Aufklärungspflichten über besonders wesentliche Umstände bestehen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für (Immobilien-)Verkäufer schon länger. Bisher nicht abschließend geklärt ist die Frage, wie die Erfüllung dieser Aufklärungspflichten zu erreichen ist und welche Auswirkungen die Durchführung einer Due Diligence durch den Käufer auf die Aufklärungspflichten hat.
In seinem hier besprochenen Urteil vom 15.09.2023 (Az. V ZR 77/22) stellt der Bundesgerichtshof klar, dass das bloße Einstellen von offenbarungspflichtigen Informationen in einen elektronischen Datenraum für die Erfüllung von Aufklärungspflichten jedenfalls nicht ausreichend sei und verschärft damit die Anforderungen an die Aufklärungspflichten von Immobilienverkäufern erneut. Bereits in seinem Urteil vom 23.09.2022 (siehe hierzu auch das Legal Update vom 24.02.2023 von unserem Kollegen Dr. Wolf zur Nieden) hatte der Bundesgerichtshof die Aufklärungspflichten für Grundstücksverkäufer in Bezug auf Details ausgedehnt.
Der zugrundeliegende Sachverhalt
Der klagende Käufer erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 25.03.2019 mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen, gemischtgenutzten Gebäudekomplex aus den 1970er Jahren, von dem beklagten Verkäufer.
Der Kaufvertrag enthielt u.a. eine Versicherung des Verkäufers, wonach „keine Beschlüsse gefasst sind, aus denen sich eine künftig fällige Sonderumlage ergibt“. Der Käufer bestätigte wiederum, die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben.
In der Eigentümerversammlung vom 15. Januar 2020 fasste die Eigentümergemeinschaft einen Beschluss über die Finanzierung umfangreicher Sanierungsarbeiten, in dessen Folge die Eigentümer der Gewerbeeinheiten, inklusive des Käufers, auf Zahlung einer Sonderumlage in Höhe von bis zu 50 Mio. EUR – rund das dreißigfache des Kaufpreises – in Anspruch genommen wurden. Dem Beschluss war ein Gerichtsverfahren vorausgegangen, in welchem eine Eigentümerin die Erhebung einer Sonderumlage in Höhe von 50 Mio. EUR durchzusetzen versuchte, welche in der Eigentümerversammlung vom 1. November 2016 von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten abgelehnt wurde.
Das Protokoll zu ebenjener Eigentümerversammlung, aus dem der Kostenumfang für die geplanten baulichen Maßnahmen hervorging, hatte der Verkäufer – ohne gesonderten Hinweis – erst am Freitag vor dem für Montag angesetzten Notartermin in den elektronischen Datenraum eingestellt.
Der Käufer sah darin ein „heimliches Unterschieben“ eines besonders wichtigen Dokuments und erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung. Der Verkäufer war der Ansicht, der Sanierungsstau des Gesamtkomplexes sei offensichtlich gewesen und der Käufer hätte sich selbst die zur Verfügung gestellten Dokumente eingehend ansehen müssen.
Der Käufer klagte bei den Vorinstanzen erfolglos auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und Schadensersatz. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Berufungsgerichts nun größtenteils aufgehoben und zur Neuverhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aufklärungspflicht bei elektronischen Datenräumen
Das bloße Einstellen eines Dokuments in den Datenraum ist oft nicht ausreichend
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können einen Verkäufer besondere Aufklärungspflichten hinsichtlich solcher Sachverhalte treffen, die den Vertragszweck aus Sicht des Käufers vereiteln können und daher für seinen Entschluss von erheblicher Bedeutung sind, sofern der Käufer eine Mitteilung nach der Verkehrsanschauung erwarten konnte. Um einen solchen offenbarungspflichtigen Umstand handelte es sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs in dem hier entschiedenen Fall auch bei den geplanten baulichen Maßnahmen mit einem Kostenumfang von 50 Mio. EUR.
Der Verkäufer genüge seinen Aufklärungs- und Informationspflichten dabei nicht schon da-durch, dass er dem Käufer – beispielsweise durch Einrichten eines elektronischen Datenraum – die Möglichkeit gibt, selbst offenbarungspflichtige Umstände zu erkennen, entschied der Bundesgerichtshof nun (erneut). Etwas Anderes gelte nur dann, wenn der Verkäufer aufgrund der Gesamtumstände im jeweiligen Einzelfall die „berechtigte Erwartung“ haben durfte, der Käufer werde die zur Verfügung gestellten Unterlagen im Hinblick auf den offenbarungspflichtigen Umstand gezielt überprüfen. Solche Umstände sollen beispielsweise dann vorliegen, wenn der Verkäufer in Bezug auf mögliche Mängel ein Sachverständigengutachten überreicht hat oder der Verkäufer gesicherte Kenntnis darüber hat, dass der Käufer auch tatsächlich eine umfassende Due Diligence durchführt und nicht bloß die Möglichkeit dazu hat.
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Übergabe physischer Unterlagen, die er hier nun ausdrücklich auf die Nutzung elektronischer Datenräume überträgt.
Auch der Zeitpunkt ist von Bedeutung
Der Bundesgerichtshof hat für die Nutzung eines Datenraums auch klargestellt, dass eine nachträgliche und kurzfristige Einstellung von einzelnen Dokumenten in den Datenraum dazu führen kann, dass der Verkäufer gerade keine berechtigte Erwartung (mehr) haben darf, der Käufer werde die nachträglich eingestellten Dokumente noch rechtzeitig zur Kenntnis nehmen.
Bewertung und Fazit
Zwar betont der der Bundesgerichtshof erneut, dass stets der jeweilige Einzelfall die Reichweite etwaiger Aufklärungspflichten bestimmt. Nichtsdestotrotz bedeutet das Urteil gerade für größere Immobilientransaktionen de facto eine grundsätzliche und erhebliche Verschärfung der Aufklärungspflichten des Verkäufers. Gerade bei solchen Transaktionen werden üblicherweise umfangreiche Unterlagen in elektronischen Datenräumen zur Verfügung gestellt. Die Nutzung ebendieser elektronischen Datenräume bietet – anders als bei der Übergabe physischer Unterlagen – eben auch die Möglichkeit kurzfristig Dokumente einzustellen, ohne dass die andere Vertragspartei diese zwingend zur Kenntnis nimmt. Der Bundesgerichtshof erwartet von der Verkäuferseite in diesen Fällen ein übersichtliches und stringent strukturiertes Ordnerkonzept. Wobei der Verkäufer offenbar selbst dann nicht erwarten darf, dass der Käufer sich wichtige Unterlagen auch wirklich ansieht. Nicht einmal die (übliche) entsprechende Bestätigung des Käufers im Kaufvertrag, die Unterlagen – hier die Protokolle der Eigentümerversammlungen – erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben, scheint ausreichend zu sein.
Verkäufern ist zur Vermeidung späterer Streitigkeiten demnach dringend zu raten, mit dem Käufer vorab genau zu vereinbaren, welche Regeln und Fristen für die Nutzung des Datenraumes gelten sollen. Sofern dort Informationen mit erheblicher wirtschaftlicher Relevanz bzw. über mögliche Risiken zur Verfügung gestellt werden, sollte der Verkäufer zudem vorsorglich explizit auf diese und die diesbezüglichen Dokumente hinweisen, auch wenn der Käufer diese bei Prüfung des Datenraums selbst finden könnte. Dies gilt umso mehr bei Unterlagen, die kurzfristig vor Abschluss des Kaufvertrags nachgereicht werden. Insbesondere wenn zwischen dem Zeitpunkt des Einstellens und dem Notartermin nur noch ein Wochenende liegt, wird selbst bei gesicherter Kenntnis über die Durchführung einer Due Diligence auf Seiten des Käufers eine gesonderte Hinweispflicht bestehen. Denn auch der sorgfältigste Käufer wird zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit wesentlich neuen Informationen im Datenraum rechnen müssen.
Autoren: Katharina Meeser und Patrick Wüstefeld, LL.M. (Stellenbosch)