Nicht selten streiten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer (nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses) über die Abgeltung etwaig erbrachter Überstunden. Häufig enden derartige Auseinandersetzungen in einem Vergleich, um aufwändige Gerichtsprozesse zu vermeiden. Für Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang wichtig, das Prozessrisiko richtig einschätzen zu können.
Abermals wurden die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze in der Instanzrechtsprechung aufgegriffen und weiterentwickelt.
Sachverhalt
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte in seinem Urteil vom 5. November 2019 über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:
Eine ehemalige Arbeitnehmerin machte gegen ihren Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Abgeltung von insgesamt 276,25 Arbeitsstunden geltend. In diesem Zusammenhang verwies sie auf einen Ausdruck des elektronischen Zeiterfassungssystems, welcher mit „Überstunden-Freizeitkonto“ überschrieben war.
Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses der Klägerin war ihre Arbeitszeit für bestimmte Zeiten festgelegt gewesen. Die Verwaltung des Zeiterfassungssystems oblag der Arbeitnehmerin. Aufgrund eines Administratorenzugangs konnte sie auch Zeiten nachtragen.
In der Vergangenheit war die Arbeitnehmerin durch den Geschäftsführer bereits darauf hingewiesen worden, dass ihre Arbeitszeit erst um 7:30 Uhr beginne, als er sie bereits um 6:00 Uhr im Büro antraf.
Entscheidung
Das LAG hat zunächst klargestellt, dass nur die vereinbarte Normalarbeitszeit zu vergüten ist, sofern die zu erbringende Arbeitsleistung in einem bestimmten Umfang vereinbart ist. Überstunden sind mithin nur dann zu vergüten, wenn der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden veranlasst hat.
Der Arbeitnehmer trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Überstunden tatsächlich geleistet hat und diese vom Arbeitgeber angeordnet wurden. Dieser Vortragslast genügt der Arbeitnehmer hinsichtlich der Ableistung von Überstunden, wenn er detailliert vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet hat. Weiterhin muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass auch eine konkludente Anordnung von Überstunden in Betracht kommt, wenn dem Arbeitnehmer Arbeit in einem derartigen Umfang zugewiesen wird, dass er diese nur durch die Leistung von Überstunden bewältigen kann.
Auch die Duldung von Überstunden, d. h. die Kenntnis des Arbeitgebers und die Hinnahme können eine ausdrückliche Anordnung ersetzen.
Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitgeber die Überstunden billigt, d. h. nachträglich genehmigt. Der Arbeitgeber müsste zu erkennen geben, dass er mit der Ableistung bereits geleisteter Überstunden einverstanden ist. Die widerspruchslose Entgegennahme genügt an dieser Stelle jedoch nicht.
Sofern die Arbeitszeit des Arbeitnehmers elektronisch erfasst wird und durch den Arbeitgeber abgezeichnet wird, genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast alleine durch Vorlage dieser Nachweise im Prozess. Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitgeber Arbeitszeitkonten führt und eine bestimmte Anzahl von Guthabenstunden vorbehaltslos ausweist. Hierdurch bringe er zum Ausdruck, dass die Arbeitsstunden mit seiner Billigung geleistet wurden.
Sofern der Arbeitgeber im Nachhinein den sich aus einem Arbeitszeitkonto ergebenden Saldo bestreiten möchte, obliegt es ihm im Einzelnen dazulegen, aufgrund welcher Umstände der ausgewiesene Saldo unzutreffend sei oder sich reduziert habe.
Diese Grundsätze gelten jedoch nicht, wenn sich der Arbeitnehmer zur Begründung seiner Ansprüche auf selbst gefertigte Arbeitszeitaufstellungen beruft. In diesem Fall sind die vom Arbeitnehmer den Saldo begründenden Tatsachen im Einzelnen durch diesen darzulegen.
Ob die elektronische Erfassung und Berechnung der Arbeitszeit als Arbeitszeitkonto zu werten ist, hat das LAG stehen lassen. Im vorliegenden Fall fehlte es jedenfalls an einem streitlos gestellten Saldo oder an einer sonstigen Bestätigung der Arbeitszeiten durch einen Vorgesetzten. So hat das LAG festgestellt, dass die vorgelegten Computerausdrucke ausschließlich auf den eigenen Angaben der Arbeitnehmerin beruhen. Der Arbeitgeber habe sich diese Aufzeichnungen in keiner Weise zu Eigen gemacht.
Hinweise für die Praxis
Gemäß der aktuellen Entscheidung des LAG können auch Aufzeichnungen der Arbeitszeit als vom Arbeitnehmer gefertigt angesehen werden, für die ein System genutzt wird, das durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird. Entscheidend ist an dieser Stelle, dass die Arbeitnehmer die Stunden selbst einpflegen.
Die Entscheidung verdeutlicht darüber hinaus erneut, dass Arbeitgeber nicht „gedankenlos“ Arbeitszeitaufzeichnungen abzeichnen oder in sonstiger Weise billigen sollten, sofern keine detaillierte Prüfung erfolgt ist. Ein entsprechendes Verhalten erschwert die Darlegungs- und Beweislast für den Arbeitgeber in einem Überstundenprozess erheblich.