Das Bundeskabinett hat am 13. September 2023 den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vorgelegten Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Elektrotechnische-Eigenschaften-Nachweis-Verordnung (NELEV) beschlossen. Das Ziel der Änderungen besteht darin, den Netzanschluss von Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen), insbesondere für Anlagen in der Leistungsklasse bis 500 kW, zu beschleunigen. Zur Erreichung dieses Ziels sollen Zertifizierungsverfahren stärker digitalisiert und massentauglicher organisiert werden.
Die von der Bundesregierung beschlossenen Änderungen sind Teil eines umfangreichen Gesamtpakets zur Weiterentwicklung und Modernisierung des Zertifizierungsverfahrens für die technischen Mindestanforderungen von Stromerzeugungs- und Speicheranlagen. Das Regelungspaket besteht aus der Novellierung der NELEV, der Schaffung einer die NELEV ergänzenden neuen Energieanlagen-Anforderungen-Verordnung (EAAV) sowie Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) im Rahmen der EnWG-Novelle 2023 und des Solarpakets.
Gegenstand des Legal Updates sind außerdem die weiteren Beschlüsse des Bundeskabinetts vom 13. September 2023 über die Füllstandsvorgaben für Gasspeicher (§§ 35a ff. EnWG) sowie die Möglichkeit der temporären Höherauslastung des Höchstspannungsnetzes (§ 49b EnWG).
Änderungen des Zertifizierungsverfahrens
Weiterentwicklung der NELEV-Novelle 2022
Die kürzlich beschlossenen Änderungen der NELEV bauen auf die NELEV-Novelle aus dem Jahr 2022 auf, mit der bereits erste Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzanschlusses von EE-Anlagen ergriffen worden sind, um den seinerzeit bestehenden „Zertifizierungsstau“ aufzulösen. Kern der Novelle aus 2022 war die übergangsweise Schaffung der Möglichkeit eines vorläufigen Netzanschlusses: EE-Anlagen dürfen seither vorläufig ans Netz angeschlossen und in Betrieb genommen werden, auch wenn für diese Stromerzeugungsanlagen noch nicht alle notwendigen Nachweise für ihre technische Konformität erbracht worden sind. Für diese Anlagen kann ein Anlagenzertifikat unter der Auflage ausgestellt werden, dass die notwendigen, fehlenden Nachweise innerhalb von 18 Monaten nachzureichen sind.
Mit den nunmehr beschlossenen Änderungen der NELEV unternimmt die Bundesregierung den Versuch, eine langfristig wirksame Lösung zu etablieren, um die Entstehung eines „Zertifizierungsstaus“ zu verhindern. Da in näherer Zukunft ein erheblicher Zubau vor allem in der Leistungsklasse bis 500 kW erwartet wird, fokussieren sich die Änderungen der NELEV auf diese Anlagen. Von den Änderungen betroffen sind demnach insbesondere Photovoltaikanlagen auf Gewerbe- und privaten Immobilien.
Erweiterung der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 4 NELEV
Als wichtigster Baustein ist in der neuen NELEV vorgesehen, dass die bisher in § 2 Abs. 4 NELEV geregelte Ausnahme für Erzeugungsanlagen, die unmittelbar an ein Niederspannungsnetz der allgemeinen Versorgung angeschlossen werden sollen, zukünftig für Erzeugungsanlagen gelten soll, die (unabhängig von der Spannungsebene) hinter einem Verknüpfungspunkt mit einem Netz der allgemeinen Versorgung eine maximale installierte Gesamtleistung von bis zu 500 kW und eine maximale Einspeisung von 270 kW aufweisen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die tatsächliche Einspeisung dieser Anlagen mit der Einspeisung von Anlagen vergleichbar ist, die direkt am Niederspannungsnetz der allgemeinen Versorgung angeschlossen werden.
Durch die erweiterte Ausnahmeregelung wird die Anzahl der von der Anlagenzertifizierungspflicht betroffenen Anlagen stark reduziert. Diese Anlagen müssen dann, wie kleine Erzeugungsanlagen bereits nach bisheriger Rechtslage, die Einhaltung der technischen Anforderungen nur noch über ein Einheiten- oder Komponentenzertifikat nachweisen.
Anpassung der technischen Anforderungen
Außerdem werden für die Anlagen der Leistungsklasse bis 500 kW angepasst, um das zukünftige Massengeschäft zu erleichtern. Einzelheiten werden in übergangsweise in der EAAV geregelt, bis die Technischen Anschlussregeln (TAR) durch den VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik e. V. anpasst worden sind.
Verstärkte Marktüberwachung
Um auch zukünftig die Systemstabilität zu gewährleisten, soll das Absenken der im Nachweisverfahren geltenden Anforderungen an Erzeugungsanlagen durch eine verstärkte Marktüberwachung kompensiert werden. Hierbei geht es vor allem darum, die Einhaltung der technischen Anforderungen verstärkt sicherzustellen, damit ausschließlich regelkonforme Anlagen an das Netz genommen und betrieben werden. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem derzeit in der Entwicklung befindlichen Register zur Erfassung und Überwachung von Energieanlagen im Sinne des § 49d EnWG zu. Insoweit sieht § 4 Abs. 3 S. 1 NELEV n. F. vor, dass Hersteller von zertifizierungspflichtigen Einheiten und Komponenten verpflichtet sind, die auch jetzt schon von einer akkreditierten Zertifizierungsstelle auszustellenden Zertifikate nunmehr nach der ihnen gegenüber erfolgten Ausstellung an das Register zu übermitteln.
Füllstandsvorgaben für Gasspeicher
Gegenstand der Beschlüsse vom 13. September 2023 war zudem das Zweite Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes, das nach dem Beschluss der Bundesregierung nun in den parlamentarischen Beratungs- und Abstimmungsprozess übergehen wird.
Im Wesentlichen zielt das Gesetzesvorhaben darauf ab, die anlässlich der ungewöhnlich niedrigen Gasspeicherfüllstande im Winter 2021/2022 erlassenen Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen (§§ 35a ff. EnWG) inhaltlich unverändert zu verlängern. Derzeit sind diese Regelungen noch bis zum 1. April 2025 befristet. Um die Versorgungssicherheit auch nach dem Stichtag sicherzustellen, sollen die Regelungen vorzeitig bis zum 1. April 2027 verlängert werden. Dies hat zum Hintergrund, dass im Jahr 2027 mit der Inbetriebnahme der landseitigen LNG-Terminals zu rechnen ist, was aller Voraussicht nach zu einer Entspannung der Lage im Bereich der Gasversorgung im Bundesgebiet führen wird.
Zukünftig gelten somit weiterhin die folgenden Füllstandsvorgaben: 1. September: 75 Prozent; 1. Oktober: 85 Prozent; 1. November: 95 Prozent; 1. Februar: 40 Prozent). Aktuell liegt der Füllstand der deutschen Speicher laut BMWK bei durchschnittlich rund 94 Prozent. Das Zwischenziel für September von 75% wurde also bereits deutlich übertroffen.
Temporäre Höherauslastung des Höchstspannungsnetzes
Darüber hinaus hatte der Gesetzgeber Ende des Jahres 2022 in § 49b EnWG den rechtlichen Rahmen dafür geschaffen, das Höchstspannungsnetz ohne vorherige energierechtliche Genehmigung (insb. §§ 43, 43f EnWG) stärker auszulasten. Nach derzeitiger Rechtslage setzt die temporäre Höherauslastung die befristete Teilnahme von Kraftwerken aus der Netzreserve (Netzreservekraftwerke) am Strommarkt voraus. Die Rechtsgrundlage hierfür bildet die Stromangebotsausweitungsverordnung (StaaV).
Die Erlaubnis für Netzreservekraftwerke zur befristeten Teilnahme am Strommarkt gilt nur noch bis 31. März 2024. Da die Bundesregierung jedoch davon ausgeht, dass sich auch nach diesem Stichtag die durch den russischen Angriffskrieg ausgelösten Herausforderungen im Energiesektor stellen werden, sieht sie hier einen Verlängerungsbedarf. § 49b EnWG soll dementsprechend dahingehend geändert werden, dass nunmehr ein festes Enddatum für die temporäre Höherauslastung des Höchstspannungsnetzes unmittelbar im EnWG (und nicht mehr über Verweisungen in der StaaV) vorgesehen und die temporäre Höherauslastung bis 31. März 2027 verlängert wird. Diese Änderungen sollen ebenfalls mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes eingeführt werden.