Anpassung der EnWG-Novelle: Von Direktvermarktern kritisierte Regelung aus Gesetzesentwurf gestrichen

Köln, 21.11.2023

Das Gesetzgebungsverfahren zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 20/7310 und 20/8165) befindet sich auf der Zielgeraden. Wie üblich wurden im Zuge der kürzlich abgehaltenen Beratungen im Ausschuss für Klimaschutz und Energie noch einige Änderungen an dem Entwurf vorgenommen (BT-Drs. 20/9187). Am 10. November 2023 hat der Bundestag die Ausschussfassung angenommen und an den Bundesrat weitergeleitet. 

Dies dürfte bei Direktvermarktungsunternehmen für Aufatmen sorgen. Im ursprünglichen Gesetzesentwurf war eine für Bilanzkreisverantwortliche nachteilige Regelung vorgesehen: Danach sollte bereits ein unausgeglichener Bilanzkreis einen Verstoß gegen die Pflicht zur ausgeglichenen Bilanzkreisführung indizieren. Dies hätte zu einer Beweislastumkehr dahingehend geführt, dass jegliche Abweichung von den Prognosen stets rechtswidriges Verhalten impliziert hätten. In der nun beschlossenen Ausschussfassung wurde die Regelung gestrichen. Der nachfolgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick darüber, welches Ziel mit der Regelung ursprünglich verfolgt wurde, weswegen sie in der Branche kritisiert wurde und was die Beweggründe des Gesetzgebers für die Streichung aus dem Gesetzesentwurf sind.

Ursprünglich geplante Regelung

Anpassung des § 20 EnWG 

In der Ausgangsfassung des Gesetzesentwurfs war vorgesehen, dass § 20 Abs. 1a Energiewirtschaftsgesetz (Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung, „EnWG“) um die S. 7 bis 9 ergänzt wird: „Zwischen dem Bilanzkreisverantwortlichen und dem jeweils regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber muss ein Vertrag über die Führung, Abwicklung und Abrechnung von Bilanzkreisen (Bilanzkreisvertrag) geschlossen werden. Der Bilanzkreisverantwortliche trägt die finanzielle Verantwortung für Bilanzkreisabweichungen. Er ist verpflichtet, seinen Bilanzkreis vollständig auszugleichen, es sei denn, eine Abweichung war auch unter Anwendung sorgfältiger Prognosen oder aus anderen Gründen, die der Bilanzkreisverantwortliche nicht zu vertreten hat, unvermeidbar.“

In der Gesetzesbegründung wurde dazu ausgeführt, dass es sich dabei um Grundsätze handle, die bislang in der Stromnetzzugangsverordnung geregelt waren und die in der Praxis als wesentliche Bedingungen des Zugangssystems gelten würden. Insbesondere die Ergänzung in S. 9 ist jedoch problematisch. Danach hätte der Bilanzkreisverantwortliche seinen Bilanzkreis vollständig auszugleichen, es sei denn, eine Abweichung war auch unter Anwendung sorgfältiger Prognosen oder aus anderen Gründen, die der Bilanzkreisverantwortliche nicht zu vertreten hat, unvermeidbar.

In der Gesetzesbegründung der Ausgangsfassung wurde ausgeführt, dass es im deutschen Bilanzkreissystem zunächst Aufgabe des Bilanzkreisverantwortlichen ist, den Ausgleich der Strommengen zu gewährleisten. Dies gelte für jeden Bilanzkreis separat, eine Leistungsungleichgewichte saldierende Bewirtschaftung mehrerer Bilanzkreise – insbesondere über Regelzonengrenzen hinweg – sei unzulässig. Jede Einspeise- und Entnahmestelle würde dem Bilanzkreis eines Bilanzkreisverantwortlichen zugeordnet. Der Bilanzkreis sei eine Art Energiemengenkonto, in dem alle Einspeisungen und Entnahmen erfasst und einem Verantwortlichen zur Bewirtschaftung zugewiesen werden. Der Bilanzkreisverantwortliche sei verpflichtet, die Energiemenge in seinem jeweiligen Bilanzkreis bestmöglich zu prognostizieren und zur vollständigen Deckung zu bringen. Bis zum Erfüllungszeitpunkt als dem Moment, in dem die Strommenge über das Netz geliefert wird, müsste er sich um einen Ausgleich der gehandelten, zum Verbrauch oder zur Entnahme bestimmten Energiemenge bemühen. 

Dies entspricht im Wesentlichen dem derzeitigen System.

Gesetzliche Vermutung 

Kritisch zu bewerten ist jedoch, dass die Gesetzesbegründung weiter ausführt, dass die Unausgeglichenheit eines Bilanzkreises an sich einen Verstoß gegen die Pflicht zur ausgeglichenen Bilanzkreisführung indiziere (Beweislastumkehr). Dabei sei es insbesondere nicht statthaft, eine Unausgeglichenheit des Bilanzkreises unter Verweis auf den Netzregelverbundsaldo oder den Ausgleichsenergiepreis anzustreben oder in Kauf zu nehmen. Der Bilanzkreisverantwortliche trage die Pflicht, darzulegen, dass die Unausgeglichenheit nicht zu vermeiden war bzw. dass er diese nicht zu vertreten hat.

Das bedeutet, dass grundsätzlich jede Unausgeglichenheit dazu führen sollte, dass gesetzlich vermutet wird, dass sich der Bilanzkreisverantwortliche rechtswidrig verhält. Zwar wurde ihm die Möglichkeit der Exkulpation eingeräumt, allerdings hätte er dafür immer nachweisen müssen, dass er sorgfältig prognostiziert hat. Eine derart genaue Prognose ist für Erneuerbaren-Energien-Portfolios aufgrund der fluktuierenden Erzeugung von Windenergie- und Solaranlagen unmöglich. Genauso dürfte es kaum umsetzbar sein, stets nachzuweisen, dass alles unternommen wurde, um ungenaue Prognosen und Unausgeglichenheiten zu vermeiden. Dies würde einen erheblichen Dokumentations- und Compliance-Aufwand bei den Bilanzkreisverantwortlichen erzeugen.

Kritik der Direktvermarkter

Auswirkungen auf das Handelsgeschäft

Insbesondere die Direktvermarktungsunternehmen befürchteten durch die neue Regelung negative Auswirkungen auf ihr Handelsgeschäft. Insgesamt 17 Direktvermarktungsunternehmen veröffentlichten deswegen am 28. August 2023 ein Positionspapier, in dem sie die geplante Regelung kritisierten und forderten, mit der jetzigen Novelle des EnWG zunächst den funktionierenden „Status quo“ beizubehalten und auf Gesetzesebene abzusichern. Perspektivisch hielten sie eine Harmonisierung mit EU-Recht notwendig, um das Energiesystem an die Herausforderungen anzupassen, die der wichtige beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien mit sich bringt.

Hauptkritikpunkt war, dass die Regelung in der Praxis nicht umsetzbar sei. Ein Vermarkter von erneuerbaren Energien könne aufgrund der nur mit Unsicherheit zu prognostizierenden Wind- oder Solarerzeugung einen exakten Ausgleich seines Bilanzkreises nicht gewährleisten. Um dem Verdacht des Pflichtverstoßes vorzubeugen, müsste er theoretisch seine Erzeugungsanlagen jederzeit auf ein exakt vorhersehbares Niveau abregeln. So würde im theoretischen Fall ein Windpark mit 100 MW installierter Kapazität selbst bei starkem Wind nur mit z.B. 50 MW betrieben werden, weil nur so eine kontinuierliche und damit zuverlässig prognostizierbare Einspeisung gewährleistet sei. Ein solches System sei mit den Zielen des Ausbaus der erneuerbaren Energien inkompatibel und gehe auch komplett an der derzeitigen gelebten Praxis vorbei, in der es möglich war und ist, große Mengen an Wind- und Solarstrom erfolgreich und sicher in die Energiesysteme zu integrieren.

Anpassungsvorschlag

Da diese Folgen vom Gesetzgeber nicht gewollt sein könnten, plädierten die Direktvermarktungsunternehmen in ihrem Positionspapier für eine Änderung der Vorschrift. Aus ihrer Sicht sollte § 20 Abs. 1a EnWG wie folgt ergänzt werden: „Zwischen dem Bilanzkreisverantwortlichen und dem jeweils regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber muss ein Vertrag über die Führung, Abwicklung und Abrechnung von Bilanzkreisen (Bilanzkreisvertrag) geschlossen werden. Der Bilanzkreisverantwortliche ist verantwortlich für eine ausgeglichene Bilanz zwischen Einspeisungen und Entnahmen in einem Bilanzkreis in jeder Viertelstunde und übernimmt als Schnittstelle zwischen Netznutzern und Betreibern von Übertragungsnetzen die wirtschaftliche Verantwortung für Abweichungen zwischen Einspeisungen und Entnahmen eines Bilanzkreises. Der Bilanzkreisverantwortliche ist verpflichtet, durch zumutbare Maßnahmen, insbesondere durch entsprechende Sorgfalt bei der Erstellung der Prognosen, die Bilanzabweichungen möglichst gering zu halten. Den Besonderheiten bei der Bilanzierung aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms ist Rechnung zu tragen.“

Hierdurch würde den tatsächlichen Herausforderungen bei der Bilanzierung von fluktuierender Erzeugung zumindest ansatzweise Rechnung getragen. Außerdem sei die Änderung zielführend und erforderlich zur Fortschreibung der geltenden Rechtslage. Denn einerseits würde die Stromnetzzugangsverordnung am 31. Dezember 2025 außer Kraft treten (vgl. Art. 15 Abs. 4 EnWG-E), andererseits fehlten bislang die in den obigen Formulierungsvorschlag eingeführten Klarstellungen als gesetzlicher Rahmen für zukünftige Festlegungen zum Standard-Bilanzkreisvertrag.

Streichung der Regelung

Der Ausschuss für Klimaschutz und Energie scheint das Positionspapier der Direktvermarktungsunternehmen zur Kenntnis genommen zu haben. In der kürzlich im Bundestag beschlossenen Ausschussfassung (BT-Drs. 20/9187) wurde § 20 Abs. 1a S. 9 EnWG vollständig gestrichen. Das bedeutet, dass die gesetzliche Verpflichtung entfällt, wonach der Bilanzkreisverantwortliche hätte nachweisen müssen, dass auch unter Anwendung sorgfältiger Prognosen oder aus anderen Gründen, die er nicht zu vertreten hat, eine Bilanzkreisabweichung unvermeidbar war.

In der Begründung wird ausgeführt, dass Bilanzkreisverträge ein wichtiges Element eines funktionierenden Energiesystems seien. Daher würde der Bilanzkreisvertrag und die grundsätzliche Zuweisung der finanziellen Verantwortung für Bilanzkreisabweichungen in das EnWG aufgenommen. Die weitere Ausgestaltung des Bilanzkreissystems erfolge auf Grundlage der Verordnung (EU) 2017/2195 der Kommission vom 23. November 2017 zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem und sei im Übrigen aufgrund des Unionsrechts in der Auslegung des EuGH Aufgabe der unabhängigen Regulierungsbehörde. Um den Gleichklang der Regelungen mit dem Gasbereich zu gewährleisten und eine angemessene Weiterentwicklung des Systems zu gewährleisten, solle Satz 9 aus Klarstellungsgründen gestrichen werden, da hierzu bereits eine Festlegungskompetenz der Bundesetzagentur vorgesehen werde.

Ausblick

Vorerst haben die Direktvermarktungsunternehmen damit ihr Ziel erreicht: Die befürchtete Beweislastumkehr wird nicht in das EnWG aufgenommen und der Status quo wird beibehalten. Auch hat der Gesetzgeber offensichtlich erkannt, dass eine Harmonisierung mit dem EU-Recht erforderlich ist. In der Verordnung (EU) 2017/2195 der Kommission vom 23. November 2017 zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem ist in Art. 17 Abs. 1 S. 1 geregelt: „Jeder Bilanzkreisverantwortliche bemüht sich in Echtzeit darum, den eigenen Bilanzkreis auszugleichen oder das Elektrizitätsversorgungssystem zu stützen.“ Wie von den Direktvermarktungsunternehmen ebenfalls in ihrem Positionspapier dargestellt, sieht das EU-Recht neben dem Bilanzkreisausgleich alternativ die Stützung des Elektrizitätsversorgungssystems vor. Es sollen also Bilanzkreisabweichungen gezielt eingesetzt werden können, um das Gesamtsystem zu stützen. Es bleibt abzuwarten, wie die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde insoweit einen Gleichklang mit dem EU-Recht herstellt.

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