Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften – EnSiG 3.0

Köln, 20.09.2022

Das Bundeskabinett hat am 14. September 2022 die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegte Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften beschlossen.

Da der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine die angespannte Lage auf den Energiemärkten verschärft hat, soll das Gesetzgebungsvorhaben die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien kurzfristig erhöhen und die Transportkapazitäten im Stromnetz steigern, um zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Winter 2022/2023 und im Winter 2023/2024 beizutragen.

Erhöhung der Stromproduktion aus Windenergie an Land

Die beschlossenen Gesetzesänderungen sind als durchweg relevant für laufende Genehmigungsverfahren als auch für bestehende Anlagen und Windparks zu bewerten. Sie sollten von Vorhabenträgern und Betreibern zum Anlass genommen werden, laufende Genehmigungsverfahren als auch bestehende Genehmigungsbescheide zu prüfen und zu Gunsten einer möglichen Produktionssteigerung zu optimieren.

Vereinfachtes Repowering von WEA an Land

Der Gesetzentwurf führt einen neuen § 16b Abs. 7 und Abs. 8 BImSchG ein, mittels der das Repowering von WEA an Land weiter beschleunigt und vereinfacht werden soll.

Danach bestimmt der neue Abs. 7, dass bei Änderungen am Anlagentyp auch vor der Errichtung keine Neugenehmigung i.S.d § 4 BImSchG erforderlich ist, sondern allenfalls eine Änderungsgenehmigung. Der Prüfungsumfang einer Änderungsgenehmigung wird sodann auf die Beeinträchtigungen der repowerten Anlage beschränkt, die im Vergleich zum genehmigten Zustand der Anlage hervorgerufen werden. 

In Abs. 8 wird nunmehr geregelt, dass das im Rahmen eines Änderungsgenehmigungsverfahrens beantragte leistungssteigernde Softwareupdate einer WEA (d. h. keine bauliche Veränderung oder Änderung der genehmigten Betriebszeit), von der Genehmigungsbehörde lediglich auf die Standsicherheit der Anlage sowie die schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche und Turbulenzen zu prüfen ist.

Diese Änderungen gelten unbefristet und unabhängig einer sich möglicherweise wieder entspannenden Gasversorgungslage. 

Grenzwerte TA-Lärm und Schattenschlag

Daneben werden im BImSchG Regelungen zu Abweichungen von Vorgaben zu nächtlichen Geräuschwerten und zur Vermeidung von Schattenwurf bei Windenergieanlagen (WEA) eingeführt. 

Durch die Einfügung eines § 31k Abs. 1 Nr. 1 BImSchG können Betreiber von WEA auf Antrag im Fall einer ernsten oder erheblichen Gasmangellage Abweichungen von Genehmigungsanforderungen an optische Immissionen (Schattenwurf) erreichen. Dabei wird aufgrund der Ausrufung der Alarmstufe nach dem Notfallplan Gas vom Vorliegen der ernsten oder erheblichen Gasmangellage schon zum jetzigen Zeitpunkt vom Gesetzgeber ausgegangen. Diese Voraussetzung ist vom Vorhabenträger damit nicht mehr nachzuweisen. 

Zudem kann der Betreiber gemäß § 31k Abs. 1 Nr. 2 BImSchG auf Antrag von genehmigungsrechtlichen Anforderungen an Geräuschimmissionen abweichen, soweit sich der Schallleistungspegel hierdurch um nicht mehr als 4 dB(A) im Verhältnis zum bisher genehmigten Wert erhöht. Dies soll es den Betreibern insbesondere zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens ermöglichen, die Leistung der WEA zu erhöhen und mehr Strom zu erzeugen. Die beantragte Abweichung gilt nach Ablauf eines Monats nach Eingang des Antrags als zugelassen, sofern der Antrag hinreichend bestimmt ist und sich die beantragte Abweichung auf die Geräusche zur Nachtzeit oder die optische Immission beschränken. Über die Zulassung der Abweichungen bedarf es weder einer Änderungsgenehmigung noch einer Anzeige. Die Regelungen sind befristet bis zum 15. April 2023.

Erhöhung der Stromproduktion aus Photovoltaik

Abschaffung der Wirkleistungsbegrenzung auf 70%

Die für den 1. Januar 2023 durch das EEG 2023 bereits beschlossene Abschaffung der sog. 70-Prozent-Regelung für neue Photovoltaikanlagen bis einschließlich 25 kW installierter Leistung wird zeitlich vorgezogen. Bisher waren Anlagenbetreiber gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EEG 2021 verpflichtet, die Wirkleistungseinspeisung ihrer Anlage auf 70 Prozent der installierten Leistung zu begrenzen (sog. 70-Prozent-Regelung). Zur kurzfristigen weiteren Erhöhung der Einspeisung von Strom aus Photovoltaikanlagen wird die Abschaffung der Regelung für alle Neuanlagen vorgezogen, die nach dem 14. September 2022 (Tag des Kabinettsbeschlusses) in Betrieb genommen werden.

Darüber hinaus soll wegen der Energiekrise ab dem 1. Januar 2023 durch den neuen § 100 Abs. 3a EEG 2023 die Begrenzung der Wirkleistungseinspeisung bei bestehenden Solaranlagen mit einer installierten Leistung bis einschließlich 7 kW aufgehoben werden. Dies betrifft alle Anlagen dieses Segments, die spätestens bis zum 14. September 2022 in Betrieb genommen wurden.

Krisensonderausschreibung für Solaranlagen

Für den 15. Januar 2023 wird gemäß § 28a Abs. 6 EEG 2023 eine Krisensonderausschreibung für Solaranlagen des ersten Segments mit einem Volumen von 1500 MW eingeführt. Diese soll kurzfristig Ausbaupotentiale im Bereich der Solarenergie heben, um eine Reduktion des Gasverbrauchs in der Stromerzeugung zu ermöglichen. Allerdings verringern sich hierdurch die Ausschreibungsvolumen für die Gebotstermine am 1. Juli 2023 und am 1. Dezember 2023 jeweils um die Hälfte der in der Krisensonderausschreibung bezuschlagten Menge. Die insgesamt während des Jahres ausgeschriebene Menge wird somit nicht erhöht. Ausnahmsweise darf die Gebotsmenge eines Gebots in der Krisensonderausschreibung bis zu 100 MW betragen. Die Realisierungsfrist für Anlagen mit Zuschlägen aus der Krisensonderausschreibung beträgt dabei neun Monate, damit die in den Anlagen erzeugte Energie schon im Winter 2023/2024 nutzbar sein wird. 
Die Änderungen bedürfen der beihilferechtlichen Genehmigung durch die Europäische Kommission.

Erhöhung der Stromproduktion aus Biogas

Sonderregelung für EEG-Förderung im EEG 2021

Durch eine Ergänzung von § 100 Abs. 16 EEG 2021 wird für die Jahre 2022 und 2023 eine Sonderregelung für die EEG-Förderung von Biogasanlagen geschaffen. Die Anlagenbetreiber erhalten in den Kalenderjahren 2022 und 2023 jeweils einen Anspruch auf Einspeisevergütung oder Marktprämie nach § 19 EEG 2021 für die gesamte Bemessungsleistung ihrer Anlage. Die befristete Aussetzung der Förderbegrenzung gilt dabei für alle Biogasanlagen, deren Förderung auf eine bestimmte Bemessungsleistung begrenzt ist. Damit entfällt für die Anlagenbetreiber das Risiko, dass sie keine ausreichende Vergütung für den erzeugten Strom erhalten. Allerdings werden die Mehrerlöse, die der Anlagenbetreiber in dem jeweiligen Kalenderjahr durch die Erhöhung der Bemessungsleistung erzielt, auf den Anspruch auf Flexibilitätszuschlag angerechnet, wenn die Einnahmen für den zusätzlich erzeugten Strom den anzulegenden Wert um mehr als einen ct/kWh übersteigen.

Dies soll in der Energiekrise einen vorübergehenden Anreiz schaffen, um die Stromerzeugung aus Biogas zu steigern und auf die Verstromung von Erdgas zu verzichten. Dies gilt insbesondere für die Vor-Ort-Verstromung von Biogas in landwirtschaftlichen Hofanlagen, bei denen das derzeit geltende EEG die Stromerzeugung aus Biogas einschränkt. Nun sollen etwa durch den Einsatz weiterer Substarte im Fermenter alle Potentiale für eine Steigerung der Biogaserzeugung ausgenutzt werden.

Flexibilisierung des Gülle-Bonus

Mit einer Ergänzung von § 100 Abs. 17 EEG 2021 wird eine befristete Flexibilisierung des Güllebonus bis zum 30. April 2023 eingeführt. Betreiber von Biogasanlagen sollen damit dazu angereizt werden, möglichst viel Strom aus Biogas zu produzieren. Die erhöhte Biogasproduktion kann dazu führen, dass die Anlagenbetreiber den für sie geltenden Mindestanteil von Gülle nicht einhalten können. Mit der Flexibilisierung des Güllebonus wird den Anlagenbetreibern das Risiko genommen, dass sie bei einer vorübergehenden Unterschreitung den Güllebonus vollständig und dauerhaft verlieren. Aufgrund der Änderung entfällt der Bonus nur für jene Kalendertage, in denen der Mindestanteil nicht eingehalten wurde.
Die Änderungen zur Erhöhung der Stromproduktion aus Biogas erfordern ebenfalls eine beihilferechtliche Genehmigung der Europäischen Kommission.

Maßnahmen zur Beschleunigung des Stromnetzausbaus und Erhöhung der Netzauslastung

Beschleunigung des Stromnetzausbaus

Mit einer Änderung in § 43 EnWG sollen die für den Betrieb von Energieleitungen notwendigen Anlagen in bestimmten Fällen eigenständig durch Planfeststellung auch außerhalb eines Planfeststellungsverfahrens für die Energieleitung zugelassen werden können. Bei der Ermessensentscheidung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob diese isolierte Planfeststellung geboten ist, um mittels der enteignungsrechtlichen Wirkung der Planfeststellung eine zügige Realisierung der Anlagen zu ermöglichen.

Erhöhung der Transportkapazitäten des bestehenden Stromnetzes

Zur beschleunigten Höherauslastung der bestehenden Stromleitungen und zur Entlastung sowohl der energierechtlichen Genehmigungsbehörden in Bund und Ländern als auch der für die Höherauslastung verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) soll bei Änderungen des Betriebskonzepts weder ein Bundesfachplanungs- bzw. Raumordnungs- noch ein Planfeststellungs-, Plangenehmigungs- oder energierechtliches Anzeigeverfahren erforderlich sein. Das gilt insbesondere für die Umsetzung des sog. witterungsabhängigen Freileitungsbetriebs (WAFB).

Ausbau oder Ertüchtigung, Änderungen des Betriebskonzeptes (Einführung des WAFB, Um- oder Zubeseilungen) eines Übertragungsnetzes können technische Infrastrukturen elektromagnetisch beeinflussen. § 49a EnWG regelt wie potentiell beeinträchtigte Betreiber technischer Infrastrukturen durch den ÜNB zu ermitteln sind, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine der zuvor genannten Maßnahmen technische Infrastrukturen elektromagnetisch beeinflusst werden könnten und wie der ÜNB und der Betreiber technischer Infrastrukturen im Falle einer Betroffenheit über die Durchführung und Entschädigung technischer Gegenmaßnahmen zu einer Einigung gelangen.

Um mögliche Lastabschaltungen bzw. einer nicht ausreichenden Elektrizitätsversorgung entgegenzuwirken, wird in § 49b EnWG die Möglichkeit geschaffen, eine temporäre betriebliche Höherauslastung des Höchstspannungsnetzes kurzfristig umzusetzen, ohne dass diese einer Genehmigung (§§ 43 und 43f EnWG) bedarf. Diese ist zulässig, wenn sie im Wesentlichen durch veränderte bzw. angepasste Betriebsführung möglich ist, die allenfalls im untergeordneten Umfang kleine Änderungen an der Anlage erforderlich machen.

Erhöhung der Auslastung der Offshore-Anbindungsleitungen und der Innerparkverkabelung von Offshore-Windparks

Ohne die rechtzeitige Errichtung der Offshore-Anbindungsleitungen ist die Erreichung der erhöhten Ausbauziele des WindSeeG 2023 von 30GW bis 2030, 40 GW bis 2040 und 70 GW bis 2045 nicht möglich. Durch die Einführung eines § 17d Abs. 1a EnWG sollen alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, damit die Offshore-Anbindungsleitungen, die im Flächenentwicklungsplan festgelegt sind, rechtzeitig zum festgelegten Jahr der Inbetriebnahme errichtet werden können. Hierzu können insbesondere mehrere Offshore-Anbindungsleitungen in einem Trassenkorridor pro Jahr errichtet werden.

Zudem soll die Auslastung der Offshore-Anbindungsleitungen und der windparkinternen Seekabel erhöht werden. Der Betrieb von Seekabeln kann zu kabelinduzierter Sedimenterwärmung führen. Aus naturschutzfachlicher Sicht ist nur eine bestimmte Temperaturerhöhung des Meeresbodens in einem Abstand von 20 Zentimetern in der AWZ und von 30 Zentimetern im Küstenmeer zum Kabel zulässig (sog. 2K-Kriterium). Um die Übertragungskapazität der Offshore-Anbindungsleitungen und der Innerparkverkabelung der angeschlossenen Offshore-Windparks zu erhöhen, kann das 2-K-Kriterium gemäß § 17d Abs. 1b EnWG überschritten werden, wenn die Überschreitung nicht mehr als 10 Tage im Jahr andauert oder weniger als einen Kilometer Länge der Offshore-Anbindungsleitung betrifft. Dies soll sowohl für bereits in Betrieb befindliche als auch für neu zu errichtende Netzanbindungen und für Offshore-Windparks entsprechend gelten.

Durch die Einfügung eines § 43b Abs. 2 EnWG soll die nach Landesrecht zuständige Behörde einen Planfeststellungsbeschluss für Offshore-Anbindungsleitungen nach Eingang der Unterlagen innerhalb von zwölf Monaten fassen. Dadurch sollen Planfestgestellungsverfahren beschleunigt und den Vorhabenträgern mehr Planungssicherheit vermittelt werden.

Lastflexibilität industrieller Großverbraucher

Vor dem Hintergrund der Energieintensität industrieller Produktion und der unsicheren Versorgung mit Erdgas soll so viel Lastflexibilitätspotential wie möglich so schnell wie möglich gehoben werden. Daher sollen Anreize beseitigt werden, Lastflexibilität nicht an den Regelenergiemärkten anzubieten oder wirtschaftliche Potenziale für eine Flexibilisierung des eigenen Stromverbrauchs nicht zu nutzen. Die zuständige Regulierungsbehörde kann hierzu gemäß § 118 Abs. 46a EnWG Festlegungen zur Änderung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme individueller Netzentgelte nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV treffen und dabei von den Vorgaben der StromNEV abweichen. 

Entschädigung für Gasspeicheranlagenbetreiber

Die Außerbetriebnahme und Stilllegung einer Gaspeicheranlage bedarf nach § 35h EnWG der Genehmigung der BNetzA. Mit § 35h Abs. 6 EnWG wird eine Entschädigungsregelung bei Genehmigungsversagung einer Gasspeicherstillegung eingeführt. Der Betreiber einer Gasspeicheranlage kann danach eine Entschädigung des Bundes verlangen, wenn diesem in Folge seiner Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Betriebs der Gasspeicheranlage unbillige wirtschaftliche Härten entstehen, die insbesondere nicht bereits über die eingenommenen Speicherentgelte ausgeglichen werden können. Die Entschädigung ist für atypische Ausnahmefälle gedacht und soll als Ultima Ratio des Härteausgleichs nur dann gewährt werden, wenn ein anderweitiger Ausgleich nicht möglich ist.

Maßnahmen im LNG-Beschleunigungsgesetz

Darüber hinaus werden Verfahrenserleichterungen und Beschleunigungen für die schwimmenden LNG-Terminals (Floatings Storage and Regasification Units – FSRU) eingeführt. Dies betrifft den vorzeitigen Baubeginn. Insbesondere kann die Behörde nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 LNG-Beschleunigungsgesetz den vorzeitigen Baubeginn auch dann zulassen, wenn die Antragsunterlagen noch nicht vollständig vorliegen. Darüber hinaus wird u.a. die Möglichkeit geschaffen, am Standort Lubmin ein weiteres FSRU zu genehmigen.

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