Begleitet von großer medialer Aufmerksamkeit hat der Deutsche Bundestag am 26. Mai 2023 das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) verabschiedet. Nach Billigung durch den Deutschen Bundesrat traten in der Folge mehrere Neuregelungen zur Stabilisierung der sozialen Pflegeversicherung in Kraft, von denen sich die Politik umfangreiche Leistungsverbesserungen im deutschen Pflegesystem verspricht.
I. Die wesentlichen Inhalte im Überblick
Im Fokus der medialen Berichterstattung stand dabei die bereits zum 01. Juli 2023 erfolgte Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte. Zudem wurde - in Umsetzung eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2022 - der Erziehungsaufwand von Eltern bei der Festlegung der Beitragssätze zur sozialen Pflegeversicherung stärker berücksichtigt und der Beitragssatz ab dem zweiten Kind um 0,6 Prozentpunkte gesenkt. Gleichzeitig erfolgte eine Anhebung des Kinderlosenzuschlages um 0,6 Prozentpunkte. Außerdem wurde die Bundesregierung dazu ermächtigt, im Falle einer kurzfristigen Gefährdung der Liquidität der Sozialen Pflegeversicherung den Beitragssatz ohne Zustimmung des Deutschen Bundesrates mittels Rechtsverordnung anzupassen.
Mit Wirkung zum 01. Januar 2024 werden Erhöhungen des Pflegegeldes, der ambulanten Pflegesachleistungsbeträge sowie der Leistungszuschläge zur Reduktion der Eigenanteile in der stationären Pflege folgen. Zudem wird der Anspruch auf Lohnersatzleistungen ausgeweitet, der den Betroffenen dafür gezahlt wird, dass sie aufgrund der Pflege von Angehörigen ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen können (Pflegeunterstützungsgeld).
Mit Wirkung zum 01. Juli 2025 werden schließlich die Leistungsbeträge der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege zu einem gemeinsamen Jahresbetrag zusammengefasst.
II. Auswirkungen des PUEG auf den Bereich der außerklinischen Intensivpflege
Im Schatten dieser medialen Berichterstattung brachte das PUEG - fast schon unbemerkt und in den Auswirkungen wohl auch unbeabsichtigt - auch weitreichende Änderungen im Bereich der häuslichen Krankenpflege und der außerklinischen Intensivpflege (vormals spezielle Krankenbeobachtung) im Sinne der §§ 37, 37c SGB V mit sich. Bevor hierauf näher eingegangen wird, soll im Folgenden zunächst die vertragsrechtlich nicht unkomplizierte Konstellation aufgezeigt werden, wie sie sich vor Inkrafttreten des PUEG darstellte.
1. Situation vor Inkrafttreten des PUEG
Verträge zwischen Krankenkassen und Pflegediensten wurden im Bereich der außerklinischen Intensivpflege bislang ausschließlich auf Grundlage von § 132a Absatz 4 SGB V geschlossen. Die Vorschrift regelt an sich den Bereich der häuslichen Krankenpflege, wurde jedoch auch als Ermächtigungsgrundlage zum Abschluss von Rahmen- und Ergänzungsverträgen im Bereich der außerklinischen Intensivpflege herangezogen. Dabei entsprach es gängiger Praxis, die Regelungen zur Vergütung der Pflegedienste in separate Vergütungsvereinbarungen mit eigener Kündigungsmöglichkeit auszulagern. Von dieser Kündigungsmöglichkeit machen die Pflegedienste in stetiger Regelmäßigkeit Gebrauch, um mit den Krankenkassen in der Folge höhere Vergütungen auszuhandeln.
Seit dem 01. Juli 2023 können solche Verträge auch auf Grundlage von § 132l Absatz 5 SGB V geschlossen werden. Der entscheidende Unterschied zu § 132a SGB V bestand bislang darin, dass es sich bei Verträgen nach § 132l SGB V um Kollektivverträge handelt, die mit allen Ersatzkassen und den Landesverbänden der übrigen Krankenkassen einheitlich und gemeinsam geschlossen werden, wohingegen Verträge nach § 132a SGB V auch bilateral zwischen einer (oder mehreren) Krankenkasse(n) und dem Pflegedienst geschlossen werden konnten.
Ab dem 01. Juli 2024 können Verträge in diesem Bereich hingegen nur noch auf Grundlage von § 132l SGB V geschlossen werden. Das bedeutet, dass sich die Ersatzkassen und Landesverbände der übrigen Krankenkassen selbst erst einmal auf einheitliche Qualitätsstandards, Stundenvergütungen und sonstige Vertragsdetails einigen und ein gemeinsames und einheitliches Vertragsmuster abstimmen müssen, bevor sie in die eigentlichen Vertragsverhandlungen mit dem Pflegedienst einsteigen können. Wegen der Notwendigkeit eben dieser Abstimmungen sieht § 132l SGB V an sich eine Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2024 vor, währenddessen Verträge noch bilateral auf Grundlage von § 132a SGB V oder aber - sofern die Abstimmungen in dem betroffenen Bundesland schon so weit fortgeschritten sind - bereits auf Grundlage von § 132l SGB V abgeschlossen werden können. Die Alt-Verträge nach § 132a SGB V gelten jedenfalls so lange fort, bis sie durch Verträge nach § 132l SGB V abgelöst werden, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2024.
Wie sich der Gesetzgeber diesen Ablösungsvorgang aber konkret vorgestellt hat, bleibt unklar. Dass es jedoch zwingend einer Übergangsfrist bedarf, während derer noch bilaterale Vertragsschlüsse möglich sind, zeigt sich am Beispiel einer derzeit gekündigten Vergütungsvereinbarung. Denn ohne Übergangsfrist wären die Beteiligten nunmehr darauf angewiesen, direkt einen Vertrag nach § 132l SGB V zu schließen, obgleich die Abstimmungen zwischen den Ersatzkassen und Landesverbänden in dem betroffenen Bundesland vielleicht noch gar nicht abgeschlossen sind.
2. Situation mit Inkrafttreten des PUEG
Mit Inkrafttreten des PUEG hat sich diese Situation gänzlich verändert, weil hierdurch die Gesetzeslage in § 132a SGB V an die in § 132l SGB V angeglichen wurde. Seit dem 01. Juli 2023 können nun auch Verträge nach § 132a SGB V nur noch gemeinsam und einheitlich mit allen Ersatzkassen und den Landesverbänden der Krankenkassen als Kollektivverträge geschlossen werden.
Damit aber wird die in § 132l SGB V vorgesehene Übergangsfrist de facto nivelliert. Denn wenn nun auch die Verträge nach § 132a SGB V gemeinsam und einheitlich geschlossen werden müssen, haben die Beteiligten keine Handhabe mehr, vertragslose Zustände bis zur finalen Abstimmung eines Muster-Kollektivvertrages nach § 132l SGB V über bilaterale Verträgen abzudecken.
3. Hintergründe
Die grundsätzliche Motivation des Gesetzgebers zur Einführung von Kollektivverträgen mag nachvollziehbar sein, wollte er damit doch den hochsensiblen Bereich der außerklinischen Intensivpflege dem Wettbewerb der Krankenkassen entziehen und gleiche Maßstäbe und Rahmenbedingungen schaffen (BT-Drs. 19/19368, S. 38). Von dieser Motivation scheint der Gesetzgeber nun auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege geleitet gewesen zu sein.
Es ist aber davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die damit einhergehenden Folgeprobleme nicht erkannt hat. Entweder handelte es sich bei dem Inkrafttreten der Neufassung des § 132a SGB V bereits zum 01. Juli 2023 (und nicht erst zum 01. Juli 2024) um ein redaktionelles Versehen.¹ Oder aber der Gesetzgeber hat es schlicht versäumt, jedenfalls den Bereich der außerklinischen Intensivpflege aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen und eine (vergleichbar mit der in § 132l SGB V enthaltenen) Übergangsfrist vorzusehen, wonach Verträge nach § 132a SGB V bis zum 30. Juni 2024 auch noch nach der alten Fassung, mithin bilateral, geschlossen werden können.
Vergleichbare Probleme stellen sich auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege, wohl mit sogar noch gravierenderen Folgen. Denn während die Beteiligten im Bereich der außerklinischen Intensivpflege grundsätzlich von der Notwendigkeit einer Umstellung auf Kollektivverträge wussten und durch das PUEG „nur“ insoweit überrascht wurden, als dies nun ein Jahr früher erfolgt als geplant, trifft die Umstellung die Beteiligten im Bereich der allgemeinen häuslichen Krankenpflege gänzlich unvorbereitet.
4. Lösungsansätze
Vor diesem Hintergrund müsste der Gesetzgeber dringend tätig werden und eine Übergangsfrist „nachschieben“, um Verträge nach § 132a SGB V bis zum 30. Juni 2023 noch auf Grundlage der alten Fassung schließen zu können. Wir standen mit dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages bereits im Austausch. Mit einem zeitnahen Tätigwerden des Gesetzgebers ist angesichts der parlamentarischen Sommerpause jedoch nicht zu rechnen.
Die Problematik wird jedenfalls in den Fällen etwas abgeschwächt, in denen die gekündigten Verträge Fortgeltungsklauseln enthalten, wonach die vereinbarte Vergütung so lange weiter gilt, bis sich die Parteien auf eine Folgevereinbarung verständigt haben. Damit besteht jedenfalls für die Zahlung der Vergütung eine hinreichende vertragliche Grundlage.
Anders sieht es aus, wenn der Pflegedienst nach Kündigung direkt zu Neuverhandlungen aufruft und infolgedessen auch ein Vergangenheitszeitraum vertraglich abgedeckt werden muss. Kündigt der Pflegedienst den Vertrag beispielsweise zum 01. Juli 2023 und kann der Kollektivvertrag erst nach finaler Abstimmung zum 01. Januar 2024 abgeschlossen werden, müsste dieser den dazwischenliegenden Zeitraum dann rückwirkend miterfassen. Es ist jedoch schwer vorstellbar, wie etwa Qualitätsstandards für die Versorgung der Patienten, die von den Parteien in den Kollektivverträgen vereinbart werden, rückwirkend angewandt werden sollen. Außerdem müssten sich alle Ersatzkassen und Landesverbände der übrigen Krankenkassen auf das Startdatum 01. Juli 2023 einigen können, was zumindest voraussetzt, dass keine Krankenkasse mit dem Pflegedienst noch einen laufenden (ggf. für die Krankenkasse günstigeren) Vertrag hat. Würde man stattdessen das Startdatum des Vertrages für jede Krankenkasse individuell festlegen, läge streng genommen kein „einheitlich und gemeinsamer“ Vertragsschluss mehr vor.
Deshalb bietet es sich an, die in der Vergangenheit liegenden Vergütungszeiträume über Kompensationszuschläge abzudecken. Diese Möglichkeit sehen sowohl die Bundesrahmenempfehlungen zu § 132a SGB V (dort § 7 Absatz 6 Satz 3) als auch zu § 132l SGB V (dort § 14 Abs. 6 S. 3) vor. Wie solche Kompensationszuschläge aber konkret aussehen sollen, bleibt weithin unklar.
4. Handlungsempfehlungen
Solange in dem betroffenen Bundesland noch kein fertiger Muster-Kollektivvertrag vorliegt, raten wir derzeit dringend davon ab, bestehende Verträge bzw. Vergütungsvereinbarungen vor dem 01. Juli 2024 zu kündigen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Kündigung lediglich dem Zweck dienen soll, mit den Krankenkassen für den Folgezeitraum höhere Vergütungen zu verhandeln und ansonsten keine Notwendigkeit für eine dauerhafte Beendigung des Vertragsverhältnisses besteht. Insbesondere sollte von einer Kündigung in den Fällen abgesehen werden, in denen der Vertrag keine Fortgeltungsklausel enthält. Diese Empfehlungen gelten sowohl für Verträge im Bereich der außerklinischen Intensivpflege als auch der allgemeinen häuslichen Krankenpflege.
Die haben Fragen zu den Themen allgemeine häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege oder grundsätzlich zu den Themen Healthcare, PUEG und SGB V? Dann sprechen Sie uns an, wir beraten Sie gern!
[1] Hierfür spräche, dass das PUEG das Inkrafttreten der Regelungen u.a. aus Artikel 6 Nummer 4 bis 7 PUEG zu einem späteren Zeitpunkt als den 01. Juli 2023 vorsieht (vgl. Artikel 10 Absatz 4 PUEG), dabei aber ggf. Artikel 6 Nummer 7b PUEG (Regelungen zu § 132a SGB V) vergessen hat.