Die sog. Coronakrise (SARS-CoV 2/Covid-19-Pandemie) hat in Deutschland und überall auf der Welt das Wirtschaftsleben auf einen Schlag verändert. Lieferketten sind unterbrochen, Mitarbeiter arbeiten weitgehend aus dem Homeoffice und manche Betriebe und Produktionen schließen komplett. Dies bringt erhebliche Herausforderungen für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer mit sich. Auch und gerade in diesem Ausnahmezustand haben die Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen. Nachfolgend sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) auch einige Maßnahmen und Handlungsvorschläge erwähnt, an die Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer jetzt denken sollten.
1. Gesetzliche Ausgangslage
Gemäß § 93 I 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Unterschieden wird zwischen (i) unternehmerischen Entscheidungen des Vorstandsmitglieds, bei dem das Vorstandsmitglied im Rahmen der sog. Business Judgement Rule ein Entscheidungsermessen hat, und (ii) der Erfüllung sonstiger rechtlicher Pflichten, bei deren Erfüllung die Vorstandsmitglieder keinen Entscheidungsspielraum haben. Diese sonstigen Pflichten, wie z.B. die Aufstellung des Jahresabschlusses, die unverzügliche Veröffentlichung von Insiderinformationen und die Überwachung von Insolvenzantragpflichten haben die Vorstandsmitglieder jedenfalls zu erfüllen.
Bei unternehmerischen Entscheidungen, wie etwa Entscheidungen über Unternehmensakquisitionen oder -verkäufe, Investitionen in Forschungsprojekte oder über die Expansion in oder den Rückzug aus einem Vertriebsgebiet, hat jedes Vorstandsmitglied auf der Grundlage angemessener Informationen zu handeln (vgl. Spindler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage 2019, § 93 Rn. 55 ff). Dabei hat es die für und gegen die entsprechenden Maßnahmen sprechenden Gründe, Chancen und Risiken für das Unternehmen abzuwägen und aus einer ex-ante Sicht eine nachvollziehbare Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft zu treffen. Halten sich die Vorstandsmitglieder an diese Regeln, haften sie auch dann nicht, wenn sich die getroffene Entscheidung später als falsch herausstellen sollte und der Gesellschaft daraus ein Schaden entsteht.
Damit die Vorstandsmitglieder sich in einem etwaigen späteren Haftungsprozess entlasten können, empfiehlt es sich, insbesondere bei von vornherein absehbar kritischen Entscheidungen, diese mit sämtlichen der Entscheidung zu Grunde gelegten Informationen und Erwägungsgründen zu dokumentieren.
Die vorgenannten Grundsätze gelten in gleichem Maße für GmbH-Geschäftsführer (vgl. § 43 GmbHG).
2. Überprüfung der finanziellen Stabilität des Unternehmens durch Anpassung der Unternehmensplanung
In der derzeitigen Sondersituation ist es erste und oberste Pflicht, die bestehende Unternehmensplanung vor dem Hintergrund der veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen unverzüglich zu überprüfen und anzupassen. Da niemand vorhersagen kann, welchen Verlauf die Corona-Pandemie nehmen wird, und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Gesamtwirtschaft und das Unternehmen ergeben, wird eine derzeit angepasste Planung mit ganz erheblichen Unsicherheiten behaftet sein. Vor diesem Hintergrund müssen auch sog Best- und Worst-Case-Szenarien erstellt werden. Dabei können die Vorstandsmitglieder für ihre Planungen (i) die Schätzungen des Robert-Koch-Instituts für den Verlauf der Corona Pandemie und (ii) die Schätzungen von anerkannten Wirtschaftsforschungsinstituten wie z.B. des ifo-Instituts für die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen zu Grunde legen. Höchste Priorität in diesem Zusammenhang hat die Planung der Liquidität der Gesellschaft und die Sicherung ihrer Zahlungsfähigkeit. Im Zusammenhang mit der Erstellung einer angepassten Unternehmensplanung ist insbesondere auf die Erfüllung der folgenden Vorstands-/Geschäftsführerpflichten zu achten:
- Kapitalmarktorientierte Unternehmen haben bei einer erheblichen Abweichung der angepassten Planung von einer zuvor veröffentlichten Guidance, diese Guidance im Rahmen einer Ad-Hoc-Mitteilung zu kassieren. Solange die angepasste Planung noch nicht belastbar ist, sollte das Unternehmen durch einen Vorstandsbeschluss die Veröffentlichung gemäß Art. 17 IV MAR aufschieben, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
- Zudem hat der Vorstand u.U. bestehende Insolvenzantragspflichten wegen Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung zu prüfen. Dies auch und gerade, da nach einem aktuellen Gesetzesentwurf die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die wegen der Folgen der Corona-Pandemie in Schieflage geraten, bis zum 30.09.2020 – mit weiterer Verlängerungsmöglichkeit bis zum 31.03.2021 – hinausausgesetzt werden soll. Ein solcher Gesetzesentwurf zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht infolge der Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2 (COVID-19-Pandemie) ist am 25. März 2020 durch den Bundestag einstimmig angenommen worden und wird voraussichtlich am 27. März 2020 im Bundesrat verabschiedet.
Auch wenn die angepasste Unternehmensplanung heute nur auf „unsicherem Terrain“ erstellt werden kann, haben die Vorstandsmitglieder diese unverzüglich aufzustellen und kontinuierlich anzupassen. Dabei kann hingenommen werden, dass diese Planungen nicht die Fertigungstiefe vorheriger Planungen haben und die Planungsannahmen erhebliche Unsicherheiten in sich bergen werden. Auf die Erstellung einer derartigen Planung mit dem Hinweis darauf, dass eine derartige Planung gar keinen Sinn habe, da die Unsicherheiten derzeit viel zu groß seien, kann nicht verzichtet werden. Diese wäre nicht pflichtgemäß und könnte zu erheblichen Vorstands-/Geschäftsführerhaftungen führen.
3. Ergreifen aller zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Schadenbegrenzung
Die Vorstandsmitglieder haben in der derzeitigen Sondersituation sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, um die aus der Corona-Pandemie für das Unternehmen entstehenden Nachteile so weit wie möglich zu vermeiden. Hierzu gehören insbesondere:
- die Veranlassung sämtlicher Kostensenkungsmaßnahmen, u.a. sofortige Beantragung von Kurzarbeit und Entwicklung einer mittelfristigen Personalplanung,
- das Ergreifen sämtlicher Maßnahmen zur Liquiditätsbeschaffung; hierzu gehören verstärktes Forderungsmanagement, Optimierung des Working Capital, Bankengespräche mit dem Ziel der Aufrechterhaltung von Kreditlinien, Gespräche mit Aktionären/Gesellschaftern bezüglich der Zurverfügungstellung weiterer Mittel und die Beantragung von Staatshilfen von Bund und Ländern,
- die Überprüfung der wesentlichen bestehenden Verträge mit Kunden, Lieferanten, Vermietern und sonstigen Vertragspartnern im Hinblick auf mögliche Vertragsänderungen und Kündigungsmöglichkeiten sowie das Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen und
- die Sicherung der Lieferketten, soweit möglich.
4. Einholung von Expertenrat
Im Falle fehlender eigener Sachkunde haben die Vorstandsmitglieder Expertenrat einzuholen (Fleischer, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 4. Auflage 2019, § 93 Rn. 209). Wenn die Vorstandsmitglieder sich des Expertenrats Dritter zur Unterstützung in der derzeitigen Ausnahmesituation bedienen, müssen sie, um eine spätere Haftung zu vermeiden, die rechtlichen Anforderungen hierfür einhalten. Gemäß der Rechtsprechung des BGHs (BGH, Urt. v. 20. 9. 2011 − II ZR 234/09, NZG 2011, 1271 "Ision-Urteil“) kann ein Vorstandsmitglied auf externen Expertenrat nur dann vertrauen, wenn (i) der Experte über die erforderliche Sachkunde verfügt, (ii) ihm der vollständige Sachverhalt zur Kenntnis gebracht wird und (iii) das Vorstandsmitglied den Expertenrat aufgrund einer Plausibilitätskontrolle für nachvollziehbar hält. Zudem ist darauf zu achten, dass der Experte aus rechtlich gebotenen Compliance Gründen unabhängig und frei von Eigeninteressen handelt sowie mit dem Sachverhalt bisher nicht vorbefasst war.
5. Fazit
Die Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Unternehmen haben in der derzeitigen Sondersituation der Corona-Pandemie erhebliche Herausforderungen zu meistern. Dabei treffen sie erhöhte Pflichten, die sie zu erfüllen haben. Die Geschäftsleiter sind gut beraten, wenn sie auch in der dieser hektischen Zeit ihre Entscheidungen und die getroffenen Maßnahmen ausführlich dokumentieren. Andernfalls setzen sie sich erheblichen Haftungsrisiken aus.