Die Übertragung von Anteilen an Gesellschaften, die über Grundbesitz verfügen, löst in bestimmten Konstellationen Grunderwerbsteuer aus. Das GrEStG regelt diese Fälle - neben den Vorgängen, die unmittelbar Grundstücke betreffen – in den Ergänzungstatbeständen des § 1 Abs. 2a bis 4 GrEStG. Insbesondere wenn mindestens 90% der Anteile an einer Gesellschaft innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren auf neue Gesellschafter übergehen, fingiert das GrEStG den Übergang der Grundstücke auf eine neue Gesellschaft. Das galt gemäß Absatz 2a GrEStG schon lange für Personengesellschaften. Mit Wirkung zum 01.07.2021 findet diese Fiktion jetzt aufgrund von Absatz 2b GrEStG auch bei Kapitalgesellschaften Anwendung.
Das Verhältnis der Ergänzungstatbestände untereinander wirft immer wieder Fragen auf. Vor allem gilt dies für das Verhältnis von Anteilsvereinigung und Anteilsbewegung. Mit Einführung von Absatz 2b rückt dieses Thema wieder in den Vordergrund. Speziell betroffen ist bspw. das Verhältnis von Absatz 3 Nr. 3 und Absatz 2b.
Unklarheiten können sich ergeben, weil bei Transaktionen mit Gesellschaftsanteilen regelmäßig zwei Zeitpunkte maßgeblich sind. Der Abschluss des – regelmäßig nicht aufschiebend bedingten – Verpflichtungsgeschäfts (Signing) und des – regelmäßig aufschiebend bedingten – Vollzugs des Verpflichtungsgeschäfts (Closing). Wenn ein Anteil von mindestens 90% übertragen wird, so ist schon der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts gemäß Absatz 3 Nr. 3 steuerbar. Der Tatbestand des Absatz 2b findet erst Anwendung, wenn die Anteile auf den neuen Gesellschafter übergehen, also beim Closing.
Der Gesetzeswortlaut schreibt vor, dass Absatz 3 nur anwendbar ist, soweit die Absätze 2a und 2b „nicht in Betracht“ kommen. Was hierunter zu verstehen ist, kann im Einzelfall fraglich sein.
1. Sichtweise zu § 1 Abs. 2a GrEStG (Literatur)
Nach der herkömmlichen Sichtweise in der Praxis führt der Gesetzeswortlaut dazu, dass Absatz 3 Nr. 3 GrEStG nicht gegeben sei (zuletzt z.B. Behrens/Klinger, DStR 2021, 2870, 2871). Über dieses Ergebnis besteht Einigkeit, jedoch nicht über die rechtliche Begründung, warum das Finanzamt den Vorgang im Ergebnis nur einmal besteuern darf, (Behrens/Klinger, DStR 2021, 2870, 2872 ff. mit einer Aufzählung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Auflösung des Problems durch verschiedene Änderungsvorschriften der Abgabenordnung).
Letztlich regelt der Halbsatz in Absatz 3 das Verhältnis der Ergänzungstatbestände: Absatz 3 wird durch den Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts erst dann verwirklicht, wenn die Erfüllung dieses Verpflichtungsgeschäfts – bezogen auf das jeweilige konkrete Gesellschaftsgrundstück – endgültig gescheitert ist (Behrens/Klinger, DStR 2021, 2870, 2876).
2. Aktuelle Auffassung der Finanzverwaltung
Die Finanzverwaltung hat mittlerweile mit den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 10. Mai 2022 (im Folgenden „GLE“) zur Anwendung des Absatz 2b GrEStG auch zu dieser Fragestellung Klarheit geschaffen. Grds. geht der neue Absatz 2b dem Absatz 3 vor (Tz. 8.1 der GLE). Somit ist Absatz 2b – wie Absatz 2a – gegenüber den Absätzen 3 und 3a vorrangig. Es werden jeweils unterschiedliche Erwerbsvorgänge besteuert (Meßbacher-Hönsch, in: Viskorf, GrEStG, § 1 Rn. 962).
Im Zeitpunkt des Signing soll zwar eine Festsetzung nach Absatz 3 Nr. 3 erfolgen. Beim späteren Closing hat dann eine Festsetzung nach Absatz 2b zu erfolgen und die vorherige Festsetzung nach Absatz 3 Nr. 3 ist bei vorliegender Grundstücksidentität aufzuheben oder zu ändern (Tz. 8.2 der GLE).
Zudem soll eine Festsetzung nach Absatz 3 grundsätzlich nur geboten sein, wenn „bis zu einem Jahr nach Kenntnisnahme der Finanzverwaltung von dem steuerbegründenden Sachverhalt eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG nicht zu erwarten ist“ (Tz. 8.2 der GLE).
3. Was es in der Praxis zu beachten gilt
- Erfolgt das Signing im Rahmen einer notariellen Beurkundung, so ist der Notar gem. § 18 GrEStG zur Anzeige verpflichtet. Um eine Rückabwicklung mit den Wirkungen des § 16 GrEStG zu ermöglichen, bedarf es einer fristgerechten und vollständigen Anzeige.
- Gem. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 3b GrEStG besteht indes eine Anzeigepflicht für die Verwirklichung des Tatbestands von § 1 Abs. 2b GrEStG für die Beteiligten. Auch insofern ist insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Rückabwicklung gemäß § 16 GrEStG auf die fristgerechte und vollständige Anzeige zu achten.
- Eine Beteiligungsübersicht nach § 20 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG dürfte vorzulegen sein.
- Keine Geltung der personenbezogenen Steuerbefreiungen iSd. § 3 GrEStG und keine personenbezogenen Begünstigungen nach §§ 5, 6, und 7 GrEStG (Schnitter, in: Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 1 Rn. 290.8).
4. Weitere Besonderheit bei der Anwendung
Bei der Bemessungsgrundlage ist der Grundbesitzwert (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG) heranzuziehen. § 8 Abs. 2 S. 2 GrEStG ist zu beachten, wenn ein Grundstück noch bebaut werden soll: auch bei den angesprochenen zeitlich gestreckten Erwerben von Anteilen iSd. Absatz 2b ist der Wert nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Fertigstellung eines bereits geplanten Gebäudes als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Steuer anzusetzen (Schnitter, in: Wilms/Jochum, ErbStG/
BewG/GrEStG, § 1 Rn. 290.12).
Autoren: Ferdinand Petersen und Lars Meyerholz (wissenschaftlicher Mitarbeiter bei GÖRG)