahren und zudem auch Schadensersatzprozesse ausgelöst; insbesondere in letztere Thematik ist unsere Sozietät bereits seit Ende des Jahres 2017 involviert.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 28.7.2021 entschieden, dass Cum/Ex-Geschäfte strafbar sind. Er hat die Revisionen zweier Londoner Börsenhändler verworfen: Tatsächlich nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage von Cum-Ex-Geschäften geltend zu machen, erfülle den Straftatbestand der Steuerhinterziehung (Urt. v. 28.07.2021, Az Az. 1 StR 519/20). Beide Börsenhändler hätten auch vorsätzlich gehandelt. Schließlich hätten sie gemeinsam mit anderen Verantwortlichen zwischen 2007 und 2011 jeweils um den Dividendenstichtag herum bewusst arbeitsteilig auf die Auszahlung nicht abgeführter Kapitalertragsteuer hingewirkt. Dabei sei schon damals eindeutig gesetzlich geregelt gewesen, dass nur tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung beim Finanzamt angemeldet werden dürfe.
Aufgrund des Urteils werden die bereits anhängigen Strafverfahren gegen weitere Cum/Ex-Beteiligte voraussichtlich zeitnah fortgesetzt. Dem Vernehmen nach sollen aktuell in Deutschland 105 Verfahren anhängig sein. Die Zahl der Beschuldigten stieg auf 1350.
III. Konsequenzen
Der Täter oder Teilnehmer einer durch ein Cum/Ex-Geschäft bedingten Steuerhinterziehung haftet der Finanzverwaltung nach der Vorschrift des § 71 S. 1 AO für „die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile.“
Dabei ist aber in jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerhinterziehung überhaupt vorliegen, und dies auch bei der Geltendmachung und Abwehr zivilrechtlicher Regressforderungen zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem für Personen, die nicht unmittelbar, etwa als Verkäufer, an den fraglichen Cum/Ex -Geschäften beteiligt waren. Bei diesen ist die Annahme einer strafbaren Steuerhinterziehung durchaus fraglich.
IV. Regress / mehrfache Inanspruchnahme
Hier gelten ähnliche Erwägungen wie im Cum/Cum – Bereich (vgl. oben D II):
Wird ein Beteiligter durch den Fiskus erfolgreich in Anspruch genommen stellt sich für ihn damit stets die Frage, inwieweit er auf zivilrechtlichem Wege Ersatz bei den anderen Gesamtschuldnern erlangen kann. Soweit die Beteiligten gegenüber dem Fiskus auf steuerrechtlicher Grundlage als Gesamtschuldner haften, entstehen zwischen ihnen Ansprüche auf Gesamtschuldnerregress gem. § 426 Abs. 1 BGB. Bei deren Bemessung wird es auf die individuellen Tatbeiträge und die individuellen Anteile an den Erträgen ankommen.
Auf den Gesamtschuldner, der im Zuge seiner Inanspruchnahme zahlt, geht zudem im Wege der cessio legis der Anspruch des Fiskus über. Daneben sind z.B. die Depotverträge und das Vorliegen eines – ggfs. konkludent geschlossen – Anlageberatungsvertrags heranzuziehen. Insoweit kommen vertragliche Freistellungs-, Schadens- oder Aufwendungsersatzansprüche in Betracht.
Insgesamt stellen sich im Rahmen des lnnenregresses durchaus komplexe Rechtsfragen, sowohl zur Höhe des zu leistenden Gesamtschuldnerausgleiches und auch zur Frage der Verjährung.
Ferner hat jeder Marktteilnehmer bei seinem Vorgehen darauf Bedacht zu nehmen, dass er nicht doppelt oder gar mehrfach zahlen muss. Bei Cum/Ex kann sich dies verstärkt aus den straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Gegebenheiten ergeben, z.B. bei kumulativer Tilgung der Steuerschuld, einer Einziehung der Erträge aus der Tat oder einen Abschöpfungsteil einer Geldbuße und/oder durch spätere Regressansprüche anderer Marktteilnehmer. Da die verschiedenen Vorschriften nicht aufeinander abgestimmt sind und die betreffenden Verfahren zeitlich und inhaltlich nicht aufeinander abgestimmt sein müssen, kann es zu mehrfachem Ausgleich ein und desselben wirtschaftlichen Schadens durch ein und denselben Marktteilnehmer kommen. Dieses Risiko muss frühzeitig analysiert und durch geeignete Schritte minimiert werden.