Die europäische Entgelttransparenzrichtlinie: Arbeitgeber müssen sich vorbereiten

Hamburg, 22.08.2024

Die am 6. Juni 2023 in Kraft getretene europäische Entgelttransparenzrichtlinie (EntgTranspRL) verfolgt das Ziel, Entgeltgleichheit zu fördern und geschlechtsspezifischen Diskriminierungen im Entgeltbereich entgegenzuwirken (siehe unser Legal Update vom 20.12.2023). Die Richtlinie muss bis zum 7. Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden, was für den deutschen Gesetzgeber die Novellierung des seit 2017 bestehenden Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) bedeutet. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend arbeitet derzeit an einem entsprechenden Gesetzesentwurf.

Handlungsbedarf für Arbeitgeber

Obwohl die Umsetzungsfrist noch einige Jahre beträgt, sollten Arbeitgeber bereits jetzt aktiv werden. Die Anforderungen der Richtlinie sind umfassend und erfordern eine sorgfältige Planung sowie langfristige Vorbereitungen. Arbeitgeber sollten sich daher frühzeitig auf die neuen Verpflichtungen und den damit verbundenen (bürokratischen) Mehraufwand einstellen.

Im Detail sieht die EntgTranspRL insbesondere folgende Maßnahmen vor:

Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit

Die Richtlinie soll das Recht auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit stärken. Arbeitgeber sind verpflichtet, Entgeltstrukturen zu schaffen, die auf „objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien“ beruhen. Diese Kriterien müssen in Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretern festgelegt werden und sollen Kompetenz, Arbeitsbelastung, Verantwortung, Arbeitsbedingungen sowie etwaige weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz bzw. die konkrete Position relevant sind, umfassen (Art. 4 EntgTranspRL). Zudem sind Instrumente und Methoden zur Analyse des Arbeitswerts zu etablieren.

Entgelttransparenz schon vor der Beschäftigung

Im Gegensatz zum derzeitigen EntgTranspG, das erst ab Beginn des Beschäftigungsverhältnisses greift, erweitert die Richtlinie die Transparenzanforderungen auch auf den Zeitraum vor der Beschäftigung. Bereits Stellenbewerber (m/w/d) haben das Recht, vom (potenziellen) Arbeitgeber Informationen über das Einstiegsentgelt bzw. dessen Spanne sowie gegebenenfalls über die einschlägigen Bestimmungen eines für die Stelle anwendbaren Tarifvertrags zu erhalten (Art. 5 EntgTranspRL). Diese Informationen müssen so frühzeitig und in geeigneter Form bereitgestellt werden, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden, beispielsweise in der Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise, jedenfalls vor Abschluss des Arbeitsvertrages. Arbeitgeber müssen ihre Bewerbungsprozesse entsprechend anpassen. Zudem dürfen Stellenbewerber künftig – entgegen der bislang weit verbreiteten Praxis – nicht nach ihrer Entgeltentwicklung in laufenden oder früheren Beschäftigungsverhältnissen gefragt werden.

Die Entgelttransparenz schon vor der Beschäftigung betrifft alle Arbeitgeber, unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten und unabhängig davon, ob der Bewerber aktiv Auskunft verlangt. Die Verhandlungsmacht der Parteien wird durch die neuen Vorgaben jedoch nicht eingeschränkt und es soll weiterhin möglich sein, ein Gehalt auch außerhalb der angegebenen Entgeltspanne auszuhandeln.Es ist fraglich, ob Arbeitgeber künftig tatsächlich verpflichtet sein werden, alle relevanten Entgeltbestandteile für eine ausgeschriebene Stelle offenzulegen. Die Richtlinie definiert „Entgelt“ als die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die ein Arbeitgeber im Rahmen des Dienstverhältnisses direkt oder indirekt in Form von Geld- oder Sachleistungen an den Arbeitnehmer zahlt (Art. 3 EntgTranspRL). Für Arbeitgeber birgt die Regelung das Risiko, sensible Entgeltinformationen ungewollt Wettbewerbern zu offenbaren, die Einblick in die Entgeltstruktur des Unternehmens erhalten könnten. Es bedarf einer Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des Stellenbewerbers und dem Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers.

Entgelttransparenz während der Beschäftigung

Im laufenden Beschäftigungsverhältnis sind Arbeitgeber verpflichtet, ihre Arbeitnehmer unaufgefordert und in leicht zugänglicher Weise über alle vom Arbeitgeber verwendeten Kriterien zur Festlegung des Entgelts, der Entgelthöhen und der Entgeltentwicklung aller Arbeitnehmer zu informieren (Art. 6 EntgTranspRL). Diese Informationspflicht stellt eine deutliche Verschärfung im Vergleich zum bisherigen EntgTranspG dar. Dieses sieht einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung nur auf Anfrage, nur in Bezug auf die Festlegung des eigenen Entgelts und auch nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber vor. Die Informationspflichten nach der Richtlinie gelten jedoch auch hier unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten. Allerdings kann der nationale Gesetzgeber für Kleinstunternehmen oder kleine Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern eine Ausnahmeregelung von der Verpflichtung im Zusammenhang mit der Entgeltentwicklung treffen. Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, bleibt abzuwarten.

Individuelles Auskunftsrecht

Die Informationspflicht der Arbeitgeber wird durch ein individuelles Auskunftsrecht der Arbeitnehmer ergänzt (Art. 7 EntgTranspRL). Arbeitnehmer haben danach das Recht, auf Anfrage vom Arbeitgeber Auskunft über ihre individuelle Entgelthöhe sowie über die durchschnittlichen Entgelthöhen zu erhalten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppe von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Diese Auskünfte müssen Arbeitgeber spätestens innerhalb von zwei Monaten ab dem Tag des Auskunftsverlangens schriftlich zur Verfügung stellen.

Ein Auskunftsanspruch ist bereits im EntgTranspG verankert, jedoch mit wesentlichen Unterschieden. Die Richtlinie macht das Auskunftsrecht unabhängig von der Beschäftigtenzahl und hebt zeitliche Begrenzungen auf, die bisher gelten. Während das deutsche Recht auf eine Mindestanzahl von sechs Beschäftigten in der Vergleichsgruppe abstellt, besteht nach der Richtlinie kein solcher Schwellenwert. Zudem wird statt des statistischen Medians der Durchschnitt der Entgelthöhen als Maßstab verwendet. Dies ermöglicht Arbeitnehmern detailliertere Vergleiche und bei kleinen Vergleichsgruppen die Ermittlung der konkreten Gehälter vergleichbarer Arbeitnehmer auch desselben Geschlechts. Arbeitnehmer müssen außerdem keine bestimmte gleiche oder gleichwertige Tätigkeit mehr benennen, um Auskunft zu erhalten.

Zusätzlich verpflichtet die Richtlinie Arbeitgeber, ihre Arbeitnehmer jährlich über das Auskunftsrecht und die entsprechenden Schritte zur Inanspruchnahme zu informieren. Zudem wird das Recht der Arbeitnehmer gestärkt, sich untereinander über ihr Entgelt auszutauschen. Vertragsklauseln, die dies einschränken, sind für unzulässig zu erklären.

Zugänglichkeit von Informationen

In welcher genauen Form die Informationen und Auskünfte bereitgestellt werden müssen, spezifiziert die Richtlinie nicht. Sie müssen jedoch in einem Format bereitgestellt werden, das für Personen mit Behinderungen zugänglich ist und deren besonderen Bedürfnissen Rechnung trägt (Art. 8 EntgTranspRL). Dies könnte die Darstellung von Informationen auf verständliche und wahrnehmbare Weise, in geeigneter Schriftgröße, mit ausreichendem Kontrast oder in der jeweiligen Behinderung angemessenen anderen Formaten umfassen.

Berichterstattungs­pflichten

Die Berichtspflicht im bisherigen EntgTranspG ist auf Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten beschränkt. Diese sind lediglich verpflichtet, alle drei Jahre, bei Tarifbindung alle fünf Jahre, ihre Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung und zur Herstellung von Entgeltgleichheit darzulegen. Zudem sind Angaben zur durchschnittlichen Gesamtzahl der Beschäftigten sowie zur Verteilung auf Vollzeit- und Teilzeitkräfte zu machen.

Die neue Richtlinie bringt umfassendere Verpflichtungen mit sich. Arbeitgeber mit mindestens 100 Arbeitnehmern müssen künftig ihren Arbeitnehmern detaillierte Angaben über das bestehende Entgeltgefälle zwischen den Geschlechtern zur Verfügung stellen (Art. 9 EntgTranspRL). Die Pflicht zur erstmaligen Vorlage eines Berichts und der Berichterstattungsrhythmus sind nach der Anzahl der Beschäftigten gestaffelt, wobei Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, die Berichterstattungsfrequenz weiter zu erhöhen oder für Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten ebenfalls regelmäßige Berichterstattung zu verlangen. Arbeitgeber müssen die relevanten Informationen künftig an eine sog. „Überwachungsstelle“ übermitteln, die diese sammelt und veröffentlicht. Arbeitgeber können die Informationen zudem auf der eigenen Website veröffentlichen oder auf andere Weise öffentlich zugänglich machen, etwa durch Integration in ihre Lageberichte. Darüber hinaus haben Arbeitnehmer, Arbeitnehmervertreter, Arbeitsaufsichtsbehörden und Gleichbehandlungsstellen das Recht, zusätzliche Klarstellungen und Einzelheiten zu den bereitgestellten Daten zu verlangen. Arbeitgeber sind verpflichtet, innerhalb einer angemessenen Frist eine begründete Antwort zu geben. Solche Regelungen fehlen bislang im EntgTranspG.

Arbeitgeber mit mehr als 150 Arbeitnehmern müssen den ersten Bericht zum Entgeltgefälle bereits zum 7. Juni 2027 einreichen. Daher ist die rechtzeitige Auseinandersetzung empfehlenswert.

Gemeinsame Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmer­vertretung

Neu eingeführt wird die Pflicht zur Durchführung einer gemeinsamen Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung, wenn ein geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle von mehr als 5 % festgestellt wird, das sich nicht durch objektive und geschlechtsneutrale Kriterien rechtfertigen lässt und innerhalb von sechs Monaten nach der Vorlage der Entgeltberichterstattung nicht korrigiert wird (Art. 10 EntgTranspRL). Die Entgeltbewertung verpflichtet Arbeitgeber dazu, die bestehenden Entgeltstrukturen zu analysieren und konkrete Maßnahmen zur Behebung der festgestellten Ungleichheiten festzulegen. Die Ergebnisse der Entgeltbewertung müssen den Arbeitnehmern, den Arbeitnehmervertretern sowie der Überwachungsstelle zur Verfügung gestellt werden. Auf Ersuchen der Arbeitsaufsichtsbehörde und der Gleichbehandlungsstelle müssen diese Informationen ebenfalls bereitgestellt werden. Gibt es keine Arbeitnehmervertreter, so sollten sie für den Zweck der gemeinsamen Entgeltbewertung von den Arbeitnehmern benannt werden.

In Deutschland könnte die Integration der Richtlinienvorgaben in die bestehenden Strukturen auf besondere Herausforderungen stoßen. Zum einen erfolgt in der Praxis oft keine Vereinbarung von Kriterien für die Entgeltdifferenzierung mit den Organen der Betriebs- und Personalverfassung. Zum anderen gibt es arbeitgeberübergreifende Tarifverträge, bei denen eine gemeinsame Entgeltbewertung auf Ebene eines einzelnen Arbeitgebers möglicherweise an Grenzen stößt. Dies wird insbesondere den öffentlichen Dienst betreffen.

Anspruch auf Schadensersatz

Bei der Umsetzung der Richtlinie muss sichergestellt werden, dass Arbeitnehmer, die durch die Verletzung von Rechten oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts einen Schaden erlitten haben, das Recht auf vollständigen Schadensersatz oder Entschädigung erhalten (Art. 16 EntgTranspRL). Dazu gehören nicht nur vollständige Entgeltnachzahlungen und Nachzahlungen damit verbundener Prämien oder Sachleistungen, sondern auch Schadensersatz für entgangene Chancen, wie beispielsweise der Zugang zu bestimmten Leistungen, die von der Entgelthöhe abhängen. Ebenso sind immaterielle Schäden, wie das erlittene Leid aufgrund der Unterbewertung der geleisteten Arbeit, zu kompensieren. Anders als es die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorsehen, darf der Schadensersatz oder die Entschädigung nach der Richtlinie nicht durch eine vorab festgelegte Obergrenze beschränkt werden, wodurch den Arbeitnehmern umfassendere Rechte bei der Wiedergutmachung ihrer Schäden eingeräumt werden.

Beweislastumkehr

Besteht die Vermutung einer Diskriminierung, liegt die Beweislast beim (beklagten) Arbeitgeber (Art. 18 EntgTranspRL). Dieser muss nachweisen, dass keine unmittelbare oder mittelbare Entgeltdiskriminierung stattgefunden hat. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber seine in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen zur Entgelttransparenz nicht erfüllt hat, beispielsweise indem er sich weigert, von den Arbeitnehmern angeforderte Informationen bereitzustellen, oder nicht über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle Bericht erstattet. Kann der Arbeitgeber hingegen nachweisen, dass der Verstoß gegen die Verpflichtungen offensichtlich unbeabsichtigt und geringfügig war, greift die Beweislastumkehr nicht.

Durch die Ausweitung der Beweislastumkehr wächst der Druck auf den Arbeitgeber. Der Nachweis, dass keine geschlechtsspezifische Entgeltdiskriminierung vorliegt, wird dadurch erschwert, dass es kaum höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage gibt, welche Gründe eine ungleiche Entlohnung rechtfertigen können. Arbeitgeber sollten zeitnah feste Kriterien für die jeweiligen Entgeltgruppen festlegen. Zudem sollten die Gründe für Entgeltunterschiede gründlich dokumentiert werden. Dies erleichtert es, im Streitfall etwaige Ungleichheiten durch objektive und geschlechtsneutrale Kriterien sachlich zu rechtfertigen und somit die Beweislast zu erfüllen.

Sanktionen

Der deutsche Gesetzgeber hat „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ einzuführen, um Verstöße gegen den Grundsatz der Entgeltgerechtigkeit angemessen ahnden zu können (Art. 23 EntgTranspRL). Die konkrete Ausgestaltung wird durch nationales Recht festgesetzt werden. Die Sanktionen sollen aber Geldbußen umfassen, die eine „tatsächlich abschreckende Wirkung“ gewährleisten und auf dem Bruttojahresumsatz des Arbeitgebers oder der Gesamtentgeltsumme des Arbeitnehmers beruhen können. Für wiederholte Verletzungen der Rechte und Pflichten sollen spezifische Sanktionen vorgesehen werden, beispielsweise der Entzug öffentlicher Zuwendungen oder der Ausschluss von sonstigen finanziellen Anreizen oder öffentlichen Ausschreibungen für einen bestimmten Zeitraum. Im EntgTranspG sind bisher keine vergleichbaren Sanktionen vorgesehen. Es bleibt daher abzuwarten, für welche Sanktionen sich der deutsche Gesetzgeber entscheiden wird.

Ausblick

Die EntgTranspRL bringt bedeutende Fortschritte im Kampf gegen den Gender Pay Gap, garantiert jedoch nicht dessen vollständige Beseitigung. Die Wirksamkeit der neuen Regelungen hängt maßgeblich von der nationalen Umsetzung ab, die noch abzuwarten ist. Unabhängig davon sollten Arbeitgeber frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um sich auf die verschärften Regelungen vorzubereiten. Proaktive Vorbereitung und rechtzeitige Evaluation sind entscheidend, um den Anforderungen der Richtlinie gerecht zu werden und eine reibungslose Umsetzung zu gewährleisten. Bestehende Entgeltstrukturen sollten systematisch auf geschlechtsspezifische Entgeltdiskriminierung überprüft und, wenn notwendig, angepasst werden. Dies schließt die Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern ein, wo Mitbestimmungsrechte bestehen. Eine diskriminierungsfreie und transparente Gestaltung der Vergütungssysteme ist unerlässlich.

Darüber hinaus sollten Arbeitgeber sicherstellen, dass sie und ihre Führungskräfte die neuen Regelungen verstehen und anwenden können. Die Zeit bis zur Umsetzung der Richtlinie sollte genutzt werden, um auch den administrativen Anforderungen gerecht zu werden und potenzielle zukünftige Kosten zu minimieren. Es ist ratsam, ein System zur Datenerfassung und Analyse des geschlechtsspezifischen Entgeltgefälles einzurichten und entsprechende Vorlagen zu entwickeln.

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